[1092] Doktorspiele [Agnellina, Angelique]

[Agnellina]

“Weil du aussiehst, wie ein Mensch? Weil du unter ihnen lebst? Weil du klingst wie einer von den Sterblichen? Weil du als solcher diese Erde betreten hast?“, sie beobachtete die Reaktion auf jede einzelne Frage, als müsse sie eine Liste abhaken.

“Besser als Menschen, doch noch nicht ganz Engel.“, fasste sie zusammen. “Auf dem Wege dorthin? Ist es das? Du hast damals erwähnt, euer Blut kommt von einem Engel.“
Sie legte geistig dieses Bild auf Angeliques Geschwister und betrachtete es vor dem inneren Auge.

“Engel müssen manchmal viel erdulden. Viel Mühe, selten gelohnt.“, stellte sie fest, als Geschichten in ihr zu Summen begannen. Einfühlsam und doch beharrlich bohrte sie etwas weiter in Angeliques Selbstbild. “Sie hat dich Angelique geheißen. Wärst du lieber wieder Marie?“

[Angelique]

"Nein, Marie wäre schon lange tot. Ich war ein schwächliches Kind. Ich hätte mein erstes Kindbett wahrscheinlich nicht überlebt, wenn ich nicht vorher an Hunger und Krankheit gestorben wäre. Oder der ängstliche Pöbel mich wegen meiner Visionen ertränkt hätte.
Angelique ist, wer ich jetzt bin. Ein Teil von mir wird aber immer Marie bleiben. Aber all das Wissen und die Erfahrungen von Lesen und Schreiben angefangen, sind Dinge, die Marie nie erfahren hätte. Sie hätte dumm und ohne Bildung in abergläubischer Furcht gelebt, wie neun Zehntel aller Frauen.

Du wolltest Latein lernen. Wie du sicher zwischen den Zeilen meiner Worte lesen kannst, ist es mir ein inneres Bedürfnis, gerade Frauen Wissen zu vermitteln. Ich könnte es dir beibringen. Bring du mir dafür bei, in der Wildnis zu überleben. Lehre mich dich die Tricks der Gangrel. Vielleicht werde ich sie eines Nachts brauchen. Und an Harl sehe ich, dass auch meine Familia das lernen kann."

[Agnellina]

Die Gangrel starrte mit gesenktem Kopf auf ihre Hände und wirkte mit einem Mal eher zögerlich und unsicher. Obwohl sie selbst den Wunsch geäußert hatte, wägte sie ab, wie sich dieses Angebot gestalten könnte. Es brauchte eine Weile, bis sich die Gedanken sortiert hatten und sie antwortete.

„Ich… ich bin geneigt, dir die Hand darauf zu geben.“, brachte sie langsam hervor. „Aber…“
Die Gangrel schaute skeptisch, als würden ihr Rebhühner versprochen und dazu ein zappelnder Sack angeboten werden. „Wie stellst du dir das genau vor? Du willst dich mir anvertrauen? Außerhalb der Stadtmauern? Im Tageslicht? Im Hunger?“

Angespannt knibbelten ihre Finger der rechten Hand am Pelz des linken Zeigefingers.

[Angelique]

"Ich dachte eher, du bringst mir Tricks bei, in der Wildnis Hunger zu vermeiden und vor allem das Tageslicht. Ich will nicht in einen Teich geworfen werden, um schwimmen zu lernen.

Ich dachte eher, dass du mir erst mal das Theoretische beibringst, bevor ich praktische Übungen damit mache. Ich weiß, dass das bei den Gangrel - oder Harl - eher wie bei den alten Spartanern abläuft. Lernen, während man überlebt - oder halt auch nicht.
So möchte ich nicht lernen. Ich will erst die Grundlagen verstehen, bevor ich damit arbeiten kann.

Das wird so sein, wenn ich dir Latein beibringe. Erst lernst du die Vokabeln und die Grammatik und erst dann das flüssige Sprechen und Verstehen."

[Agnellina]

„Du weißt mehr als ich.“, stellte die Gangrel fest. “Die alten Spartaner kenne ich nicht. Ich weiß nichts von Tricks und nichts von Grundlagen.
Ich hole dich ab. Wir treffen uns außerhalb der Mauer. Wir gehen hinaus. Für einen Teil der Nacht jeweils. Und ich bringe dich rechtzeitig zurück zur Mauer. Für den Teil, den wir draußen sind, versuche ich deine Fragen zu beantworten, dir zu zeigen, dich zu lehren. So gut ich kann. Ohne dich in einen Teich zu werfen.
Du versuchst im Gegenzug deinen Teil, ebenso so gut du kannst. Ohne Tatzen, ohne Striche, ohne Zauberei. Das bedinge ich mir aus.“

Agnellina streckte die rechte Hand aus.

“Und ich darf deinen Körper ansehen und beobachten. Vorher, dabei, nachher. Was mit ihm geschieht.“, schob sie, nicht von ihrem ursprünglichen Vorhaben ablassend, rasch nach, bevor Angelique einschlagen konnte.

[Angelique]

"Das ist ein gutes Geschäft!"
Angelique nickte zustimmend und schlug ein. "Ohne Tatzen, ohne Striche, ohne Zauberei."

Sie lächelte leise. "Das erste Mal seit langem, dass ich wieder mir von Gangrel was beibringen lasse. Ich hoffe, es wird so schön wie Stricken zu lernen."

[Agnellina]

Agnellinas Hand fühlte sich etwas seltsam an. Das Fleisch war erwartungsgemäß kalt wie die Nacht, aber bedeckt von diesem dunklen, rauen Pelz löste die Kombination eher das Gefühl aus, als würde man eine tote Ratte in der Hand schütteln oder vielmehr die leblose Pfote an einem abgezogenen Balg in der Hand halten.

“Wann willst du beginnen? Ich würde eine mondreiche Nacht vorschlagen. Wie beim Laufen.“

[Angelique]

"Ja, eine Mondreiche Nacht ist immer gut. Je eher, desto besser. Nächster Vollmond?"

Angesichts ihrer Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens, derer sich Angelique durchaus bewusst war, wollte sie Dinge immer so schnell wie möglich erledigt wissen.

[Agnellina]

„Nächster Vollmond.“, bestätigte Agnellina, der zügigen Zeitwahl sehr zugeneigt.
Sie zog derweil den Schluss, dass Harl wohl wahr gesprochen hatte und die Augen der anderen wirklich nicht für die Nacht im Schatten der Bäume und Sträucher gemacht waren. Sie überlegte bereits, wie sie damit umgehen könnte. Aber irgendwie hatte der Kindvampir es ja geschafft zu überleben, sogar sehr lange und das auch auf Reisen. Also ganz unbeleckt konnte sie nicht sein.

Sie lenkte ihre Schritte so, dass sie allmählich zum Turm zurück führten. Sie hatte dem Wächter schließlich gesagt, dass sie das Kind in der Dunkelheit nach Hause geleiten würde.
“Und? Hat das verzückte Kinderherz schon einen Namen für seinen auserkorenen, fiepsenden Welpen gewählt?“

[Angelique]

"Das muss ich mir noch reiflich überlegen."

Angelique hatte ebenfalls von Harl gelernt, dass andere einen ruhig unterschätzen sollten. Nur weil sie Vollmondnächte mochte, hieß das nicht, dass nicht in mondlosen Nächten genauso gut sehen konnte wie jeder Gangrel und auch noch besser hören und riechen als die meisten von ihnen.

So aber spielte sie mit und gab sich fröhlich und aufgeregt, als hätte sie tatsächlich einen Welpen gesehen.

Fazit:
Agnellina besucht Angelique und tauscht sich mit ihr über den Zustand der Vampire aus und wie man den Körper und Geist verändern kann. Angelique willigt ein, ihr Versuchskaninchen für solche Beobachtungen zu werden, ihr Latein beizubringen und im Gegenzug mehr über das Überleben in der Wildnis zu lernen.