Feuerprobe [Angelique]

[Maria Penthesilea]

Und das tat er dann auch, ganz langsam, so wie ein Baum, der fiel, von der Axt des Holzfäller geschlagen. Die Stille um Angelique wurde erwartungsvoll.

[Angelique]

Sanft, ja, liebevoll küsste sie seinen Hals und drang mit ihren Zähnen in seine Ader. Genüßlich begann sie das sündige Blut zu trinken. Nachdem sie ihm genug genommen hatte, stellte sie ihre Frage dem verzückten Geküssten: "Willst du deine fleischliche Hülle aufgeben, auf dass ich dein sündiges Blut bis zum Jüngsten Tag verwahre, damit du nicht ins Elend fällst? Oder willst du als mein Vasall mir, dem reuigen Engel des Todes, dienen, um für deine vielen Sünden zu büßen?"

[Maria Penthesilea]

Diese eloquent formulierte Frage, gemeinsam mit der überwältigenden Emotion des Kusses, war wohl zuviel für den schwachen Geist des Mannes. Denn er stierte sie nur mit leicht verdrehten Augen an und sagte: "Hö?" Ein breites Grinsen stand ihm auf den nun blässeren Gesicht.

[Angelique]

"Willst du, dass ich deine Seele sicher verwahre oder willst du mir lebendig dienen?"

[Maria Penthesilea]

Langsam verschwand der Schleier von seinen Augen und sein Blick fixierte Angelique. "Was... was war das?" brachte er hervor. "Du. Du! Gib mir mehr!" Gier verzerrte seine Züge und er streckte die Hand nach ihr aus, als wolle er sie zu sich heranziehen.

[Angelique]

Das untote Mädchen ließ es geschehen. Aber sie war unsicher, ob seine Entscheidung wirklich der süße Tod war. Deshalb biß sie in ihre Hand und meinte in Parodie der Eucharestie feierlich: "Dies ist mein Blut, es ist wie berauschender Wein. Trinke davon und du wirst niemals sterben. Empfange aber meinen Kuss heute ein zweites Mal und und der kleine Tod wird in den großen übergehen."

[Il Canzoniere]

Der Mann schien ihre Worte nicht zu verstehen. Er schüttelte den Kopf - eine Geste die dieses nur bestätigte, dann sah er sie gierig an.

"Is mir egal. Aber mach das von eben noch mal!"

Er wirkte nun ruhiger, berechnender als noch zuvor. Die wilde Panik vom Anfang schien durch das berauschende Gefühl des Trinkens in den Hintergrund gedrängt worden zu sein.

[Angelique]

",Mir egal' ist keine Antwort. Eine Lehnstreue wird nicht mit den Worten ,mir ega'l eingeleitet. Man entscheidet sich. Sag, ob du mir dienen willst oder nicht."
Angelique, die sich für einen Engel des Herrn hielt, konnte und wollte nicht lügen und hintergehen. Jeder Mensch hatte die freie Wahl. Auch dieser Sünder hier.

[Il Canzoniere]

"Jajaja, jetzt mach schon!" drängt er sie und präsentierte seinen Hals.

Ernst meinte er das nicht. Er wollte nur dieses Gefühl noch einmal spüren. Dieses aufgeschlitzt werden. Das anschließende puslieren im Hals. Das flackern am Rande der Wahrnehmung.

Dieser Genuss...

[Angelique]

Da meldete sich der schlimmste Feind jedes Gläubigen: Zweifel.
Sie wusste nichts über diesen hier. Nicht die Zahl seiner Sünden oder ihre Schwere. Vielleicht war er Opfer einer Ränke - mit Angelique als Mordwaffe. Ein Scherz der Nonnen.

Nein, das konnte sie nicht.

"Nein," meinte sie deshalb auch. "Du verlangst, ohne eine Entscheidung zu treffen. Ich kann dich doch nicht ohne Beichte richten oder ohne dich zu kennen zum Diener nehmen! Nein und nochmals nein!"

Sie fuhr manisch und mit sich hadernd herum. Was war das für ein geräßliches Spiel der Nonnen? Nein, das war nicht ihre Art der Jagd. Blindwütig wie ein Tier Beute zu schlagen, die sie nicht kannte. Ihre Ziele suchte sie mit langer Vorbereitung und Beobachtung aus. Das hier war so... so... Brimir!