[1035] Wo kommt ihr her, wo geht ihr hin? [Alain, Avelina]

[Avelina di Braida]

Nicht lange nach den Ereignissen in San Donato betratt jene Gestalt im dunklen Umhang das Gasthaus in Staglieno, welches den Toren am nächsten war. Begleitet von zwei gerüsteten Wachen und einem blonden Hünen, der sich bücken musste um durch die Tür zu kommen.

Suchend glitt ihr Blick durch den Raum, hielt Ausschau nach einem ganz bestimmten Mann. Nun schob sie auch die Kapuze vom Kopf und zum Vorschein kam das zeitlos hübsche Gesicht der Viscontessa. Blass und ernst, und doch noch immer das lebendige, grüne Feuer in den Augen.

Sie schien sich zunächst vergewissern zu wollen um was für eine Art Gasthaus es sich hier handelte, so blieb sie einen Moment am Eingang stehen, bevor sie auf die Theke zuschritt.

[Alain le Beau]

Das Publikum im Gasthaus ist bunt gemischt. Avelina sieht reisende Händler - einige ärmer, wenige reicher - Handwerker, die wohl zur Stammkundschaft gehören, einen Pilger und eine Gruppe von jungen Männern beim Würfelspiel. Aber den Jüngling, den sie gehofft hatte, anzutreffen, sieht sie nicht.

Dafür eilt nun der Wirt herbei, der augenscheinlich ebenfalls noch nicht allzu viele Sommer erlebt hat - zwanzig bis dreißig, vielleicht - und stellt sich servil vor ihr auf. "Seid willkommen, edle Dame", sagt er und verneigt sich. "Seid willkommen! Sucht ihr Speis und Trank? Wenn ihr übernächt'gen wollt, haben wir ruhige, feine Zimmer hinten hinaus und auch für eure Begleiter wird sich was finden."

[Avelina di Braida]

Sie schien sich ein wenig zu entspannen ob des gemischten Publikums und nickte dem Wirt sachte zu.
„Habt Dank. Etwas zu trinken für meine Begleiter.“
Der Hüne griff nach seinem Geldbeutel, den er unter den Gürtel geklemmt hatte, und legte ohne zu zählen ein paar Münzen auf die Theke. Tatsächlich mehr, als die Getränke kosten würden.

„Ich bin auf der Suche nach jemandem. Man sagte mir ihr könntet helfen. Es geht um einen Edelmann, den man Alain nennt. Er würde sich hier öfter aufhalten.“

[Alain le Beau]

"Ah", sagt der Wirt und macht ein wissendes Gesicht. "In der Tat, der Herr Alain zählt zu unseren wichtigsten Stammgästen." Während Avelinas Begleitern das Gewünschte gebracht wurde, nimmt er sie - ohne sie zu berühren - beiseite und spricht etwas leiser. "Herr Alain hat viele Bekannte, der einen oder der anderen Art. Wenn ihr mir euren Namen sagt, dann weiß ich vielleicht, wie ich euch einzuschätzen habe."

Er kratzt sich hinter dem Ohr. "Oder habt ihr eine Botschaft für ihn?"

[Avelina di Braida]

Die Augen des Hünen verließen den Wirt nicht, als er Avelina zur Seite bat. Mit steinerner Miene lag der Blick der stahlgrauen Augen auf ihm. Beunruhigend, durchdringend.

Avelina schien unterdessen weniger besorgt darüber und nickte dem Wirt sacht zu, bevor sie mit leiser, melodischer Stimme antwortete.
„Sagt ihm die Viscontessa würde ihn gerne sprechen. Er wird wissen, wer gemeint ist.“

Ein kurzes zögern, bevor sie hinzufügte, „Es ist derzeit schwierig mich zu erreichen. Solltet ihr Zeit benötigen, werde ich in den kommenden Nächten noch einmal vorbei sehen.“

[Alain le Beau]

"Oh, wir haben da eine kleine Absprache", erwidert der Wirt geflissen. "Er sagt mir stets, wann er das nächste Mal hier aufzutauchen gedenkt. In vier Tagen wollte er wieder einmal hier nach dem Rechten sehen. Ich werde ihn zuvor darüber benachrichtigen, dass ihr hier gewesen seid." Sofern Avelina dem nichts hinzuzufügen hatte, würde sich der Mann wieder hinter den Tresen begeben und gelegentlich einen Blick zu ihrer kleinen Gruppe hinüberwerfen.

Die Nächte vergehen rasch. Und in der vierten Nacht wird Avelina direkt in eines der Hinterzimmer der Taverne geführt, einen sauberen, hübsch eingerichteten Raum, in dem sich wohl auch begüterte Reisende wohlfühlen würden. Alain sitzt dort an einem Tisch, mit einem Stück Seidenstoff in der Hand - offenbar einer Art Kleid - und studiert dieses. Als die Toreador eintritt, wendet sich sein Kopf ihr zu. Ein Lächeln erscheint auf den feinen Zügen. "Werte Avelina!" sagt der Tzimisce und erhebt sich. "Wie schön, euch wiederzusehen. Es tut mir leid, dass wir unsere Tanzstunden bisher nicht fortführen konnten. So viel ist geschehen... aber setzt euch doch, bitte!"

[Avelina di Braida]

Trotz der grimmigen Miene des Hünen und des offenkundigen Pflichtbewußtseins der beiden Wachen benahmen sich die Männer vorbildlich. Und Avelina ließ sie ihr Getränk genießen, auch nach den Worten des Wirtes. Bei jenem bedanktete sie sich noch einmal und erklärte, dass sie den Termin wahrnehmen würde.

Und ja, natürlich leistete sie der Einladung Folge. Nach den vier Nächten stand wieder eine Gruppe aus zwei gerüsteten Wachen und dem Hünen in der Taverne, die im Vergleich doch recht kleine Frau hätte in dieser Begleitung untergehen können, zumindest so lange bis sie die Kapuze vom Kopf schob.
Sie wisperte ein paar beruhigende Worte zu Bernardo und bestellte Getränke für die Männer. Sie schien nicht zu fürchten, dass ihr hier etwas geschah.

Als sie schließlich alleine das Hinterzimmer betrat schien sie bemüht den Blick nicht allzu sehr schweifen zu lassen. Sie hatte in Erinnerung behalten, dass Alain sich gerne mit hübschen Dingen umgab. Das sprach durchaus für ihn, war aber einer vernünftigen Unterhaltung unter Umständen abträglich.
So haftete ihr Blick sogleich auf dem Jüngling.
Und ihr Anblick mochte durchaus ein wenig ungewöhnlich sein. Konnte man sonst glauben die Viscontessa gönnte sich jede Nacht einen Badezuber und verwandt viel Zeit darauf ihrer stets unzähmbaren Mähne doch den Anschein von Ordnung zu geben, so fiel ihr das lange, wellige, schwarze Haar nun lose über die Schultern. Durchaus war sie sauber, auch die Kleidung, die jedoch schlichter und praktischer war als ihre gewöhnliche Tracht. Und womöglich würde Alain bemerken, dass sie nicht das subtile Aroma von teuren Duftölen umgab, sondern ein frischer Duft nach Nadelhölzern, Erde und Kräutern.

Statt sich zu setzen legten sich ihre Hände auf die Stuhllehne und sie sah ihr Gegenüber mit offenkundigem Interesse an.
Nur ein einziges, leise gesprochenes Wort ging über ihre Lippen, wobei sie den Kopf beiseite neigte: „Warum?“

[Alain le Beau]

Der Tzimisce verzieht ertappt das Gesicht. "Nun, zum einen hatte ich das Gefühl, dass euer Interesse nicht groß genug war, um meine Zeit zu rechtfertigen, zum anderen ist es immer ein sehr weiter Weg von Nervi hinaus in die Dörfer. Es liegt nicht an euch - ihr habt einen sehr schönen Körper und zudem seid ihr recht angenehme Gesellschaft, wenngleich etwas zu steif für meinen üblichen Geschmack, aber in der Abwechslung liegt ja die Würze, nicht wahr?" Er reibt sich die Unterlippe, offenbar bestürzt. "Wenn ich gewusst hätte, dass es euch derart nahegeht, dann hätte ich euch schon lange aufgesucht! Aber dann kam auch noch dieser Umsturz dazwischen und wenngleich die Angelegenheit nun mehr schlecht als recht beigelegt ist, zieht sie doch weitere Verwicklungen nach sich..."

Alain bemerkt Avelinas Blick und runzelt verwirrt die Stirn. "Oder... wovon sprechen wir?"

[Avelina di Braida]

Ihre erste Reaktion war ein verwirrtes blinzeln. Sie lauschte den Worten Alains wobei sich eine zarte Falte auf ihrer Stirn bildete. Doch es dauerte nicht lange bis ihr dämmerte, dass ihr Gegenüber auf die Tanzstunden ansprach und sie schloss die Augen als müsse sie sich einen Moment sammeln und zur inneren Ruhe aufrufen.

Als sie sie wieder öffnete ließ sie sich ein paar beunruhigende Momente Zeit um zu antworten.
„Fast bin ich geneigt zuzugeben, dass eure Unbeschwertheit bewundernswert ist.“ räumte sie mit weiterhin ernster, aber doch leiser und sanfter Stimme ein.
„Ich bin nicht hier um wie sonst mit Worten zu spielen. Darum sollte ich direkter werden. Und um damit gleich zu beginnen: ich wirke steif auf euch? Weil ich nicht wie jede Hure von der Gosse die Beine für jeden hübschen Jüngling breit mache? Weil ich nicht jedem billigen Vergnügen nachrenne, das so leicht zu haben ist wie ein betrunkener Seemann nach drei Monden Schiffsreise? Weil ich nicht fluche wie eine Hafendirne? Oder weil ich dem Tier keinen freien Lauf lasse, wie ihr es tut?“

Sie wirkte tatsächlich neugierig für einen Moment, „Ihr habt meine Aufmerksamkeit. Wie definiert ihr steif? Und wie würde ich das nicht? Sollte ich fluchen wie eine Hafendirne, damit ich nicht steif auf euch wirke? Oder müsste ich einen Menschen leer trinken?“

[Alain le Beau]

"Nein, nein", sagt Alain und lacht. "Ihr habt es schon sehr gut zusammengefasst. Wobei die Hafendirnen wenig Auswahl haben, was die Jünglinge angeht, während ihr, nun, ihr könntet wohl die freie Wahl haben, wenn euch danach wäre. Was das Fluchen angeht, so wirkt es oft billig - was nicht schlecht ist - aber zu eurem Auftritt wenig passend. Und was das Tier angeht: Wenn ich so unkontrolliert handeln würde, wie ihr es gerade impliziert, dann würde ich nun schon an euren Kleidern reißen, während meine Zähne euren Hals suchen würden." Er legt die Hand auf die Brust. "Ich kenne meine Begierden, bin eins mit ihnen. Könnt ihr das von euch behaupten?"

Der Drache macht eine kurze Pause. "Aber wenn ich euch richtig verstehe, habt ihr eine andere Frage an mich?"