Auch der Ravnos Boten würden an besagtem Ort eintreffen und ein Pergament überreichen, das intensiv nach den Schönheiten Konstantinopels duftete und von einer Qualität war, die man dem Blute aus den Gossen so kaum zugetraut hätte.
Sorgsam war darauf geschrieben worden, wie um mit den Worten noch die bezaubernde Gestalt der Absenderin noch einmal zu umzeichnen:
Verehrter Brimir Böggvisson, Ancilla vom Clan des Tieres,
Ältester seines Blutes,
Blutvogt von Genua,
Mondsenator von Luccoli, Macelli, Borgio Incrociati, Borgio di Bisagno, Vegoli und Zinestedo
erster Wächter des Elysiums
Kind von Böggvir 'Bärenklaue' Olafson,
Kind von Espen 'Sturmrufer' Kjellsson aus Seeland, Ahn,
Kind von Wetzel 'Klingenwind',
Kind von Manasco,
Kind von 'Panaka', Ahnherrin,
Kind von Ennoia, erste ihres Blutes und Enkelin Kains,
Treu ergeben sende ich euch Nachricht von jenen schändlichen Ereignissen jener Nacht, die mich immer noch zutiefst in Erschütterung und Sorge zurücklassen.
Es folgte eine detaillierte Beschreibung jener Ereignisse. Die ehemalige Tochter eines hohen Hauses und passionierte Geschichtensammlerin schien ein Talent für solche Darstellungen zu haben.
Nach unserer Zusammenarbeit im Krieg, möchte ich euch ebenfalls anvertrauen, dass jeder Augenblick dieser Nacht in meiner bescheidener Sicht eine Farce war.
Eurer Entscheidung unserer werten Liktorin die Möglichkeit zu geben, sich zu beweisen war richtig und wichtig.
Den Vorwürfen Alain gegenüber nachzugehen ebenfalls. Gerade da er sich bisher nicht gerade von seiner besten Seite gezeigt hatte, was den Umgang mit Söhnen der Nacht oder Menschen anging.
Doch die persönliche Fehde zwischen der werten Amalia und dem werten Alain überschattete all die richtigen Entscheidungen. Beide bemühten sich um größtmögliche Eskalation. Es war vermutlich ein Glück, dass sie sich entschied, die Befragung im Nichts, in unmittelbarer Nähe ihrer persönlichen Folterkammer abzuhalten. So kam es neben aller Peinlichkeiten zumindest nicht zu einem Stillebruch.
Durch die Bedrohungen der werten Liktorin angestachelt, bat der werte Alain um die Unterstützung mehrerer Kinder des Kains. Doch wenn ich ehrlich zu euch sein darf - und ich schwor vor den höchst verehrten Prinzen am Hofe neben euch meine Ehrlichkeit, so halte ich dies nicht allein für reine Vorsichtsmaßnahmen sondern viel mehr um blankes Kalkül, um zu provozieren.
Zumal bei einer solchen Ansammlung von Draugr, so nennt ihr die unseren doch in eurer Sprache, ein solcher Konflikt diesen Ausmaßes gerade zu erwartbar ist.
Dennoch, ein Jäger, wie ihr, kennt den Wert der Selbstbeherrschung und ich bewunderte euch stets dafür. Hätte auch nur einer der am Streit Beteiligten auch nur ein Quäntchen davon besessen, so wäre es nie zu einer derart beschämenden Vorstellung gekommen. - Und ich muss ehrlich sein, jede Gruppe frisch Gezeugter hätte sich mit mehr Würde präsentieren können.
Was wir hier aber gesehen haben, beschämt nicht nur die Erzeuger eines jeden Einzelnen, sondern vor allem auch ein Trauerspiel unserer höchstverehrten Schutzherrin gegenüber. Hat die weiße Prinzessin es verdient, dass Geißel, Herold und Liktoren ineinander verkeilt, sich nicht nur ankeifen wie Waschweiber, sondern sogar aufeinander losgehen? Nein. Welches Bild sendet ein solches Verhalten nach Außen, wenn ein einziger Neugeborener, ein Neuankömmling, es schafft, drei Amtsträger derart gegeneinander aufzuwiegeln?
Verehrter Brimir, in jener Nacht musste ich mich dafür schämen anwesend zu sein.
Und ich fragte mich wofür ihr und ich einst Seite an Seite kämpften.
Vor allem aber fragte ich mich, wie es sein kann, dass ein Abend so viel Dummheit und Mangel an Ehre offenbaren kann und was passieren würde, wenn Genua Sardinien rechtmäßig beansprucht? Spielen wir dann dasselbe Spiel in Sardinien und blamieren uns dort dann bis aufs Blut? Oder sollten tatsächlich Baali uns Heimsuchen? Greifen wir uns dann gegenseitig an, statt unsere geliebte Heimat zu verteidigen, weil schlichte Animositäten uns trennen und wir lieber gegenseitig die Bestie in uns provozieren? Weil wir uns entgleiten?
Ihr habt eure Weisheit und eure Loyalität bereits oft genug so eindrucksvoll bewiesen, dass ich offen und völlig auf euer Urteil vertraue. Und auch wenn ich weiß, dass ihr sie gewiss nicht nötig habt, so biete ich euch in der tiefen Ergebenheit einer Neugeborenen vor einem Anchilla und der Harpyie vor dem Blutvogt meine Unterstützung an.
Mit vertrauensvollem Gruße,
Sousanna Kantakuzenos von Byzanz und Genua,
Neugeborene im Blute der Wanderer,
Harpyie Genuas,
Beisitzerin des Senats unter dem Monde,
Weberin in den Nächten,
Kind von Caspar,
Ancilla des Clan der Wanderer,
Fürst und Erretter der Thrakischen Lande