Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

[Juli & August '16]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Melissa
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Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Melissa »

Melissa di Ravenna wankte durch die Nacht. Sie stolperte, gackerte darüber und torkelte weiter. An ihrem Arm hing ein junger Kerl, vielleicht zwanzig oder zweiundzwanzig Jahre alt, dem es ebenso, wenn nicht schlechter ging. Im Gegensatz zu ihr aber spielte er nicht, sondern war rund herum betrunken.
Sie stolperten zu Zweit durch die Nacht mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie es weiter verlaufen würde.

Die Fackeln an der Porta Soprana und am Wachturm daneben erleuchteten zumindest Teile der Piazza di Sant'Andrea, die sie gerade überquerten. Eine Art Vergnügungsviertel, wenn es in Broglio denn eines gab. Das Tor war dasjenige, das Reisende aus dem Osten durchquerten - entsprechend lagen viele Gasthäuser hier, vollgestopft mit fremdem und exotischem Blut.

Voll war der Platz nicht gerade, auch die Gasthäuser waren nicht übermäßig gefüllt. Eine Ahnung lag in der Luft, süß und drückend, wie von einem nahenden Gewitter. Doch es fand sich noch Leben in der Gegend, Leben wie das, das sie in die Gasse hinter einem der Lagerhäuser zog. Ein heißer Puls presste sich gegen sie. Münder öffneten sich, das Stöhnen eines Mannes huschte durch die Nacht.
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- Giovanni Faldella
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Maria Penthesilea
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Maria Penthesilea »

Die Frau, die nun Schwester Maria Evandre war, hatte das Treiben auf dem Platz mit verträumtem Blick beobachtet. Sie war noch jung. Und obgleich sie die Jagd genoss, ja, geradezu liebte, dachte sie oft an die Zeit zurück, in der sie noch Teil der Herde gewesen war. Teil der Beute.

Ihr Verstand wusste, dass es keine gute Zeit gewesen war. Dass andere - Männer - über sie bestimmt hatten. Aber in ihrem Ohr klang die Stimme ihrer Mutter nach, der Geruch von gekochtem Gemüse, der immer über der Küche gelegen hatte. Verstohlene Küsse im Heu mit dem Nachbarssohn.

Den Jagdschwestern waren solche Dinge nicht verboten. Nichts war verboten. Und nur von wenigen Dingen wurde strikt abgeraten. Doch diese Momente fühlten nun anders an, jetzt, wo Evandre mehr über die Welt gelernt hatte, als viele andere Sterbliche je in ihrem Leben erfahren würden. Alles wirkte schärfer, ihre Begierden intensiver. Ihre Jugend war vorbei. Und sie war in einem Regen aus Blut in das Erwachsenenalter eingetreten.

Sie schreckte hoch, als das Pärchen in die dunkle Gasse stolperte, die sie sich als Versteck auserkoren hatte. Rasch zog sie sich in einen Hauseingang zurück, aber sie war nur halb verborgen und verfluchte sich. Wenn Penthesilea das sehen würde. Oder schaute sie ihr gerade zu? Die erfahrenste Jägerin des Ordens war sehr gut darin, sich zu verstecken.

Immerhin schienen die beiden Verliebten gut damit beschäftigt, sich gegenseitig einzuspeicheln. Sie entspannte sich etwas. Nicht vollständig. Jäger rechneten immer mit Gefahr.
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Melissa
Tzimisce
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Melissa »

Das Paar sank weiter in die Schatten, in die Ecke zweier Hauswände gepresst. Ihr Spiel endete nicht - mit oder ohne Zuschauer.
Sein Stöhnen steigerte sich, peitschte, wurde ekstatisch, eilig und hektisch. Sie murmelte, seufzte, ihre Stimme leiser als ein Windhauch trotz der Trunkenheit. Es endete. Er sacke auf den Boden, erschöpft und ausgelaugt, sie hockte einige Augenblicke noch über ihm, an ihn gedrückt in nicht enden wollender Umarmung.
Nur Keuchen schlich durch die Nacht, gepresst und gehetzt. Nichts regte sich bei ihnen. Sie nicht, er nicht.
Dann bewegte sich das Haar, sie suchte eine bessere Haltung, eine bequemere, um ihren Kopf auf seine Brust zu legen. Fast andächtig schloss sie die Augen, lauschte dem rasenden Herzen in ihren Ohren.

Die Frau auf dem Boden war völlig entspannt. Auf ihren Lippen lag ein seliges Lächeln, breit und voll. Sie leckte sich darüber, durchaus anzüglich. Ihre Augen öffneten sich erst, als sich etwas bewegte. Als es ein Geräusch gab in der Gasse, von einem Vogel oder einer Katze oder Ratte oder Maria Evandre selbst.
Da erst legten sie sich durch die Dunkelheit hinweg auf die Nonne im Hauseingang. Ohne sie suchen zu müssen.
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- Giovanni Faldella
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Maria Penthesilea
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Maria Penthesilea »

"Chh..." Maria Evandre unterdrückte gerade noch einen Fluch. Dann, den Schleier vors Gesicht gezogen, trat sie aus dem Hauseingang und hastete die Gasse hinunter. Und lief geradewegs vor eine ihrer Schwestern. Sie schloss die Augen, weniger um Maria Thermodosas unweigerlicher Lektion in Sachen jägerlicher Vorsicht zu entgehen, als um noch einen Moment Ruhe zu finden.

"...niemals unbedacht", sagte die strenge Lehrmeisterin gerade, in ihrem üblichen leisen, unerbitterlichen Tonfall, als zu allem Elend auch noch Maria Penthesilea, Maria Derimacheia und Maria Polemusa dazutraten. Und sogleich wurde die Geschichte noch einmal erzählt. Kurz und knapp, angemessen für Jäger. Keine Zeit verschwendet.

Diese Nacht konnte kaum schlimmer werden.

Polemusas Lächeln war mitleidig, Derimacheia grinste und zwinkerte ihr zu. Penthesilea lächelte ihr füchsisches Lächeln, aber ihre Augenbrauen waren gerunzelt. "Nonnen, die zusehen. Dabei", sagte sie schließlich. "Das ist keine gute Tarnung. Wir gehen hin."

Sie blickte die Gasse hinunter. "Geben Lektion."
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Melissa
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Melissa »

Die Schritte der Nonnen dröhnte in ihren Ohren. Die ganze Gasse vibrierte davon. Von ihren Worten, von ihrem Atem, als stünde die Lehrmeisterin nur wenige Schritt von Melissa entfernt. In ihrem Herzen hämmerte noch das gestohlene Blut, die Ekstase, der Alkohol, die Lust, und es kostete sie Mühe, sich von dem Bewusstlosen zu erheben.
Die Augen der Tzimisce wanderten durch die Dunkelheit, hinter der die wenigen Fackeln der Piazza schwach dämmerten. Sie beschloss, den Nonnen ein Stück weit entgegen zu kommen. Auch wäre sie lieber im Freien, näher bei den Menschen und Tieren, die in dieser Nacht am Tor Wache hätten.

Also spazierte sie durch die Gasse. Es gab keinen Grund zur Eile, man hatte sie längst gesehen. Geduldig zupfte Melissa ein Taschentuch aus ihrem Gewand, tupfte sich erst die Mundwinkel und dann die einzelnen Fingernägel ab. Sie drängte den Stoff zurück in seine Tasche, warf sich das Haar zurück über die Schulter in jene wilde Mähne, die in den letzten Nächten ihre Tarnung gewesen war.
Hohle Rituale, allesamt, die sie vor dem Spiegel einstudiert hatte. Kleinigkeiten, die zu einer Maske gehörten, die nichts von Vampiren wusste. Die nichts von Jägern und Gejagten wusste, nur von Lust und Liebe. Eine Maske, die nicht wusste, wovor sie sich zu fürchten hätte - im Gegensatz zu der einsamen Tzimisce.

Die Tzimisce, deren Augen durch die dunkle Gasse huschten. Deren Augen verrieten, was sie war. Deren Augen im trüben Licht, wenn der Winkel günstig stand, zu glänzen schienen. Deren Augen alles in der Gasse sahen: Von der letzten, dicken Ratte, die sich in eines der Häuser quetschte auf der Flucht vor den Jägern über die kaum sichtbaren Fußspuren der Nonne bis hin zu den dünnen Fäden von Rauch und Schweiß in der Luft.
Die Tzimisce, deren Augen unter einer Maske aus Fleisch und wolllüstigem Lächeln verborgen waren.
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Maria Penthesilea
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Maria Penthesilea »

Sie fand die Nonnen - zwei von ihnen zumindest - als diese die Gasse heraufschritten. Die eine, die, welche sie beobachtet hatte, hastete ein wenig, stolperte über irgendein ungesehenes Hindernis. Die andere schien völlig ruhig zu gehen. Jede Bewegung war kontrolliert, der Körper perfekt balanciert. Erst auf den zweiten Blick bemerkte die Zuschauerin, dass diese Nonnen tatsächlich der anderen vorauseilte. Ein perfekt einstudierter Gang, der ihre Geschwindigkeit beinahe verbarg.

Doch Melissas geschärfte Sinne trügten sie nicht.

Sie hörte das Atmen der beiden Frauen, als diese sich ihr näherten. Die eine hechelte, zumindest nahm Melissa das in ihrem Sinnesrausch so wahr. Der Atem der anderen ging schneller, aber ruhig. Ein - Aus. Ein - Aus. Als wäre er einstudiert.

Sie hörte das überraschte Keuchen, als die jüngere Nonne sie wahrnahm. Sie sah das kleine Lächeln im Mundwinkel der anderen. Die leicht gehobenen Augenbrauen.

Maria Penthesilea beugte sich zu ihrer Ordensschwester und sagte leise etwas. "...nicht nötig", verstand die Tzimisce. "Sie ist Jägerin." Die Intonation des Wortes war deutlich. Bedeutungsschwanger.
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Melissa
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Melissa »

Melissa sah die Angelegenheit mit Sorge und Neugier gleichermaßen. Sie bewegte sich mit schlichter Grazie: Der elegante Hüftschwung einer schönen Frau, der wippende Gang einer Verliebten. Ihre Maske zwang sich zu einem unschuldigen Ausdruck, passend zu ihrer Lüge von der besorgten Mutter. Die Augenbrauen skeptisch hochgezogen, die Stirn leicht gerunzelt, haftete ihr Blick an jeder Falte. An den harten Augenbrauen, der Nase und der Brücke. An den feinen Haaren an der Schläfe und den Wangen, an dem makellosen Weiß der Augen.
"Ah, die Marien", sagte sie. Ihre Stimme donnerte in ihren Ohren, war aber doch leise. Sie versuchte es erneut, laut genug, um gehört zu werden: "Die Marien. Wie schön."

Ihre Nasenlöcher weiteten sich. Rochen die seltsamen Dinger? Die Gasse roch nach Pisse, ein wenig nach Erbrochenem. Der Schweiß von Mensch und Tier dominierte, auch an ihr. Ein süßer Duft nach Kamille mischte sich darunter, wo der Mann sich gegen sie gepresst hatte.
Sie beobachtete, wartete ab. Ein Tanz, wusste sie, war keine leichte Angelegenheit und man musste den anderen Tänzer kennen, ehe man ihn begann.
"Ich hätte euch eingeladen", sagte sie eine Floskel auf, "wenn ich mit euch gerechnet hätte. So reicht es kaum für eine."
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- Giovanni Faldella
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Maria Penthesilea
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Maria Penthesilea »

"Wir jagen selbst", sagte Maria Penthesilea mit der Maske eines freundlichen Lächelns auf ihrem Gesicht. "Aber wir danken euch. Für den guten Willen."

Es war nur ein Hauch, den der Wind zu ihr herübertrug. Eine Ahnung. Moos und Gras, Rinde und Erde, Schweiß und Blut. Hatten die Nonnen nicht von der Jagd gesprochen? Fast konnte sie sich vorstellen, wie die Beute vor den Jägern kauerte, zitternd, schnaubend, verzweifelt und wütend. Es war ein wilder Geruch, wild und uralt.

Dann wechselte der Wind und der Moment war vorbei.

"Wir beglückwünschen euch", drang die Stimme von Maria Penthesilea wie Posaunen in ihre Ohren. "Zu der erfolgreichen Jagd. War die Beute klug? Stark? Schnell?"
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Melissa
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Melissa »

"Sie war notwendig", antwortete Melissa schlicht. Ihr Tonfall war dünn, ihre Haltung ablehnend. Sie war zum Stehen gekommen, nicht weit vom Eingang der Gasse entfernt, aber doch einige Schritte. Unter der Brust waren die Arme verschränkt, um sich in der frühsommerlichen Kühle die kalte Haut der nackten Oberarme zu reiben.
Sie trug schlichte Kleidung. Das Kleid sogar, mit der sie durch die Tore der Stadt geschlichen war: Abgewetzt, alt, aber immer wieder gepflegt und hier und dort ausgebessert. Das Kleid einer armen Frau.
"Nichts, wofür Glückwünsche angebracht werden."
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- Giovanni Faldella
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Maria Penthesilea
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Re: Das bleiche Rot der Nacht [Maria]

Beitrag von Maria Penthesilea »

Melissa hörte ein Knarzen von einem nahegelegenen, niedrigen Dach. Sie konnte eine weitere Nonne sehen, die sich darüber leise anschlich und schließlich am Rand niederließ.

Maria nickte, mit einem anerkennenden Lächeln. "Eure Jagdmethode - interessant. Wir würden gerne mehr erfahren", sagte sie. Wenn sie das ironisch meinte, konnten Melissas übernatürlich verstärkte Sinne die Ironie zumindest nicht wahrnehmen.
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