[Fluff] La Volubile [Melissa]

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Melissa
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[Fluff] La Volubile [Melissa]

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Das Jahr 967, Frühling.

Melissa ließ die Beine frei unter der Bank baumeln, die auf einem der Hügel in Broglio aufgestellt war und die alte Römerstraße unten im Tal überblickte. Sie hatte keusch die Beine überkreuzt und, des keimenden Wetters wegen, erneut auf Stiefel verzichtet. Ansonsten trug sie das gleiche alte Kleid, das sie nur hier und da durch neuen Stoff ersetzt hatte. Auf ihrem Schoß lag ein schlichtes Kästchen, dessen Deckel sie in der linken Hand hielt. Darin befand sich ein kleines Kettchen aus Leder, mit einem schlichten Anhänger aus Kupfer oder sogar Messing. Billiger Plunder in Form eines Delphins oder eines anderen unnützen Tieres.

"Aww, Paolo, das ist zu teuer!", seufzte sie und hob es vorsichtig heraus.
Sie warf sich ihm, der neben ihr saß, um den Hals - eine stürmische, lebensfrohe Bewegung - obwohl sie seine Motive durchschaute. Der Junge war nicht sehr kompliziert und leicht zu durchschauen. Er war weder so hübsch wie Oliviero, noch so kräftig wie Lamberto und ganz sicher nicht so heißblütig wie Palmiro. Außerdem nicht so aggressiv wie Rafaele. Aber er war ein manipulativer Mistkerl und versuchte die anderen gegeneinander aufzuhetzen. Die halbe letzte Woche hatte Melissa damit zugebracht, Lamberto und Palmiro zu verarzten - getrennt natürlich - nachdem sie sich eine heftige Schlägerei um Melissas Ehre geliefert hatten.
Sie fühlte sein Herz gegen ihre Brust schlagen, rasen als stünde es in Flammen. Ihre Wangen blühten rosig auf, ihre roten Lippen drückten einen kurzen Kuss auf seine Wange. Sie glaubte, sein Herz springen zu hören.
"Leg es mir um, leg es mir um", hibbelte sie, ohne den Tand eines echten Blickes zu würdigen.

Ihr Verehrer tat, wie ihm geheißen, schwang sich hinter sie auf die Bank und nestelte an ihrem zarten Nacken herum. Der Knabe spielte gern. Vielleicht würde er sich eines Tages tatsächlich nützlich machen für sie.
Aber bis es soweit war...
"Ich könnte fast ein Mädchen von Stand sein damit", sagte sie und zupfte den Anhänger unnötig anzüglich auf ihrem Dekollete zurecht. Sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen wohin Paolo starrte.
"Für mich bist du das, Lissi."
Melissa zog die Augen zu Schlitzen zusammen. Sie hasste diesen Namen. Einen seiner Herzschläge später, war der Gesichtsausdruck wieder verschwunden, ihr Ton suggestiv.
"Für dich...", seufzte sie. Sie nahm seine Hände, führte sie sanft über Kreuz, sodass er sie in seinen Armen einschloß und sie sich an ihn lehnen konnte. "Nicht für die Frauen...du kennst doch Giulia, die Frau vom Bäcker Matteo? Sie hat mir am Sonntag erst sehr deutlich gesagt, was sie von mir hält. Und schöne Worte waren das nicht."
Ihr Begleiter schwieg, aber sie fühlte seine Kiefer mahlen. Er dachte nach, eindeutigerweise, wie er ihre Demütigung zu seinem Vorteil gebrauchen könnte. Sie beschloß, ihm auf die Sprünge zu helfen, wie sie am Donnerstag erst Lamberto und am Dienstag Palmiro geholfen hatte...
"Wenn du ein Mann von Stand wärest...", sagte sie und streichelte ihm über die Unterarme. Etwas in ihrem Rücken regte sich. Er schob sich etwas zurück, sodass nur seine Brust sie berührte. "Und der alte Fieschi das endlich sehen und dir eine ordentliche Anstellung geben würde...Dann müssten wir auch nicht bei deinen Eltern wohnen und ich könnte meine eigene Küche haben, meine eigene Küche, wo ich Hasen kochen könnte und Fischsuppe und mit einem großen Kochlöffel die kleinen Buben erziehen, wenn sie zu früh davon naschen wollen..."
Sie fuhr so noch eine Weile fort, nur unterbrochen von halbstummen, etwas beschämenden Zustimmungen ihres Verehrers, ein Luftschloß zu errichten. Ein Luftschloß, dessen Prinzessin sie war...und dem er kaum widerstehen konnte. Sie wusste, dass er dort einziehen wollte. Und dass er alles tun würde, damit sie es mit ihm tat.
Sie lächelte, als er es ihr versprach.
Zuletzt geändert von Melissa am Fr 6. Mai 2016, 22:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Melissa
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Re: La Ghiottona [Fluff]

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Das Kleid, fand Melissa, stand ihr ausgezeichnet. Es hatte einen modernen Schnitt und war grün, ab der Hüfte leicht gerafft und außerdem ließ es die Schultern noch frei. Der breite Gürtel um ihren Bauch betonte die Brüste, ihre Art zu gehen den ganzen Rest. Das Kleid verstieß nicht direkt gegen die Ständeordnung, suggerierte aber jedenfalls, dass seine Trägerin etwas weniger an Stand als angemessen interessiert war.
¨Mama¨ nannte es anstößig, unanständig.
Was sagst du? fragte Melissa und drehte sich. Der Stoff und ihre Haare wirbelten im zarten Mondlicht, ihre bleiche Haut blitzte fast. Der Mann sagte gar nichts, aber sein Blick war Antwort genug. Er gierte nach ihr, war aber unsicher - oft genug zweifelte er, ob sie ihn wirklich liebte. Die Ringe an ihren Fingern, das Versprechen einander vor Gott bald zu ehelichen, sollte genug sein, aber...
Rafaele trat näher, sie wich aus, tanzte um ihn herum und zum geöffneten Fenster hinüber. Vor ihr erstreckte sich die dunkle Straße irgendwo in Broglio, sie lehnte ihre Unterarme auf das Fensterbrett und beugte sich vor. Draußen war alles ruhig.

Er kam ihr nach, diesmal blieb sie auf dem Fensterbrett gelehnt und duldete seine Anwesenheit neben sich.
Sie war...seltsam, dachte er, fordernd. Er hatte kaum genug Zeit an sich selbst zu denken, geschweige denn an andere. Melissa erfüllte seinen Kopf von morgens bis abends. Morgens, wenn er das Haus verließ, freute er sich darauf von ihr bald wieder eingelassen zu werden. Tagsüber duldete sie ihn nicht in ihrem Zimmer und auch nicht im Haus seiner Eltern. Ein echter Mann arbeitete. Abends dachte er an ihre zarten Berührungen, die sie ihm nach einem langen Tag manchmal schenkte, dann war er stolz, wie sie das Haus führte und seine Familie sie respektierte. Niemand störte sie bei ihren Geschäften und alle waren nur voll des Lobes. Dann platzte Rafaele fast vor Freude und das waren die schönen Momente.
Nachts...nachts dachte er auch an sie und vermisste sie. Wenn sie aus ging, wenn da nur die Kuhle war, wo sie liegen sollte, und wenn sie Heim kam kurz vor Morgengrauen und nach Wein und Schweiß stank. Nach dem Schweiß fremder Männer, der an ihren Haaren und ihrem Hals klebte. Wenn sie ihn ignorierte und schlief, während er lostrottete, ihre Aufgaben zu erledigen.

Einmal hatte er Mumm gehabt. Einmal hatte er sie zur Rede gestellt, am Anfang noch, als sie bei ihm eingezogen war, kurz nach seinem Antrag. Es war ein grauenhafter Abend gewesen. Die halbe Straße musste es gehört haben, wie sie beide sich gefetzt hatten und gestritten.
Er hatte auf der Bank im Esszimmer geschlafen, wütend, zornig, tief verletzt. Sie hatte sich in ihrem Zimmer eingesperrt, Tage nicht mit ihm geredet. Sie hatte niemandem erlaubt, sie zu stören. Niemand tat es.

Rafaele musste nur stark sein. Nur ein wenig Vertrauen haben in sich und seine Männlichkeit. Das brauchte er und das brauchte sie: Einen starken Mann. Hatte er nicht alle anderen ausgestochen? Wo war schon dieser schmierige Mistkerl Paolo? Fortgejagt, blamiert. Man hatte ihn zuletzt nackt durch die Straßen rennen sehen, ein geiles Schwein dicht auf den Fersen. Und Palmiro? Ein kleiner Dieb und Nichtsnutz. Lamberto war zur Armee gegangen oder als Schläger bei irgendeinem Händler angeheurt - ein Weiberheld und Aufschneider war der.
Nein, nein, sie hatte ihn gewählt, weil sie ihn liebte. Schmiss sie nicht den Haushalt ganz hervorragend? Fand nicht sogar Vater sie großartig und Mutter zeterte nur, weil Melissa alles besser machte, als sie?
Frauen waren eben so, sagte er sich immer wieder und verlor sich im Anblick der hübschen Frau, die kalt in die Mondnacht hinaus starrte. Alles war normal. Alles ganz normal.
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Melissa
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Re: La Ghiottona [Fluff]

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"Der Mann ist ein Hindernis", sagte Melissa und schaute in die Runde ihrer versammelten Liebhaber. "Er verweigert sich jedem Vorschlag, sich und seinen Reichtum an Projekten der Stadt zu beteiligen. Das ist völlig inakzeptabel."
"Und außerdem sind seine Bediensteten Ärsche", warf Raffaele feurig ein, "Die sie begaffen, als wäre sie eine Hure!" Allseits brandete Gemurmel und Entsetzen auf. "Schweine!", rief da einer, "Lumpenpack!", der nächste und man überbot sich mit Beschimpfungen und Echauffierungen über diese Ungeheuerlichkeit.
Bis Melissa die Hand hob und lächelte.
"Bitte, bitte, sie werden lernen. Für den Augenblick ist es viel wichtiger, dass wir ihm beibringen, sich besser zu beteiligen. Vorschläge?"

"Wir brauchen wir etwas spektakuläres, etwas das zeigt, er kann sich nicht mit uns anlegen!", sagte Palmyro und hieb auf den Tisch, um den sie alle versammelt saßen. "Wir müssen ihm alles nehmen, was er uns verweigert - gegen seinen Willen!"
Raffaele lachte. "Und deswegen fehlt dir eine Hand, Palmyro. Auffällige Diebe sind schlechte Diebe."
Der Einhändige funkelte ihn bösartig an.

Ein lautes Klopfen unterbrach den Streit. Lamberto pochte mit behandschuhten Knöcheln auf den rissigen Holztisch: "Dann töten wir ihn. Der alte Sack ist eh bald fällig."

Es wurde still auf diese Bemerkung. Melissa holte scharf Luft, es kostete sie hörbar Mühe, ihre Stimme im Zaum zu halten: "Nein", sagte sie. "Wir töten niemanden, nur weil er stur ist."
Die Stille hielt sich für einige Minuten im Raum. Lamberto sah beschämt in seinen Pokal voller Wein, eine Hand zur Faust geballt, die andere um den Ton gekrallt. Sie konnte spüren, wie voll der Häme Palmyro und Raffaele waren, dass sie es nur nicht wagten, auf ihrem Konkurrenten herum zu hacken, weil Melissa schelchter Laune war.

Schließlich schüttelte Melissa den Kopf, runzelte die Stirn.
"Spektakel können wir nicht gebrauchen, noch nicht. Die Existenz der Gärtnerin soll man am Garten erkennen, nicht an ihren Ankündigungen über die Blüte nächsten Sommer."
Das gab ihnen allen zu denken. Wenn auch womöglich nur, weil keiner von Ihnen es so richtig verstand.

Es war Raffaele, der den rettenden Vorschlag brachte:
"Und wenn wir Palmyro Recht geben, nur nicht so auffällig? Soll Lamberto und seine Jungs sich an den Geschäften des Mannes auslassen - wenn er schwach ist und abgelenkt, stiehlt Palmyro ihm alles und gibt es den Armen. Jeder gewinnt und der Alte weiß, bei wem er besser dran wäre."

Alle hoben die tönernen Pokale, selbst Melissa ergriff ihren und führte ihn ebenfalls an ihre zarten Lippen. Sie lächelte stumm in ihren Wein hinein, als man auf ihr Wohl trank und prostet und versprach, den Plan bald möglichst in die Tat umzusetzen.
Es war das erste Mal seit Jahren, dass Melissa sich nützlich und zuhause fühlte.
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Melissa
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Re: La Volubile [Fluff]

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Schreie weckten die Villa aus dem Schlaf. Die erbärmlichen Schreie eines Mannes, der sich auf dem Boden wälzte in Schmerzen und schrie und kreischte und sich zu einem kleinen Ball zusammen rollte und winselte.
Gebell mischte sich darunter. Ein tiefes, tiefes Knurren in Mark und Bein, das in der Magengegend brummte, durch die ganze Villa hindurch.

Melissa sah von ihren Näharbeiten bei schwachem Kerzenschein auf. Maria und Romana ihr gegenüber rutschten näher beisammen. Sie alle nähten an einem neuen Kleidchen für das älteste Kind des Hausherren, das bald seinem künftigen Bräutigam vorgestellt werden sollte.
Melissa roch die Angst, die die beiden verströmten, sah sie in den wässrigen Blicken, die von ihr zur Tür huschten. Und zu dem Tier an Melissas Seite.
Ein großes, zottiges Biest, das nicht mehr von ihrer Seite wich, seit er endlich stubenrein war. Atreus.

Das Tier hob den Kopf in Richtung des Hofes. Seine Nüstern blähten sich, spitze Ohren zuckten. Rote Augen richteten sich auf die Herrin, die müde seufzte.
"Macht Pause", befahl sie und ging aus der Kammer. Atreus stumm an ihren Waden, seine warmen Flanken immer in der Nähe ihres kalten Fleisches, so als fürchte er in der Nacht allein zu sein.

Der Hof war ein einziges Chaos. Der halbe Hausrat hatte sich versammelt, einen losen Kreis um das Elend gebildet.
Es war ein schmächtiger Mann, mit kleinen Augen, beginnender Kahlheit und zierlicher Figur, der dort auf der blanken Erde lag. Ein Diener des Hauses, seit einigen Jahren schon und ein lieber Mensch. Über ihm Tantalos, Pelops, Menelaos und Nestor. Alle reichten der zierlichen Vampirin bis mindestens zur Hüfte, alle vor wenigen Monaten von der Straße geholt. Sie schnappten nach dem Mann am Boden, sprangen über ihn, drückten ihn mit einem Gewicht zu Boden, das sein eigenes weit überstieg.
Die Welpen schnappten nach seinen fliegenden Händen, bissen neckisch in Schulter, Nacken, Hals. Er war blutüberströmt, schrie nur noch schwach. Wohl um den Spieltrieb der Tiere nicht weiter zu reizen.

Melissa schnippte mit den Fingern. Die Tiere ließen von ihm ab und eilten auf ihre Herrin zu, umsprangen sie, wollten sie beinahe zu Boden reißen, ehe die ein einzelnes Wort zischte. Alle nahmen Platz.
"Herrin, er wollte nur das Futter bringen", "Er ist ihnen zu nah gekommen", "Die Tür war unverschlossen, Herrin", plapperten sogleich einige vom Gesindel fahrlässige Ausreden durcheinander.
Melissa warf dem Mann auf dem Boden einen Blick zu, der die Leute um sie her verstummen ließ.
"Böse!", fauchte sie die Tiere an, die sich betreten um sie aufgestellt hatten. "Böse!"

Einen Augenblick lang überlegte die Tzimisce, wie sie dieses Desaster retten könnte. Die Tiere waren zu wild, das war alles. Sie hörten auf niemanden außer ihrer Herrin und selbst die konnte sie nicht jederzeit im Zaum halten.
Aber keiner der Hundetrainer hatte es länger als zwei Nächte bei ihnen ausgehalten. Alle hatten sie den Schwanz eingekniffen, die Tiere für Höllenhunde erklärt und das Weite gesucht.
Melissas Lippen waren ein dünner Strich, als sie die versteinerte Dienerschaft anwies:
"Giuseppe - hilf ihm auf, bring ihn zum Arzt. Ludolfo - reparier das Schloss. Rafaele - wir gehen aus. Die Tiere brauchen ihren Auslauf, um ihre Kraft los zu werden."

Alle machten sich zögerlich an die Arbeit, gingen einen großen Bogen um die Ecke mit Melissa und den Hunden.
Sie selbst hatte ein paar Mal versucht, die Tiere zu züchtigen, aber erfolglos. Einerseits schienen sie alles zu verabscheuen, das nicht Melissas Blut in sich trug. Rafaele erduldeten sie nur mit Müh und selbst er hatte ihr in einigen Nächten schon Angst vor den Tieren gestanden, die vor ihrer Tür lagerten oder um den Hof schlichen. Stumm wie Schatten.
Andererseits, dachte sie und tastete abwesend nach Tantalus, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, konnte sie bei diesen Blicken einfach nicht böse bleiben.
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Re: La Volubile [Fluff]

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"Ich liebe dich", sagte der Mann.
Seine Stimme war monoton. Sein Blick war gebrochen, milchig-grün wie beschlagenes Kupfer. Ein Schleier hing über ihm und hüllte ihn in fades Grau. Sie hatte mehr Eifer von geschlagenen Hunden erlebt.
Viehisch warf er sich vor ihr auf den Boden, küsste ihr die Füße. Seine Bewegungen waren abgehackt. Nein, nicht einmal mehr viehisch. Tiere, wie dumm sie auch waren, besaßen Triebe. Er hier nicht. Er hier benahm sich wie ein Gerät. Wie ein Bogen, der nur funktionierte, wenn jemand anderes ihn aufzog und wieder los ließ.
"Ich liebe dich", wiederholte er leidenschaftslos. "Höre mich, Schöne", bettelte er monoton.

Melissa schnürte es die Kehle zu. Sie hatte ihn zerbrochen. Wie mit einer Puppe hatte sie mit ihm gespielt, hatte ihn über Wochen, Monate, Jahre hinweg immer wieder aufgezogen und los gelassen. Aufgezogen und los gelassen. Zum Spaß. Und weil er selbst es so gerne tat.
Heute...heute war er kaputt gegangen. Irgendetwas in ihm war gerissen, sie konnte es in seinen Augen sehen.

Ekel schlich sich in ihre Seele. Ekel vor sich selbst zunächst, als sie das Werk ihrer Nächte zu ihren Füßen betrachtete - den Mann, der sich vor ihr erniedrigte, der bettelte und eine Liebe gestand, die eine Lüge war. Eine Lüge, die sie ihm eingetrichtert hatte in Monaten des quälenden Versteckspiels.
Schließlich Ekel vor ihm. Vor dieser Bestie in Menschengestalt, die wie ein Köter sich auf den Rücken gelegt hatte und zu ihren Füßen winselte, weil sie das Menschsein nicht mehr ertrug.
Für einen Moment zuckte die Frage durch ihren Kopf, während ihre Hände sich um seine Kehle legten. Während er nach Luft schnappte, sich ihre Zähne in sein Fleisch gruben und er seine Hosen mit Lust befleckte. Für einen Augenblick fragte sie sich, ob sie ihm das angetan hatte.
Dann strömte sein Blut in ihren Schwanenhals, dick und berauschend vor Geilheit und gequälter Lust.
Nein, dachte sie. Das war nur er selbst gewesen.
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Re: La Volubile [Fluff]

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Die Nacht war windig gewesen, fast stürmisch. Trotzdem hatte Melissa darauf bestanden, den obersten Balkon der Villa zu besteigen, die schmalen, regennassen Stufen des neuen, winzigen Ekers zu besteigen und über einen kleinen Teil der Stadt zu blicken. Raus nach Norden zu den Mauern und Feldern dahinter.
Auf seine Frage nach dem Grund hatte sie nur gelacht. Der Wind trüge ihr die Geheimnisse der Stadt zu, er flüstere ihr von den Verbrechen der Leute. Davon, dass der Nachbar gegenüber seine eigene Tochter bestieg, dass Signorina Adelina sich Liebhaber in ihr Bett holte, wenn ihr Mann das Geld verspielen ging.
Rafaele hatte das nicht beeindruckt. Der Alte gegenüber war ein Perverser und Adelinas Lüsternheit war Legendär. Er selbst hatte ein, zweimal in schwachen Momenten...Er brauchte keinen Wind, der ihm diese Geheimnisse zu trug, wenn sie so offen da lagen.
Ein Blitz ohrfeigte ihn aus seinen Gedanken. Das Unwetter wurde schlimmer. Er schlang die Arme und die Kleidung enger um sich, schon ganz durchnässt. Aber jede Minute mit seiner Melissa...jede Minute weg von ihrem grausamen letzten Auftrag...

Ein Heulen hob an, als der Blitz verklungen war, und erfüllte die Villa. Ein Heulen und Kreischen, das ihm durch Mark und Bein ging. Dicht gefolgt von dem Gekläff.
Die Hunde. Rafaele zuckte zusammen. Er hörte ihr Gebell aus dem Verschlag, in den sie eingesperrt waren. Durch das Holz, durch die Wände. Es reichte weit. Er hörte auch das Holz knarren, als ihre Leiber sich dagegen stemmten. Hörte es knacken, als sich abwechselnd die massigen Tiere dagegen warfen. Er hörte den Sturm und das Brauen und das Tor zur Hölle, das sich plötzlich in seinem Haus aufgetan hatte.
Die Tiere hatten - so wie er auch - ihre Herrin schreien gehört.

Kurz darauf hörte er es poltern. Sein Kopf ruckte zu der schmalen Stiege. Melissa stolperte hinunter, fiel fast. Haare verdeckten ihr Gesicht, vor das sie die Arme geschlagen hatte. Sie stolperte wieder, fiel vor ihm auf die Knie. Gleich war er bei ihr, gab ihr Halt, wagte es sie ohne Erlaubnis zu berühren. Sie schüttelte sich, warf den Kopf umher. "Poios?!", flüsterte sie in dieser Sprache, die er nicht kannte. "Poios?", wiederholte sie lauter, schüttelte sich nur noch mehr. Rafaeles Mund war trocken, als er sprach. Sie reagierte nicht, fragte nur noch lauter. Er redete weiter auf sie ein. Nur, weil er ihr etwas sagen wollte, irgendetwas, weil er mit ihr sprechen wollte, wissen wollte, was geschehen. Aber sie verstand nicht.
"Poios?"
Rafaele nahm sie sacht am Handgelenk und erschrak.
Aus ihren Ohren lief Blut, sie zitterte am ganzen Körper. Rafaele wurde aschfahl. Sie murmelte, flüsterte erst, dann schrie sie. Blind und taub, panisch, als würde sie sich selbst hören machen wollen.
Vorsichtig hob er sie empor, das zitternde Bündel, das seine Herrin war, und trug sie durch den Sturm in ihre Kammer.
Wie sonst nie drückte sie sich an ihn, vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken. Bei jedem Gewitterschlag, der durch ihre Knochen rollte, krallte sie sich schmerzhafter in seine Schultern. Als würde er sie schneiden.
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Re: La Volubile [Fluff]

Beitrag von Melissa »

Die Tafel der Familie war heute reich gedeckt. Es war ein wahrer Festtag und man hatte Sorge getragen, dass jeder der Beteiligten dies auch wusste: Die Tafel schien sich endlos lang durch den Speisesaal zu ziehen. Das feine Silberbesteck war poliert und aufgetischt worden, es warf das Licht einiger Kerzen weiter und brachte den ganzen Saal zum glänzen.
Ganze Schweine waren aufgedeckt, Reh gefüllt mit Puten, Hasen, diverse Laiber Käse und Brot, kleinere Fässer Wein standen am Rand, von denen beständig eine Vielzahl Diener neue Karaffen füllten und verteilten.

An der Spitze der Tafel saß die Dame des Hauses, bleich, schön und edelmütig. Am anderen Ende zwei Knaben von gut vierzehn Jahren. Einst waren sie Fremde gewesen in diesem Haus und auch vor einander, heute betrachteten sie den anderen als ihren Bruder. Zwischen diesen beiden Polen saßen fast zwei Dutzend Menschen. Der Älteste fast siebzig, die jüngste ein Mädchen von zehn Jahren.
Sie alle waren fein heraus geputzt und in bester Sonntagskleidung erschienen. Mit frisch getönten Haaren, neu gekauften Kleidern und allem Schmuck, den sie im Hause finden konnten, um sich vor der neuen Verwandtschaft zu profilieren. Wer sich auskannte in der Politik, der mochte Senatoren entdecken und ihre Söhne, Töchter und Frauen, reiche Kaufmänner und arme Patriarchen, den ein oder anderen Haudegen und Glücksritter, die alle miteinander saßen und schwatzten, diskutierten und lästerten über die jüngsten Ereignisse in der Stadt.

"Anna", flüsterte Melissa und beobachtete, wie die Geräusche im Raum erstarben. Alle Augen richteten sich auf Anna - ein leidlich attraktives Mädchen, das für diesen Abend die zweifelhafte Ehre erhalten hatte sich persönlich um die Hausherrin zu kümmern. Eilig kam sie herbei und neigte sich herab.
"Freust du dich nicht für unsere lieben Kleinen, Anna?", fragte Melissa und legte ihren Blick auf die Magd.
"Doch, Signora, sehr, Signora."
Melissa hörte, wie das Blut der Magd aus dem Kopf sackte, irgendwo tief in die Eingeweide hinein.
"Das solltest du auch. Es ist ein ganz besonderer Tag für sie, denn sie werden heute Teil der Familie. Sie sind jetzt endlich erwachsen und werden die Verwantwortung übernehmen, die wir von ihnen erwarten."
Einen Augenblick lang herrschte atemlose Stille. Die Knaben warfen sich verstohlene Blicke zu, wagten ein Lächeln. Es war in der Tat ihr Geburtstag und damit waren sie zumindest für heute sicher.
"Weißt du was das ist, Anna? Verantwortung?"
Die Magd schluckte. Sie formte gut durchdacht einige Worte, die sich nur langsam aus ihrem Hals heraus schoben:
"Ja, Signora, Veran..."
"Verantwortung zu haben heißt, zu seinen Taten zu stehen."
Die Augen der Tzimisce glitten von der Dienerin über die Versammelten, zwischen denen sich in den letzten Jahren ein dünnes Band entwickelt hatte. Eine Art von Verbundenheit, die tiefer ging als bloße sterbliche Familienbande; die sie gefördert und genährt hatte.
Ihr Blick blieb an Valentino hängen. Valentino, der alleine hier war. Ohne seinen Vater, ohne eine Braut und auch ohne nennenswerte Erfolge. Valentino, der die letzten Monate eine erbärmliche Enttäuschung gewesen war.
Alle warteten nervös, was geschehen würde.
"Verantwortung auch für Pflichtvergessenheit und Versagen, Anna", sagte die Vampirin und starrte Valentino an, der auf seinem Sitz immer kleiner wurde. "Versagen wie etwa einen schmutzigen Teller. Bring mir einen neuen."

Die Tzimisce an der Spitze der Versammlung hob ihren Kelch. Sie lächelte, indem sie die Lippen aufeinander gepresst hielt und zurück zog.
"Doch eine Familie muss zusammenhalten, auch in schweren Zeiten."
"Auf die Familie", murmelte ein jeder der Anwesenden und hob ebenfalls seinen Kelch.
Melissa entließ Anna mit einem Wink. Es gab keinen Grund zu strengeren Maßregelungen für den Moment. Die Warnung war angekommen.
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Re: La Volubile [Fluff]

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Das Jahr 983, Januar.

"Mehr", gurgelte die Stimme. Sie war kalt und fremd. So kalt und fremd wie der Leib unter ihr. Sie dröhnte im Ohr mit einer Wucht und Gewaltigkeit, wie sie sie selten gekannt hatte, und hämmerte in ihrem Herzen. Sie pumpte durch ihre Adern, jede einzelne davon, und brachte ihren ganzen Körper zum vibrieren. Zum Beben vor Lust und Gier und Freude.
Die Stimme, gegen die sie sich so lange gewehrt hatte.

Melissa fuhr hoch. Ihr Kopf legte sich in den Nacken und ein Zischen entfuhr ihr zwischen all dem Blut, das sie herunterwürgte. Nadelspitz waren ihre Eckzähne geworden und genau so lang.
"Mehr!", fauchte sie. Das Blut rann ihre Kehle hinab, wurde schon kalt und räudig, noch ehe sie es wirklich geschluckt hatte. Es war minderwertig, bitter. Jeder ihrer Sinne revoltierte dagegen, noch mehr davon zu sich zu nehmen.
Und doch war sie über und über damit bedeckt. Ihr Gesicht von der Nase bis zu den Ohren war damit beschmiert, es trocknete auf ihrem Hals, ihrem Busen, selbst die Hände waren bis auf die Unterarme voll mit einer braun und trocken werdenden Masse.

Aber die Stimme ließ nicht nach. Die Stimme, die in ihren Ohren rauschte, die durch ihr Blut raste. Die Stimme in ihrem Herz.
"Mehr", fauchte sie wieder. Mit irrem Blick fuhr sie herum. Ihre Familie nahm sie kaum wahr. Sah nicht die verängstigten Blicke von Renzo, von Rafaele und Lamberto, die mit blutigen Beilen und Messern in den Fäusten vor ihr zurück wichen. Sah nicht die anderen Kadaver, die sie zu verantworten hatte. Deren Blut sie besudelte und an denen die Männer bis eben herum gehackt hatten, um Fleisch von Knochen zu schälen, Knochen aus Gelenken zu reißen.

Das Quieken eines verängstigten Tieres ertönte. Hoch, schrill, ein ätzendes Geräusch, das abrupt abbrach, als Melissa die Kreatur auf die Seite warf, sich an ihr verging. Ihre Fangzähne in ihrem Hals versenkte, ihn auffetzte, ohne Gefühl für Anstand, für Effizienz, nur angetrieben von dieser Stimme, die sie so lange unterdrückt hatte.
Blut schoß ihr ins Gesicht, sprudelte aus den zerrissenen Arterien der sterbenden Sau wie aus einem Springbrunnen.
Melissa die Tzimisce hockte darüber, ihre nackten Füßen und Hände in den Schmutz der gestampften Erde des Schlachtkellers gegraben. Die Kiefer aufgerissen und gierig das Blut auffangend, schließlich trotz des Ekels auch an der Wunde saugend, als das Elixier schwacher sprudelte.
Und sie trank, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden.
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Re: La Volubile [Fluff]

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Es war spät geworden, wieder einmal. Selbst im Haus der Drachin wurde es einmal still und ruhig, wenn die Kinder im Bett waren, wenn ihre Diener ausgeflogen, um ihren Willen zu verrichten. Wenn das Gesinde und andere Bewohner sich in ihre Betten gedrückt hatten und nur noch der Wind in dem Gemäuer umging.

Die Drachin selbst...hockte in einer dunklen Ecke ihres Anwesens, zwischen einer Kommode und der letzten Ecke vor der Speisekammer. Sie war allein und es war dunkel. Stockdunkel im ganzen Haus, in dem nur ab und an ein Bett quietschte, wenn verbotenerweise Weibchen zu Männchen stieg um sich die wachen Stunden der Nacht zu vertreiben.
Heute war es ihr egal.
Sie schniefte ein letztes Mal, dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Wangen. Blut blätterte ab und verteilte sich auf ihrem Fleisch und dem einfachen Unterkleid. Tränen wären es vor einem der mehr Leben gewesen. Heute rann nur noch Blut.

Eine Kreatur kam in ihre Richtung. Sie hörte die kleinen Pfoten über den Boden tapsen. Ein winziges Geräusch, das sie trotzdem gut ausmachen konnte auf die zwanzig Meter Entfernung. Das fast dröhnte in ihren Ohren, als wäre die Kreatur ein Gigant. Rasch kam der Geruch dazu. Der säuerliche Geruch von vollgepisstem Fell, von Exkrementen und fauligen Essensresten, der ihr übel werden ließ. Der sie dazu brachte, in ihren eigenen Handrücken zu beißen, um nicht zu ächzen.
Keinen falschen Ton jetzt.
Langsam ließ sie die Hand wieder sinken, die schmerzende Gebissabdrücke trug. Von anderen Nächten, die sie ebenso verbracht hatte. Ein Quieken entfuhr ihrer Kehle, nicht ganz unähnlich dem, das sich an ihre Ohren warf. Identisch sogar, der Unterschied für ein Tier nicht auszumachen.

Sie hört, wie es näher tapste. Ihren Geruch ignorierte und sich auf die Geräusche konzentrierte, die Melissa hervor stieß, die sie fabrizierte als wäre sie ein Wesen wie die Kreatur.
Zehn Meter. Fünf Meter. Melissa quiekte wieder, spürte, wie sich in ihr alles zusammen zog. Gleich würde das Tier um die Ecke kommen, angelockt von...von ihr, wie sie angewidert feststellte.

Das Tier bog um die Ecke, angezogen von dem Duft und den Verlockungen eines Weibchens...und erstarrte. Melissens Augen sahen die Ratte vor sich sitzen, fett und plump, weil in der ganzen Gegend um ihr Haus die Katzen fehlten. Sie sah die Angst in ihren Augen nicht nur, sie spürte sie auch.
Es hatte den Vampir gesehen und sein Herz hatte zu rasen begonnen. Melissa hörte es wie einen Hammerschlag, das kleine, widerliche Herz in dem kleinen, widerlichen Ding, das zu schlagen begann. Fünfhundert Schläge in der Minute. Sechshundert. Eine Kaskade aus Lärm in ihrem geschundenen Gehör.
Für einen Augenblick war sie versucht, das Tier in seiner Angst sterben zu lassen. Zu warten bis sein ekliges, ledriges Herz platzte vor Anstrengung. Einmal hatte sie es schon getan. Hatte eines der Tiere mit ihrem Blick fixiert, es in seiner Angststarre gehalten...Bis sein Herz die doppelte, dreifache übliche Frequenz erreicht hatte und einfach...platzte, die Kreatur zum zappeln brachte und von ihrem elendigen Dasein erlöste.

Im letzten Moment entschied sie sich, dem hässlichen Geschöpf das Leben zu schenken.
Ihr Geist streckte sich nach dem Tier aus, hielt es gefangen in einem Taumel. Sie beruhigte sein Herz, weniger mit den Worten, die ihr Geist formte, als viel mehr mit dem beruhigenden Griff, in dem sie den Geist der Kreatur hielt. Es einlullte mit weichen Lügen, mit Wärme, mit falschen Versprechungen, die ihr noch mehr Übelkeit bereiteten, als die Kreatur selbst.
Dass sie so tief gesunken war. Dass sie mit Ratten nicht nur sprach, ihnen auflauerte in den einsamsten Stunden der Nacht wie das viehischste Tier...sondern ihren Geist von ihnen beflecken ließ. Ihren Geist, der sonst in die Köpfe mächtiger und galanter Männer blickte, der die Wahrheit und die Schönheit der Welt in sich aufnahm, der die Geheimnisse hinter den Worten und Taten bedeutender Männer aufdeckte. Ihr Geist, der das einzige war, das noch ihr gehörte in diesem Gefängnis aus totem Fleisch und verseuchten Blut.

Ihr Geist umfasste jetzt die schmutzige Kreatur vor ihr, ließ sie Schritt für Schritt näher kommen, ohne das echte Worte über ihre Lippen kommen musten.
Sie ließ die Ratte näher kriechen. Ließ sie auf die Hinterpfoten steigen und das Maul erwartungsgeil öffnen. Zwar ekelte sie sich, aber dennoch öffnete sie sich die Adern mit einem raschen Biss ihrer nadelgleichen Fänge, ließ Blut aus ihrem Handgelenk tropfen. Die Kreatur schändete es genüßlich, leckte es wie Honig vom Boden auf.
Die Tzimisce schloß ihre Wunden wieder. Ihr Geist, der das Tier nicht aus den Händen gegeben hatte, ließ es umdrehen und schickte es fort.
Die Ratte verschwand wieder in der Dunkelheit ihrer Zuflucht.
Melissa selbst kauerte weiter in ihrer Ecke, umklammerte ihre Knie weiter...und weinte um das, was aus ihr geworden war.
La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
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Melissa
Tzimisce
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Re: La Volubile [Fluff]

Beitrag von Melissa »

983, Sommer
Ein Höllenlärm war über das Haus herein gebrochen.
Die frühe Nacht war ruhig gewesen, eine wie jede andere, die Melissa mit der Verwaltung verbracht hatte, mit einigen Aufträgen für Bedienstete und Botenjungen. Bis dieses unsägliche Bellen wieder eingesetzt war.
Ein Heulen anfänglich, irgendwo im Viertel. Das von ihrem Rudel beantwortet worden war.
"Der sogenannte Werwolf", dachte sie und ein Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen.

Sie eilte in den Innenhof. Darauf hatte sie gewartet, dass er so närrisch war zu rufen.
Die Hunde waren letztes Mal verrückt geworden, dieses Mal klang es noch schlimmer. Vier ihrer Männer stemmten sich gegen das Tor des Zwingers, das unter dem Aufprall schwerer Hundekörper regelmäßig erbebte.
"Sie haben einfach angefangen, Domina", keuchte einer, als er sie vor sich bemerkte. Er musste fast schreien, um über den Lärm verständlich zu werden. Sein Gesicht war hochrot von Anstrengung, um seine Kameraden stand es nicht besser.

"Lasst sie raus", befahl die Tzimisce kalt.
Die Männer starrten sie einen Augenblick lang an.
Sie brauchte sich nicht zu wiederholen. Auf ein Nicken hin stoben die Männer zur Seite, so weit weg wie möglich von den Bestien.
"Uccidere!", rief Melissa ihnen zu, während sie durch das Tor brachen.
Mit einem Knall brachen die Tiere aus dem Zwinger. Sechs Stück, aufgequollen von ihrem Blut und stark wie Bullen. Der Balken und das Tor flogen in Fetzen über den Innenhof, zerschmetterten auf dem Pflaster und an den Säulen.
Eine halbe Tonne Muskeln jagten an ihr vorbei auf die Straße, auf zu der Quelle ihrer Raserei.

Melissa eilte ihnen hinterher, notgedrungen auch die vier Männer, die mit Mühe wieder auf die Beine kamen und ihrer Herrin hinterher.
Melissa hörte es. Wie das Höllengeräusch ihrer Hunde durch das Viertel zog, ein irres Kläffen, das sich in den engen Gassen wiederholte, zurück geworfen wurde und lauter wurde. Die Tzimisce begann zu verstehen, warum die Menschen in ihrer Obhut sich vor Werwölfen fürchteten.
Es zog quer durch das Sestiere, einige der Gassen entlang in die schlimme Gegend.

Schlitternd kam sie in einer Gasse zum Stehen. Vor ihr der Durchgang in einen kleinen Innenhof, in dem gerade ihre Meute verschwand.
Der Lärm war ohrenbetäubend in ihren Ohren, hämmerte wie Gewitter auf sie ein.
Der Gestank war ebenso betäubend. Es roch nach...nach Blut. Nach Gedärmen und fauligen Säften, die in der Gegend verteilt wurden. Nach dem Mist und Schweiß von Broglio und nach...Moos?
Sie hielt inne, roch weiter. Moos, ganz eindeutig, ganz schwach.
Und ein beklemmendes Gefühl, eine Ahnung in ihrem Rücken, wie ein Pfeil.

Keuchend holten ihre Männer auf, die Hände an ihren Schwertern. Giuseppe blickte über die Dächer, nahm die Gasse in Augenschein, in die seine Herrin ohne inne zu halten gerannt war. Er ignorierte, dass die zierliche Frau ohne in Schweiß auszubrechen mit einer fast tollwütigen Hundemeute mitgehalten hatte. Dass sie nicht einmal schwer atmete.
Seine Gedanken waren bei der Falle, in die sie getappt waren.
Er zeigte auf das hintere Ende der kurzen Gasse, von wo sie gekommen waren. Dort oben hockte jemand, beobachtete sie.
"Hinter euch, Domina!"

Die Tzimisce wirbelte herum.
"Rauf!", sagte sie schlicht und hastete hinüber. Sie war unsportlich, immer schon. Sie hatte in ihrem Leben noch nie Sport gemacht. Rennen ziemte sich nicht für eine Dame.
Dennoch waren die eng zulaufenden Wände der Gasse kein Hindernis für sie. Mit einem Geschick, das seinesgleichen suchte, drückte sie sich von einem Vorsprung ab, ergriff einen Balken und zog sich rasch nach oben. Auf die Dächer der Stadt.
Die Männer in Rüstungen und mit Waffen hatten mehr Probleme. Sie strampelten sich ab mit ihren Rüstungen, mit dem Stahl an ihrer Seite.
Einem von ihnen krachte das Fass, das er als Steighilfe hatte benutzen wollen, zusammen. Er blieb zurück, der erste oben schickte ihn den Hunden hinterher. Sein Gesichtsausdruck schien unsicher, ob er Freude oder Angst zeigen sollte.

Oben starrte Melissa auf die andere Seite der schmalen Gasse. Ein Hüpfer nur, kaum ein Meter von den überhängenden Dächern auf die anderen. Dort, auf der anderen Seite, ein Haus weiter...Rannte jemand. Ein Mann unbestimmten Alters, unbestimmter Statur. Aber ein Mann, ganz eindeutig.
Ihre Männer zogen sich keuchend nach oben, starrten dem Mann hinterher. Weit war es nicht. Es war schaffbar....Aber es war kein Befehl erteilt worden. Sie sahen sie an, blickten zu dem Mann, der sich weiter entfernte.
Die Tzimisce winkte ab. Sie atmete ein – unnötigerweise – und wieder aus.
"Ich gebe den Bestien nicht, was sie sich wünschen", erklärte sie lapidar.
Und das war das. Das kurze, ruhmlose Ende einer hektischen Jagd.

Sie alle kletterten wieder die Dächer herunter.

Als sie in den Innenhof kamen, war es bereits zu spät.
Die Hunde hatten alles getötet, das sich einmal hier befunden hatte. Nicht nur getötet, in Stücke gerissen. Fell, Haut, Knochen und Gedärme mischten sich mit Schlamm und Blut. Mengen davon waren an den Wänden gelandet, schwammen in Lachen. Ein elendiger Gestank hatte sich über den Hof gelegt, eine schwere Mischung aus Blut und fauligen Innereien. Unterbrochen nur von einem unsäglichen Jaulen.

Tantalos und Agammemnon zerrten an einem letzten noch lebenden Exemplar, das diese herzerweichenden Geräusche machte. Sie hatten es bereits übel zugerichtet, ihm eine Vorderpfote abgerissen und seinen Bauch nicht so sehr aufgeschlitzt als vielmehr die Bauchdecke zum Platzen gebracht mit ihrem Gewicht.
Mit einem knackenden Jaulen rissen sie das verbleibende Tier entzwei. Tantalos hielt es noch im Nacken, schüttelte seine Beute ein letztes Mal. Blut spritze, Eingeweide klatschten gegen eine nahe gelegene Fensterlade.

Einer ihrer Männer hinter ihr würgte in die einsetzende Stille der Fressgier, als die Hunde ihre Mäuler in den noch warmen Innereien vergruben.
Atreus, Pelops und Nestor wackelten zu ihr herüber. Der Rest stürzte sich auf die im Hof verteilten Kadaver. Alle ihre Schwänze wedelten, die Mischlinge selbst hüpften fast, noch aufgedreht von der Bewegung, dem Rausch des Tötens und Kämpfens.

Jeder von ihnen legte ihr verschiedene Einzelteile vor, die er stolz erbeutet hatte. Melissa beobachtete die Szenerie mit besorgtem Blick, zählte die Einzelteile zusammen.
Hunde, alles. Von vier oder fünf verschiedenen Tieren, schwer zu sagen so sehr, wie die Meute sie gerissen hatte. Ein Vorderbein, ein halber Kopf,

"Kein Werwolf", sagte Melissa angesichts dieser traurigen Reste in fast vorwurfsvollem Ton zu den bleich gesichtigen Männer hinter ihr. Ihre schmale Hand legte sich auf Atreus' massigen Kopf, kraulte das Tier geistesabwesend hinter den Ohren, worauf es die Augen schloss und breit zu grinsen anfing. Glücklich mit sich und der Welt.

Melissens Blick glitt über die Dächer, glitt auch über die zweite Person weg, die sich dort hinten in die Schatten drückte. Sie ignorierte sie, tat als hätte sie sie nicht gesehen.
"Wie erbärmlich", dachte sie, angewidert.
Dann schnippte sie mit den Fingern.
"Ab", befahl sie und machte sich auf den Weg in ihre Zuflucht.
La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
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