Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Zeitsprung [Februar '16]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Melissa
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Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Melissa »

Es war bereits spät am Abend - die Sonne war untergegangen und das Tagwerk lange beendet - als eine Frau sich durch die Straßen Genuas kämpfte. Das Ospizio des San Giovanni Battista lag recht still und unheimlich auf seinem Hügelchen im Osten der Stadt, wohin die Frau sich bewegte.
Sie trug ein feines Kleid, das aus einfachen Stoffen aber durchaus anspruchsvoll geschneidert war. Das Kleid einer Frau, die ihren Platz in der Gesellschaft kannte und verachtete, die nach oben hinaus wollte.
Ihr Fleisch war fest und ihre Wangen rosig, als sie klopfte. Die Ringe ihrer rechten Hand rieben über das Holz, bis ihr jemand öffnen würde.
Die späte Stunde täte ihr Leid, aber es sei nicht eher möglich gewesen. Sie hieße Melissa und wäre Erzieherin, selbst Mutter und geübt darin, sich zu sorgen. Sie wäre von außerhalb und erst seit kurzem hier, möchte sich der Gemeinschaft der Bürger Genuas aber nützlich machen. Das Fräulein Albina und ihre Laienschwestern verrichteten eine ehrenwerte und wichtige Arbeit, die den Schwächsten und Ärmsten eine Zukunft bot.
Sie möchte, in kürze, mit dem Fräulein sprechen und ihrer guten Sache dienlich sein.
La famiglia é il nido dell'uomo.
- Giovanni Faldella
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Alerio
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Alerio »

Die Frau, die Melissa die Tür öffnete und nach ihrem Begehr fragte, trug ein bodenlanges dunkelgrünes Kleid und dazu ein blaues Tuch über dem hochgesteckten Haar. Es war nicht die Tracht einer Nonne, aber dennoch sittsam und ordentlich. Sie war einige Jahre älter als Melissa aussah und konnte vermutlich nicht einmal in ihrer Jugend mit ihrer Schönheit mithalten, doch ihr Lächeln strahlte die Wärme einer Mutter aus, sodass man sich gleich geborgen fühlte.

"Habt Dank, Signora, für eure freundlichen Worte und welch ein gutes Herz ihr habt." Sie blickte Melissa gerührt an. "Nun es ist schon etwas spät...aber ich werde sehen, ob Schwester Albina Zeit für euch hat."
"Kommt doch aber erst mal herein." Enthusiastisch winkte sie Melissa nach drinnen.
"Ich bin Schwester Evita." stellte sie sich vor.

Als Melissa die massive Holztür durchschritt betrat sie eine Halle bzw. Foyer. Vor sich konnte sie einige Räume und Türen sehen, die aber alle geschlossen waren. Der Boden und die Wände waren aus Stein, die Decke wurde von mächtigen Holzbalken geziert. Ansonsten versank der Raum in Dunkelheit.
Ein paar große Kerzenständer, die im Raum verteilt waren, schenkten gelbliches flackerndes Licht, aber reichten nicht um den kompletten Raum zu erhellen. Direkt neben der Tür stand eine Holzbank an der Wand. Evita zeigte darauf und bat Melissa sich solange dort zu setzen, bis sie zurück sei.

Sie nahm sich eine Kerze und verschwand in der Dunkelheit. Das einzige was Melissa hören konnte, waren die eiligen Schritte der Frau, die durch das Haus hallten. Ansonsten war es still. Nur ab und zu mal konnte sie das Knirschen von Dielen hören. Eine unheimliche Stille.

Nach ein paar Minuten aber schon hörte sie nicht unweit eine Tür und Schritte näherten sich ihr.
Vorran schritt eine Frau in einem dunkelroten Kleid, tailierter als das von Evita und sie trug ihr braunes Haar lose zusammengebunden. Sie war ungefähr Ende 30 und recht ansehnlich, wenn auch nicht besonders schön zu nennen.
"Guten Abend, Signora Melissa. Ich bin Schwester Albina, Leiterin dieses Ordens und dieser Institution." sagte die Frau und deutete mit einem Schwung ihrer Hand auf die Räumlichkeiten.
"Mit einem Besuch zu solch später Stunde hatte ich nicht gerechnet. Wenn ihr aber schon einmal hier seid, dann lasst uns reden."
Sie richtete ihren Blick auf ihre Ordensschwester. "Vielen dank Evita, du kannst uns nun allein lassen." Diese nickte den beiden Frauen kurz zu und verschwand dann wieder.

Albina setzte sich neben Melissa auf die Bank, etwas seitlich, sodass sie sie ansehen konnte.
"Evita sagte, ihr seid selbst Mutter und wollt eure Hilfe anbieten?"
"Das ist prächtig. Erzählt mir doch aber vorher etwas über euch." Sie lächelte Melissa freundlich an, aber sie konnte sehen, dass es nicht dasselbe mütterliche Lächeln war, das Evita zu Stande brachte. Diese Frau war strenger.
"Ihr sagt ihr habt Kinder?"
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Melissa
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Melissa »

"Ich bin Mutter", sagte Melissa, die geduldig auf der Bank gewartet hatte, am Rand des Lichtscheins, soweit weg wie möglich von den Kerzen.
Nur eine halbe Lüge. Sie hatte Kinder gehabt, einst, vor langer Zeit. Ihr Fleisch und Blut lebte noch in jener Stadt am Meer, die Ravenna hieß, die Kinder ihrer Kinder oder Enkel. Die Lüge kam Melissa leicht über die Lippen, als sie sie erst mit der Wahrheit umwickelt hatte.

"Mein Ältester starb vor einigen Jahren. Ich...die Pocken haben ihn geholt. Ich konnte nichts tun, als seine kleinen Hände halten und seine Stirn zu tupfen, während er in Zungen sprach. Mein lieber, mein kleiner Arturo."
Wieder schenkte sie Albina zumindest die halbe Wahrheit. Sie vermisste ihn tatsächlich, der Schmerz in ihrer Stimme war echt, die Qual, die Sehnsucht. Sie konnte nicht loslassen und ihn nicht vergessen, so wenig wie die anderen vier, deren Existenz sie verschwieg - wie sollte sie auch? Sie erwachte jede Nacht in seinem Grab, bedeckt von seiner Asche und kroch jeden Morgen darin zurück.

Ihre Stimme brach. Einen Augenblick lang blickte sie zur Seite, barg Mund und Nase im Ärmel ihrer rechten Hand. Gut sichtbar noch daran der Ring ihrer Ehe, gülden und schlicht, neben dem ihrer Liebe, silbern und schlangenhaft sich um die Finger windend.
"Ich kam vor einigen Monaten nach Genua, mit meinem Gatten Francesco. Er trinkt seitdem, jagt Schürzen und lässt mich allein in meinem Haus. Wo es still ist und einsam und kalt. So kalt", murmelte sie zwischen den Zähnen.
Melissa blickte Albina wieder an, ein erbarmungswürdiger Anblick lag auf ihrem Gesicht.
"Ich würde gerne wieder das Lachen von Kindern hören."
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Alerio
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Alerio »

Albinas strenger Blick wich, als Melissa ihre traurige Geschichte erzählte und ein mitfühlender Ausdruck zierte ihr Gesicht. Sie lächelte aufmunternd, während sie fürsorglich nach Melissas Hand griff.

"So ein Schuft! Und das bei einer so hübschen Frau, wie euch." Sie schaute äußerst missbilligend. "Aber so sind sie die Kerle, da hütet man Haus und Hof und Kinder und das ist der Dank. Bringt er wenigstens Geld ins Haus?"

"Kinder, haben wir hier auf jeden Fall einige. Sie lachen auch. Aber sie weinen auch und schreien und balgen sich. Ihr kennt das ja. Aber es ist keine einfache Aufgabe, sich neben dem eigenen Haushalt noch um dutzende fremde Kinder zu kümmern. Glaubt ihr, dass ihr das schafft?" Albina musterte die junge Frau vor sich, als würde sie abwägen, ob sie brauchbares Personal war.
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Melissa
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Melissa »

Melissa war erstaunlich warm und weich. Ihre Hand schmiegte sich in Albinas, ganz ohne Gegenwehr.
Sie versuchte es mit einem gequälten Lächeln, brachte aber nur ein sachtes Schütteln ihres Kopfes zustande.
"Geld, ja, aber kein gutes. Ich kann genug beiseite legen, um mein Auskommen zu haben und die Herren Pfarrer zu unterstützen bei ihrer guten Sache. Auch den Herren von San Donato - er erzählte mir überhaupt erst von euch."

"Natürlich schaffe ich das", sagte Melissa und noch während sie so sprach, richtete sie sich etwas weiter auf. "Mein Haushalt ist nicht sehr kompliziert und ich habe Erfahrung."
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Alerio
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Alerio »

Albina lächelte erfreut und nickte. "Ja, auch wenn wir keine richtigen Nonnen sind, so verrichten wir doch auch Gottes Werk in dem wir den Schwachen helfen. Ihr wirkt stark und lasst euch nicht unterkriegen. Das ist gut. Neben der Versorgung und Aufsicht der Kleinen ist es auch wichtig, ihnen Disziplin, Gehorsam und ein passendes Miteinander beizubringen. Einige von ihnen haben Jahre auf der Straße gelebt und sind mitunter aufmüpfig oder aggressiv. So jemand ist schwer als Arbeiter zu vermitteln, doch wollen wir doch verhindern, dass sie wieder in der Gosse landen." Sie lächelte gezwungen und irgendwie traurig, als sie sich an etwas erinnerte.

"Nun" sagte sie, lies Melissas Hand los und strich sich über ihr Kleid. "Warum kommt ihr nicht morgen früh wieder und wir sehen, wie ihr euch mit den Kindern macht?" Sie schaute Melissa erwartungsvoll an.
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Melissa
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Melissa »

Melissa erwiderte das freundliche Lächeln der Frau mit einem falschen. Ihre Gedanken rasten hinter ihrer Stirn: Sie hatte länger überlegt, wie sie ihre Bedürfnisse mit diesen Arten des öffentlichen Auftrittes in Einklang bringen konnte. Ob ihre Ausrede vernünftig war, würde sich nun zeigen.

"Sehr gern", schnurrte sie. "Als Erzieherin habe ich Erfahrung. Ich unterrichte auch die Kindere einiger Herren in der Gegend, ihr könnt sie gerne nach mir fragen. Ich bin bekannt bei den Herren Fieschi und den Cousinen der Spinola und Arduinici."
Sie ließ diese halbe Lüge kurz einsinken, ganz kurz nur, dass Albina wohl den Umfang ihres Einflußes bemerken konnte, dass sie ihn nicht ganz begreifen noch verstehen, sich aber wohl überwältigt fühlen konnte. Dann fuhr Melissa rasch fort:
"Frühs, leider, kümmere ich mich um ihre Kinder. Vor dem frühen Abend, ihr seht es: Wie heute, ist kaum daran zu denken."
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Alerio
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Re: Ein unerwarteter Gast [Alerio]

Beitrag von Alerio »

"Oh." Albina schien tatsächlich beeindruckt. "So gewichtige Leute. Und obwohl ihr deren Kinder schon hütet, wollte ihr dennoch auch hier aushelfen?" Sie blickte die junge Frau vor sich überrascht an. "Was für eine Hingabe."
Sie überlegte einen Moment. "Nun die paar Stunden vor dem Schlafengehen sind noch recht turbulent. Essen muss gekocht und serviert werden. Die kleineren gefüttert werden...alle gewaschen...das Haus aufgeräumt und gereinigt werden..." ging sie die ganzen Aufgaben durch, die so anfallen könnten. Dann lächelte sie Melissa höchst erfreut an.
"Gut, dann sagen wir ihr kommt morgen Abend wieder, wenn ihr mit euren anderen Aufgaben fertig seid und wir sehen dann, ob daraus eine längere Beschäftigung wird, ja?"
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