[1026] Das Blut der Fischer [Alain, Sofia]

[Alain le Beau]

"Sofia", sagt der Jüngling mit schmelzender Stimme. "Ich wünschte ich könnte einfach gehen, aber die Wahrheit ist: Ihr habt mein Herz berührt. Auch wenn wir uns heute Nacht zum ersten Mal gesehen haben, war mir vom allerersten Augenblick klar, dass ihr etwas ganz Besonderes seid. Ein freier Geist, gefangen in einem Käfig aus Gewohnheiten und Pflichten. Euer Mund sagt nein - nein dazu, mir in den Wald zu folgen, nein dazu, die Mauer zu überqueren, nein dazu, hier zu verweilen. Und doch seid ihr mir gefolgt, eurem Herzen gefolgt, seid ihr jetzt hier, bei mir. Hört auf euer Herz, Sofia."

Er nimmt ihre Hand und drückt sie zärtlich, wärmt ihre kalten Finger. "Wenn ihr den Wind nicht liebt, so gebt euch dem Meer hin. Lasst uns gemeinsam seine Tiefen ergründen..." er neigt sich vor, um sie zu küssen "...jetzt!"

[Sofia Caruso]

Er respektierte ihren Wunsch nicht, nein im Gegenteil... Sofia hebt in einer ruhigen Bewegung ihre Hand und legt sie ihm behutsam auf den Oberkörper. Ein deutliches Zeichen, um ihn in seiner Bewegung zu stoppen.

"Nein." haucht sie ihm leise entgegen, die Fingerspitzen liegen immer noch auf seinem Oberkörper und leisten sanften Widerstand. "Dem... dem Herzen zu folgen führt zu unüberlegten Handlungen. Und unüberlegte Handlungen... entziehen sich der eigenen Kontrolle." erklärt sie mit leiser Stimme. "Das wäre unvernünftig..."

Dass Alain gerade im Begriff war ihr einen Kuss geben zu wollen, scheint sie entweder nicht wahrgenommen zu haben oder aber geflissentlich zu übergehen.

"Ich bitte Euch erneut, etwas Abstand zu nehmen... Mir... mir ist das zu nah..." flüstert sie leise.

[Alain le Beau]

"Ah, femme glaciale!" flucht Alain und reißt die Arme hoch, aber er rückt tatsächlich von ihr ab. "Was redet ihr denn da? Wer will schon die ganze Zeit vernünftig sein!" Kopfschüttelnd erhebt er sich. "Menschen sind nicht vernünftig. Liebe ist nicht vernünftig. Wie langweilig die Welt wäre, wenn wir uns nicht einfach fallen lassen würden, ohne zu wissen, was die Folgen sind! Kontrolle, bah!"

Mit verschränkten Armen steigt er zum Steg hinunter und blickt über die dunklen Wasser. Dann dreht er sich langsam um, breitet die Arme aus und grinst. Kippt hintenüber. Ein lautes Platschen erklingt, als sein Körper die Wasseroberfläche aufschlägt. Die Wellen gleiten sanft über ihn, während er in den Tiefen versinkt.

Wieder ist es ganz still hinter dem Palast. Einzig der Wind, der in den Blättern des Wäldchens spielt, ist zu hören.

[Sofia Caruso]

Ausdruckslos sieht die junge Frau ihm hinterher, wie er seinen Weg zum Steck hinuntergeht. Doch als er sich wenig später umdreht und in die Fluten fallen lässt, nehmen Sofias Gesichtszüge einen skeptischen Ausdruck an.

Der Fischersbursche war - sofern es denn wirklich einer war - im Wasser verschwunden.
Und Stille legt sich über den Moment.

Langsam erhebt sich Sofia von der Liege und hält den Blick auf die Wasserstelle gerichtet, an der kurz sich nur wenige Augenblicke zuvor Alain in die Tiefen des Meeres hatte fallen lassen.
Sofia streicht ein paar Falten in ihrem Kleid glatt und macht sich ruhigen Schrittes auf den Weg zum Wasser bis sie an den Steg kommt, ohne ihn jedoch zu betreten.

Dieser Alain war wirklich ein Mysterium. So ungestüm und unberechenbar. Doch machte ihn gerade diese scheinbare Unberechenbarkeit nicht am Ende doch kalkulierbar? Warum wehrte er sich so sehr gegen Ordnung... und Strukturen?
Er hatte sich wortwörtlich fallen lassen ohne die Folgen zu kennen, oder glaubte er sie doch zu kennen?
Ein Mysterium dieser Alain...

Der Blick der zierlichen Frau ruht weiterhin auf dem Wasser und sie legt die Hände vor ihrem Körper wieder ineinander.
Ob Alain wieder auftauchen würde...?
Sie wartet einen Augenblick und behält von ihrem sicheren Standpunkt aus Steg und Wellen aufmerksam im Blick.

[Alain le Beau]

Nach einem Augenblick ist das Meer so ruhig wie zuvor. Auch nach zehn Augenblicken - oder zwanzig. Alain bleibt unter der Wasseroberfläche verschwunden. Immerhin kann Sofia nun die Ruhe genießen, die sie sich zuvor so sehr gewünscht hat. Es ist wirklich idyllisch hier. Die Meeresluft ist auch für jemanden angenehm, der nicht länger atmen kann. Und das Rauschen der Wellen hat etwas meditatives.

[Sofia Caruso]

Ihr Blick geht hoch zu den Sternen und während der Wind zärtlich mit ihren Haaren spielt, scheint sie in Gedanken versunken.
Sie würde nicht lange warten. Ein wenig vielleicht noch. Beobachten, ob der Jüngling doch wieder auftauchen würde, oder verloren in den Tiefen des Meeres.

Wieder schaut sie zu den Wellen und ja, Alain hatte recht gehabt. Es war ganz nett hier, wenngleich sie auch die Geräusche der Wellen auf lange Sicht eher als störend empfinden würde.
Nichts ging über die ruhige Stille, die sich über Jemanden legen konnte.

Sofia würde noch ein paar Augenblicke stehen bleiben. Abwartend, ob Alain wieder auftauchen würde, oder dies das Ende der sonderbaren Begegnung war.

[Alain le Beau]

Der Jüngling ist fort und keine der Wellen bringt ihn zurück. Im Mondlicht spiegelt sich die Silhouette des Palastes auf dem Wasser, schwarz und undeutlich. Sofia hat beinahe das Gefühl, dass ein zweiter, seltsamerer Palast unter dem Wasser zu ihren Füßen liegt. Vielleicht ist Alain dorthin zurückgekehrt, um auf dem Grund des Meeres in einem verwunschenen Bett aus Seetang zu ruhen. Der Anblick hat etwas hypnotisches, scheint Sofias Blick in die Tiefe zu ziehen.

[Sofia Caruso]

Ausdruckslos, vielleicht mit einem Hauch Bedauern, wirft sie einen letzten Blick auf die Fluten. Warum der Jüngling sich in die Fluten fallen lassen hatte...? Die Antwort war wohl gemeinsam mit seinem Körper in das feuchte Grab hinabgesunken. Und konnte sie auch jetzt nicht beantwortet werden, so vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.
Vielleicht würde Alains Körper eines Nachts irgendwo angespült werden, vielleicht auch nicht...

Sofia wendet sich schließlich ab, auch wenn sie durchaus geduldig weiter hier hätte verharren können, die Wellen beobachtend und wartend.
Ihr Blick sucht den ihres Begleiters, der etwas Abseits steht, und gemächlichen Schrittes schließt sie zu Rafael auf.
Abermals geht ihr Blick zu den sachten Wellen. "Bedauerlich..." wispert Sofia nur leise in die Nacht und zieht die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf.

Langsam macht sie sich an Rafaels Seite auf den Weg zu der Liege, auf der sie zuvor noch gemeinsam mit dem mysteriösen Jüngling verweilt hatte. Ein letzter Blick zum Meer, ehe sie ihre Aufmerksamkeit der restlichen Umgebung widmet, bevor sie den Weg zurück zur Mauer antreten würde.
Auch ihr Begleiter lässt den Blick immer wieder in regelmäßigen Mustern schweifen, um einen guten Überblick zu behalten.

[Alain le Beau]

Wieder ist alles ruhig, während Sofia und ihr Begleiter über die Wiese wandern. Der Palast liegt hinter ihnen, ein Zauberschloss an einer verwunschenen Küste. Die Fackeln am Tor brennen, aber niemand hält die beiden auf. Sie finden das Tor rasch - von dieser Seite wächst kein Efeu daran - und Sofia greift nach dem Türring, als ihr zwei Dinge auffallen: An dem Tor ist ein feuchter Handabdruck zu sehen. Und irgendjemand hat einen kleinen Strauß Wildblumen hinter den Riegel gesteckt, eine Mischung aus Rittersporn und Königskerze, notdürftig mit einigen langen Grashalmen gebunden.

[Sofia Caruso]

Die zierliche Gestalt hält inne, den Blick auf den Handabdruck gerichtet. Unweigerlich sieht sie sich erneut um, nur um kurz danach den Block wieder auf die Türe zu richten.
Vorsichtig pflückt sie den kleinen Strauß hinter dem Riegel hervor, beschaut ihn sich ebenfalls einen Moment.

Eine faszinierender Abend, in vielen Punkten.

Doch würde sie dem ein anderes Mal nachgehen. Für heute hatte er ein Ende gefunden und so öffnet sie die Türe in der Mauer, um wieder den Rückweg durch den Wald anzutreten. Den kleinen Strauß behält sie in der anderen Hand und nimmt ihn mit.