[1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

[Juni '18]
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Angelique
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[1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Fastnachtzeit war Schauspielzeit. Der kleine Hellekin, vielleicht ein Verwachsener, ein talentiertes Kind oder mehrere, war ein Geheimtipp geworden. Die Burlesken mit ihm galten als besonders lustig und einfallsreich. Und in der Fastnachtszeit war alles erlaubt und die Masken der Gaukler schützten vor Verfolgung durch die eindeutig erkennbaren Figuren, in denen mancher hohe Herr sich wiederfinden mochte.

Der Held der Stücke war der Zanni, der schlaue Diener niederer Geburt, der Schurke oft ein intriganter Mailänder Adliger, lüsterner Pfaffe unverkennbar dem Bischof ähnlich oder ein eitler Kriegsmann, die alle die schöne Dame von Genua ins Bett bekommen wollten. Wilde Männer aus dem Wald, versessen nur auf Jagd und dumm wie fünf Meter Feldweg, kamen darin vor und buhlten erfolglos um die Dame. Auch zwielichtige Sarazenen durften nicht fehlen, die gerne Kinder raubten und welche dann vom eitlen Krieger befreit wurden, der aber immer wieder vom intriganten Adligen übertölpelt wurde. Meist steckte der sogar hinter dem Raub.
Der Zanni vereitelte dann das Intrigenspiel immer und immer wieder und am Ende holte mit spöttischem Spruch der kleine Dämon Hellekin den Übeltäter per Falltür in die Hölle. Natürlich verprügelte der Zwerg den Schurken mit der Schweinsblase dabei.

Dieses Grundmuster wurde nie alt. Der Pöbel am Hafen liebte es.
So auch in dieser mondbeschienenen Nacht.

Zum Jubel der Zuschauer wurde der Übeltäter gerade in die Falltür mit Feuerzungen aus bemaltem Holz gestoßen - lässig und mit klingenden Schellen am Kostüm vom zwergenhaften Hellekin gestoßen.
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Avelina di Braida
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Avelina di Braida »

Auf Zuraten von Livia war Avelina also nun zu diesem Schauspiel gegangen, und um offen zu sein, es war ihr sehr willkommen. Seit der Ankunft galt es nur der Etikette folgend Kontakte zu knüpfen, Amtsträger kennenzulernen, Informationen einzuholen und vor den Toren auf die Jagd zu gehen, um dem Hunger entgegenzuwirken. Ihre Nächte waren gefüllt, und das fatale war sie wurden langsam aber sicher kürzer, umso näher der Sommer kam.

Da die Aufführung am Hafen stattfand, hatte sie sich ausnahmsweise nicht in ihre beste Kleidung gehüllt, was aber nicht unbedingt hieß, dass sie nicht auffallen würde – zumindest, wenn sie den dunklen Umhang ablegte. Aber das tat sie nicht. Sie mischte sich auch nicht unter das johlende Volk, sondern hielt sich an einem ruhigeren Fleckchen am Rande.
Livia hatte gesagt sie solle nach Kainskindern Ausschau halten, und das versuchte sie. Es gestaltete sich allerdings gar nicht so einfach, bei all den Masken und Kostümen. Und illustre Charaktere waren es allesamt, die dort auf der Bühne standen.

Zwischenzeitlich neigte sich ihr Kopf immer mal wieder nachdenklich zur Seite. In der Tat kamen schon einige Stellen in diesem Stück vor, die auf eigenartige Weise vertraut schienen. Und dann dieser kleine Teufel, der die Übeltäter in das Feuer stieß...
Avelina mochte sich an Adelshöfen und in bester Gesellschaft zurechtfinden, doch an diesem Abend genoss sie es, mit der einfachen Menge zu verschmelzen, das verlockende Lebendigsein der Menschen um sie herum, das Lachen, die Aufregung... und auch sie hatte an der ein oder anderen Stelle lachen müssen.

Und als das Stück zuende ging, schritt sie nach vorne. Livia hatte bemerkt, sie solle eine große Spende geben, und das wollte sie beherzigen. Kunst und Kultur zu fördern war in Avelinas Sinne, und gerade solche Aufführungen erfreuten sie. Sie waren lebendig. Sie brachten sie dem Leben für ein paar Momente wieder näher. Aufmerksam suchte sie also nach demjenigen, der die Spenden einsammeln würde.
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Angelique
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Tatsächlich war es vor allem der kleine Hellekin, der umher ging und einen großen Schlapphut, wie Pilger ihn gegen das Wetter trugen, den Leuten entgegenhielt. Gaben sie nach Meinung des gelb-schwarzen Mi-Parti tragen Teufelchens knausrig, setzte es mit der Schweinsblase und es gab einen spöttischen Kommentar wie "Brauchst den Rest für die Huren, was?" oder "Hält dich deine Alte wieder kurz?". Sehr zur weiteren Erheiterung der Menge.

Mancher so Angesprochene vermochtete Verblüffung oder gruseligen Schauder schwer verbergen, waren die Kommentare doch nie weit von der Wahrheit entfernt.
Es war, als könne das kleine Teufelchen tatsächlich die Sünden der Menschen von ihren Gesichtern lesen.

Bei Avelina angekommen, verbeugte er sich, schüttelte den Hut, auf dass die Münzen darin klimperten, und sagte:
"Oh, eine wahre Schönheit hier am Hafen. Wenn es Euch gefallen hat, zeigt das mit barer Münze. Am besten mit Silber, passt Kupfer doch nicht zu Eurem dunklen Haar. "

Schelmisch blitzten hinter der hölzernen Teufelsmaske Augen auf, in denen das Licht wie bei einer Katze zu glimmen schien. Sicher ein Trick mit leuchtendem Pulver...
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Avelina di Braida
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Avelina di Braida »

Avelina beobachtete einen Moment, wie das Teufelchen Spenden einsammelte, hin und wieder begleitet vom Zucken eines Mundwinkels, ob der spöttischen Kommentare an die Spendenden.
Auch betrachtete sie sich die Reaktionen der Menschen. Nun, dass man das eine oder andere Mal bei dieser Meute ins Schwarze treffen würde, war unausweichlich, aber dieses Teufelchen lag tatsächlich oftmals richtig. Sie wußte, dass sie nicht unbedingt zu dem Standard-Publikum eines solchen Auftrittes zählte. Wäre sie sterblich gewesen, hätte sie so etwas vermutlich nie zu Gesicht bekommen. Dementsprechend mischte sich ein wenig Sorge mit Neugier, was der Teufel ihr wohl entgegenrufen würde. Da die Neugier überwiegte, würde sie es darauf ankommen lassen.

Und dann stand die kleine Gestalt auf vor ihr und Avelina schob ein wenig die Kapuze nach hinten. Tatsächlich schien das Gesicht der Signora aus der Menge herauszustechen. Unleugbar italienische Züge, dunkle, geschwungene Brauen, volle Lippen... dazu allerdings strahlend grüne Augen, die dem kleinen Teufel nun entgegen blickten.
Und wie sie es schon geplant hatte, wanderten doch einige Münzen in den Hut. Eine recht großzügige Gabe, wenngleich nicht übertrieben.
„Es war eine sehr willkommene und erheiternde Abwechslung.“

Sie blinzelte und zögerte, als sie die Augen der Teufelsmaske sah, und eine Braue schob sich interessiert in die Höhe.
„Eine weitere Silbermünze für das wahre Antlitz des Teufelchens.“ meinte sie mit einem Schmunzeln, und hielt eben jene weitere zwischen Zeigefinger und Daumen ein wenig in die Höhe.
„Eine Freundin machte mich auf euch aufmerksam. Ich soll Grüße bestellen. Doch leider weiß ich nicht genau wem. Vielleicht könnt ihr ja behilflich sein, bei der Lösung dieses Rätsels?“
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Angelique
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Mit leisen Bimmeln der Glöckchen an der Kopfbedeckung legte sich der maskierte Kopf schief, als wollte der Hellekin sie besser beobachten.

"Ach, kein echtes Rätsel", sagte die kleine Gestalt schließlich Für eine gute Münze sollt ihr die Lösung bekommen. Folgt mir einfach ein wenig fort von der Menge."

In der Tat begannen Gaukler und Spielleute die Aufmerksamkeit des wankelmütigen Pöbels gerade abzulenken. So fiel es nicht auf, dass der gefeierte Nebendarsteller und die schöne Dame in eine dunkle Seitengasse abbogen.

Ein Kriegsmann mit Armbrust und Tellerhelm, der einen riesigen Kampfhund mit sich führte, folgte in einigem Abstand und baute sich sichernd am Eingang der Gasse auf.

Vor neugierigen Augen geschützt, nahm der Hellekin die hölzerne Maske ab. Ein blasses Kindergesicht kam darunter zum Vorschein, umrahmt von dunklen Locken. Ausdrucksvolle Augen glommen katzenhaft im Zwielicht.

"Schiavo", meinte die Gestalt. "Angelique werde ich genannt, als Mondkind bin ich bekannt."
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Avelina di Braida
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Avelina di Braida »

So wanderte auch die letzte Münze in den Hut des Hellekin, und nach kurzem Zögern folgte sie.
In diesem Moment löste sich auch ein blonder Hüne aus der Masse, der wohl nach schrägem Blick zu dem Kriegsmann, und einem knappen Nicken zu diesem, den Posten an einem Haus nahe der dunklen Gasse einnahm. Er lehnte sich lässig mit dem Rücken an die Häuserwand, die Arme verschränkt und darauf bedacht doch einen großzügigen Abstand zu dem Armbrustträger und dem Hund einzuhalten, ohne jedoch den Abstand zu der schwarzhaarigen Signora zu groß werden zu lassen.

Avelina unterdess betrachtete das blasse Kindergesicht, welches unter der Maske zum Vorschein kam interessiert. Ihre Brauen schoben sich in die Höhe, und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen.
„Mondkind? So nehme ich an ihr meint damit vom Clan des Mondes?“ sie blieb zunächst vorsichtig. Die Stille musste gewahrt werden, und auch wenn sie sich relativ sicher war, dass sie keine normale Sterbliche vor sich hatte – wogegen schon der 'Wachmann' und das blasse Gesicht sprach - so wollte sie nicht gleich alle Karten auf den Tisch legen. Sie hatte auch wohlweißlich das Kind nicht mit einem einfach 'Du' angesprochen.

Nun, weitere Höflichkeiten konnten folgen, wenn sie sich gänzlich sicher war.
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Angelique
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Genau", bestätigte das Kind, "Kind aus dem Hause Malkavs aus der Linie der Orakel."

Angelique verneigte sich dabei. Obwohl formvollendet, wie es auch an den Höfen der Peovence nicht negativ auffallen würde, so erinnerte die Verbeugung dem spöttischen Gehabe des schelmischen Dieners Zanni aus der Burleske.

"Und wer seid Ihr, wohlwerte Dame?", wollte das Mädchen wissen.
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Avelina di Braida
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Avelina di Braida »

Sie zögerte kurz. Bislang schien hier jeder Kainit dem sie begegnet war großen Wert auf die Einhaltung der Etikette zu legen. Bei diesem Kind schien das anders.

Nun, sei es drum, sie für ihren Teil neigte den Kopf en wenig, und sagte höflich ihr Sprüchlein auf.
„Viscontessa Avelina di Braida von Varese, neugeborene Rose, Kind der Baronessa Sarina di Lerone, Ancilla der Rosen. Es freut mich euch kennenzulernen.“

Sie musterte das Mädchen noch einmal mit einem Schmunzeln.
„Ich nehme an dann sollten Livias Grüße euch erreichen. Sie nannte mir diesen Abend und diesen Ort, und schien erpicht darauf, dass wir uns kennenlernen. Und ich muss sagen ich bin tatsächlich froh euer Schauspiel nicht verpasst zu haben. Ihr mögt also Geschichten? Oder sind es eher die Späße mit den Sterblichen, die euch reizen?“
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Angelique
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Viscontessa Avelina di Braida von Varese, neugeborene Rose, Kind der Baronessa Sarina di Lerone, Ancilla der Rosen", leierte Angelique die Titel herunter. Nicht spöttisch, sondern eher ermüdet von dem langen Titelschwall. Ein Schwall von Fragen folgte: "Seid Ihr von den Höfen der Liebe? Was ist Euer Steckenpferdchen der Kunst? Kanntet Ihr den wohlwerten verblichenen Matteo Floravante di Ventura? Die kleine Glykontochter Livia wollte, dass Ihr mich trefft? Mögt Ihr auch Theater?"

Sie tat, als hole sie tief Luft, um sich zu bremsen, und fuhr dann langsamer fort: "Ja, ich mag Geschichten über alles. Und Spässe treibe ich gerne, egal ob mit Sterblichen oder Perfecti."
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Avelina di Braida
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Re: [1009] Zerrspiegel im Scheinmond [Avelina, Angelique]

Beitrag von Avelina di Braida »

Sie konnte nicht anders, als zu kichern, als sie der Müdigkeit in Angeliques Stimme gewahr wurde, mit der sie die ganzen Titel wiederholte.
„Nun, ihr könnt mich Avelina nennen, werte Signora.“ bot sie dem Mädchen amüsiert an. Ein Angebot, welches sie normalerweise nicht so schnell unterbreitete, aber wohl konnte sie an diesem Punkt auch nicht aus ihrer Haut: vor ihr stand ein kleines Mädchen. Sicher, eine Kainitin, dazu durch ihr Äußeres in perfekter Tarnung. Und dazu vom Clan des Mondes. Blieb sie deswegen in der 'ihr'-Form?

„Das sind sehr viele Fragen auf einmal. Ich will versuchen sie zu beantworten.“ meinte sie, und überlegte einen kurzen Moment, „
Hm, nun, ich bin aus Varese, zumindest habe ich dort den Kuss empfangen. Und was die Kunst betrifft, so bin ich wohl keiner Form der Kunst abgeneigt. Statuen, Gemälde, Theater... das alles hat mit Geschichten zu tun, und bereichert unsere Nächte. Ich selbst habe wohl ein Händchen für die Musik, wobei ich die Lyra und Gesang bevorzuge.“

Noch einmal hielt sie inne, bevor sie den Kopf schüttelte.
„Und einen Matteo Flavorante di Ventura kenne ich nicht. Wer war er? Und ja, Livia legte es mir ans Herz. Wie gesagt, ich soll euch Grüße überbringen.“
Sie schien sehr genau über ihre nächsten Worte nachzudenken.
„Theater ist eine wunderbare Sache. Auch wenn es mich traurig stimmt, dass die meisten Stücke sehr... hm... Zeitgemäß sind.“
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