[1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

[Juni '19]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Signora Achilla
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[1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Es war Winter und ein erstaunlicher kalter Wind pfiff scharf über die schlammige Straße zwischen Quinto und Nervi. Trotz des miesen Wetters hatte sich eine ganze Gruppe Reisender aus dem Schutze Genuas heraus gewagt und die Straßen entlang gekämpft. Die bunten und auch etwas abgerissenen Kleider und der bemalte Wagen zwischen ihnen machten recht deutlich: Dies waren Fahrende.
Was auch immer sie aus ihrem Winterlager getrieben hatte: Keiner von ihnen schien jetzt noch begeistert davon zu sein. Es war kalt, es wurde dunkel, der Packesel mit den Vorräten hatte kaum etwas zu tragen und genau in diesem Augenblick machte der buntbemalte Wagen einen Ruck. Eine Windböe riss ihn fast um und die Hinterräder glitten langsam, aber sicher zur Seite und gen Straßengraben.
Die Fahrenden schrien und riefen und fluchten, ein paar stemmten sich gegen das Gewicht des Wagens, ein paar versuchten, die zwei Ochsen davor anzutreiben und die ganze Szenerie wurde zu einer wüsten, nassen, kalten Schlammschlacht.

“HUNDSFOTT, VERDAMMTER!” donnerte ein bärtiger, dicklicher Mann vom Kutschbock aus. Er ließ seine Peitsche über den Köpfen der Ochsen knallen, deren Hufe im Schlamm nicht so recht Halt fanden. “HOSSA! ZIEHT! ZIEHT!”
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall

Beitrag von Alain le Beau »

In dicken Pelz gehüllt erwarten drei Männer die Künstler-Karawane. Zwei von ihnen sind mit Kurzschwertern bewaffnet und haben die Hände wie zufällig an die Griffe der Waffen gelegt. Der Dritte trägt nur eine Fackel in der Hand, dafür aber ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht. Als das fahrende Volk näher kommt, tritt er einige Schritte nach vorne und besieht sich das Durcheinander. Dann tritt er an den Ochsenkarren heran und ruft dem dicken Mann zu, ihm zu folgen. Von der Fackel geführt, biegt die Truppe von der Straße nach Nervi ab und wendet sich stattdessen über einen kleineren Weg dem Meer zu. Die Luft riecht salziger, intensiver.

Schließlich gelangen sie an eine Mauer. Der Weg schmiegt sich daran an, bis er sie schließlich an einem Tor küsst und sich dann wieder der Hauptstraße zuwendet, ein unsteter Liebhaber - so wie der Herr dieses Ortes. Am Tor stehen Bewaffnete, welche die Karavane beäugen. Männer in türkisen Uniformen und Lederpanzern. Schließlich öffnet sich das Tor und die Gauklerbande kann einziehen. Flankiert von weiteren Bewaffneten fährt der Zug eine Art Allee entlang, auf ein gigantisches dunkles Gebäude zu. Alains Palast. Zur Linken führt ein Weg zwischen Hecken hindurch - und hierher wird auch der Wagen geleitet, zu den Wirtschaftsgebäuden. Währenddessen ragt über den übrigen Gauklern das düstere Bauwerk auf.

Vor dem Bauwerk selbst flankieren zwei weitere Bewaffnete einen Jüngling, dessen Blick über die Neuankömmlinge schweift, als suche er jemanden...
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Kaum, dass das Anwesen in Sicht kam, kam auch Leben in die etwas müde Reisegesellschaft. Und der Anblick der Bewaffneten und des offensichtlich nobleren Herren, umrahmt von Wächtern, tat sein Übriges.
Eine erstaunlich große Frau mit erstaunlich blondem Haar und hellen Augen entzündete die Lichter um den bemalten Wagen her neu, so dass sie bunte Farbtupfer in die wintergraue Landschaft brachten. Der schöne Adelfo, den Alain schon kennen gelernt hatte, wendete seinen Mantel um - außen grau und innen mit frisch gefärbtem Stoff geschmückt. Nun anders herum: Leuchtend Grün, Rot und Gelb tat er sich hervor.
Das schien das gute Dutzend der anderen Fahrenden nur anzustacheln. Einer riss einen rauen Scherz hinter Adelfos Rücken und fing sich einen anderen dafür ein. Hüte wurden vom Regen ausgeschüttelt, Umhänge und Hemden ausgewrungen und ein kleiner Affe - für einige unter den Hauswächtern vielleicht noch ein recht fremdartiges Tierchen - kletterte plötzlich auf dem Wagen herum.

Der Wagen kam letztlich ruckend und schwankend zum Stehen. Eine Tür an seiner Seite öffnete sich, etwas lumpige und mottenzerfressene Vorhänge dahinter regten sich. Warmes Lampenlicht schien zwischen ihnen hervor und etwas klang hell wie ein Glockenspiel während zugleich ein schlanker, dunkelhäutiger Junge und ein älterer Mann um und auf dem Wagen versuchten, den Affen wieder einzufangen.

Theatralisch wurde der Vorhang aufgetan und der Geist trat heraus - Alain hatte die orientalische Schönheit (wenn sie denn tatsächlich eine war) schon kennen gelernt und nun trat sie mit grandioser Geste und elegantem Hüftschwung die kleine Trittleiter von der Wagentür herunter auf den Weg.

Das war natürlich nicht die Signora. Oder wenn sie es doch war, dann war dies wohl verwirrend. Doch nein, das war sie nicht. Alains Blick zumindest war wahrscheinlich scharf genug, um die eigentliche Herrin dieser Fahrenden in dem Haufen auszumachen, gleich neben dem dicklichen Mann auf dem Kutschbock.
Sie trug Männerkleider, was es schwieriger machte, und hatte seltsam unscheinbar neben Meister Mauricio dort oben gesessen. Für die meisten wohl leicht zu übersehen. Wann war sie überhaupt dahin gelangt?

Gleichwie, nun hob sie die Hand zum Gruß und kletterte über den metallenen Tritt vom Kutschbock herunter, um Alain zu begrüßen. Der schwere Kutschermantel, den sie trug, war ihr eine gute Spur zu groß und darunter hervor lugte hier und da ein vielleicht nicht feinerer, aber immerhin doch bunterer Stoff. Sie trug auch eine schwere, wetterfeste Kappe, die sie nun zum Gruße zog, so dass Alain die hölzerne, geschnitzte Vollmaske gut sehen konnte, die sie trug.
Diese war so traditionell mit den Mustern und Rauten des Narren bemalt, dass man wohl fast einen Mangel an Kunstfertigkeit vermuten könnte. Doch wie meistens waren es die Details der Maske, auf die es ankam. Doch wer verstand sich wohl auf die obskure Kunst, die Farben und Muster der Maskenschneider von Venedig auseinander zu halten? Die Kunst war zwar eine alte, doch in diesen dunklen Zeiten kaum weit verbreitet.

Die Signora zog in langsamer Geste den Hut und machte eine sehr männlich-würdevoller Weise einen Kratzfuß, ihrer jetzigen Verkleidung genügend. Und all das verlief genau gleichzeitig mit dem Auftritt des Geistes mit Glockenspiel, dem Schnattern des Äffchens, den Rufen des Jungen, der ihn einfangen wollte, Mauricios Brummen, um die Ochsen zu besänftigen und all den anderen Versuchen der Truppe, sich bemerkbar zu machen.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain zwinkert dem Geist natürlich zu, aber sein hauptsächliches Interesse gilt eindeutig der Signora. "Werte Achilla", sagt er, die Arme zur Begrüßung ausgestreckt. "Willkommen, willkommen in meinem bescheidenen Heim, willkommen in Nervi." Währenddessen weist eine der Wachen den Kutscher an, den Ochsenkarren aus dem Weg zu fahren, eine andere bestaunt das Äffchen. "Ich hoffe, der Weg war nicht zu weit? Aber nach dem was man hört, ist wohl kein Weg zu weit der etwas Abstand zwischen euch und diese engstirnige Stadtbevölkerung bringt."

Der Blick des Tzimisce gleitet über die Truppe, neugierig und prüfend zugleich. Er selbst ist in leuchtendes Rot und Gelb gekleidet, wie eine Flamme, nur dass sein kohlenschwarzes Haar am falschen Ende des Brandes sitzt. Alain tritt zur Seite und weist auf die Tür. "Nur herein, meine lieben Gaukler, nur herein. Hier gibt es keine Regeln, keine Moral. Hier ist alles erlaubt!"

Die Männer mit den Speeren nehmen wieder ihre Posten auf, während Alains Empfangskomitee sich ebenfalls neben der Tür platziert. Noch immer liegen die Hände auf den Waffen. Noch immer liegt Misstrauen in den Blicken.
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

“Meinen - und unseren - Dank, verehrter Alain, Gastgeber in leuchtender Großzügigkeit…”, die Worte der Signora waren eine Schau. Natürlich galten sie Alain, doch sie wurden ringsumher ebenso gehört. Die Fahrenden wussten nun, wen sie vor sich hatten und dass er im Zentrum der Vorstellungen, Darbietungen und Kunststücke stand.

Das bedeutete jedoch nicht, dass die Wächter zu kurz kamen. Da war das Augenzwinkern einer bärtigen Dame und ihrer deutlich weniger bärtigen Freundin. Da war das Äffchen, das sich offenbar für einen Leckerbissen zu Purzelbäumen und anderem Schabernack verführen ließ. Da war die exotisch blonde, hochgewachsene Frau mit ihren hellblauen Augen und einem halb gewinnenden, halb herausfordernden Lächeln für den größten und stärksten unter den Wächtern.

Die Signora derweil erwiderte Alains Begrüßung. Ihre Begrüßung für seine weit ausgebreiteten Arme war nur eine leichte Berührung - leicht wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, wenn man so wollte. Sie roch nach Straßenschlamm und Regen, Leder und getrockneten Sommerblumen, Zimt und Fäulnis, Räucherwerk, Lavendel und … ...dann war sie ein Stück zurückgetreten. Vielleicht war sie trotz allem noch vorsichtig mit ihm, vielleicht auch einfach höflich. Die gemalte Narrenmaske verriet nicht viel und ihre Muster verwirrten das Auge und lenkten es von der gewohnten Form eines lebendigen Gesichtes ab.

“...was ist es, das Ihr gehört habt? Wir flüchten vor allem das ewige Verbleiben an nur einem Fleck.” Sie stockte kurz. “Ihr meint womöglich das Gerede über das Schaustück zu unserem ersten Zusammentreffen?” Sie wiegte den Kopf etwas - die Geste hätte übertrieben gewirkt, hätte sie stattdessen sichtbar gelächelt oder ihm verschmitzt zugezwinkert. Aber mit der Maske war es das, was blieb: Bühnensprache, ausgeprägt, vielleicht aufgesetzt und vielleicht auch von Herzen. Es klang von Herzen verschmitzt und Achillas Stimme war schön und klangvoll. Jetzt gerade war sie hauptsächlich heiter: “Die Wachen und gestrengen Herrschaften mögen’s hassen wie der Teufel das Weihwasser, doch in Wahrheit sind solche Reden die beste Werberei, die unsereins bekommen kann. Volle Märkte, volle Zelte, volle Beutel, volle Bäuche, warme Leiber und gierige Münder… .”
Sie machte eine kleine Geste zu dem Tumult der Fahrenden hin, die sich zwischen dem Wagen und den notwendigen Handgriffen daran und dem allgemeinen Posieren ungefähr aufteilten.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain zuckt mit den Schultern. "Solange es nur die Wärme der Leiber und nicht die Wärme der Scheiterhaufen ist..." Seinerseits wirkt er da nicht allzusehr besorgt. "Und nun tretet ein, meine Liebe, ihr und euer Gefolge. Hier entlang." Er macht eine einladende Geste, während die Leibwächter das Portal öffnen. Kurz darauf findet sich die Gruppe in einem recht üppigen Vorraum wieder. Die Signora hört, wie einige ihrer Schausteller scharf einatmen. Nicht ohne Grund.

Der Vorraum ist reich geschmückt mit edlen Wandbehängen, fein gearbeiteten Holzbänken, Kommoden, auf denen vergoldete Schüsseln voller frischem Obst stehen und anderen Kostbarkeiten. Seltsame, fremdländische Muster in blau und türkis zieren die Wände, wellenartig verschlungen. Aber es sind die zwei Marmorstatuen, die gegenüber des Hauptportals neben einer weiteren großen Tür stehen, die das Auge einfangen. Es sind ihrer zwei - ein Jüngling und eine junge Frau - und sie wirken so lebensecht, als ob sie jederzeit von ihren Sockeln herabsteigen könnten. Mit einladendem Lächeln weisen ihre Hände auf die Tür hin, fordern die Besucher zum Eintreten auf.

Alain folgt dem Blick der Gäste mit dem seinen und lächelt zufrieden. "Ich muss euch bitten", sagt er dann leise, "alle Messer und andere Waffen dort abzulegen. Dies ist ein Ort der Freuden, nicht der Gewalt." Er weist auf einen Tisch zur Linken und faltet dann die Hände.
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Ein paar von ihnen standen mit offenen Mündern da und staunten. Vielleicht sogar die Signora selbst, denn sie stand vollständig still, um den Anblick auf sich wirken zu lassen.
Erst, als Alain sprach, riss sie sich los und sah mit aufforderndem Blick und auffordernder Geste zu der Truppe herüber.
Großartig bewaffnet war wohl keiner der Truppe. Am Wagen gab es ein paar Speere und metallbeschlagene Knüppel, aber der war nicht hier. Was wohl jeder hatte, war wenigstens das Messer am Gürtel - immerhin musste man ja gesittet essen und im Alltag zurecht kommen. Und was einige mehr hatten, war eben die eine oder andere Gemeinheit im Stiefel, Ärmel oder sonstwo am Leib versteckt. Zwei Leder- oder Stoffsäcke mit ein paar soliden Steinen darin geknotet, eine gemeine Würgeschlinge, ein anderthalb Finger langer Metalldorn ohne Schneide aber mit widerwärtig scharfer Spitze.
“Also meinen größten Knüppel kann ich nicht ablegen…”, tönte es dann unweigerlich. “Alles, was kleiner is wie’n Finger, zählt nich…” - “Ssshh..!”

Einer der größeren Männer hatte sogar ein Schwert und obwohl der Waffe jede Zier fehlte, war es auf Hochglanz poliert. Er sah Alain direkt an, mit einem kecken Grinsen, zwirbelte einmal seinen rotbraunen, lockigen Bart und warf sich in Pose.
Und dann atmete er tief durch, hob das Schwert an, legte den Kopf zurück und begann, es zu schlucken, mit der Spitze voran und langsam, handbreit vor handbreit.

Ein Raunen ging durch die anderen, aber sie fingen sich schnell genug. Eine begann, sacht mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen, ein Takt beinahe wie Herzschlag. Andere fielen ein und jemand hatte eine Maultrommel bei der Hand, mit der sich das Schaustück in unheimlich-langgezogenen Tönen untermalen ließ.

Langsam glitt das Schwert tiefer und tiefer durch Mund und Kehle in den Leib des Mannes.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Offenbar besitzt Alain Humor, denn er verfolgt das Schauspiel mit einem breiten Grinsen. Als das Schwert am tiefsten Punkt angekommen ist, nimmt er demonstrativ ein Kissen und legt es auf den kleinen Tisch. Dann winkt er dem Schwertschlucker, sich dort hinzulegen, zu allgemeinem Gelächter. Nachdem die wenigen Waffen, welche die Gaukler abzugeben bereit sind, nun auf dem Holztisch zusammenliegen, schreitet Alain zu der Tür zwischen den zwei Statuen und öffnet diese.

In diesem Moment begreift die Truppe, dass der Vorraum nur ein Vorgeschmack war. Vor ihnen liegt einer der größten Innenräume, den sie bisher gesehen haben, eine Halle mit steinernen Wänden. Und doch wirkt der Raum nicht kalt und abweisend. Kleine Öllampen, geschickt drapierte Kerzen und eine Feuerschale werfen ihr Licht auf Wandteppiche mit faszinierenden Wellenmustern, Liegen und Bänke, köstliche Speisen, kurz, ein unerwartetes Paradies in diesem von außen so düster wirkenden Bau. Durch hohe Fenster zur Rechten strömt die kühle Nachtluft herein und erfüllt den Saal mit dem salzigen Geruch des Meeres.

"Ich denke, ich habe die Fischer und Bauern von Nervi sehr glücklich gemacht", sagt Alain leise zu Achilla, während er zu den Speisen blickt. Aber Achillas Blick wird von weiteren Statuen gefangengenommen. Der Künstler muss ein Genie gewesen sein. Keine dieser Statuen ist auf den ersten Blick unzüchtig. Und doch ist in dem kalten Stein Lebensfreude zu spüren. Je länger der Blick darauf fällt, desto mehr fallen zu ausgeprägte Rundungen, zu ausgelassene Gesichtsausdrücke auf. Diese Statuen zelebrieren die Sinneslust - beinahe gotteslästerlich - und dennoch könnte kein Geistlicher genau sagen, woran es liegt.

Zur Rechten aber, da steht unter den Fenstern eine hölzerne Bühne bereit. Wartend. Verlockend.
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Signora Achilla
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Das gab Gelächter für Alain und den Schwertschlucker auch, der letztlich die Klinge wieder herausziehen und niederlegen musste, wenn er nicht wortwörtlich außen vor bleiben wollte. Ein paar lange Messer und das Schwert selbst fanden noch ihren Weg auf den Haufen.

Die andere folgten bereits Alain und der Signora, die dem Gastgeber nachschritt. Wenn sie wollte, dann konnte sie es durchaus: die damenhafte Eleganz und Grazie, mit erhobenem Haupt und zarter Geste für dies oder das. Weder der grobe Kutschermantel noch die eher burschikose Kleidung konnten ihr das nehmen.
Doch in Wahrheit war auch das nur Gehabe, eine weitere Maske unter, neben und mit all den anderen, die sie zur Schau trug, zur Freude, zur Ablenkung, Besänftigung oder manchmal sogar zum Ärgernis.

Für den Moment achtete sie nicht auf all dies sondern ließ den Moment auf sich wirken und ebenso den Anblick. Die Statuen hatten es ihr augenblicklich angetan und sie umrundete eine davon als könnte sie deren Geheimnis entschlüsseln, wenn sie nur all ihre Seiten in Augenschein nahm.

Den Schaustellern erging es nicht viel anders: sie staunten, sie frohlockten in Vorfreude und der eine oder die andere fühlte sich bereits zur Bühne hingezogen, denn sie alle hatten so ihre Sucht und Lust nach dem Bühnenmoment, dem Rausch der Aufmerksamkeit - und schlicht und simpel auch nach dem Lohn, der hiervon winken konnte.
Einigen war schon etwas mulmig zumute, denn es hatte nach einer Gelegenheit geklungen, die zwischen allem und nichts entschied. Die Gunst der Signora hatte schwindelerregend helle, verlockende Seiten und erschreckend dunkle. Und wer war dieser Gastgeber, kaum mehr als ein Jüngling, aber sicher so reich wie ein König?

Achilla umschritt die Statue und sah Alain mit ihrem falschen Narrengesicht an: “Und nicht nur die habt ihr glücklich gemacht. Ich kann förmlich die Verlockung spüren… .” Sie reckte sich ein wenig, hob den einen Arm als wollte sie diese Statue, bei der sie stand, äußerst unsittlich berühren - so erhöht auf dem Podest wie diese stand, lud es dazu vielleicht sogar ein.
“Was für eine Pracht”, schnurrte die Signora und es blieb völlig offen, was genau sie damit meinte.
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Alain le Beau
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Re: [1029] Nachtigall [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain nickt bescheiden. Dann runzelt er die Stirn. Für einen Moment steht nicht der feierlustige Jüngling vor der Signora, sondern ein Kainskind vom Blute des Drachen, erhaben und überlegen. "Natürlich können nur die besten der Spielleute einem solchen Ambiente gerecht werden", sagt er ernst. "Ich werde keine minderwertige Unterhaltung in diesen Hallen dulden!" Dunkel regen sich bei der Signora Erinnerungen an Gerüchte über Tzimisce und ihr läuft ein Schauder über den Rücken. Selbst Alains Leibwächter weichen unwillkürlich einen Schritt zurück. Dann lächelt er wieder. "Und deswegen sind wir ja auch zusammengekommen, nicht wahr?"

Mit wenigen, raschen Schritten ist er an der Bühne angekommen und weist darauf, während er die Kompanie anblickt. "Sie gehört euch, werte Herrschaften!"

Während sich die Spielleute bereit machen, lässt sich Alain auf einer Liege nieder. Einige leicht bekleidete Menschen sind aus einer der vielen Türen hervorgetreten und bringen den Versammelten köstliche Erfrischungen. Der Gastgeber seinerseits blickt mit Vorfreude auf die Bühne.
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