Tag der Buße [Angelique]

[Gaius Marcellus]

Genua 989 (Nachspiel, Zeitsprung)

Ein schöner Tag war vergangen, Genua hatte gelacht und Freude gelebt, selbst im Domus Medicorum war wieder Leben eingekehrt nach den mysteriösen Vorfällen um den Raub des Siegpreises. Man gab sich hier sichtlich Mühe.

Nur einer war davon nicht angesteckt - der sündige Liktor ihrer Majestät - der Herr des Hauses.

Tief in der Nacht lagen die Zuber fast verlassen, nur Gaius saß in einem... eine dünne Frostschicht bildete sich auf der Oberfläche des Wassers, der Kainit störte sich nicht sehr ander Kälte... nahm den Schmerz des eigenen Körpers indirekt wahr. Er wartete, wartete auf Angelique. Auch wenn ihm graute, ihr solchen Schmerz antun zu müssen...

[Angelique]

Angelique wurde wie die Motte vom Licht instinktiv angezogen von der möglichkeit zukünftigen Leids, schien es.
Denn just in dieser Nacht, so wollte es der Zufall, denn sie hatte noch nichts vernommen von seltsamen Zwischenfällen, besuchte sie ihren väterlichen Freund.

Und sie erschrak, als sie den kalten Ort betrat und Gaius so vorfand. Auch Untote konnten Horror empfinden wie die Menschen. Und Angelique erzitterte ob der gruseligen Atmosphäre und der Vorahnung kommenden Unheils.

Dennoch floh sie nicht in die Nacht, sondern eilte zum Zuber und fragte: "Väterchen, was ist mit dir?"

[Gaius Marcellus]

Die Kopf im Nacken, die wilden Schopfhaare abrasiert, so lag der vernarbte Krieger in den gefrorenen Lache.
Als Gaius diese Stimme, die Stimme der ersten Genueserin in seinem Herzen, an seine Sinne dringen hören, erwachte er aus seinem düsteren Tagtraum.
Ein leises Knirschen den brechendes Eises beschrieb die Seele des gequälten Kriegers, als er wie sehnsuchtsvoll die junge Kainitin anblickte.

"Marie... es tut so gut, dich zu sehen. Du hast meine Botschaft also erhalten? Es ist nicht leicht dich dieser Tage zu erreichen." schmunzelte er, als würde er jedes normale Gespräch einleiten. Doch es brauchte keinen großen Menschenkenner um zu sehen, dass Alles anders als normal war. Die Verwendung ihres wahren Namens alleine sprach Bände...

"Ich... ich brauche deinen Rat...
Ich erinnere mich an süßen Schlummer an deiner Seite, vor ein paar Jahren...
Was mich damals belastete, was mich fürchten ließ, was mir graute... es ist realität geworden." Betrübt blickte der Heiler zu sich herab ins Wasser, in das Eis mit den vielen Rissen in der Oberfläche, er erschauderte, fixierte den Blick aber...hielt ihm geradezu stand.
Dann brach er den Kontakt, erschöpft, und wandte sich wieder Angelique zu.

"Nur kann ich diesmal nicht ruhen, nicht schlafen, muss Wirken... und doch quält mich meine Schuld. Auch dir gegenüber. Ich hätte auf dich hören sollen, oh kluges Kind! Schreckliches Unglück ist geschen...
Il Paladino fiel, fiel einer all zu bekannten Bestie zum Opfer, nur einen Moment aber doch genug... genug für Verderbnis und Schuld." Schweres Seufzten durchdrang die alten Lungen des Toten und füllten den Raum.

[Angelique]

Angelique hörte zu. Sie brauchte keine Seelensicht, um die Qual zu erkennen, die den Streiter und Heiler gefangen hielt. "Erzähl mir davon, von der Schuld. So sehr wie du leidest, ist das Gute in dir so groß, dass deine Reue dich schmerzt. Laß uns gemeinsam überlegen, wie Vergebung deine Qual zu lindern vermag."

[Gaius Marcellus]

Gaius nickte. Dafür hatte er auf sie gehofft. Womöglich konnte sie ihm helfen Buße und Frieden zu finden... und auch ih gegenüber zu tun.
"Ich habe meiner dunklen Seite nachgegeben... zwei mal am gleichen Abend... und es hat mich in Verderben und Schuld gestürzt." Begann er langsam aber immer fester werdend

"Je mehr ich jenes Monstrum das in uns lauert einsperre, desto lauter brüllt es, je mehr selbstloses ich unternehme, desto stärker verachtet es mich und daher... daher es in mir gewachsen und so viel mächtiger als ich es je befürchtet hatte... Marie... wo ich auch hingehe, ich sehe es. Wenn ich in jenen Spiegel blicke. Wenn ich in die gefroenen Wasser blicke. Wenn ich mein Schwert halte, bloß um die Unschuldigen zu schirmen... Ja selbst wenn ich in deine glänzenden Augen sehe... es ist da. Es ist da und es lacht mich an und fletscht seine Zähne.

Es ist mittlerweile so machtvoll... Wasser um mich herum gefriert bei Berührung zu Frost. Zarte Blumen verwelken. Mein Streicheln... es schmerzt manchen Mensch und manch empfindliches Kainskind... Jeden Tag bekommt es mehr und mehr Zugang an mich in meinen Träumen, reißt mich fast aus dem Schlaf, verdirbt mir Lust und Leidenschaft am Nachtwerk... und erinnert mich stets an meine Schuld." Nach dem ersten Redefluss seufzte der Heiler wieder stark, warum war gerade er so grässlich von diesem Fluch betroffen, gerade er?

"Und nun... nun hat es einmal seinen Willen bekommen...
ich." Er wirkte verschämt "Sehnte mich so sehr nach der zarten Berührung anderer Wesen, menschlicher Wesen, die als Kainiten doch machtvoll genug waren, meinem Fluch zu widerstehen... dass ich mich verführen ließ mein Bad mit Anderen zu Teilen. Ihnen Nah zu sein...
Ich teilte mein Bad, nicht ohne sündvolle Gedanken, ließ mich dazu verführen wie ein alter Lustgreis, der nach der Schönheit der Jugend trachtete und seine eigene Verderbnis und Grässlichkeit vergaß..." Selbstzweifelnd schüttelte der gestandene Mann sein Haupt, wie in Unglaube über seine eigene Tat.

"Ich ließ mich von Sousanna und Caterina in ein Bad verlocken..." Brach er im Geist, Wort und physisch das Eis. Knirschend untermalten die knirschenden und springend klirrenden Kristalle um Gaius dessen auffallemenden Eigenzorn. Er wusste wohl, dass diese Worte Angelique in Trauer oder Zorn zu versetzen vermochten... er hatte sich auch an ihr Versündigt und wollte die Plage dieses Gedanken glasklar aussprechen.
"Und daraus entstand wahrer Terror... Sünde führte zu Strafe... führt uns womöglich alle der Vernichtung zu." Hauchte er nach... die letzte Kraft aus der Lunge pressend.

[Angelique]

Angelique hörte aufmerksam zu. Aber sie wurde weder zornig noch traurig, als Gaius seine Verfehlungen gestand. Stattdessen lächelte sie sogar und legte zärtlich den Zeigefinger auf Gaius Lippen.
"Ich stehe zu dir. Immer", sagte sie schlicht. "Selbst wenn du dich in der Bestie verlierst, werde ich dich immer noch lieben und den guten Mann im Herzen halten, der du warst."

Sie senkte den Blick. "Wenn es dir wieder nach Nähe verlangt", meinte sie scheu, "dann komme doch zu mir anstatt zu flatterhaften Weibern, die nicht wissen, welch Seelenqual sie in dir wecken und dein Leid noch vergrößern. Die dich nicht lieben, wie ich es tue."

Sie stockte nicht einmal, als sie sanft die Narben des Salubri berührte und sagte: "Selbst wenn du unreine Begierden hättest. Ich wäre für dich da... und hinterher immer noch Jungfrau. Du selbst bliebest ohne Schuld."

[Gaius Marcellus]

Gaius sah erst eine Weile traurig vor sich hin, dann verblüfft und etwas ungläubig. Lachen konnte er nicht, womöglich auch zum Glück, die Kleine hatte ihm sein Herz ganz eröffnet. Sanft wandelte sich seine Verzweiflung zu einem wärmeren Gefühl und einer wärmeren Miene. Ein Lächeln zeichnete sich weich ab.

"Ich danke dir für deine Güte und dafür, dass du nicht mich Verurteilst, sondern mir helfen willst..." Bekräftigend nickte er "Es war das erste Mal seit sicherlich drei Dekaden, dass ich mich zu soetwas hingezogen fühlte... die pure Menschlichkeit scheint mir eine Schwäche." Seufzte er, aber dennoch nicht wieder Betrübt. "Deine vertrauensvolle Nähe, unbrüchige Zuneigung, deine sanfte Berührung trotz des unangenehmen Gefühls... sie beruhigen mein Herz und bringen mit mehr Erfüllung als mein Monstrum sich bei jeder Verführung versprechen könnte..." Lächelnd stieg der Heiler langsam aus dem Bad. Brach das Eis endgültig unter sich, klirrend und scheppernd. Er trocknete sich grob an und schlüpfte in ein einfaches Gewand. Setzte sich dann auf einen Stuhl und lud Angelique neben sich Platz zu nehmen ein.

"Meine Seele bleibt gequält dadurch... ich versuche Buße zu tun. Rasiere mein Haupt. Habe einige Tage gehungert. Beschäftige mich mit den Niedersten der Niedersten... Habe Vergebung bei der unschuldigen Sousanna gesucht, für das, was danach geschah..." Da kam das Seufzen wieder . "Aber meine Seele ruht nicht... Seinfreda und dich zu sehen war meine einzige Hoffnung, und deiner Ansichtig zu sein, es lindert...
Angelique. Du bist den Himmeln und dem wahren Glauben näher als alle Kainskinder welche ich kenne... hilf mir dabei den Weg zurück zu finden! Zu Seelenfriede und innerer Ruhe, zu Vergebung! Ich bitte dich!"

[Angelique]

"Genug gelitten!", sagte sie mütterlich streng, aber liebevoll. "Genug gebüsst. Sieh nach vorn, was du besser tun kannst, nicht darauf, was du nicht mehr ändern kannst. Auch ich habe gesündigt und gezweifelt und werde in Bälde dafür bestraft werden. Das fühle ich. Aber das bestärkt mich nur in meiner Suche nach GOttes Sophia. Wenn wir einander Halt geben, werden wir nicht fehl gehen."

Dann lachte sie frühlingsfrisch und rief: "Und jetzt laß dein Bad heizen und Gastlichkeit und Freigiebigkeit dein Herz wieder erwärmen. Stell Lichter auf und erfreue dich am Leben der Sterblichen."

[Gaius Marcellus]

Gaius schloss sich ihrem Lachen an. Sie konnte ihm wahrlich den Mut retten. Nun hatten sowohl Sousanna als auch Angelique ihm zum gleichen geraten... nicht Buße und Trauer, sondern gutes Werk sei die Lösung... womöglich hatten die Kinder der niederen Clane in diesem Falle recht.
Zu gerne wollte der Heiler die Worte des grausamen Kükens hören, dass ihn in dieses Schlamazzel gebracht hatte... aber nach den Berichten seiner Kameraden... wären diese Worte kaum ehrlich.

Also ließ Gaius einen der Wächter in der Tat noch ein Bad für die kleine Angelique richten. Er selbst würde sich allerdings tunlichst hüten, dem beizuspringen. Hoffentlich hatte sie dafür nun Verständnis... "Die Freude wird es dir verderben, wenn das Wasser in Minuten wieder eisig und lustlos ist... aber genieß das Bad! Ich habe von Rogers Juden noch einige labende Öle. Einen neuen Scheiten könnte ich dir kämmen... wenn du dies aushälst."

[Angelique]

"Glaubst du wirklich, deine kühlende Berührung, wäre etwas anderes als Balsam für meine fiebrige Haut?", flüsterte sie und strich wieder zärtlich über seine eisigen Narben.
Sicher war sie kühl wie eine Tote, aber das Gefühl fiebrig zu sein, hatte sie nur allzu oft. Sie musste nicht einmal heucheln, um das zu sagen. Seine Kühle linderte wirklich ihre ewige hysterische Hitze, die ja nur eingebildet war.

Als sie sich schließlich ins warme Wasser gleiten ließ und langsam dessen Temperatur annahm, streckte sie sehnsüchtig das Händchen nach dem eisigen Untoten aus, wollte ihm einen kleinen Teil der Wärme abgeben, die sie gerade erfreute.

Dabei lächelte sie in unschuldig wie das Kind, das sie zu sein schien.