[1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

[April '20]
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Iulia Cornelia
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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Iulia schwieg für einen Moment, während die blaugrauen Augen der Ventrue zu dem kleinen schwarzen Wesen abwanderten, dass sich so furchtlos ihr genähert und auf ihrem völlig regungslosen Körper niedergelassen hatte. Nachdenklich blickte sie es an, ohne dabei zu blinzeln, bevor sie sich davon abwandte und mit einer gleichmäßig ruhigen Stimme an ihr Gegenüber gerichtet sprach.

„Ich fürchte ich müsste raten von welcher Nacht ihr gerade gesprochen hattet und auch weshalb ihr meine Älteste nicht verstehen konntet. Doch womöglich kann ich euch trotzdem weiterhelfen? Auch wenn ich selbst nicht zugegen war.“, fragte und bot die junge Ventrue zugleich höflich an, bevor sie sanft mit den Schultern zuckte, ganz so als wollte sie damit sagen, dass dies an der Nosferatu allein liegen würde.

„Auch bin ich mir nicht sicher, welche Frage oder auch Antwort ihr meint.“, erklärte Iulia mit weicher Stimme, als sie vorsichtig meinte: „Ihr hattet mit euren vorherigen Worten bei mir den Eindruck erweckt, ihr würdet Informationen begehren. Wissen, dass euch verschlossen ist oder auch Dinge, zu denen ich in euren Augen Zugang besitzen könnte.“ Erneut zuckte die schlichtgekleidete nonnengleiche Figur sanft mit den Schultern, als sie sich erkundigte: „Aber womöglich habe ich euch missverstanden?“

Vorsichtig und ganz ohne Eile hatten sich ihre weißen, langen und feingliedrigen Finger derweil dem Flatterding auf ihr genähert, bis sie dicht davor angehalten hatte. Dann sah Iulia erneut zu dem Falter, während sie nachdenklich leicht die Stirn runzelte und sie nach einem Moment wieder an Achilla gerichtet sprach: „Lydiadas meinte mich in der fünften Nacht der Unruhen daran zu erinnern, dass wir nun alle auf der gleichen Seite stehen würden. Der Seite Genuas. Ich fragte mich, was dieses Genua ist, dem auch ihr, werte Signora Achilla, die Treue geschworen hattet, meiner Ältesten statt. Wie es aussieht. Wofür es steht. Wofür es kämpft.“

Iulia bot derweil dem kleinen zarten Insekt an, auf oder bessergesagt in ihre offene Hand zu krabbeln, als sie nebenbei rhetorisch fragte: „Wisst ihr darum wie Genua einst war, bevor sich meine Älteste der Domäne vor über einhundert Jahren angenommen hatte?“ Ihr Blick glitt leicht seitlich an der Maskierten vorbei, als ob sie sich an etwas erinnerte, von dem sie einst gehört hatte.

„Euer Ältester Godeoc war damals Prinz der Domäne und Genua eine Stadt ohne jegliche Hoffnung, die binnen weniger Jahre aufgegeben worden wäre. Genua hatte einen Bischofssitz, doch keinen Bischof. Es gab hier weder einen Grafensitz noch einen Grafen. Die Stadt war ohne schützende Mauer und der Hafen ohne Wasser. Die genuesische Bevölkerung wurde damals im Wochentakt verschleppt und auf korsischen, iberischen, sardischen und sizilianischen Sklavenmärkten verkauft. In Domus stand kein Haus mehr mit mehr als drei Wänden und Ravecca war verlassen.“, erzählte die Ventrue mit der Stimme einer wohlgeübten Rednerin, die es leichtmachte, ihr länger zuzuhören, auch wenn es ein dunkles Bild der Stadt war, welches sie dabei gezeichnet hatte.

Iulia blickte kurz auf den kleinen Falter zurück, dem sie angeboten hatte, auf ihre Hand zu krabbeln und sie schwieg für einen Moment, bevor sie an die Nosferatu gewandt fortfuhr: „Es war Aurore, die der Stadt zu Sicherheit, Wohlstand und Blüte verholfen hat. Ihrer weisen Planung verdanken wir erst unsere sichere und gute Existenz in Genua. Entsprechend wenig verwunderlich war es für mich letztlich zu hören, dass meine Älteste von dem Betragen so vieler Bewohner ihrer Domäne auf dem Treffen vier Nächte nach ihrem Thronjubiläum gelinde gesagt enttäuscht war.“

Erneut schwieg Iulia nachdenklich, bevor sie schließlich weitersprach. „Es mag nun der aschene Pakt und somit die friedliche Vereinbarung mit der See der Schatten gelten, doch so sehr ich Lydiadas respektiere für den Kainit der er ist, so sehr weiß ich auch darum, dass er Niemand sein wird, der sich mit dem Posten des Seneschalls dauerhaft abfinden wird.“, erklärte die junge Ventrue mit hörbarem Respekt vor dem Lasombra Ahn, aber auch Sorge in ihrer Stimme, als sie meinte: „Er wird erneut versuchen meine Älteste auf die eine oder andere Art und Weise zu entthronen, um selbst Prinz zu werden.“

Iulia schwieg für einen Moment, bevor sie meinte: „Unter meiner Ältesten besaß Godeoc seine eigene Domäne im Herzen der Stadt, einen Mondsenatorenplatz und gar dessen Vorsitz. Aurore respektierte euren Ältesten und sie wies mich an, ihm mit dem allergrößten Respekt zu begegnen, auch wenn seine Laune womöglich nicht die Beste wäre. Doch nun da Lydiadas nach Genua kam, stand die Domäne eures Ältesten in Flammen, es wurden Rechte beschnitten und die Stadt versinkt mehr und mehr im Chaos. Die Leute verbarrikadieren sich, denn sie haben Angst oder aber sie ziehen marodierend durch die Straßen, ohne zu wissen welches Unheil sie eigentlich damit heraufbeschwören. Ich frage mich also, was wird Lydiadas als Nächstes tun? Wie wird er meiner Ältesten und somit auch allem was sie aufgebaut hat schaden? Wo werden die Euren, aber vor allem ihr, werte Signora Achilla, in seinen Plänen sein? Werdet ihr ihm dabei helfen, das hundertjährige Werk meiner Ältesten zu zerstören?“

Beinahe traurig betrachtete Iulia erneut den Falter, als sie ihn nachdenklich zu fragen schien: „Werden wir uns als Freunde wiedersehen?“ Für einen Moment mochte es wirken, als ob die Ventrue im nächsten Augenblick ihre Finger um das zerbrechliche Wesen schließen würde, um es fest in ihrem Griff zu halten oder gar zu zerquetschen. Stattdessen blickte sie mit einem langsamen Lidaufschlag zurück auf die Maskierte, als sie ihr das kleine Wesen mit ihrer flachen Hand unbeschadet anbot und sie fragte: „Oder werden wir dann Feinde sein, werte Signora Achilla?“ Fragend blickte sie die Signora mit leicht gesenktem Blick an, ohne jedoch ein weiteres Wort dabei zu sprechen.
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Signora Achilla
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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“Helfen, die Pracht la superbas zu schmälern?” Die Signora schien verblüfft für den Moment. Dann streckte sie sich, weit genug, dass sie die Hand ausstrecken und die von Iulia berühren konnte. Doch nicht wegen der Motte, die davon aufflatterte. Sie legte ihre Hand unter die von Iulia wie zum Tanze.

“Ich danke Euch für Eure Worte über die Geschichte. Es ist eben solches Wissen, das ich suche und brauche. Das und noch so vieles mehr, das unsere Welt um uns her erst mit Farbe und Sinn füllt.” Sie neigte sich noch ein wenig weiter vor. Mit dieser Maske konnte sie Iulias Hand nicht küssen, doch sie berührte sie mit ihrer Stirn und zog sich dann wieder zurück auf ihren Platz.

“Ich bin eine Fahrende geworden, doch nicht, weil ich es gewählt habe”, erklärte sie leise. “In meiner Heimat ging der Tod. Meine Erzeugerin fiel und so viele andere auch, ausgelöscht für immer.” Sie schauderte und schüttelte sich. “Doch ich verstand etwas von den Masken und vom Schauspiel, ich verstand ein wenig von Worten und Schriften - vor allem aber verstand ich etwas von den Herzen der Menschen. Und so ging ich wie so viele andere auch, die ihre Heimat verlieren, wurde heimatlos und fahrend.” Mit einer weiten Geste ihres Arms unterstrich sie ihre Erzählung, als zeigte sie bis zum Horizont.

“Es hat einen Zauber, so ein Leben. Im Frühjahr, wenn die Schausteller kommen, lockt es so manchen jungen Burschen und so manche Maid zu den bunten Wagen, nicht wahr?” Sie lachte einmal, schnalzte dann aber hart mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
“Doch es ist ein hartes Leben, ohne Heim, ohne Sicherheit, ohne Gewissheit. Für die Menschen in den Dörfern und Städten ist man fremd. Die Straße ist keine sanfte Herrin.”
Leise pochte sie dazu auf das Holz des Wagens, in dem sie saßen. Es war alt und vernarbt - der Karren war einfach, doch er hatte schon Wind, Wetter und lange Jahre gesehen.

“Ich war viele Jahre dort draußen. Lang genug, um zu lernen, wie man’s überlebt und sich dabei nicht verliert. Lang genug, um zu lernen, wie man schätzen und lieben kann, was man hat - anstatt sich mit dem zu beschweren, was man nicht hat und haben kann. Und doch… ich habe immer gehofft, dass ich einmal wieder eine Heimat finden würde.”
Sie legte eine Hand auf die Brust, über ihr totes Herz.

“Und dann?” Mit einer Drehung der Hand formte sie eine neue Geste, ein Locken wie im Theater, mit gekrümmtem Finger. “Das war des Herren Godeoc Wort, das mich herlockte. Er sagte, hier könnte selbst eine wie ich eine Heimat erbitten und finden. Und ich kam. Lange Monate lagerten wir vor den Toren der Stadt.”
Sie legte ihre Hände in den Schoß und faltete sie dort, sorgfältig Finger für Finger.

“Ich habe kaum gewagt, all den Leuten unter die Augen zu treten. Selbst in diesen Nächten ist es noch wie ein Wunder, wenn ich sie mir alle ansehe. Und dann, nach diesen furchtbaren, blutigen, schrecklichen fünf Tagen, in denen mein Heim in Clavicula brannte und so viele um mich her starben? Ich durfte einen Schwur tun, um eine Heimat zu bekommen. Versteht Ihr, was dies bedeutet?”
Wieder neigte sie sich ein wenig vor und suchte Iulias Blick, um zu sehen, ob diese verstand.

“Ich würde alles tun, um meine neue Heimat zu verteidigen. Ich stehe nicht gegen seine Herrin, ich bin ihr dankbar - so wie ich dem hohen Herren Godeoc dankbar war und bin, für die Gelegenheit, die er mir gab. Für sein Wort und seinen Schutz, als ich nichts hatte.”

“Ich bin nicht Eure Feindin, Iulia, la pura. Lasst uns lieber einander Freundin sein und sehen, zu welcher Pracht wir unserer Heimat noch verhelfen können. Es wäre zu unser beider Freude und Genuss - und für alle anderen um uns her.”
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Iulia Cornelia
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

Beitrag von Iulia Cornelia »

Iulia zuckte unter der Berührung der Nosferatu zum Tanze nicht weg. Auch dann nicht, als ihre Maske ihrer Hand derart nahegekommen war. Stattdessen lagen ihre Augen sanft auf der flüchtigen Berührung, als sie interessiert dem zuhörte, was die Schaustellerin erzählte, bis zu jenem Punkt, an dem die Nosferatu den Blick der Ventrue suchte. Iulia wich ihm nicht aus, als ihr Gegenüber danach verlangte, doch das Verständnis nach dem sie gesucht hatte, fand sie in dem milden Blick des Kindes nicht.

Die Ventrue schwieg, als die Nosferatu geendet hatte. Ihre blaugrauen Augen wanderten zu ihrer Hand ab, die noch immer kalt und tot in der ihres Gegenübers lag. Kein falsches Leben pulsierte durch sie, noch strahlte sie eine wohlige oder gar trostspendende Wärme aus. Es dauerte, doch dann bewegten sich die feingliedrigen, langen Finger. Vorsichtig berührten sie die Haut der Verborgenen und streichelten diese zärtlich. Für mehrere Momente sagte Iulia nichts, in denen ihre seidenzarte Haut stumm, die ihres Gegenübers liebkoste. Als sie schließlich ihre Stimme widerfand war ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen als sie leise sprach: „Ja, ich verstehe.“

Ihre Finger glitten langsam über ihre Hand und aus ihr, als sie Ventrue sie zu ihrem Körper zurücksinken ließ und stattdessen leicht den Stoff ihrer Kleidung berührte, als sie fragte: „Von welcher Freude und Genuss sprecht ihr, werte Signora Achilla? Wie gedenkt ihr der Domäne, die ich Heimat nenne, zu Pracht zu verhelfen?“
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Signora Achilla
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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“Wenn nicht blutiger Zwist mich, wie so viele andere, packt und in Rollen zwingt, welche nur wenige von uns je spielen wollten?”
Die Signora zog sich langsam wieder zurück, auf ihre Seite des kleinen Raumes. “Sagt mir, muss ich fürchten, dass sie erneut Kriegsmaschinerie auf mein Heim lenken? Es scheint so offenbar für jeden von uns, dass dies Feuer auf den Herren Godeoc regnen sollte, um Platz und Raum zu schaffen. Und nun? Nun sieht man nach solchen wie mir, die in seinem Schatten gingen? Die einen sagen, es war die Hand der principessa, die so vieles hier auslöschte. Andere sagen, es war der Wille des Seneschalls, denn zu jener Zeit musste ein Platz freigeräumt werden.”

“Ich frage mich, ob sich Genua reinwaschen wird von dieser Sache. Und vielleicht wäre es eine erste Tat, die getan werden muss. Wird ein Schuldiger gefunden und bestraft für den Tod so vieler Menschen und dafür, dass sich Waffen des Krieges gegen die Stadt selbst gerichtet haben?”

“Oder wird dies einfach alles vergessen werden, als wäre es ein Unfall gewesen, nie wieder benannt oder besprochen? Wird sich dies zu den Geheimnissen der meinen gesellen, zu alten Schulden und anderen dunklen Gewichten aus der Vergangenheit?”
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Iulia Cornelia
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

Beitrag von Iulia Cornelia »

Iulias Blick spiegelte eine gewisse Nachdenklichkeit, aber auch Sorge wider, als Signora Achilla davon gesprochen hatte, dass man nach solchen, wie ihr sehen würde. Zwar hörte sie ihr weiter zu, doch wirkte sie seltsam abgelenkt dabei. „Was meint ihr damit, dass man nach solchen wie euch sieht, die in seinem Schatten gingen, werte Signora Achilla?“ erkundigte sich die junge Ventrue mit fragenden Blick bei ihrem Gegenüber, nachdem dieses geendet hatte.

Sie zögerte einen Moment, bevor sie erklärte: „Ich hatte das Vergnügen eurem Clansbruder Il Ghiotto vorstellig werden zu dürfen. Er wirkte wohlauf und doch schein auch er besorgt. Eine Besorgnis, die ich mir damals nicht erklären konnte. Zumal warum er, wie ich selbst, nicht im Elysium zugegen war. Ich sorgte mich um ihn und doch wollte ich ihm auch nicht zu nahetreten mit einer womöglich ungebührlichen Frage.“

Iulia musterte ihr Gegenüber nachdenklich von oben nach unten, als sie ergänzte: „Und heute begegnetet ihr mir mit einer solchen Bissigkeit über meinen Besuch, die ich mir selbst nicht erklären konnte.“ Die Ventrue schwieg und betrachtete die Maskierte längere Zeit weiter nachdenklich, bevor sie den Kopf schüttelte und sanft erklärte: „Ich kenne die Antwort auf eure Fragen nicht, werte Signora Achilla, und ich weiß auch nicht was geschehen wird, doch was ihr andeutet habt, beunruhigt mich.“
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Signora Achilla
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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“Dann habe ich Euch eine sachte Ahnung davon gegeben, wie es wäre, würdet Ihr Erfahrungen hier tatsächlich erleben.” Die Antwort klang ebenso milde und sanft wie die von Iulia. Für einen Moment kehrte Stille ein und die Geräusche von draußen her waren alles zwischen den beiden. Gesang und Gelächter, von irgendwoher ein wütendes Schimpfen. Eine Ziege meckerte von gar nicht so weit weg, vielleicht von irgendeinem nahen Hinterhof her.

“Doch Ihr habt recht: Es muss bissig für Euch klingen und das ist nicht recht. Die Sorgen sollen warten. Sterben müssen am Ende wir alle und bis dahin sollte man seine Zeit nicht mit Düsterkeiten verbringen, eh?”
Sie zupfte ihr Kleid ein wenig zurecht so wie ein Vogel sein windzerzaustes Gefieder putzt.

“Was haltet Ihr von einem Theaterstück? Einem echten, so wie es die Griechen und auch unsere eigenen Vorväter hierzulande taten? Vielleicht könnten wir an ein Scriptum kommen von einst - oder eine Überlieferung die klarer ist als die Geschichten, die die meinen über die Zeiten hinweg tragen, von Mund zu Ohr zu Herz und wieder von neuem? Stünde Euch der Sinn danach, so etwas zu schauen? Ich will eines aufstellen - und selbst wenn ich die alte Truppe zu Feuer und Schlachtbank führen und eine neue Truppe ausbilden müsste?”
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Iulia Cornelia
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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Die Ventrue betrachtete die Signora schweigend. Unverständnis lag in ihrem Blick geschrieben, als sie hinterfragte: „Ihr verurteilt den Tod so vieler und wollt doch die Truppe zu Feuer und Schlachtbank führen für ein Theaterstück?“
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Signora Achilla
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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“Nein.” Das war eine simple Antwort. Doch sie klang auch bodenständig mit den nächsten Worten: “Ich habe Seite an Seite mit ihnen gelebt, all die Jahre seit ich nach Genua kam. Ich habe sie handverlesen, habe gesehen, wie sie gewachsen sind und gelernt haben. Wie sie die Bühnenkunst verfeinert haben und wie sie Darbietungen gegeben haben, die heller gestrahlt haben als alle anderen.”
Bis hierhin klangen die Worte merkwürdig distanziert und kalt. Doch die Signora konnte das nicht länger halten und es brach aus ihr heraus:

“Als Clavicula brannte, da haben sie mich gerettet und aus den Feuern gezogen, auf ihren Händen getragen und in Sicherheit gebracht. Will ich sie umbringen? Nein!”

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und es wurde auf einmal wurde deutlich, wo der tatsächliche Schmerz und Dorn saß, der die Signora in diesen Tagen so aufrüttelte. “Ihr habt einen Teil von ihnen gesehen, da draußen, zwischen all den anderen. Wie sie Euch willkommen geheißen haben und wie sie sind. Musik und Wort sind ihr Leben, das Licht der Bühne ihr Lebensgrund. Solche Menschen sind selten und die wenigsten überstehen lange. Sie haben nicht die kalte Perfektion der Toten, denn sie sind lebendig! Sie auf der Bühne zu sehen, das ist eine wahre Freude.”
Weinte die Signora? Die Maske verbarg es wohl und das Licht war zu schlecht, um es klar zu sagen.
“Ich will sie nicht sterben sehen, doch ich gab ihnen mein Blut. Denn das war mein Auftrag: Dass ich für die principessa bianca eine Truppe schmiede, die bereit ist, um für uns in der Nacht zu spielen. Natürlich gab ich ihnen mein Blut und damit habe ich sie nun verdammt! Doch was sonst? Denn nur so konnte ich selbst Fahrende binden, die doch nur den Horizont suchen, und so kann man ihre Zungen stillhalten, so dass sie nicht über Dinge sprechen, die nicht in die Tagwelt gehören.”

“Doch ich kann nur einen behalten. Einen einzigen. Und ich weiß, wer das sein muss, denn ich gab ihm mein Wort. Ein Pakt. Die anderen? Ha.” Das Auflachen klang bitter und schmerzlich. “Ich habe drum gebeten, beim Herold. Habe versucht, es so zu wenden, dass sie doch am Ende der principessa gehören, denn sie sind nur für diesen Auftrag geworden, was sie nun sind. Doch ich weiß nicht, ob all dies sie je erreicht. Oder ob das Schicksal von ein paar Musikanten ihr auch nur den Gedanken wert ist. Ich weiß nicht einmal, ob sie je davon gehört hat, was mir zu tun aufgetragen worden ist - oder ob es sie kümmert. Vielleicht wird sie über nichts davon entscheiden, weil es jemand anderes tut, irgendwo in den Rangfolgen der Mächtigen. Was verstehe ich schon davon?!”
Hilflos hob sie die Hände. “Ich habe überlegt, was ich tun kann. Sie fortsenden? Wie denn, nachdem sie vom Blut gekostet haben? Selber mit ihnen fliehen und die Heimat wieder verlieren, die ich endlich fand? Vielleicht wäre das das richtige, zu tun? Doch was dann? Dort draußen ist nicht genug Beute, dass ich sie alle aushalten kann. Was bleibt noch? Ich könnte versuchen, zu betrügen. Keiner der Liktoren hat, was es benötigt, um hinter echtes Maskenspiel zu blicken. Nicht die Kräfte des Blutes sondern die von Witz und Geist, Handwerk und Kunst. Doch ich habe einen Schwur getan und mir ist sie wert, diese Heimat, trotz allem, trotz des Feuers, trotz all der Hässlichkeiten.”
Wieder hob sie hilflos die Hände. Motten taumelten um sie her durch die Luft, ziellos und verwirrt, mitgenommen vom aufgewühlten Gemüt der Signora. Es war echte Leidenschaft, mit der sie hier sprach. Ihre Liebe zur Bühnenkunst schien hier durch und auch ihre Zerrissenheit in all diesen Fragen. Wieder ballte sie die Hände zu Fäusten und presste sie an die Brust.

“Doch wenn sie sterben müssen, dann will ich, dass sie es auf der Bühne tun! Ein letztes Mal, ein letztes Licht, eine Darbietung, die unvergesslich ist. Es hieß, dass der Seneschall sich um all dies kümmert. Ich hörte, dass er sie einfach alle verbrennen würde, dass am Ende nichts übrig bleibt als kalte Asche.”
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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„Niemand zwingt euch sie zu vernichten.“, meinte die Ventrue mit sanfter Stimme, während sie die Nosferatu weiter mit Unverständnis anblickte und erklärte: „So ihr es tut, so tut ihr es, weil ihr es so wollt.“

Iulia schwieg bewusst, um ihrem Gegenüber deutlich zu machen, wo der Fehler in ihrer Denkweise lag, bevor sie meinte: „Es ist eure Entscheidung und nicht die des Seneschalls oder gar die meiner Ältesten.“

Die junge Ventrue blickte den wild, beinahe panisch, herumfliegenden schwarzen Schatten nach, bevor sie nur leicht den Kopf schüttelte. Dann erst fragte sie mit einer ruhigen, milden und nachsichtigen Stimme an die Nosferatu gerichtet: „Warum denkt ihr sollte der Prinz euch Gehör schenken, werte Signora Achilla?“
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Signora Achilla
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Re: [1035] Eine kleine, flatterhafte Geste [Achilla, Iulia]

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“Niemand zwingt mich, eh?” Die Nosferatu gab ein eigenartiges Geräusch von sich. Vielleicht ein ersticktes Lachen? Vielleicht steckte etwas in ihrem Hals.
“Darum, mein lieber Gast, Inspiration dieser Nacht, Wetzstein für die Schärfe an diesem Abend… darum sind sie auch noch nicht tot.”

Sie ließ die Worte so stehen und fasste sich an den Hals. Dort schien tatsächlich etwas zu stecken, denn sie musste sich etwas räuspern und die Stoffe zurechtziehen. Alte Haut platzte irgendwo verborgen auf. Das Geräusch konnte einen schaudern lassen, doch äußerlich blieb alles unverändert.

“Und ja, warum in der Tat? Warum sollte sich ein Prinz um mich scheren? Das ist eine Frage, die Ihr mir eher beantworten könntet als ich, denn schließlich seid Ihr mit solchen Fragen hier. Warum kümmert es Euch? Oder irgendwen? Ich schaffe Werke und Bühnenkunst! Ich wirke hier, am Platz der Wunder, so gerade eben am Rande des einen und des anderen Sestieri, irgendwo dazwischen, eh? Ich sehne mich nicht Herrschermacht, Reichtum ist mir einerlei solang’ es genug ist, die Kunst voran zu treiben und vielleicht für den einen oder anderen Genuss an der Seite. Ich tue meinen Teil, dass es das Herrschen geben kann, denn in Krieg und Chaos, da ist kein Platz für Wort und Musik, alte und neue Geschichten.”

Sie neigte den Kopf auf die Seite und legte dann die Hände an die Ränder ihrer Maske, wo der Stoff begann. “Ich kann viele, viele Masken tragen, mein lieber Gast. Und ich trage sie gern, für so viele, die mir begegnen und mir diese oder jene aufsetzen, weil sie dies oder jenes brauchen. Es ist recht so - gut sogar. Wie viel erlebe ich, allein dadurch! Ha. Doch an dieser Frage nun, da bin ich ratlos. Gewiss hat ein Prinz besseres zu tun. Und gewiss auch all die anderen? Und doch… und doch legt Ihr nun diese Frage vor mich hin.”
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