[1009] Wie hälst du´s mit der Religion? [Sousanna, Angelique]

[Angelique]

"Huhu, Sousanoula!", krähte die helle Stimme Angeliques hinter Griechin her, die durch die Strassen der Stadt schwebte, um wer weiß was für Taten zu vollbringen.
"Zeit für ein Pläuschchen?"

[Sousanna]

Sousanna war eben dabei gewesen, sich etwas Blut von den Fingern zu wischen. Ihr letzter Gesprächspartner hatte geschmutzt.
War eben noch Ernst in ihrem Blick gelegen, so erhellte sich nun ihr Gesicht als blicke die Schönheit eben auf eine Ausgeburt ihrer Träume hinab.

"Lieb' Schwesterlein", strahlte sie und wischte sich die restlichem Schlieren am schlichten Rock ab. Einfache Reisekleidung trug sie heute. Beinahe wie damals, als sie das erste Mal aufeinander getroffen waren. "Für dich hab ich immer Zeit. Wie geht es dir? Was tust du schönes?"
Sie nickte zu einer niedrigen Mauer hin. "Komm, lass uns uns setzten."

[Angelique]

Unwillkürlich leckte die Kleine sich die Lippen, als sie das Blut sah, hätte es wohl auch abgeleckt, aber da war es schon abgewischt. Und aus dem Stoff wollte sie es nicht herausnuckeln. Nicht jetzt zumindest.

Mit Seitenblick auf die Blutflecken setzte Angelique sich auf die Mauer.
"Sag mal", begann sie zögernd. "Mehrfach ist der Begriff ,Pfad der Sünde' gefallen und dass du ihm folgst.Was hat es damit auf sich? Ich dachte, du seist eine kultivierte Humanistin, gläubig noch dazu. Da will mir nicht in den Kopf, dass du einem Pfad folgen solltest, der animalischen Instinkten folgt."

[Sousanna]

Auf diesen Begriff angsprochen, schien etwas in der Schönen zusammen zu sinken. Beinahe, als wäre sie es leid, ewig und ewig auf diese dumme Begrifflichkeit angesprochen zu werden. Sie seufzte schwer und blickte eine Weile in die Nacht. So als könne ihr diese die Antwort für diese Frage einflüstern. Als läge sie im Säuseln des Windes.
Es dauerte eine Weile, ehe sie die Stimme erneut erhob, doch als sie es tat, tat sie es langsam, bedacht: "Ja, so nennen uns viele, manchmal auch wir selbst. Weil es einfacher ist, die Dinge so zu beschreiben, als sie einem Namen zu nennen, der richtiger aber schwerer fassbar wäre."

Eine Augenbraue wandte sich nach oben, während sie das kleine, tote Mädchen nachdenklich musterte. "Was du da sagst, könnte ich als Beleidigung auffassen... Kultiviertheit, Bildung, Glaube, Selbstbeherrschung. Das alles lässt sich damit vereinen, aber wir haben viele Feinde, die uns all das mit Freuden absprechen, weil sie nicht verstehen. Weil sie lieber den Splitter suchen, während der Balken ihnen ins Gesicht schlägt."

[Angelique]

"Natürlich meine ich das nicht, das du so sein könntest. Aber ich hatte Caterina kennengelernt. Ihr Tod war verwirrend für mich, aber sie war eine gefährlche Versucherin. Wo sind die Gemeinsamkeiten zwischen euch, wo die Unterschiede? Was sind die Ziele? Was ist eure Rolle vor GOtt?"

[Sousanna]

Sousannas Blick schien von dunklen Schleiern verhüllt. Sie schien nicht gern über ihre Schwester im Geiste zu sprechen. Nicht so.

So dauerte ihre Antwort erneut. Und erneut erklang sie langsam, voller unausgesprochener Gedanken: "Caterina hatte keinen so guten Mentor wie ich. Mein Vater im Blute hat mich von Anfang an gelehrt, die Wage zu halten. Nur auszubrechen, wenn es keine Gefahr bedeutet. Ich kann nicht sagen, dass ich keine Versucherin bin. Es gibt auch einige, die mich gefährlich nennen würden." Ein kaltes, verbittertes Lachen hob und senkte ihre Brust. "Mir geht es, um meine eigene Freude. Das ist es, was Gott will. Dass sein Geschöpf, das er geschaffen hat, das er verflucht hat, Freude hat an seiner Welt. Oder schafft ein Künstler etwas, um es dann kaputt zu machen?"

Ein tiefer, falscher Atemzug. "Es geht mir um die Freiheit. Um die Abkehr von alten, verlogenen Regeln, die aus purer Angst geschaffen wurden. Angst davor, sich eingestehen zu müssen, dass wir als Menschen wie als Blutsauger alles andere als gut sind. Andere fesseln ihren Drang zum menschlich Verdorbenen mit Eisenketten, peitschen ihn, bis das Fleisch aus der Haut platzt, bemühen sich, ihm keinen Raum zu geben. Ich dagegen gebe ihm hin und wieder, was er will, wenn es vernünftig ist. Habe sein Vertrauen und kann ihn in wichtigen Momenten besser zurückhalten, als manch anderer. Es ist wie mit Pferden, denen man Rüben gibt, statt auf sie einzuprügeln."

Ernst sah sie die kleine Vampirin neben ihr an. "Sag, ist das Sünde? Bin ich dadurch die Feindin von jemandem wie Titus und Seinfreda? Bin ich dadurch deine Feindin?", fragte sie.

[Angelique]

Angelique lauschte den Worten und folgte mit den Augen den Bewegungen des wogenden Busen der Schönen wie ein Kaninchen der Schlange.

Dann war es an ihr lange und intensiv zu überlegen. Es war gespenstisch, ihr dabei zuzuschauen. Ihre Mimik änderte sich dauernd, so als führe sie einen inneren Monolog, der widersprüchlich war.

Schließlich aber sagte sie fröhlich und die Griechin umarmend: "Nö."

[Sousanna]

Sousanna wirkte irritiert. Sie erwiderte die Umarmung erst nach einer kleinen Weile.
"Ähm", machte sie und sah das Mädchen an. "Das war alles, was du wissen wolltest?"

[Angelique]

"Jaha", meinte sie und rubbelte einer Katze gleich schnurrend ihre Wange an Sousannas aus ihrer Sicht demokritischen Atombusen. "Ich kenne dich und noch ein zwar andere, die hedonistisch und nett sind und dann kenn ich welche...."

Eine unglaubliche Flut kreativer Schimpfworte folgte, die selbst die wortgewandte Harpyie in Erstaunen setzte.
Ein solcher Mund gehörte mit Kernseife ausgewaschen!

Sie guckte entschuldigend. "Na, ja, und da war ich halt besorgt, ihr wäret alle auf demselben Weg. Aber es beruhigt zu sehen, dass ihr genau so unterschiedliche Ansichten habt wie zum Beispiel Ferrucio und ich."

[Sousanna]

Mit einem breiten Grinsen, das so sündig war, dass es die kleine Heilige besser nicht zu sehen bekam, hatte sie ihr das Haar getätschelt und dann, da diese Flut von Unflätigkeiten aus dem Mund einer sonst so grandiosen Rednerin strömte, so glockenhell gelacht, als hätte Angelique gerade das zauberhafteste Kunstwerk aller Zeiten aufgeführt.

Ein wenig entspannter lehnte Sousanna sich nun auf der Mauer zurück und zuckte die Schultern. "Naja, das sind wir vermutlich schon, aber es gibt ja auch nicht nur ein einziges Rot..."