[Fluff] ...μέσαι δὲ νύκτες [Avelina]

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Avelina di Braida
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[Fluff] ...μέσαι δὲ νύκτες [Avelina]

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Genua, 1763 Anno Urbis Conditæ, Villa dei Fiori Rossi

Benita

Bild

Der Vollmond ließ das Wasser des Brunnens im Garten wie funkelnde Diamanten glitzern. Die Welt war in silbriges Licht getaucht. Es war ruhig in dieser Nacht... zu ruhig. Nervenaufreibend ruhig. Selbst die anderen Frauen schienen heute keinerlei Interesse daran zu haben etwas zu unternehmen. Sie lagen faul auf ihren Liegen und lasen sich gegenseitig Lyrik aus den alten Tagen vor. Es bekümmerte sie nicht, dass die Padrona schon wieder nicht im Hause war. Nur Benita schlich wie eine nervöse Raubkatze durch die Gänge, wartete Stunde um Stunde auf ihre Rückkehr.

Seit vielen Nächten nun schon schenkte ihr die Padrona keinerlei Beachtung. Sie trank nicht einmal von ihr, stattdessen hatte sie ihr befohlen ihrem Gast 'zu Diensten' zu sein! Und das alles nur weil sie gelauscht hatte? Sie wollte nicht einmal lauschen, sie wollte lediglich bei Avelina sein. Es war ihr doch völlig egal, was die Padrona mit diesem jungen Mönch zu besprechen hatte!
Der Bursche hatte zum Glück abgelehnt, aber wie groß war die Chance schon gewesen? Was wenn er es nicht getan hätte? Die Gäste Avelinas waren oft seltsam, sie machten ihr Angst. Wer weiß, ob es bei einem anderen als dem Mönch beim trinken geblieben wäre. Diese Gedanken wollten Benita nicht mehr aus dem Kopf gehen. Sie war nur für Avelina da, sie wollte sich nicht von anderen Küssen lassen. Ihr Blut gehörte einzig und alleine ihrer Herrin.

In derlei Gedanken verloren, hatte sie kaum bemerkt, dass ihr Weg sie in den dunklen Teil des Domus geführt hatte. Hier ging kaum jemand hin. Es brannten keine Öllampen, wenngleich auch dieser Teil eingerichtet worden war. Nachdenklich wanderte Benitas Blick zu der massiven, dunklen, mit Eisen unterstützten Eichentür. Was war nur dahinter? Inzwischen kannte sie Avelina gut genug. Sie wußte auch die kleinsten Regungen in ihrer Mimik, in ihren Gesten zu deuten – zumindest war sie davon überzeugt. Und in diesem Teil des Hauses war ihre Padrona stets unruhig. Sie mied ihn, ja, es war sogar Abscheu in ihren Zügen zu lesen, wenn ihr Blick auf diese Tür fiel.
Unschlüssig stand die junge Frau nun im Gang und blickte sich um. Sie war alleine. Wenn sie wüßte, was sich hinter dieser Tür verbarg, dann konnte sie womöglich helfen. Ihr würde schon irgendetwas einfallen, damit sich die Padrona in ihrem Haus wieder wohlfühlen konnte. Und wenn sie das tat, würde Avelina sie vielleicht wieder zu sich holen, aufhören sie zu ignorieren. Vielleicht würde sie sie ja sogar belohnen.

Auf leisen Sohlen schlich sie in die Küche und suchte nach dem großen Schlüssel für die schwere Eichentür. Er musste hier irgendwo sein. Sie kannte Sophias Gewohnheiten, sie war eine gute Beobachterin, dementsprechend wurde sie recht schnell fündig, wartete noch einmal, ob jemand sie gehört hatte und machte sich wieder auf den Weg in den dunklen Teil des Hauses. Diesmal dachte sie allerdings daran sich eine Lampe mitzunehmen, was es zwar nicht leichter machte ungesehen zu bleiben, aber sie wusste ja auch nicht, was sie hinter der Tür finden würde, womöglich schien der Mond nicht in diesen Raum.

Ihr Kampf mit der Tür zog sich hin. Das Schloss hatte wohl ein wenig Rost angesetzt, aber letztendlich war es ihr doch noch gelungen es zu öffnen. Die Tür selbst war schwer, und sie hängte sich mit aller Kraft an sie, um sie aufzuziehen. Ein modriger Geruch schlug ihr entgegen. Da war noch etwas anderes, nur hintergründig, aber benennen konnte sie es nicht. Eine Treppe? Sie blinzelte irritiert. Dieses Haus hatte einen Keller? Sie hätte mit vielem gerechnet, damit allerdings nicht. Leise zog sie die Tür hinter sich zu, und schlich sich die Stufen hinab, doch schon auf der vierten begann sie zu frösteln. Es war unheimlich hier. Ein unwohles Gefühl machte sich in ihr breit.
Schließlich unten angekommen, weiteten sich ihre Augen. Eine ungewöhnliche Finsternis schien hier auf allem zu liegen, förmlich aus den Wänden zu kriechen. Eine Dunkelheit, welche das Licht zu schlucken schien, und viel nutzte die Öllampe nicht dagegen. Und was war das? Irgendjemand hatte versucht zu putzen, doch die Wände hatten eine Farbe angenommen, die... war das Blut? Waren dort Symbole aus Blut an die Wand gemalt?
Sie fuhr herum, als sie glaubte ein Geräusch gehört zu haben, und starrte auf eine Zelle im niedrigen Gewölbe des Kellers. Irgendetwas war hier, das ihr das Gefühl gab nicht alleine zu sein. Noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde ihr schwarz vor Augen...

~ ~ ~

Varese, 1761 Anno Urbis Conditæ

Es war Oktober und bereits jetzt bitterkalt in Varese. Sie eilte auf nackten Sohlen durch die engen Gassen, eher stolpernd als rennend. Sie hatte es gerade noch geschafft sich eine Decke zu greifen... nur weg, das war alles was sie wollte.
Das letzte halbe Jahr war eine Tortur gewesen, und wenn sie Zeit gehabt hätte um darüber nachzudenken, so hätte sie sich vielleicht einfach nur noch in eine Ecke gelegt um zu sterben. Das Leben war friedlich gewesen, so friedlich es eben sein konnte als einziges Kind einer armen Familie. Zumindest war sie nicht verkauft worden, sie hatte flinke Finger und auf dem Markt in Mailand immer dafür gesorgt, dass die ein oder andere Geldkatze ihren Besitzer wechselte. So hatte sie wohl am Ende für den Hauptteil der Einkünfte der Familie gesorgt. Doch dann änderte sich alles.

Sie war durch die Straßen Mailands gezogen, leise und unauffällig wie eine Katze, das konnte sie gut. Sie war jetzt zwei Tage nicht zuhause gewesen, musste sich versteckt halten, nachdem sie einen zu großen Fang gemacht hatte, bei dem man sie fast erwischt hätte. Aber ihre Eltern würden sich sicher freuen. Sie wären eine Weile versorgt, und vielleicht reichte es sogar für ein paar neue Kleider. Jetzt, als sie endlich wieder zu der ärmlichen Hütte kam die sie ihr Zuhause nannte, sah sie die Lichter, hörte die Stimmen. Männer standen an der Tür, blickten hinein, redeten leise miteinander... War man ihr doch auf die Schliche gekommen? Wollte man sie jetzt abholen? Sie dachte darüber nach zu fliehen, doch da wurde ihr bewußt, dass es hier um etwas anderes gehen musste. Vorsichtig trat sie näher, doch niemand drehte sich nach ihr um, niemand schien sich um sie zu kümmern. Es waren keine lebhaften Diskussionen, die die Männer führten, es war lediglich ein leises, betretenes Raunen, das durch die Reihen ging, nicht mehr. Und keiner bemerkte sie, als sie sich an ihnen vorbei schob.

Das Mädchen erstarrte, als sie freie Sicht hatte. Das Bild das sich ihr bot war das grauenhafteste, was sie in ihrem ganzen Leben sehen sollte... Und welch seltsame Gedanken einem dabei durch den Kopf gingen. Es war nicht einmal viel Blut, im Gegenteil. Es war viel zu wenig Blut, für das was hier geschehen sein musste. Lediglich die Symbole an den Wänden waren von kräftigem Rot, das in Tropfen herunter rann. Es wirkte wie ein makaberes Bühnenbild einer Theateraufführung, die eigentliche Hauptattraktion, die Akteure vor ihm von den Dachbalken hängend. Es brauchte einige Sekunden, bis sie überhaupt verstand, dass es ihre Eltern waren, die wie Puppen Glied für Glied auseinander genommen worden waren, und wie Marionetten wieder zusammengesetzt. Mitten im Raum hingen sie, in seltsamen Posen. Die blassen Körperteile schienen unwirklich, sie waren eingeölt, so dass sie aussahen wie poliertes Elfenbein. Selbst die Schädel, die man ihnen rasiert hatte hatten etwas unechtes. Die Augenlider wurden entfernt, so dass es aussah, als würden sie aus toten, leeren Augen in Benitas Richtung starren. Jemand hatte sich viel Mühe gegeben die Enden der Knochen freizulegen und zu durchbohren, um fein säuberlich dünne Lederbänder hindurch zu fädeln, welche die abgetrennten Glieder wieder miteinander verbanden. Weitere Schnüre führten von den Unterarmknochen zum Dachbalken, sogar von den Fußgelenken, so dass es aussah, als wären sie in Bewegung.
Die Gespräche waren in diesem Moment verstummt, als die Männer auf das Mädchen aufmerksam wurden. Einer der Pfaffen, die mitgekommen waren, packte sie vorsichtig an den Schultern und drängte sie hinaus, doch da sickerte die Panik ob des Anblicks in ihr durch. Sie schrie, versuchte sich aus seinem Griff zu winden, schlug, trat und biss um sich wie von Sinnen...


Sie hatte einen Großteil der Zeit die folgte aus ihrem Gedächtnis verdrängt, doch dieses Bild würde sie nie verdrängen können. So sehr sie auch versuchte sich zu sagen, dass es nicht mehr ihre Eltern waren, die sie dort gesehen hatte, so sehr sie versuchte sie in Erinnerung zu behalten wie sie einst aussahen, es gelang ihr nicht.
Man hatte sie in ein Nonnenkloster gebracht, und ihr war klar, dass man sie nach dem was sie gesehen hatte für geisteskrank hielt. Sie sprach seit dem nicht, und aß nur, wenn sie wirklich musste. Und weil sie nicht sprach, schienen sie zu glauben sie würde sie auch nicht verstehen. Doch sie verstand alles, jedes Wort. Sie hörte, wie sie darüber diskutierten, ob man sie nun hier im Hospital behalten solle, in der Hoffnung, dass sie eines Tages Gott wieder finden könnte, oder ob man sie zu den Kranken ins isolierte Siechenhaus stecken sollte, da sie sowieso nie wieder klar denken würde können.
Und so verhielt sie sich weiterhin ruhig, so dass sie jeder für harmlos hielt, und kaum beachtete. Sie begann sich an das Leben der Nonnen anzupassen, beten und arbeiten, auch wenn sie lediglich so tat, als würde sie beten. Sie gab sich alle Mühe zu wirken, als würde sie ihr Schicksal akzeptieren, ganz gleich was die Nonnen mit ihr vor hatten. Insgeheim aber schmiedete sie ihre Pläne zu fliehen. Nur weg, am besten weit weg. Und so verging Mond um Mond...

Irgendwann bot sich die Chance. Die Bilder waren immer noch in ihrem Kopf, aber sie verblassten langsam. Die Starre in der sie sich befunden hatte löste sich allmählich. Und so floh sie, als sie sich gestärkt genug fühlte. Das Leben hinter Klostermauern war nicht das ihre. Lieber hätte sie dort Glied für Glied neben ihren Eltern gehangen, als einem Gott zu dienen, der sie verlassen hatte. Sie war ein Straßenmädchen, keine Nonne.
Sie hatte es bis nach Varese geschafft, bevor sie abermals feststellen musste, dass sie nicht halb so stark war, wie sie es sich glauben machen wollte. Sie war einem Gerber in die Arme gelaufen, als sie versucht hatte ein paar Stücke Wildleder zu klauen, um sich die Schuhe zu umschnüren. Es würde ein kalter Winter werden, sie hatte lediglich vorsorgen wollen. Stattdessen wurde sie von diesem stinkenden, grobschlächtigen, dreckigen Mann in ein dunkles Gebäude geschleppt. Ein Bad hatte er ihr versprochen, doch dann hatte er ihr die sowieso schon zerrissenen Kleider vom Leib gerissen, sie in die Feuerstelle geworfen, damit sie nicht wegrennen würde, und wollte sie überwältigen. All die Gefühle kochten in ihr hoch, die sie unterdrückt hatte. Sie hatte nicht bis hier hin überlebt, um jetzt vergewaltigt zu werden. Flink griff sie nach dem erstbesten metallischen Gegenstand den sie finden konnte, und rammte ihn in seinen Bauch... immer und immer wieder. Vielleicht war sie ja doch verrückt?
Blutüberströmt griff sie nach dem ersten Stück Stoff das sie fand und rannte in die Nacht hinaus.
Ihr eigener, schneller werdender Atem, das Pochen ihres Herzens, die leise platschenden Schritte ihrer nackten Sohlen auf dem Kopfsteinpflaster, das war alles was sie hörte. Sie musste weg von hier, irgendwo zum Wasser, sich das Blut abwaschen... aber sie hatte keine Kleidung... ihre Gedanken überschlugen sich, und doch konnte sie nichts anderes tun als rennen.

Und dann stand sie plötzlich vor ihr und stoppte ihre hastige Flucht mit nur einem verwunderten Blick. Aus der Dunkelheit einer kleinen Gasse war sie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie musste ein Engel sein, so strahlend schön war sie. Der Mond schien auf ihr blasses Gesicht, das wirkte als wäre sie eine marmorne Statue. Doch in ihren Augen loderte ein lebendiges grünes Feuer, das die junge Frau sofort in ihren Bann zog. Sie war in die teuersten Stoffe gehüllt, die mit güldenen Stickereien durchwirkt waren, und ihr Haar floss in widerspenstigen, schwarzen Wellen über ihre Schultern. Sie hätte von sich aus strahlen müssen, solch einen Anblick bot sie.
Benita sank auf die Knie und begann flüstern und wirr vor sich hin zu stammeln.
„Padrona mia, risparmiatemi.... prego.... prego...“
Sie stellte sich darauf ein, dass die Erscheinung vor ihr entweder göttlich war, und sie umgehend mit dem Tode strafen würde, oder aber dass sie verrückt war, und die Signora nur eine einfache Adlige, die in wenigen Momenten laut um Hilfe schreien würde. So oder so, ihr Leben schien verwirkt und Tränen begannen ihr über die Wangen zu laufen.

Doch nichts von all dem geschah.
„Rede keinen Unsinn, Ragazza.“ selbst ihre Stimme war so weich und sanft, dass sie nicht aus dieser Welt stammen konnte. Und statt sie davon zu stoßen, kam sie näher, kniete sich zu ihr auf den Boden mit besorgter Miene, und schloss die Arme um das schluchzende Bündel.
„Shhh, beruhige dich. Wir müssen hier weg, bevor jemand kommt.“ doch sie verharrte mit ihr auf dem Boden und schien zu wachen, zu lauschen. Und erst als das Schluchzen ein wenig abebbte, half sie ihr auf die Beine, und führte sie durch die Nacht...

~ ~ ~

Genua, 1763 Anno Urbis Conditæ, Villa dei Fiori Rossi

Sie erwachte... ihr Kopf schmerzte, und vorsichtig befühlte sie ihren Schädel, bis sie auf eine Beule traf. Sie war offenbar gestürzt und hatte sich angestoßen. Sie erschrak, als sie die Augen öffnete. Sie befand sich in tiefster Finsternis und hatte schon Angst das Augenlicht sei ihr genommen, doch langsam kam die Erinnerung wieder. Der Keller... ihr war schwarz vor Augen geworden... die Lampe musste bei ihrem Sturz wohl kaputt gegangen sein, und sie war noch immer an diesem schrecklichen Ort. Sie musste die Treppe finden.
Fiebernd tastete sie über den Boden und zog mit einem erschrockenen Schrei die Finger zurück, als sich eine Scherbe der Lampe in ihre Handfläche bohrte. Sie musste raus hier.... und so kroch sie auf allen vieren in der Dunkelheit herum, und suchte die Stufen. Dies alles dauerte... es dauerte viel zu lange, und die Erinnerung an diesen grausamen Keller den sie gesehen hatte, ließ sie nervös werden. Mit jeder Stufe, die sie erklomm, schlichen sich Bilder der Vergangenheit vor ihr gestiges Auge, Dinge die sie vergessen wollte, die zu einem anderen Leben gehörten, zu einem anderen Mädchen.

Erleichtert fühlte sie das Holz der schweren Eichentür vor sich und wollte sie öffnen... doch nichts geschah. Die Tür bewegte sich kein Stück. Panik stieg in ihr auf. Sie versuchte zu drücken, zu ziehen, hämmerte gegen das Holz, doch dies schien jedes Geräusch zu schlucken. Sie mühte sich ab, bis sie erschöpft war, dann schrie sie und weinte... doch niemand kam, niemand holte sie aus diesem Keller.

~ ~ ~

Avelina

Die Nacht war bereits fortgeschritten, als sie wieder zurück in die Villa di Fiori kam. Sophia hatte sie ausnahmsweise begleitet, Bernardo hatte anderen Aufgaben nachzugehen und die sterblichen Wachen wußten nichts über die Gewohnheiten ihrer Herrin. Normalerweise wußte sie den blonden Hünen gerne an ihrer Seite, wenn sie das Haus verließ, doch mitlerweile kannte sie Genua. Sie wußte, welchen Gassen sie besser fern zu bleiben hatte, und wo die Jagd relativ ungefährlich und lohnenswert war. So war es auch glücklicherweise zu keinen Zwischenfällen gekommen.
„Sophia, sieh bitte nach den Mädchen. Ich ziehe mich zurück.“
Mit diesen Worten drückte sie der Magd den Umhang in die Hand, und schritt zu jenem Raum, in dem sie die Gäste für gewöhnlich empfing. Ein paar Schriftstücke lagen noch auf dem Schreibtisch, die es zu bearbeiten galt.

Mitten im Raum hielt sie inne und lauschte. Ihre Augen weiteten sich zusehends, als sie ihre Sinne schärfte, und ein vertrautes Weinen und Schluchzen vernahm. Mit schnellen Schritten ging sie in Richtung der verhassten Tür des Kellers, und versuchte sie aufzureißen. Sie klemmte offenbar. Doch ihr war die Gabe gegeben kräftiger zu sein als so mancher Mensch, wenn sie es darauf anlegte, und so stellte die Eichentür nicht lange ein Hindernis dar. Schließlich flog sie auf, und Benita fiel ihr fast entgegen.
Sie war nicht verärgert, wie konnte sie es sein? Sie kannte die Geschichte des Mädchens, und sie hatte sie bei sich aufgenommen, versprochen für sie zu sorgen. Sicher, sie hatte ein paar Eigenschaften, die nicht wünschenswert waren, und doch besaß Benita die Gabe sie immer wieder an ihre Menschlichkeit zu erinnern. Wie damals in Varese ließ sie sich zu der schwarzhaarigen jungen Frau auf den Boden sinken, und schloss sie in die Arme. Und wie damals schien das Schluchzen nicht verebben zu wollen.
Hatte Lorenzo nicht am Ende doch Recht? Empfand sie mehr für dieses seltsame Mädchen, als sie sich selbst eingestehen wollte? Was Benita betraf so wußte sie, dass sie sie verehrte, nein sogar wirklich verliebt in sie war. Doch war Liebe etwas, das ein Kainit empfinden konnte, oder machte sie sich nur etwas vor und würde die junge Frau verletzen? Aber so oder so, Benita würde nicht von ihrer Seite weichen, es gab keinen Platz an den sie gehen konnte.

Hatte sie zu lange mit ihr gezürnt?
Die weiteren Pläne für diese Nacht waren verworfen. Als sich die junge Frau einigermaßen beruhigt hatte, half sie ihr auf, und schloss die vermaledeite Kellertür. Benita klammerte sich an sie, und Avelina dachte nicht daran es zu verbieten. Stattdessen legte sie den Arm um sie und führte sie in die Küche, wo Sophia bereits hochbeschäftigt war mit den Vorbereitungen für den Tag, damit die Dienstleute und Söldner versorgt waren.
„Sophia? Bereite einen Zuber in meinem Gemach vor. Benita wird bei mir bleiben, sie hat meine Erlaubnis. Ich möchte nicht gestört werden.“
Die Magd blickte zweifelnd zwischen den beiden hin und her.
„Glaubst du, dass das nach ihrem Betragen eine gute Idee ist? Sie wird nie etwas daraus lernen, wenn...“
„Schweig!“ entfuhr es Avelina womöglich eine Spur zu grob, was sie allerdings auch sofort wieder bereute. Sie seufzte tief, „Es sind besondere Umstände. Ich denke sie hat diese Nacht eine Menge gelernt. Und...“ sie zögerte, blickte ihre alte Freundin dann aber mit ernstem Blick an, „Sie gehört zu uns, Sophia.“
"Die Natur lehrt Miteinander. Ohne Dornen wären die Rosen hilflos, ohne Rosen die Dornen trostlos…" KarlHeinz Karius (*1935)
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Avelina di Braida
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Re: ...μέσαι δὲ νύκτες [Fluff, Avelina]

Beitrag von Avelina di Braida »

Sterben für Anfänger

Benita

Sie hat ein gutes Herz. Sie ist noch immer mein Engel.
Ich weiß nicht genau was sie ist, aber es ist mir egal. Ich habe mich an die Kühle ihrer Haut gewöhnt, an ihren Durst nach Blut, an die Melancholie mit der sie oftmals durch das Haus streift, an den Müßiggang. Sie hat mir viele Dinge erzählt, versucht mir beizubringen was sie ist. Ich bin nicht einmal sicher, ob die anderen Mädchen das alles wissen. Ich glaube nicht.
Ich weiß auch, dass sie alt ist... alt im Vergleich zu mir, auch wenn sie noch immer jung aussieht. Und vielleicht rührt daher die Melancholie die sie so oft begleitet. Zumindest stellt dies klar, was meine Aufgabe ist. An mir ist es, sie an das Leben zu erinnern. Und das will ich tun, so gut ich es kann.

Aber ich bin auch nur was ich bin. Manchmal sogar ein ziemlicher Trampel. Natürlich ist es mir nicht gelungen irgendetwas an diesem Keller zu ändern, aber sie hat dennoch aufgehört mich zu ignorieren. Und nicht nur das... ich weiß nicht was passiert ist, aber es scheint fast zu gut um wahr zu sein. Sie hatte sogar Sophia angewiesen mir einen Zuber mit heißem Wasser füllen zu lassen. In ihren Gemächern. Ich darf bei ihr bleiben... die ganze Nacht, den ganzen Tag. Das durfte ich noch nie.
Natürlich gab es hin und wieder Gespräche alleine mit ihr... doch nie in ihren privaten Gemächern, und nie sonderlich lange. Und so sehr sie sich schon zuvor um mich gekümmert hatte, diesmal ist es anders.
Zuerst dachte ich, sie würde mich alleine lassen in ihren Gemächern. Sophia brachte Eimer um Eimer heißes Wasser, während ich meine Kleider ablegte und mich im Raum umsah. Es ist wunderschön hier. Noch schöner, als im Rest des Hauses – mit Ausnahme dieses Kellers natürlich - wenngleich es dunkel ist. Ein Fenster gibt es nicht. Stattdessen wunderschöne Malereien, die über die gesamten Wände gehen. Keine Fensterausblicke wie im großen Empfangsraum. Nein, man hat das Gefühl direkt im Wald zu sein. Alles ist grün, und an der Ost- sowie Westseite sind Frauen abgebildet. Es ist die Göttin die man Hera nennt, die mit Iris Thaumantias, ihrer Botin – das ist die Signora die die Regenbögen erschafft - an einem See rastet. Auf der anderen Seite Artemis und Kalliste. Avelina hat mit beigebracht, wie man sie unterscheidet, an welchen Merkmalen man sie erkennt, und welche Geschichten sie erzählen.

Doch das ist meine Geschichte, nicht die Geschichte alter Götter.
Ich saß schon eine Weile im Zuber, als mein blasser Engel den Raum betrat und mir ohne Worte half mein Haar zu waschen. Es war fast unheimlich in derartiger Stille alleine mit ihr zu sein... zumindest am Anfang. Natürlich habe ich ihr gesagt, dass sie das nicht tun müsse, doch von ihr kam nur ein leises „Shhh...“ und sie schien es zu genießen. Es wäre schön dumm von mir gewesen noch Widerworte zu geben.
Irgendwann half sie mir aus dem Zuber, trocknete mir die Haare und wickelte mich in ein weiches Tuch, bevor sie mich zum Bett führte. Und dort lagen wir und ich blickte in das unergründliche, grüne Feuer ihrer Augen.

„Du musst mir versprechen, dass du nicht erschrecken, und dich nicht ängstigen wirst, wenn du hier bleibst.“ sie lehnte auf ihrem Ellogen, den Kopf auf die Hand gestützt, und mit der anderen streichelte sie mir über die Schulter. Ich war so sehr gefangen von diesem Anblick, dass ich fürchtete ihre Worte nur halb mitzubekommen.
„Warum sollte ich mich ängstigen, Padrona?“
Sie lächelte warm.
„Hm, auf einmal wieder Padrona? Was ist aus 'Avelina' geworden?“ ich erkannte die leichte Schellte hinter ihren Worten, und senkte den Blick, doch sie griff unter mein Kinn, und brachte mich dazu, sie wieder anzusehen.
„Es ist wichtig. Ich will, dass du bei mir bleibst, auch am Tage. Zumindest so lange du möchtest. Aber dazu musst du einige Dinge wissen. Und wenn du glaubst, dass du damit umgehen kannst, dann würde es mir gefallen, es nicht bei diesem einen Mal bleiben zu lassen.“
Es war dieses Gefühl, das man hatte wenn die Schausteller und die Gaukler in die Stadt zogen. Ich erinnere mich daran. Damals als ich noch klein war, fühlte es sich an als würden kleine Mäuse auf Trommeln in meinem Bauch und meinem Herz herumhämmern. Die Vorfreude auf etwas ungewisses, aber sicher gutes. Diesmal war es noch viel schlimmer. War ich ihr wirklich wichtig? War ich etwas besonderes?
„Ich kann damit umgehen, Padr... Avelina. Da bin ich mir ziemlich sicher.“
Eigentlich war ich eher ziemlich unsicher... zögerlich und irritiert hatte ich ihr mein Hand entgegen gestreckt, ihr mein Handgelenk angeboten, doch sie blickte nur einen Moment irritiert darauf, und schüttelte dann leise lachend den Kopf.
„Du glaubst darum geht es? Nun, vielleicht zum Teil. Zumindest noch... Aber nicht nur, nein, und nicht heute Nacht.“
Und damit lehnte sie sich zu mir hinüber und ihre weichen Lippen legten sich wie die Berührung einer Feder auf die meinen. Tastend, vorsichtig, fragend.
„Es geht um dich, cara mia.“ hauchte sie leise, bevor ihre Lippen abermals die meinen suchten.


Sie liegt neben mir... friedlich und wunderschön... und trotz allem was sie mir gesagt hatte, trotz aller Warnungen, habe ich Angst.
„Es ist gleich so weit...“ flüstert sie leise, „Sei unbesorgt. Es ist Winter, die Nächte sind lang, die Tage kurz. In wenigen Stunden werde ich wieder bei dir sein... natürlich nur wenn du willst.“
Noch immer liege ich in ihren Armen, an sie geschmiegt. Wir hatten geredet, uns geküsst, und ich genoss es, wenn sie durch mein Haar streichelte, über meinen Rücken... In ihren Worten, ihren Gesten lag das Versprechen auf so viel mehr. Und die Aussicht darauf, in der nächsten Nacht wieder bei ihr sein zu dürfen läßt mich fast platzen vor Freude.
„Ich darf hier bleiben? Auch die nächste Nacht?“
Wieder lächelt sie und nickt.
„Auch die nächste Nacht. Aber du musst mir versprechen vorsichtiger zu sein, wenn wir Gäste haben. Die Welt der Nacht ist gefährlich. Gefährlicher, als du es dir vorstellen kannst.“
Sie schließt die Augen und drückt sich noch einmal an mich.
“Schlaf jetzt, cara mia.“
Das Lächeln liegt noch immer auf ihren Lippen. Doch etwas passiert mit ihr. Ich spüre es. Ein leises Seufzen kommt über ihre Lippen, mit dem sich der Lebensfunke aus ihrem Körper zu lösen scheint. Sie sinkt tiefer in die Decken, der Arm der eben noch um meine Schultern lag, fällt schlaff herab... sie stirbt. Wie sie es gesagt hatte. Ich wußte vor dieser Nacht nicht, dass dies jeden Tag mit ihr passiert. Sicher, ich bemerkte schon vorher, dass sie nicht atmet, dass ihr Herz nicht schlägt. Aber das tut es auch nicht, wenn sie redet und herumläuft. Dies hier allerdings... ist etwas ganz anderes. Und trotz des Wissens, dass sie in wenigen Stunden wieder bei mir sein wird, krampft sich mein Herz zusammen, und ich halte mühsam die Tränen zurück. So lange die Sonne am Himmel steht, ist sie fort, und ich fühle mich einsam, verlassen.
Ich rücke näher an sie heran, klammere mich an ihren Körper, als könnte ich sie irgendwie davon abhalten mich zu verlassen... aber da ist kein Leben mehr in ihr.

Ich werde bei ihr wachen. Ich werde da sein, wenn sie die Augen aufschlägt. Wenn mein Engel zu mir zurück kommt.
"Die Natur lehrt Miteinander. Ohne Dornen wären die Rosen hilflos, ohne Rosen die Dornen trostlos…" KarlHeinz Karius (*1935)
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Avelina di Braida
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Re: ...μέσαι δὲ νύκτες [Fluff, Avelina]

Beitrag von Avelina di Braida »

Non omnibus unum est quod placet, Teil I
(Es gibt nichts, was allen gefällt)

Genua, 1764 Anno Urbis Conditæ, Villa dei Fiori Rossi

Benita

Sie lag in den weichen Laken und starrte an die Decke. Ihre Padrona war ihr in den letzten Tagen ein Rätsel. Sie schien sonderbar entspannt, ja, glücklich geradezu. Sie war die letzte die sich darüber beschweren wollte, aber es war ungewohnt sie derart gelöst zu erleben. Selbst an ihren besten Tagen war die Viscontessa auf Etikette bedacht und... nun, ein wenig steif.
Das große Bett in den privaten Gemächern ihres Engels war zu ihrem festen Schlafplatz geworden, sie hatte sie nicht einmal weg geschickt seit jener Nacht. Und langsam gewöhnte sie sich auch an das nächtliche sterben Avelinas, zumindest fühlte sich ihre Kehle nicht mehr ganz so an, als würde sie zugeschnürt, wenn der Körper ihrer Padrona schlaff und völlig leblos wurde.
Getrunken hatte Avelina nicht mehr von ihr, was Benita durchaus bedauerte. Sie liebte das Gefühl des kurzen Schmerzes und der folgenden Ekstase. Sie hatte sich ihr in solchen Augenblicken immer besonders nahe gefühlt.

An diesem Abend war eine fremde Kainitin bei ihnen gewesen. Sie schien eine Freundin ihrer Padrona, und sie durfte die ganze Zeit bei ihnen sitzen. Doch es waren gemischte Gefühle die nun in ihr tobten. Sie hatte Dinge erfahren, die auf ihr Gemüt drückten. Die Viscontessa hatte von ihren Lebzeiten erzählt, ihrer Hochzeit und ihrem Gemahl. Sie war nicht allzu deutlich geworden, doch die Andeutungen genügten, um die Wut in ihr brodeln zu lassen. Von Narben war die Rede... sie hatte nie Narben an ihrer Padrona gesehen, doch sie war auch nie völlig nackt gewesen. Wenn sie in den Zuber stieg, war stets nur Sophia anwesend, und auch beim schlafen – oder auch 'übertagen', wie sie es nannte - hüllte sie sich in ihre seidenen Hausgewänder.
Die Schilderungen ihrer fünf Jahre anhaltenden Folter hatten Benita nachhaltig verstört und wenn die Fremde sie an diesem Abend nicht festgehalten hätte, so wäre sie zu Bernado gestürmt und... was auch immer. Avelina jedoch schien dies alles nichts auszumachen. Ja, Jahrzehnte waren für sie vergangen, das alles lag für sie weit zurück. Doch wieso hatte sie Bernardo erlaubt bei ihr zu bleiben? Nach allem was er ihr angetan hatte?

Benita hatte den blonden Hünen nur als mürrischen, recht stillen Mann kennengelernt, der seiner Herrin treu diente und sie beschützte, sich um die Geschäfte kümmerte. Sicher hatte sie mitbekommen, dass Avelina ihn in der Öffentlichkeit des öffteren als ihren Gemahl vorstellte, doch dass er dies wirklich war... nun, das war neu für sie. Immerhin hatte er seine eigene Schlafkammer, und auch sonst schienen die beiden sich lange nicht so nahe zu stehen, wie zum Beispiel sie und Sophia. Nach allem was sie nun wußte, war dies vermutlich auch nicht verwunderlich.

„Du siehst nachdenklich aus.“ Avelina ließ sich anmutig neben ihr auf das Bett gleiten, und machte einen leichten Schmollmund, den Kopf auf den Arm stützend, „Ich hatte gehofft du seist in dieser Nacht guter Dinge.“
Anhänglich war ihre Padrona heute und Benitas Wangen begannen wieder zu glühen, als sich ihre Hand auf ihren Bauch legte, und sanft darüber streichelte.
„Ich bin immer guter Dinge, wenn ihr bei mir seid, Padrona.“ erwiderte sie mit einem Lächeln, was zur Folge hatte, dass Avelina sich näher an sie heranschob, und vorsichtig ein Bein über sie legte.
Seit sie hier nächtigte waren sie sich immer sehr nahe gewesen, hatten sich geküsst, waren Arm in Arm eingeschlafen – oder gestorben in Avelinas Fall - ... doch es blieb bei diesen recht harmlosen Zuneigungsbekundungen, war nie weiter gegangen. Und die Nacht war jedes mal bereits weit fortgeschritten gewesen. Doch heute war es anders. Noch viele Stunden lagen vor ihnen und der warme Ausdruck in den Augen der Viscontessa war einem dunkelgrünen Feuer gewichen. Die düsteren Gedanken schoben sich in diesem Moment wie von alleine beiseite, und sie konnte ein leises Stöhnen nicht zurückhalten, als sich die Lippen ihrer Padrona auf die ihren legten. Weniger zärtlich diesmal, stattdessen fordernder, leidenschaftlicher. Und sie ging nur zu gerne darauf ein.
Sie spürte nach einer Weile, wie die Hand auf ihrem Bauch langsam nach oben wanderte, und die Konturen ihrer Brüste nachfuhr. Sie wollte nicht, dass es aufhörte, und so glitt ihre eigene Hand zu dem Bein, welches angewinkelt über ihr lag, strich den Stoff beiseite, und erkundete jeden Zentimeter der kühlen, weichen Haut.
Sie wußte, dass ihre Padrona scheu war. Dass sie jeden Moment dieses Spiel stoppen könnte. Aber wenn dem so war, dann müsste sie eben die Initiative ergreifen.

Ihre Finger fuhren suchend zu dem Band, welches die Tunika fest um ihren Torso gewickelt hielt, lösten den Knoten – sie hatte geschickte Finger, es hatte Vorteile ein Straßenmädchen zu sein – und begannen die Seide langsam vom Körper ihrer Geliebten zu schieben.
Dies alles geschah, ohne dass sie den Kuss lösten, doch jetzt zog sich Avelina ein Stück zurück und blickte sie an. Leidenschaft brannte überdeutlich in ihren Augen – wie konnte etwas so schönes tot sein? - und sie fühlte, dass in ihren eigenen Augen der gleiche Ausdruck lag.
Sie nutzte den Überraschungsmoment um ihre Padrona auf den Rücken zu rollen, und sich über ihr zu positionieren. Sie presste die Lippen abermals auf die ihren, drückte mit festem Griff ihr Handgelenk auf das Bett, während ihre andere Hand geschickt die Fibeln an den Schultern löste, und schließlich die störende Seide beiseite schob. Sie war in diesem Moment unglaublich dankbar, dass Avelina es vorzog sich in Gewänder zu hüllen die man nicht erst umständlich über den Kopf ziehen musste.
Verzückt lauschte sie den leisen Lauten ihres 'Engels', als sie begann ihren Körper zu erforschen. Die Haut so unglaublich weich... wenngleich so unnatürlich kühl. Doch es störte sie nicht. Sie würde Stunden damit verbringen können, so viel war sicher.

Und diese mochten wohl auch verstreichen, sie hatte das Zeitgefühl verloren. Irgendwann wanderte ihre Hand zu den Hüften während sie sich den Hals hinunter küsste, und sehr viel Aufmerksamkeit darauf verschwendete sich mit den Lippen jeden Zentimeter einzuprägen. Die Hand wanderte dabei ebenfalls weiter, außen über die schlanken Beine, zur Innenseite... und sie zögerte. Vorsichtig fuhren ihre Fingerspitzen über den Grund ihres Zögerns. Die weiche Haut fühlte sich anders an, und die Erinnerung an das Gespräch dieses Abends drängte sich wie ein ungebetener Gast wieder in ihre Gedanken...


Avelina

Benita war etwas besonderes. Sie wußte es schon lange, doch in dieser Nacht fühlte sie sich dank ihrer jungen Gefährtin wieder wahrlich lebendig. Es war wie ein Rausch, eine Droge. Jede Faser ihres Körpers reagierte auf die Lebendigkeit ihres Gegenübers, ja, sie glaubte sogar ihr Herz könne wieder anfangen zu schlagen, wenn sie ihr nur nah genug war. Und das wollte sie sein. Doch alles zu seiner Zeit. Für den Anfang überließ sie der schwarzhaarigen Schönheit das Tempo und die Initiative. Benitas plötzliche forsche Art überraschte sie, aber sie genoss es. So räkelte sie sich unter ihren Berührungen und kostete jeden Moment voll aus.
Doch dann hörte es plötzlich auf. Mit einem fast traurigen Seufzen öffnete sie die Augen, um nach dem Grund für die überraschende Pause zu forschen.
Ihre Geliebte hatte sich aufgesetzt, die Beine rechts und links ihrer eigenen und starrte auf sie hinunter, mit den Fingerspitzen vorsichtig über die Innenseite ihres Oberschenkels streichend. Erst als sie bemerkte, dass Avelina sich regte, blickte sie auf und sah ihr aus unglaublich traurigen Augen entgegen. Fassungslosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Cara mia...“ hauchte die Rose leise und streckte ihr die Hand entgegen, um sie wieder zu sich hinauf zu ziehen. Doch Benita blieb sitzen und schaute sie an.
„Das ist nicht alles, oder? Ich will es sehen. Ich will wissen, was er dir angetan hat.“ ihre Stimme klang fest und bestimmend. Avelina presste die Lippen aufeinander und zögerte. Doch ebenso war ihr bewußt, dass Benita diese Sache aus dem Kopf bekommen musste.

Vorsichtig zog sie ihre Beine unter ihr heraus, und erhob sich vom Bett. Sie deutete auf eine Öllampe weiter hinten im Raum.
„Hol du sie. Ich mag das Feuer nicht.“
Es dauerte einen Moment. Zunächst fesselte sie wohl der Anblick ihrer Padrona. Sie derart entblößt zu sehen war noch viel umwerfender, als sie in teuerste Seide gehüllt zu betrachten. Ihr Kinn war nach unten geklappt, und Avelina musste schmunzeln, machte aber schließlich eine auffordernde Handbewegung. Umso schneller sich Benita abregte, umso schneller konnte sie sie wieder in die Arme schließen.
Die junge Frau schloss den Mund, blinzelte noch einmal und tat wie geheißen. Sie nahm die Öllampe und stellte sie auf ein kleines Tischchen in der Nähe.

Schließlich drehte ihr Avelina im Schein der Lampe ihren Rücken zu. Sie wußte, was Benita sah. Sie hatte sie unzählige Male im Spiegel gesehen, die Erinnerungen an ihr Leben. Die Spuren von Bernardos Fingernägeln auf ihrem Rücken, ihrem Hintern, die Narben der Gürtelschläge kurz über den Wölbungen...
Sie hörte das leise Keuchen hinter sich. Sie spürte, wie sich die Finger vorsichtig auf die zerstörte Haut legten, sie erkundeten. Und sie wartete geduldig.
„...Bastard....“ hörte sie die Stimme, und sie bemerkte mit welcher Abscheu dieses Wort zwischen den Zähnen herausgepresst wurde.
Und schließlich sprang ihre Geliebte auf, und lief mit lauten, deutlichen Schritten aus dem Zimmer.
Seufzend wandte sie sich um und blickte ihr hinterher. Nun gut, sollte sie ihrer Wut freien lauf lassen. Bernardo würde ihr nichts tun. Er wußte es würde Ärger bedeuten, wenn er sich an ihr vergriff.
So ließ sie sich wieder auf dem Bett nieder, und zog das Laken über sich. Und es dauerte nicht lange, da hörte sie die lauten Stimmen im Haus. Wütend, verärgert und anklagend drang die hellere Stimme Benitas an ihre empfindlichen Ohren. Gefolgt vom monotonen Bass Bernardos.


Sie wartete. Kurz spielte sie mit dem Gedanken wieder in ihr Kleid zu schlüpfen, vielleicht sogar hinaus zu gehen und nach den beiden zu sehen, doch sie entschied sich dagegen. Die Zeit schien unheimlich langsam zu vergehen in diesen Momenten. Doch irgendwann hörte sie abermals Schritte. Abwartend blickte sie zur Tür, die auch kurz darauf aufflog.
Bernardo stand darin, groß wie ein Schrank und mit stoischer Miene. Benita, die erschreckend zierlich im Vergleich zu ihm wirkte, hatte er sich über die Schulter geworfen, als sei sie nicht mehr als ein kleines Kind.
„Lass mich runter, du Bastard!“ schimpfte sie und trommelte mit den Fäusten immer wieder auf seinen Rücken, „Wenn du glaubst ich habe Angst vor dir, dann irrst du dich! Nur weil du stärker bist, heißt das nicht, dass ich vor dir kuschen werde, hörst du?!“
Avelina hob die Brauen bei diesem Anblick und sah Bernardo fragend an. Dieser schien für einen Moment wie festgewurzelt, als sein Blick über die Figur glitt, die sich unter dem Laken abzeichnete. Sein mürrischer Blick wurde weicher, offenes Bedauern lag darin, Reue. Dann allerdings nahm er das zappelnde Bündel von der Schulter, und schmiss es auf's Bett.
„Sag ihr sie soll das lassen.“ knurrte er.
„Das habe ich bereits.“
Benita rollte unterdessen schnell herum und kam auf die Knie, auf allen vieren nun noch viel mehr das Bild einer Raubkatze abgebend.
„Benita? Ich sage es noch einmal. Das alles ist lange her. Bernardo ist Familie. Genau wie du. Ich will, dass ihr miteinander auskommt.“
Ihr Blick wanderte zu Bernardo, und einen Moment schienen die beiden in stummer Zwiesprache, bevor sie ihn ansprach.
„Ich habe in deinen Augen gesehen, dass du dich verändert hast. Ich bin sehr froh darüber. Was nicht heißt, dass ich dir vergebe... Aber ich danke dir für deine Dienste, ich weiß sie zu schätzen. Und ich weiß es zu schätzen, dass du sie unbeschadet wieder her gebracht hast. Denkst du, ihr werdet miteinander auskommen?“
Einen Moment stand Bernardo nur stumm da und sah sie an.


Benita

Es brodelte noch immer in ihr. Der Hüne hatte sie einfach so gepackt, als sei sie eine... eine Puppe, und hatte sie über seine Schulter geworfen!
Aus verengten Augen sah sie ihn an.
„Schämst du dich überhaupt nicht?“ entfuhr es ihr zornig und sie packte das Laken ihrer Padrona unbedacht, zog es von ihrem Körper und ließ sie entblößt auf dem Bett zurück. Avelina war derart überrascht, dass sie zunächst nicht reagierte.
„Ist das eine Art mit einer Frau wie ihr umzugehen?!“
Erst jetzt hörte sie das Fauchen ihrer Geliebten, und blickte erschrocken auf die Fangzähne, als sie sich umdrehte. Mit einer schnellen Bewegung riss ihr Avelina das Laken aus der Hand, und presste es an ihren Körper.
Benita wurde schlagartig blass, alles Blut verließ ihre Wangen, und sie stammelte mehr, als das sie sprach.
„...Ver.... verzeiht... mia Padrona.... es... es tut mir leid... ich wollte nicht....“


Bernardo

Er starrte auf den Körper seiner Gemahlin, seiner Padrona. Erinnerungen kamen hoch, Begierden, die er tief in sich verschlossen hatte. Dann wanderte sein Blick und verharrte auf der deutlichen Narbe auf dem Bein. Er war zu weit gegangen. Doch er hatte es damals genossen... die Schreie, die Tränen, das Blut, ihre Hilflosigkeit...
Und noch immer wirkte sie so zerbrechlich, noch immer war sie die Fleischgewordene Sünde, kein Jahr gealtert, schön wie eh und jeh. Er hatte sie gezeichnet, sie war seine Gemahlin, und das würde sie immer bleiben, oder nicht?

Zorn kochte in ihm auf. Im Grunde war es Zorn auf sich selbst. Er hatte seine Ehe zerstört, er selbst hatte dafür gesorgt, dass Avelina keinen Mann an sich heran ließ, nicht einmal ihn. Doch in diesem Moment kanalisierte sich der Zorn auf Benita, die alle Aufmerksamkeit von ihr bekam, die er gerne gehabt hätte. In jedem klaren Moment hätte er sich dafür gescholten, wie unsinnig diese Gedanken waren. Er wollte doch, dass Avelina keinen anderen Mann ansah... und das hier war nur ein junges Mädchen, dazu noch seiner Gemahlin so ähnlich als sie zu ihm gekommen war. Aber vielleicht war das Teil des Problems.
In diesem Moment sah er nur Rot, stürmte mit wütender Miene zum Bett, und packte den schwarzen Haarschopf Benitas. Grob zog er sie von den Laken, drückte sie gegen die nächste Wand, riss ihr das Kleid vom Leib und packte schließlich ihre Handgelenke hinter ihrem Rücken mit nur einer seiner großen Hände. Noch einmal zog er an ihren Haaren, damit sie den Kopf in den Nacken legte.
„Gefällt dir das?“ knurrte er sie an, „Du solltest mehr Respekt lernen!“


Avelina

Das alles ging viel zu schnell. Sicher war sie überrascht gewesen.. ja, hauptsächlich überrascht, als Benita ihr das Laken weggezogen hatte. Aber Bernardos Reaktion ließ sie fassungslos zurück.
Man sah der jungen Frau an, dass sie nicht wußte wie ihr geschah, als er sie an den Haaren packte und derart grob an die nächste Wand beförderte.
In Avelina kamen ungebetene Erinnerungen auf. Es war als hätte sich ein Fenster zur Vergangenheit aufgetan und sie spürte wie das Tier sich in ihr regte. Sie hätte losstürzen sollen, sich dazwischenwerfen... doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt der Selbstbeherrschung, an die sie sich
klammerte... die aber mit jeder Sekunde die Verstrich zu einer immer dünneren Leine wurde, an der sie sich festhielt. Sie war die einzige, die Benita schützen konnte, wenn Bernardo die Kontrolle verlor, sie durfte jetzt nicht schwach werden...
Und dann riss er Benita das Kleid vom Leib und packte sie weiterhin grob an. Sie sah wie Tränen über ihre Wangen liefen, hörte sie schluchzen und dann roch sie den süßen Duft ihres Blutes... und die Leine riss...
"Die Natur lehrt Miteinander. Ohne Dornen wären die Rosen hilflos, ohne Rosen die Dornen trostlos…" KarlHeinz Karius (*1935)
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Re: ...μέσαι δὲ νύκτες [Fluff, Avelina]

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Non omnibus unum est quod placet, Teil II
(Es gibt nichts, was allen gefällt)

Benita

Sie hatte Angst. Und sie machte sich auf alles gefasst. Ihr wurde bewußt, dass Bernardo mehr Kraft hatte, als jeder normale Mann. Sie wußte sie würde Blutergüsse an ihren Händen haben, an ihrer Schulter wo er sie gepackt hatte, und auch ihr Gesicht, das mit schmerzhafter Wucht auf die Wand getroffen war, würde Blessuren davon tragen. Ihre Lippe war aufgeplatzt, sie schmeckte ihr eigenes Blut...
Doch dann geschah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Bernardos Griff lockerte sich, und sie hörte das Fauchen ihrer Padrona. Im nächsten Moment sah sie aus dem Augenwinkel, wie der blonde Hüne mit einem lauten Krachen auf die schwere Eichentür knallte. Erschrocken drehte sie sich um, und sah... eine Frau die zwar aussah wie ihre geliebte Padrona, aber in deren Augen etwas loderte, das völlig fremd war. Sie sah die spitzen Zähne und die unendliche Wut in ihren Augen. Und sie wußte instinktiv, dass es für sie in diesem Moment weder Freund noch Feind gab. Ängstlich zog sie sich in Richtung Tür zurück. Es sah aus, als wolle Avelina jeden Moment vorpreschen, und als hielte sie sich selbst noch mühsam davon ab.

Bernardo hatte sich unterdessen wohl vom ersten Schrecken erholt, und schien eher praktisch veranlagt. Er schmiss das Kleid Benitas auf den Steinboden zwischen Avelina und der Tür, griff nach einer der Öllampen, und schmiss sie auf den Stoff. Sogleich machten sich die Flammen hungring über die Fetzen her, und Bernardo packte die Hand des Mädchens und zog sie mit sich aus dem Zimmer, um die Tür von außen mit allen Mitteln zu verriegeln. In diesem Moment wurde Benita allmählich bewußt, wieso alle Türen in diesem Hause derart mit eisernen Riegeln gesichert waren.
„Hilf mir... die Truhe...“ er deutete auf die schwere Eichentruhe an der Wand und kurze Zeit später stand das massive Hinderniss am gewünschten Platz.
Von innen drang unterdessen kein Geräusch, aber der Hüne schien weiter wachsam.

„Was... ist passiert?“ stammelte sie schließlich ängstlich.
Sein Blick ging zu Benita und er brummte. Zumindest schien ihn der Schreck wieder ins Hier und Jetzt geholt zu haben. Er wirkte wesentlich ruhiger als noch vor wenigen Momenten... und wesentlich versöhnlicher.
„Du kommst erstmal mit. Brauchst was zum überziehen...“
Sie verengte die Augen und trat einen Schritt zurück, misstrauisch. Doch für Bernardo war es ein leichtes sie abermals hochzuheben, diesmal jedoch weitaus sanfter, und sie in die Küche zu tragen.
Dort setzte er sie vorsichtig auf einem Stuhl ab, und klopfte leise an die Tür von Sophias Gemach, das sich gleich daneben befand.
Es dauerte einen Moment, doch die Magd erschien irgendwann mit einem verschlafenen Gesichtsausdruck im Türrahmen, wurde aber schlagartig wach, als sie Benita erblickte.
„Bei den Göttern, was ist passiert?“
„Hab mich vergessen. Kannst du die Kleine zusammenflicken, ihr was zum anziehen geben?“
Sophias Blick landete streng und äußerst anklagend auf Bernardo.
„Tut mir leid...“ nuschelte er, und sah schließlich auch zu Benita, „...wollt dir nicht wehtun, Kleine. Hatte mich nicht unter Kontrolle.“
Benita schwieg dazu, und wischte sich die Tränen von den Wangen.
„Weiß Avelina davon?“ hakte Sophia prüfend nach.
Bernardo starrte auf die gegenüberliegende Wand, die Stimme düster und tatsächlich besorgt.
„Hat die Fassung verloren und wollte auf uns los. Hab gerade noch ihr Kleid verbrennen können, damit wir raus kamen. Hoffe die Tür hält das aus, sobald das Feuer aus ist.“
Sophia weitete die Augen.
„Sie hat einen... Anfall?“ ein Nicken folgte und die Magd blickte ängstlich zum Gang. Dann nahm sie die Decke von den Schultern die sie um sich gewickelt hatte, und wandte sich Benita zu, den Stoff vorsichtig um sie legend. Sie schien Mitleid mit ihr zu haben, und strich ihr sanft durchs Haar.
„Das wird schon wieder, Kind...“
Mit Tränen in den Augen blickte die junge Frau zu Sophia.
„Was ist mit der Padrona? Was für einen Anfall hat sie? Ist sie krank?“
Die Magd lächelte schwach.
„Nein, keine Sorge, sie ist nicht krank... sie ist tot, hm? Du solltest dir mehr Sorgen um dich selbst machen.“ sie seufzte und holte dabei einen Tiegel aus dem Schrank, sowie ein paar saubere Tücher, „Die Unsterblichkeit kommt mit einem hohen Preis, κορίτσι. Einen davon hast du heute gesehen. Das ist der Grund warum man die Padrona nicht wütend macht.“ ein strafender Seitenblick traf bei diesen Worten Bernardo, bevor sie sich daran machte die Wunde Benitas zu versorgen, „Es kann nicht nur für jeden anderen in diesem Hause tödlich sein. Es tut ihr nicht gut.“
„Ich... ich mach's wieder gut...“ murmelte sie leise und Schuldbewußt.
Sophia schmunzelte.
„Daran habe ich keinen Zweifel.“ ihr Blick traf nochmals Bernardo, der inzwischen reichlich geknickt auf dem Stuhl saß. Auch Benita schielte hinüber, und hinter ihrer Stirn schien es zu arbeiten.
Als ihre Wunde schließlich versorgt war, erhob sie sich, und ging um den Tisch herum. Die Decke hielt sie mit einer Hand an ihren Körper gepresst, die andere streckte sie dem Hünen entgegen.
„Können wir Freunde sein? Ich weiß, dass ich nicht ganz unschuldig bin an dem was passiert ist...“ Bernardo blinzelte irritiert und starrte auf die Hand, „Wir... könnten es wenigstens versuchen.. ihr zuliebe?“ fügte sie vorsichtig an.
Wieder kam nur ein Brummen von dem Hünen, doch er nickte, und packte kurz die Hand des Mädchens.


Die Stunden vergingen. Sie warteten. Es waren reichlich schweigsame Stunden, und jeder schien in seine eigenen Gedanken vertieft. Hin und wieder zuckten sie zusammen, wenn ein Schrei an ihre Ohren drang, oder ein anderes, lautes Geräusch, das davon sprach, was Avelina gerade durchmachte. Zumindest schien die Tür es für den Moment auszuhalten.
Zwar hatte jeder eine Vorstellung davon, was in dem Zimmer unterdessen vor sich ging, doch was wirklich geschah... nun, das wußte wohl nur die Padrona. Wenngleich sie sich an kaum etwas würde erinnern können.
Sophia seufzte schließlich, und erhob sich. Sie holte einen Krug aus dem Regal, und stellte ihn auf den Tisch. Dann griff sie zu einem besonders scharfen Messer, und zog es über ihr Handgelenk, das Blut in den Krug laufen lassend.
Benitas Augen wurden groß.
„Was tust du?“
„Sie wird durstig sein. Es ist zu gefährlich sie nur von euch Mädchen trinken zu lassen.“
„Aber das tut sie doch sonst auch...?“
„Ja, aber dann weiß sie auch, wann sie aufhören muss.“ sie reichte Bernardo das Messer, der seinerseits das gleiche tat, und zog die Hand zurück. Staunend beobachtete Benita, wie sich die Wunde schloss.
„Wieso könnt ihr das? Seid ihr wie sie?“
„Nein, κορίτσι. Aber das wirst du alles eines Tages erfahren. Oder glaubst du wirklich sie würde zulassen, dass du vor ihren Augen eine alte Frau wirst?“ Sophia schmunzelte.
Die junge Frau blinzelte. Und irgendwie hatten Sophias Worte etwas unglaublich beruhigendes in diesem Moment.
„Nun, wir sollten nach ihr sehen. Ich denke sie wird sich beruhigt haben.“
Nachdem auch Bernardo seinen Teil beigetragen hatte um den schlimmsten Durst der Padrona zu löschen, packte Sophia den Krug und ging voraus.
„Ihr haltet euch lieber im Hintergrund, bevor sie gleich wieder einen Grund hat zornig zu werden.“


Vorsichtig betrat die Magd das Zimmer und ließ den Blick schweifen. Das Kleid vor der Tür war zu einem Haufen Asche verbrannt, sonstige Stoffe hingen teils in Fetzen von der Decke, oder lagen auf dem Boden. Tischchen und Kommoden waren verschoben oder umgeschmissen.... es herrschte Chaos. Und inmitten dieses Chaos saß Avelina auf dem Bett, eine Decke um sich gewickelt und weiß wie Marmor. Selbst die Lippen waren Farblos. Ihre Wangen schienen eingefallen, und dunkle Ränder lagen unter ihren Augen. Benita hielt erschrocken die Luft an.
Sophia hingegen lächelte sanft, und näherte sich ihr scheinbar furchtlos. Wortlos setzte sie sich neben ihr aufs Bett und reichte ihr den Krug.
Ein wenig aphatisch wirkte Avelina, doch nach einigen Momenten griff sie nach dem Gefäß, und begann zu trinken.
Fasziniert beobachtete die junge Frau wie nach und nach wieder Leben in ihre Padrona kam, wie ihr Blick klarer wurde und wie er schließlich in Richtung Tür ging. Kurz zogen sich die Brauen der Toreador zusammen, doch dann neigte sie den Kopf zur Seite, als sie bemerkte, dass Bernardo und sie einträchtig nebeneinander standen.
Bernardo war der erste der reagierte. Er betrat den Raum und kniete neben dem Bett nieder, den Kopf gesenkt.
„Verschwinde, Bernardo.“ kam es nur leise und müde von der Padrona.
„Natürlich... es tut mir leid, Avelina. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist...“
„Aber ich weiß es. Ich habe es oft genug erlebt. Geh bitte. Wir reden morgen.“
Bernardo nickte und trat den Rückzug an.
Sophia machte sich unterdessen daran eilig im Raum ein wenig Ordnung zu schaffen, nur Benita stand unschlüssig in der Tür – zumindest so lange, bis Sophia ihr mit einer undeutlichen Geste zu verstehen gab zum Bett zu gehen. Sie schluckte und kam schließlich zögerlich näher.

Avelinas Blick wanderte prüfend über sie, besorgt, als sie die Wunde an der Lippe bemerkte.
„Komm her...“ sagte sie schließlich leise, und die junge Frau krabbelte über das Bett zu ihrer Herrin, „Das tut sicher weh...“
Benita schüttelte den Kopf.
„Nein, Padrona, es geht schon... wir... haben geredet. Es... tut ihm leid. Und mir auch. Ich wollte nicht... es war meine Schuld...“
„Schhhh... hör auf dich zu entschuldigen.“ sie öffnete einen Arm, damit sich Benita an sie lehnen konnte, und verbrachte die nächsten Minuten damit schweigend Sophia zuzusehen. Das Zimmer war schon fast wieder in Ordnung, bevor Avelina die Magd leise ansprach.
„Sophia? Das reicht für diese Nacht. Komm her.“ die drahtige Frau neigte sacht den Kopf und kam näher, und es war tatsächlich ein Lächeln auf den Lippen der Rose, „Danke. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde.“ sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Irgendwer muss ja auf dich aufpassen.“ mit einem Schmunzeln auf den Lippen verließ sie den Raum und ließ die beiden wieder alleine zurück.

„Was ist passiert, nachdem ich...? Hat er dich angefasst? Zu etwas gezwungen?“ ihre Stimme war leise, ernst und und sie ließ darauf schließen, dass sie sich innerlich auf alles gefasst gemacht hatte.
„Was? Nein... nein! Nichts dergleichen. Er hatte sich einfach für einen kurzen Moment vergessen. Er hat mich zu Sophia gebracht.“
Avelina schloss die Augen und Erleichterung war auf ihren Zügen zu sehen.
„Avelina?“ Benita hatte sofort ihre Aufmerksamkeit. Es kam immer noch reichlich selten vor, dass sie sie beim Namen ansprach. Und ehe sie sich's versah, hatte sie die Lippen ihres Schützlings wieder auf dem Mund. Irritiert löste sie sich und starrte auf die Wunde. Doch die junge Frau schien
sich nicht lösen zu wollen, schmiegte sich enger an sie und reckte den Hals, so dass dieser direkt vor den Augen der Toreador war.
„Benita... was.. wird das?“
„Du bist immer noch durstig, oder?“
Die Rose lächelte sacht, und griff vorsichtig nach der Decke in die Benita gewickelt war. Mit spitzen Fingern schob sie sie von ihren Schultern und begutachtete ihre Haut.
„Das wird blaue Flecken geben...“ meinte sie leise, „Blutergüsse teilweise. Und du hast nichts besseres zu tun, als mir anzubieten von dir zu trinken?“
Der Mundwinkel der jungen Frau wanderte in die Höhe.
„Es war ein sehr schöner Abend, bis ich... Mist gebaut habe. Ich will nur wieder daran anknüpfen.“
Ksksks... Was ist das denn für eine Sprache?“ sie schmunzelte, „Dennoch bin ich der Meinung du solltest dich schonen.“
Benitas Hand wanderte zu dem Laken in das sich Avelina eingehüllt hatte, und begann sie von dem lästigen Stoff zu befreien.
„Das versuche ich gerade. Mich zu entspannen... Ich habe gehört... es gibt einige sehr entspannende Dinge...“
Wieder fielen die Augen der Rose zu, als die Hand ihrer Geliebten sich unter das Laken schob und sich auf ihre Brust legte.
„Ich... sollte dir das verbieten... Du warst heute sehr unartig...“ erwiederte sie mit leicht zittriger Stimme und wenig überzeugend.
„Dann sollte ich mich anstrengen dir das auszureden.“ sie war forsch, und das musste sie auch, davon war sie überzeugt. Wenn sie jetzt nichts riskierte, dann würde ihre Padrona sich wieder verschließen und es würde sich erneut eine Kluft zwischen ihnen auftun. So weit würde sie es nicht kommen lassen.


Avelina

Sie konnte nicht anders, als es zulassen – alles was Benita tat. Sie genoß die warme Haut auf der ihren, die warmen Lippen, die in ihren Augen magisch sein mussten, denn sie schienen ihr das zu bringen, wonach sie sich so schrecklich verzehrte: Leben. Sicher war es eine Illusion, aber eine Illusion die sich echt anfühlte.
Natürlich spürte sie noch immer den Hunger, nach ihrer Raserei schlimmer als zuvor... und doch
konnte sie nicht verhindern einen Teil dieses wertvollen Blutes darauf zu verwenden ihrem Körper wieder den Anschein von Leben zu geben, Benita zuliebe, sich selbst zuliebe. Jede Faser schien empfindlicher zu werden, empfänglicher für die Liebkosungen ihrer Geliebten, und überall schienen ihre Finger zu sein.
Und mit den Berührungen der schwarzhaarigen Schönheit, wich auch ihre Zurückhaltung nach und nach und sie gab sich dem Rausch hin, der ihr das Leben näher brachte, als andere – bis sie fast glaubte ihr eigenes Herz würde wieder schlagen. Sie hatte vergessen wie es war, wie es sein konnte... wußte sie es überhaupt jemals? Es war nur etwas, was zur Perfektion fehlte... und so hielt sie sich auch nicht länger zurück, als Benita abermals den schlanken Hals an ihre Lippen schmiegte. Zärtlich aber verlangend schlug sie die Fänge in die zarte Haut, kurz bevor der Leib auf ihr mit einem erlösten Aufstöhnen erzitterte.

Minuten verstrichen, in denen die beiden Frauen aufeinander lagen, in denen Avelina dem langsam ruhiger werdenden Atem lauschte, dem trommelnden Herz, dass nur allmählich wieder zu einem gesunden Rhythmus fand. Prüfend und mit leichter Sorge blickte sie Benita an. Sie war durstig gewesen.
„Du wirst die nächsten Tage im Bett bleiben.“ meinte sie leise, „Ich habe mehr von dir getrunken, als ich es normalerweise tue.“
Etwas unkoordiniert tastete sich eine kraftlose Hand nach oben, und legte sich über ihren Mund.
„Mier jehds jut....“ nuschelte die junge Frau und Avelina konnte nicht anders als lächeln. In dieser Nacht war sie es, die darüber wachte wie ihre junge Geliebte einschlief.


Bernardo

Er hatte seinen Umhang gepackt und war in die Nacht geeilt. Er brauchte frische Luft. Das alles hatte die Situation nicht verbessert, im Gegenteil. Es hatte ihn um Jahre zurück geworfen. Es war in ihm, er wurde es nicht los. Egal was er tat.
Er wußte was Recht und was Unrecht war. Damals, bevor Avelina sich veränderte, da hatte er keinen Gedanken auf derartiges verschwendet. Er war rücksichtslos gewesen. Er war der Viscont von Varese, und jeder sollte wissen, dass man sein Eigentum nicht zu begehren hatte. Die junge Avelina war Teil dieses Eigentums gewesen. So unbegeistert er damals von einer Hochzeit war... nachdem er das erste mal einen Blick auf sie geworfen hatte, war er der Überzeugung sie sei die hübscheste Frau, die er jemals gesehen hat. Und sie war seine Frau. Ah, aber es waren noch andere Qualitäten die sie ausmachten. Sie war nicht wie die dummen Puten, die man ihm in seiner Jugend reihenweise vorgestellt hatte. Ihr Vater, der alte Narr, hatte ihr viel zu viele Freiheiten gelassen. Sie war störrisch, selbstbewußt, freiheitsliebend, wie eine wilde Stute. Sie war keine Frau, die damit zufrieden war den ganzen Tag bei ihrer Stickerei in der Stube zu sitzen. Aber gerade das hatte ihn fasziniert.
Doch er musste nicht um sie werben, musste ihr nicht gefallen, sie war eh sein. Und er mochte sie wie sie war. Doch ohne es zu wollen hatte er sie gezähmt, sie in ihren goldenen Käfig gesperrt und ihren Willen gebrochen. Und das hatte ihn nur noch zorniger werden lassen.

Dann veränderte sich alles. So ungern er sich das eingestand, es war gut so. In dieser Nacht damals... er war betrunken gewesen, zornig. Sie war wieder zu den Priestern gegangen, hatte Hilfe gesucht. Hilfe vor ihm, ihrem eigenen Ehemann. Und er wußte doch wie der miese Pfaffe sie ansah. Am liebsten hätte er sie in den Beichtstuhl gezogen und selbst Hand angelegt. Und womöglich hatte er das sogar. Aber der arme Irre war zu ihm gekommen und hatte ihm berichtet, dass Aveline – der Name bei dem sie damals gerufen wurde - bei ihm war. Dass er wüßte, dass ihn keine Schuld träfe, verkörperte sie doch die Sünde. Doch dass er zusehen müsse, sie im Zaum zu halten.
Das alles hatte ihn so wütend gemacht! Er hatte ein Zeichen gesetzt... doch dieses Zeichen wurde nie gefunden. Der tote Priester im Beichtstuhl verschwand auf mysteriöse Weise, genau wie in jener Nacht der alte Viscont Bernardo di Braida verschwand, und zu etwas anderem wurde...

Und seither hatte er sich geschworen das beste für sie zu tun. Sie war nicht mehr sein Eigentum, er hatte keine Macht mehr über sie. Sie hatten diesbezüglich die Plätze getauscht. Und das erste mal in ihrer Ehe wurde ihm bewußt, dass er sie dazu gebracht hatte ihn zu hassen. Im gleichen Moment erinnerte er sich daran, was es hieß zu lieben. Er konnte nicht ungeschehen machen, was er ihr fünf lange Jahre angetan hatte, doch es verging keine Nacht mehr, in der er nicht bereute und versuchte ihre Gunst zu erlangen. Und er hatte es so weit geschafft...
Er steuerte den Hafen an. Er musste einen freien Kopf bekommen, und das funktionierte am besten, wenn er seinen Faustabdruck auf der Nase irgendeines Schlägers verewigen konnte.
Er steuerte den Hafen an. Er musste einen freien Kopf bekommen, und das funktionierte am besten, wenn er seinen Faustabdruck auf der Nase irgendeines Schlägers verewigen konnte. Dann wäre er zumindest vielleicht entspannt, wenn er in der morgigen Nacht das Gespräch mit seiner Padrona hätte.
"Die Natur lehrt Miteinander. Ohne Dornen wären die Rosen hilflos, ohne Rosen die Dornen trostlos…" KarlHeinz Karius (*1935)
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Re: ...μέσαι δὲ νύκτες [Fluff, Avelina]

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Pythias Erbe

Genua, 1766 Anno Urbis Conditæ (1013 AD), Villa dei Fiori Rossi

Es war ihr viertes Jahr in Genua. Inzwischen durfte sie sich in der Stadt nähren, was zumindest ein Schritt in die richtige Richtung war. Alles andere schien vergebene Liebesmüh. Sie trat auf der Stelle, und langsam fragte sie sich, ob dies alles die Mühe wert war. Ob es nicht lohnenswerter war, sich in irgendeiner größeren Stadt als unwichtige, junge, und kaum zu berücksichtigende Toreador abzusetzen und sich irgendeiner Ältesten der Rosen zu unterstellen. Oder zurück nach Varese? Sarina würde kaum Zweifel daran haben, dass Genua ein zu gefährliches Pflaster war. Die Menschlichkeit schien in dieser Stadt jeglichen Stellenwert verloren zu haben, und außer ihr konnte man die Kainiten die diesem Weg noch folgten wohl an einer Hand abzählen, wenn überhaupt.
Sie blickte zu ihrem Gegenüber. Benita schien noch schöner geworden zu sein in den letzten Jahren. Die jugendlichen Züge wandelten sich zusehends, sie war weiblicher geworden, die Form ihrer Wangen charakteristischer. Ein Jahr vielleicht noch, dann würde sie ihr das versprochene Blutsband geben. Inzwischen glaubte sie nicht, dass es viel verändern würde. Seit jenem Vorfall mit Bernardo war Benita ein fester Bestandteil ihrer Nächte, und es verging kein Morgen, an dem sie nicht in ihrem Bett lag und über ihre Padrona wachte, während diese in jenen Schlaf fiel, der so sehr dem Tod ähnelte. Allein ihre Sicherheit war es wert diese Stadt zu verlassen...

„Ich bin mir sicher. Was soll schon passieren? Sophia ist da, Bernardo ist da...“ Benita hatte den für sie so typischen Optimismus nicht verloren.
„Wir sprechen hier nicht von einer Karaffe mit Wein. Dieser Rausch ist ein ganz anderer. Glaubst du ich kann auf dich verzichten, wenn dir irgendetwas passieren sollte?“
Die junge Frau sah sie mit dem Ausdruck an, der besagte, dass sie sich wieder einmal viel zu viele Sorgen machte.
„Es ist süß, dass du dir Sorgen um mich machst. Aber ich bin in der Gosse aufgewachsen, schon vergessen? Ich bin hart im nehmen, dazu waren die Übungsstunden mit Amalia sehr lehrreich. Ich fühle mich der Herausforderung gewachsen, und wenn ich irgendwelche Halluzinationen habe, dann sind es vermutlich höchstens meine Wunschvorstellungen, wie du nackt durch den Garten tanzt.“ erwiderte sie mit einem breiten Grinsen.
Noch immer schafften es Benitas Worte Avelina einen verlegenen Ausdruck auf das Gesicht zu zaubern, dem nur noch die Röte der Wangen fehlte.
„Was soll schon passieren? Wir sind zuhause, Bernardo wird darauf achten, dass wir nicht das Haus verlassen, also komm schon.“ und mit diesen Worten griff sie nach einem Hölzchen, und entzündete es an einer Lampe. Instinktiv wich Avelina zurück und ließ Benita machen.
Es dauerte nicht lange und ein süßlicher, schwerer Duft breitete sich im Raum aus, ausgehend von der Räucherschale, die auf dem Tisch stand. Benita lehnte sich neugierig darüber, den Rauch tief einatmend und es war als könne man beobachten wie ihr Blick glasiger wurde, wie die Pupillen sich weiteten, und ihre Augen schwarz erschienen ließen. Mit einem leisen Kichern erhob sie sich nach einer Weile und begann zu tanzen, was die Toreador mit einem Stutzen zur Kenntnis nahm. Nichts desto trotz genoss sie den Anblick.
Sie ließ ihr die Zeit, und drohte in jener Versenkung zu verschwinden, welche man ihren Clansfluch nannte. Doch besser dies geschah hier, als unerwünschterweise in der Öffentlichkeit. Und wer konnte es ihr schon übelnehmen? Sie war stolz auf Benita, sie hatte große Fortschritte gemacht in den letzten Jahren. Sie war bedachter geworden, auch wenn sie immer noch furchtbar viel plapperte. Allerdings achtete sie darauf sich mit ihren Worten nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Sie war treu und man konnte sich auf sie verlassen, fast ebenso wie auf Sophia und das ganz ohne Blutsband. Benita hatte etwas zu verlieren, das ihr wichtiger war als alles andere: die Gunst ihrer Padrona. Und dies sorgte wahrlich für Verlässlichkeit. Und vor allem war sie eine wunderschöne, junge Frau geworden, an der sie sich schlicht nicht sattsehen konnte.

Ihr Tanz brachte sie immer näher zu Avelina und ehe sie sich versah, saß Benita auf ihrem Schoss und wurde anschmiegsam. Mit einem sanften Lächeln strich sie ihrer Geliebten über das Haar, und gab ihr einen Kuss, sich langsam über die Kieferlinie zum Hals vorarbeitend. Einen Moment hielt sie inne, ihren Duft einatmend, das sanfte Pulsieren unter der rosigen Haut beobachtend... dann schlug sie sanft die Fänge in ihren Hals, worauf Benita einen leisen, überraschten Laut von sich gab, der alsbald in Lustvolles Seufzen überging. Schon mit dem ersten Schluck bemerkte sie den hintergründigen Rausch, in den die Kräuter ihre Geliebte versetzt hatten. Wenn sie ihn schon bemerkte, wie stark musste er dann Benita getroffen haben?
So süß ihr Blut auch war, und so viel Leidenschaft der Kuss auch mit sich brachte, wenn sie von ihr trank, so hatte sie sich stets unter Kontrolle und zumeist vorher schon den schlimmsten Durst gestillt. Sie hätte es sich nie verziehen, wenn ihrer Geliebten etwas geschehen wäre. Und so ließ sie auch bald ab von ihr, was die junge Frau allerdings mit sanftem Druck gegen ihren Hinterkopf zu verhindern suchte.
„Nein, cara mia, es reicht...“ flüsterte sie leise, und schloss die Wunden zärtlich. Dann schob sie sie sanft von ihrem Schoß und setzte sich auf den Boden, in eine Art Meditationshaltung und schloss die Augen. Sie hoffte, dass die Kräuter helfen würden zu... 'sehen', sie hatte sich kundig gemacht was es brauchte um Visionen zu begünstigen, jetzt galt es das ganze zu testen. Sie wusste ihre Gabe würde ihr dabei helfen.
Benita schmiegte sich wieder an sie, bettete den Kopf auf ihrem Schoß, und sie spürte noch wie das Gewicht ihres Talismans den sie um den Hals trug auf ihre Handfläche fiel...

In diesem Moment riss der schwarze Vorhang vor ihrem geistigen Auge und schleuderte sie mit rauer Gewalt an einen anderen Ort. Obwohl sie nicht atmen musste zog sie erschrocken die Luft ein, wie eine Ertrinkende. Was sie in ihrem Geist sah, ließ sie keuchen. Sie fand sich in einer ärmlichen Hütte wieder, hörte das Summen von Fliegen, roch Blut, Tod.... Ihr Blick streifte das junge, schwarzhaarige Mädchen das dort stand, die Augen in Entsetzen geweitet. Sie starrte auf geradezu grotesk drapierte Leichen... und Avelina wusste wo sie war. Dies waren Benitas Erinnerungen, der Tag an dem sie ihre Eltern gefunden hatte. Sie kannte die Geschichte, ihre Geliebte hatte sie ihr erzählt. Doch das alles mit eigenen Augen zu sehen war weitaus schlimmer, als sie es sich in den finstersten Träumen hätte ausmalen können. Sie hörte die Stimmen der Männer die das Mädchen zurück trieben wie aus weiter Ferne. Sah, wie sie sie abschirmten, doch es war zu spät. Diese Bilder würden sich für immer in ihren Gedanken festsetzen, sie würde sie nie wieder loswerden.
Der Raum schien dunkler zu werden, die Stimmen wurden undeutlicher, wie ein leises gewispertes Echo, und plötzlich schien die Zeit rückwärts zu laufen. In immer größerer Geschwindigkeit rasten Bilder an ihrem geistigen Auge vorbei, bis sie nur mehr Schlieren sah. Und dann gefror das Bild einen kurzen Moment. Jemand in einer dunklen Kutte, der ihr den Rücken zugewandt hatte schleuderte eine blasse Männerleiche beiseite, und griff sich die Leiche der nackten Frau. Mit einer Klinge begann die Gestalt bedächtig die Haare der Frau vom Kopf zu schaben. Avelina versuchte den Blick abzuwenden. Sie wusste was kam, und sie wollte es nicht sehen. Doch dies war eine Vision, sie konnte weder die Augen schließen, noch den Kopf drehen. Unfähig irgendetwas zu tun musste sie beobachten, wie die Gestalt begann die Blutleeren Leichen zu zerteilen. Wie sie geradezu mit Hingabe und Präzession das schaurige Werk zu vollendete, was sich in Benitas Erinnerungen eingebrannt hatte.
Sie wollte nur noch, dass es aufhört, doch die Zeit schien quälend langsam zu vergehen, ließ sie jede einzelne Gräueltat überdeutlich mitverfolgen. Wäre sie keine Kainitin und ihr Körper noch lebendig, sie war sich sicher sie hätte sich übergeben müssen. 'Hör auf! Hör endlich auf damit!' schrie sie stumm in ihren Gedanken... und in diesem Moment hörte sie ein Fauchen, und die Gestalt sprang auf sie zu, als würde sie bemerken, dass sie beobachtet wurde... was doch vollkommen unmöglich war? Sie sah sich mit Fängen konfrontiert, ohne ein Gesicht erkennen zu können...

...und dann war es so plötzlich vorbei wie es begonnen hatte. Sie riss die Augen auf, und befand sich wieder in ihrer schützenden Zuflucht. Benita hatte sich aufgesetzt, die Hände auf ihre Wangen gelegt und sah sie besorgt an.
„Avelina? Was ist mit dir? Sag doch was... Ist alles in Ordnung?“
Verwirrt blickte sie ihre Geliebte an. Wirr stammelte sie ein paar Worte und blutige Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen, und fast ungestüm zog sie sie in ihre Arme.
„Benita... es tut mir so leid... es tut mir so schrecklich leid...“
Die junge Frau war mehr als nur verdutzt über den plötzlichen Gefühlsausbruch ihrer Padrona. Doch es war ihr nicht unbedingt unrecht hier in ihren Armen zu liegen. Leise versuchte sie Avelina zu beruhigen...
"Die Natur lehrt Miteinander. Ohne Dornen wären die Rosen hilflos, ohne Rosen die Dornen trostlos…" KarlHeinz Karius (*1935)
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Avelina di Braida
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Re: ...μέσαι δὲ νύκτες [Fluff, Avelina]

Beitrag von Avelina di Braida »

Ġéol – Heilige Nächte

Genua, 1767 Anno Urbis Conditæ (1014 AD), Villa dei Fiori Rossi

Die Nächte waren wieder länger geworden und Avelina genoss es in dieser Zeit des Jahres am Leben der Sterblichen teil zu haben. Die Stadt schien friedlicher als sonst, aber vielleicht lag es auch daran, dass sie mehr Zeit hatte die Dinge anzugehen, als in den kurzen Nächten des Sommers. Selbst die Besuche des immerzu plappernden Adelsmädchen aus der Nachbarschaft ließen sie entspannt zurück. Ein Gedanke nagte allerdings an ihr, jedes mal wenn sie Benita beobachtete – und das tat sie oft. Sie war nun 21 Jahre alt geworden, und es wurde Zeit das Versprechen einzuhalten, das sie ihr gegeben hatte. Es war nicht so, dass Benita darauf drängte, ganz im Gegenteil. Sie war wirklich ruhiger und gemäßigter geworden, sie hatte nicht einmal mehr danach gefragt, und das wo sie vor Jahren noch geradezu darum gebettelt hatte. Aber sie wusste, dass es immer noch ein Thema für sie war. Denn die Zeit blieb nicht stehen für sie, sie wurde älter und sie hing nach wie vor an ihrer Padrona.

Umso näher es auf die Nacht der Wintersonnenwende zuging, umso nervöser schien Benita zu werden. Und wenn sie ehrlich war, so fand Avelina durchaus ein wenig Freude daran sie zappeln zu lassen.
Dann war sie da, die längste Nacht des Jahres. Es war noch später Nachmittag, als die Toreador die Augen aufschlug, und wie immer hatte sich ihre Geliebte neben ihr eingerollt. Schmunzelnd schubste sie sie, „Zeit zum aufstehen, cara mia. Du willst doch nicht verpassen, was ich heute geplant habe, oder?“
Dieser Satz genügte, um Benita kerzengerade im Bett sitzen zu lassen, „Geplant? Was denn geplant?“ fragte sie neugierig.
„Es wäre keine Überraschung mehr, wenn ich dir alles verrate. Also husch husch! Zieh dir was hübsches an!“
Wenig später verließen sie das Haus, zusätzlich von Sophia vor die Tür gejagt, die Wert darauf legte ihren Freiraum zu haben. Dem Geruch nach zu urteilen hatte sie es sich nicht nehmen lassen für sämtliche Sterblichen des Hauses ein wahres Festmahl vorzubereiten.

Es kam nicht oft vor, dass Avelina mit Benita durch die Stadt spazierte... genaugenommen war es bisher nie vorgekommen. Sie behütete die schwarzhaarige Schönheit normalerweise wie ihren Augapfel. Lediglich Amalia und Galeno wussten überhaupt wirklich von ihrer Existenz. Auch jetzt hatte sie Bernardo dabei, für den Fall der Fälle.
In diesen Nächten hatte Genua allerdings etwas sehr friedliches an sich. Man hörte Gesänge aus den Kirchen bis auf die Straßen dringen, und hier und da boten noch ein paar Stände ihre Waren feil, bevor sie für die Nacht zusammenpackten. Durchaus noch ein wenig Zeit um ein paar Dinge zu ergattern, und so liefen die beiden Sterblichen alsbald mit einem Becher warmen Wein mit Honig und einem hellen, noch dampfenden Brotfladen mit Kräutern hinter ihrer Padrona her, die diese seltene Gelegenheit genoss, sich einem Marktbummel hinzugeben. Sie war nun mal eine Toreador, und es waren diese verschwindend seltenen Gelegenheiten, bei denen man tun konnte, als wäre man noch immer sterblich, die dem Unleben einen tieferen Sinn gaben.

So saß sie auch am späteren Abend mit am Tisch beim Festmahl und freute sich an der Ausgelassenheit der Mädchen.
Vermisste sie es wie sie zu sein? ...Vielleicht. Doch sie hatte nicht das Glück gehabt im Hause einer Padrona zu leben, sich Tagein, Tagaus mit Lyrik, Musik, Kunst und Müßiggang beschäftigen zu können. Ging es ihr jetzt nicht besser? Kein Schmerz, keine Angst davor, welche Schrecken diese Nacht wieder auf sie warten würden, wenn Er wutentbrannt, getrieben von unerklärlichem Zorn und unbegründeter Eifersucht auf ihr Zimmer kam...
Kurz haftete ihr Blick auf ihm. Sie hatte ihm vergeben? Ja, vermutlich. Was war der Preis gewesen? Ein Leben ohne das Licht der Sonne. Das war verschmerzbar. Auch schaffte sie es ihre Menschlichkeit so weit zu bewahren, dass sie fähig war etwas zu fühlen. Nicht zuletzt halfen ihr die Mädchen weiterhin zu fühlen. Und doch, es gab etwas, das sie bedrückte, einengte. Etwas, das erst hier in Genua so überdeutlich geworden war. Es waren die anderen, die ihr Spiel trieben. Die Älteren, die sie als Spielfigur in ihrer schier endlosen Partie Schach nutzten. Die anderen Neugeborenen, die alle schon derart paranoid waren, dass sie sich gegenseitig in einem Nerven zermürbenden Kleinkrieg befanden. Und das Tier, das ständig lauernd in ihrem Nacken saß und darauf wartete, dass sie die Beherrschung, ihre Disziplin vergaß. Sei es aus Zorn, Angst oder Hunger... und der letztere war das schlimmste in Genua. Wann hatte sie das letzte mal so viel Blut getrunken, dass sie nicht das Gefühl hatte sich zügeln zu müssen? Es war zu lange her.

„Avelina?“ die Stimme drang wie aus weiter Ferne an ihre Ohren, „Avelina?“ blinzelnd fand sie wieder ins Hier und Jetzt und Sophia lächelte sie an, „Wir werden jetzt das Feuer entzünden. Kommst du?“
„Ja... natürlich...“ sie schenkte ihrer alten Freundin ebenfalls ein Lächeln und folgte den Mädchen in den Garten. Den alten Brauch des Feuers, das die Nacht durch brennen sollte, ließen sie sich nicht entgehen. Natürlich etwas, von dem sie Abstand halten musste. Wieder etwas, was das Tier hervorlocken konnte... das Feuer.
„Komm mit Padrona! Komm mit zum Feuer.“ rief Lucrezia aufmunternd, doch Benita stellte sich schützend vor sie.
„Lass sie, Lucrezia.“
„Was ist mit dir, Avelina?“ wandte sich Lucrezia wieder direkt an sie, „Du hast auch nicht gegessen. Ist alles in Ordnung?“
Als Benita schon wieder den Mund öffnete um zu antworten lächelte Avelina milde, und legte die Hand auf die Schulter ihrer Geliebten, „Wir haben in der Stadt schon gegessen. Und glaubst du meine Figur hält man, indem man so viel isst? Das Feuer betrachte ich lieber von hier, bevor der Funkenflug meine guten Kleider ruiniert. Und jetzt geh zu den anderen.“
Benita sah sie Stirnrunzelnd an, als die Rothaarige sich zufrieden von Dannen machte, „Verdammt du bist gut.“ meinte sie schmunzelnd, „Allerdings lässt dich das ziemlich arrogant wirken. Ha! Ich hab dich durchschaut! Du bist in Wahrheit gar nicht so! Du lässt sie nur alle denken du bist so, um ihnen nicht die Wahrheit sagen zu müssen!“
Avelinas Braue schnellte in die Höhe, „Still jetzt, sonst leg ich dich übers Knie. Dann werden wir sehen wie oft ich Scherze mache.“
Ihre Geliebte musterte sie abschätzend mit einem vorsichtigen Lächeln auf den Lippen. Sie war sich wohl wirklich nicht ganz sicher ob ihre Padrona es ernst meinte, oder scherzte.
Dann allerdings lenkte das Feuer die Aufmerksamkeit auf sich. Bernardo hatte es geschafft eine kleine Flammensäule in den Himmel schießen zu lassen. Die Mädchen vorne kreischten, lachten und hatten für's erste mit sich zu tun, während Benita und ihre Padrona im Schatten standen, und sich Avelinas Arm wie von Selbst um die Hüften ihrer Geliebten legte, die sich auch sogleich an sie schmiegte. In Gedanken versunken schauten sie zu den Flammen, das neue Jahr auf ihre Weise begrüßend.
„Benita?“ meinte Avelina irgendwann leise, „Dreh dich um.“ Stirnrunzelnd folgte sie der Aufforderung, und griff sich verwundert an die Brust, als ihre Padrona ihr eine Kette mit einem silbernen Amulett um den Hals legte. Es war ein halbmondförmiger Anhänger, auf dem sich zwei Rosen umschlangen. Benita drehte sich um und strahlte sie förmlich an, ihr einen übermütigen Kuss gebend.
„Ist ja gut, ist ja gut... und jetzt geh dich ein wenig mit den anderen amüsieren. Trink etwas, und schick mir Melisande her, ja?“ das wiederum schien Benita ein wenig zu verstören, oder zumindest ihren Übermut verschwinden zu lassen. Leicht geknickt ging sie zu den anderen, und tat wie ihr geheißen. Doch sie würde schon noch verstehen. Avelina hatte die Mädchen geschont und war seit Wochen regelmäßig und ausgiebig auf die Jagd gegangen. Und das aus einem guten Grund. Jetzt zog sie Melisande zu sich heran und wechselte ein paar Worte mit ihr. Aus der Ferne mochte dies recht innig aussehen. Es dauerte vielleicht eine halbe Stunde und die junge, weißblonde Frau kam etwas erschöpft wirkend wieder zum Feuer. Sie bekam sofort einen Becher süßen Met von Sophia gereicht. Als nächstes verschwand Carima in Richtung Avelina und die alte leichte Eifersucht kam wieder in Benita auf. Ausgerechnet in dieser Nacht des Jahres, nachdem sie ihr ein Geschenk gemacht hatte, trank sie von den anderen aber nicht von ihr? Von den dummen Gänsen, die noch nicht einmal wussten was wirklich los war? Missmutig entfernte sie sich vom Feuer und ging hinein.

Sophia schritt zu ihrer Freundin und setzte sich neben sie, als diese noch die Fänge in Carimas Hals hatte, und das Mädchen leise seufzte unter dem Biss.
„Benita ist rein gegangen. Das Temperament ist wohl wieder mit ihr durchgegangen, auch wenn sie das inzwischen gut verbergen kann.“
Avelina löste sich und schloss die Wunden an Carimas Hals, das Mädchen im Arm behaltend.
„Ja, ich habe sie gesehen. Ich werde mich gleich um sie kümmern. Sie muss lernen Geduld zu haben.“
Sophia lachte leise, „Wir sprechen von Benita. Ich glaube Geduld wird sie niemals wirklich haben. Geh schon, ich kümmere mich um Carima.“ und mit diesen Worten zog Sophia das Mädchen an sich.
Avelina fand ihre Geliebte im Schlafzimmer, die Arme hinter dem Kopf verschränkt auf dem Bett liegend, und an die Decke blickend und die Finger über den silbernen Anhänger gleiten lassend, den sie ihr geschenkt hatte. Zunächst Wortlos ließ sie sich neben sie aufs Bett gleiten, und begann dann sanft über ihren Bauch zu streichen. Erst nach einer Weile sprach sie sie leise an.
„Nach all den Jahren hast du es immer noch nicht verstanden, oder? Ich brauche ihr Blut. Natürlich habe ich sie gerne, natürlich bereitet es ihnen Freude. Und ja, es bereitet auch mir Freude, wenn ich von ihnen trinke. Aber du... du bist so viel wichtiger...“
Benita presste die Lippen aufeinander und nickte leicht, „Ja... ja das weiß ich doch...“ murmelte sie ein wenig verlegen.
„Komm, setz dich auf.“ sie zog ihre Geliebte mit in eine sitzende Position auf dem Bett.
„Danke für das Geschenk...“ meinte sie kleinlaut, „...Es ist wunderschön.“
Avelina lachte leise, „Das war nicht das Geschenk, das war nur ein Symbol dafür, dass du fest zu dieser Familie gehörst.“
Irritiert sah Benita sie an und die Augen wurden größer, als Avelina ihren eigenen Unterarm zum Mund hob, und die Fänge in ihr Handgelenk schlug. Schließlich hielt sie ihr den Arm hin.
„Wenn du das immer noch willst... dann trink.“
Das ließ sich die junge Frau nicht zweimal sagen. So lange hatte sie darauf gewartet... sie hatte schon vor Jahren mit Amalia darüber gesprochen. Etwas ungeschickt legte sie die Lippen an die Wunde und begann zu trinken... nur um sich erschrocken einen Moment später zu lösen und das Gesicht zu verziehen.
Avelina musste lachen.
„Schmeckt nicht so gut, hm? Nun... es ist Blut. Es wird besser, zumindest wenn man Sophia und Bernardo glauben schenken mag.“ sie lehnte sich vor und leckte ihr das eigene Blut von den Lippen, „Nun, du... musst allerdings mehr trinken, wenn es wirken soll.“
„Das... war nur... ich hab ja noch nie... ich hatte etwas anderes erwartet.“ und damit griff sie wieder nach dem Handgelenk und versuchte einen zweiten Ansatz. Diesmal schien sie entschlossener und nach den ersten beiden Schlucken wurde sie fast gieriger... andererseits wollte sie es vielleicht auch nur schnell hinter sich bringen.
Irgendwann zog Avelina den Arm weg, und verschloss den Biss.
„Ich fühle mich nicht anders.“ meinte Benita fast etwas enttäuscht.
„Das wirst du, cara mia, das wirst du. Und noch sind wir nicht fertig. Du musst zwei weitere Nächte von mir trinken. Was glaubst du warum ich die Mädchen so geschont habe?“
Da war wieder das für sie übliche Grinsen auf ihrem Gesicht und sie setzte sich hellwach im Bett auf, „Vielleicht merke ich doch was... ich fühle mich großartig. Ich könnte Bäume ausreißen! Lass uns etwas machen! Wir könnten spazieren gehen. Oder tanzen!“
Sie bekam einen skeptischen Blick von Avelina, „Nun... ich denke es ist besser wir bleiben hier diese Nacht.“
Doch da zog sie Benita schon hinter sich her in den Garten.

Die restliche Nacht wurde gefeiert. Es dauerte nicht lange und Benita tanzte fröhlich mit den anderen im Garten herum, scheinbar ohne dass ihr die Energie ausging. Ein paar mal wirbelte sie sogar Avelina herum, die nur halb begeistert schien. Am Rande standen Sophia und Bernardo und besahen sich das Schauspiel.
„Sie wusste dass es anstrengend wird.“ meinte Sophia Kopfschüttelnd.
„Es war eine dumme Idee.“ war Bernardos Kommentar, wofür er einen Klapps auf die Schulter von Sophia erntete.
„Sie gehört zu uns, besser du gewöhnst dich daran.“
„Ja, aber wir müssen sie hüten, und schau sie dir an. Schlimmer als ein Haufen Flöhe. Sie hätte lieber ein paar Hundewelpen gefüttert.“
„Schluss jetzt. Du wirst dich an sie gewöhnen müssen, das weißt du doch schon seit ein paar Jahren. Und ich hatte den Eindruck du verstehst dich inzwischen ganz gut mit ihr.“
Kurz zuckte Bernados Mundwinkel, doch er sagte nichts weiter dazu...

Die restliche Nacht war durchaus anstrengend für Avelina gewesen. Benita schien nicht ruhiger zu werden, und selbst als sie sie endlich ins Zimmer gebracht hatte, war sie noch lange nicht erschöpft. Irgendwann gab die Toreador einfach auf und ließ ihre Geliebte machen. Was durchaus in einer vergnüglichen Restnacht endete.
In der zweiten Nacht hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes 'Blut geleckt' und hing gierig an Avelinas Arm, so dass sie schließlich ein wenig deutlicher werden musste. Auch diese Nacht schien sie keine Ruhe zu finden.
Schließlich kam die dritte Nacht und Avelina erwachte mit einem leichten Kitzeln am Hals. Irritiert schlug sie die Augen auf.
„Mh... guten Abend.“ tönte es von ihrem Hals her, an dem Benita gerade sanft knabberte.
„Benita? Was zum...“ sie kicherte leise, „Was machst du da?“
„Wenn ich könnte zubeißen... aber das ist ein Nachteil, mir fehlen die Zähne...“
Mit ernstem Blick setzte sich Avelina auf und sah ihre Geliebte forschend an. Sie war nicht der erste sterbliche Diener, den sie erschuf. Doch sowohl Bernardo, als auch Sophia hatten völlig anders auf ihr Blut reagiert. Kurz zeichnete sich Sorge auf ihren Zügen ab.
Doch Benita lachte nur leise.
„Jetzt schau nicht so. Das war... ein Scherz.“
Für diesen winzigen Moment kam ihr der Gedanke, dass sie Benita die dritte Nacht mit ihrem Blut verwehren sollte. Doch da kuschelte sich ihre Geliebte an sie und sie wurde schwach. Und sie musste es sich eingestehen, der Gedanke die Nächte irgendwann ohne sie verbringen zu müssen war unerträglich. Es gab nur diesen Weg. Kurzentschlossen griff sie nach dem Dolch, der immer auf dem Tischchen neben dem Bett lag, und ließ die Klinge einmal seitlich über ihren Hals gleiten. Kein großer Schnitt, doch genug damit die Vitae in großen Tropfen aus der Wunde zu fließen begann.
Benita war im ersten Moment durchaus schockiert, sie hatte damit gerechnet, dass Avelina sich wieder in den Arm beißen würde. Doch inzwischen hatte sich eine gewisse Gier nach dem rotem Lebenssaft in ihr breitgemacht, die Vitae ihrer Padrona hatte begonnen süß und verführerisch zu schmecken. Und so starrte sie bald auf die Wunde und leckte sich instinktiv über die Lippen.
„Trink.“ flüsterte Avelina nur leise, und Benita vergaß ihre Zurückhaltung. Sie schien keinen Tropfen verschwenden zu wollen und es dauerte nicht lange, da wurde der Toreador bewusst, dass ihr eigener Hunger sie übermannen würde, wenn Benita nicht aufhörte.
„Das reicht...“ begann sie vorsichtig, „...Bitte hör auf jetzt....“ versuchte sie einen zweiten Ansatz, doch die junge Frau schien ihr gar nicht zuzuhören. Schließlich entzog sie sich mit einer schnellen Bewegung und es klang jetzt durchaus wie ein Befehl, als sie mit ausgefahrenen Fängen donnerte, „Ich sagte es reicht!“
Erst jetzt schien Benita wieder aus ihrem Rausch zu erwachen und senkte schuldbewusst den Blick.
„Es.... tut mir leid... ich weiß nicht was.... es tut mir schrecklich leid...“
Auch Avelina brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Schließlich verschloss sie die Wunde und nickte sacht, ihre Züge entspannten sich.
„Ist schon gut... schon gut... Und jetzt komm her... diese Nacht gehört uns. Nur uns.“ wenig später lag auch wieder ein warmes Lächeln auf ihren Zügen. Es war vollbracht. Ihre kleine Familie zählte einen Kopf mehr. Und in der folgenden Nacht, als die Christen die Geburt ihres Jesuskindes feierten, feierte man im Kreise der engsten Familie in der Villa di Fiori die Wiedergeburt ihrer Geliebten in ihrem Blute. Eines schien sicher: mit Benita würde es nicht langweilig werden. Sie war anders, etwas ganz besonderes.
"Die Natur lehrt Miteinander. Ohne Dornen wären die Rosen hilflos, ohne Rosen die Dornen trostlos…" KarlHeinz Karius (*1935)
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