[1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

[April '20]
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Signora Achilla
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[1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Federico war ein junger Mann mit haselnussbraun gebrannter Haut, dunklen Locken und einem noch etwas dünnen Bart. Er lungerte an einem der Stadttore herum, zusammen mit ein paar anderen Gestalten, die sich von den Reisenden und Händlern, die das Tor passierten, etwas erhofften. Ein paar Botenläufer, selbsternannte Stadtführer, Bettler, Hübschlerinnen oder Werber für das eine oder andere Gasthaus nahebei waren hier. Federico kannte ein paar der Gesichter, wie es eben so war, wenn man länger als ein paar Monate an einem Fleck blieb und sich mit Stadt und Leuten zurechtfand.

Er blieb den Torwächtern aus dem Weg und aus dem Blick, soweit er es vermeiden konnte, denn solche Aufmerksamkeit war für keinen eine gute Sache. Doch ansonsten hielt er einfach nur die Augen nach diesem Luca offen, der ihm beschrieben worden war, oder sonst jemandem vom Palazzo del Mare, den er vielleicht kannte. Bis die nicht auftauchten, gab es nicht viel zu tun. Er begnügte sich in seiner Wartezeit auch damit, die Leute bei ihrem Kommen und Gehen zu beobachten und etwas gedankenverloren an einem Schnitzer Süßholz herum zu kauen - er hatte mal gehört, dass den Weibern der süße Atem ungemein gut gefiel.
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Alain le Beau
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Er musste ein Weilchen warten, der Schönling, denn Luca sah es gar nicht ein, sich für einen Schausteller unbotmäßig zu beeilen. Weder für diesen seltsamen Animo - den würde der pralle Geldbeutel an seinem Gürtel schon überzeugen - noch für diesen Geck, den sein geliebter Herr und Meister ihm zu finden befohlen hatte. Sein Herr... Jedes Mal, wenn Alain ihn aus dem Palast sandte, spürte er dessen Abwesenheit wie ein Loch in seiner Brust, eine Leere, die keine Freude der sterblichen Welt zu füllen mochte. Er hatte es versucht. Es war nicht so, als ob ihn jemand davon abhielt. Im Gegenteil: Der Exzess war gern gesehen im Palast, war geradezu der erklärte Lebensstil der Bewohner. All der kleinen und unwichtigen Bewohner, der Weißgewandeten mit den glasigen Augen, die sich stets über ihre Adern strichen, der Wachen mit ihrem Akzent, der ihn so sehr an IHN erinnerte, der Dienerschaft. Keiner von ihnen war der Leibdiener des Herrn Alain und doch waren sie ihm heute näher als er. Welch eine bittere Ironie.

Mit derlei trüben Gedanken schob er sich durch die Menge bis zur Porta Soprana, wo sich das Volk drängte. Manch ein Bettler wich ihm aus, seine feine Kleidung ein wortloses Signal, auch wenn er heute ohne Wachen unterwegs war. Und doch hatten seine Arme einst Ketten getragen, war er weniger wert gewesen als dieser Abschaum um ihn herum. Und jetzt? Jetzt lebte er über ihnen, ein Herr, ein Mann mit Einblick in Welten, von denen die meisten hier nichts ahnten - nun, zugegeben, etwas mehr als noch vor einem Jahr, aber dennoch. Der Gedanke erfreute ihn. Die Hände vor seinem Bauch verschränkt, schlenderte er bis zum Tor, wo er sich nach diesem "Federico" umsah. Er würde den Namen nicht brüllen. Der Kerl konnte gefälligst ihn suchen. Wahrscheinlich kannte er sein Gesicht ohnehin. Immerhin beschmutzten... besuchten die Schausteller den Palast jetzt schon länger, auch wenn er sich nicht die Mühe machte, sich alle Gesichter zu merken.

Wichtig war ohnehin nur eine. Die Mottenfrau. Die Anführerin. Die Maskierte. Die hochwohlwertgeborene Signora Achilla. Das hatte sein Herr deutlich gemacht. Luca liebte seinen Herrn.
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Signora Achilla
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Als Luca auftauchte, da erkannte Federico ihn auch wieder. Er war selten einmal im Palast dabei, denn das blieb den Schaustellern vorbehalten. Solche wie er, die hatten eine andere Art von Kunst. Er wusste nicht genau, wie er das hier anfangen sollte. Aber der Kerl sah reich aus und hatte ein gutes Leben - da war es nie verkehrt, sich mit solchen Leuten gut zu stellen.

Und so ging er zu ihm herüber. “Holla Signore?”, fragte er und lächelte. Seine Zähne waren ein wenig schief, aber sie waren noch alle da, was nicht eben jeder von sich behaupten konnte. “Signore Luca…?”
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Alain le Beau
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Der Blick, der ihn trifft, war kalt genug, um die Luft gefrieren zu lassen. Die Nase wurde gerümpft, die Augenbraue kritisch hochgezogen. Erst nach einigen Sekunden unangenehmen Schweigens öffnen sich die Lippen, gerade genug, um zusammengebissene Zähne erkennen zu lassen. "Federico, nehme ich an?" Wieder eine Musterung. "Nun dann. Wir sollten keine Zeit verlieren." Luca winkte dem jungen Mann hochherrschaftlich, ihm zu folgen. Die Geste eines Herren. Federico fragte sich, wie alt Luca ist. Ende 40, vielleicht? Andererseits wirkte seine Haut dafür sehr glatt, ebenmäßig. Ein attraktiver Mann - und der arrogante Ausdruck würde sicherlich einigen Frauen gefallen.

Tatsächlich legte der Leibdiener ein beachtliches Tempo vor und Federico musste sich anstrengen, mit ihm Schritt zu halten. Immerhin hielt Luca gelegentlich inne, um einer schönen Frau oder (interessanterweise) einem jungen Mann hinterherzusehen. Einmal zwinkert eine Bauersmagd ihm zu. Sofort geht er einige Schritte auf sich zu und der Schausteller denkt bereits, dass Luca ihren Auftrag vergessen hat, aber dann bremst er sich doch und verneigt sich nur lächelnd, eine Parodie. Der Herr beugt sich vor der Magd. Es entlockt ihr ein Kichern. Mit einem Ausdruck des Bedauerns winkt Luca ihr zu und wandert dann weiter die Straße entlang.

Gen Flussmund.
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Signora Achilla
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Holla - Federico wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte, mit dem, was er sich da angelacht hatte. Aber gut sah er aus, der feine Herr, das musste man ihm wohl lassen. Und er war wohl auch kein Kind von Traurigkeit. Wenn er nicht ganz so hoch auf seinem Ross säße, das er nicht einmal hatte, dann ginge es ihm wohl um einiges besser - oder so entschied Federico seine Einschätzung jedenfalls.

Das änderte sich ein wenig mit dem Tempo, das Luca da an den Tag legte. Zum Glück war es nicht allzu weit, raus nach Flussmund.
“He, du gehst wie vom Teufel getrieben”, schnaufte Luca irgendwann scherzhaft. “Was ist los? Die Sonne scheint, die Mädchen lächeln und schau dir die Bucht an!” Er machte eine einladende Geste über den Ausblick hinweg. “Geh’s locker an, dann fallen wir auch nicht auf wie zwei aus der Stadt, die gaffen gehen.”
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Alain le Beau
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Zuerst erntete der Schausteller einen sehr kalten Blick, aber seine letzten Worte sorgten immerhin dafür, dass Luca die Stirn runzelte und das Tempo ein wenig verlangsamte. "Wir haben einen Auftrag", sagte er kurz angebunden. Dennoch sah Federico, wie der andere den Blick über die Bucht schweifen ließ. Dann zuckte Alains Abgesandter mit seinen Schultern. "Wir können es langsam angehen lassen, wenn wir Burgus hinter uns haben. Freiwillig würden mich keine zehn Pferde dorthin kriegen. Ich hoffe nur, dass deine Herrin keinen Mist erzählt, Bursche." Er leckt sich nervös über die Lippen. "Wenn du nur halb soviel gehört hättest wie ich - und ich habe recht wenig von dem gehört, was es da wohl zu hören gibt - dann würdest du einen großen Bogen darum machen wollen."
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Signora Achilla
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Federico sah Luca an und wusste nicht recht, ob er darüber lachen sollte oder den Mann doch für voll nehmen. Er rieb sich den Nacken und nahm noch einen tiefen Atemzug.

“Sie’s nicht meine Herrin”, versetzte er dann erst einmal. “Ich bin mein eigener Herr.” Das waren große Worte, aber Federico war stolz darauf, dass sie wahr waren. Er hatte weder Land noch Geld zu seinem Namen - aber er hatte auch keine Schuldner oder Herren. Wie so mancher Fahrende war er frei und hatte sich seine Gesellschaft selbst gesucht, sein Glück selbst gemacht. Sicher, es war ernster geworden, in den letzten Jahren. Blutiger auch - Federico hatte so manch einen über die Klinge springen sehen. Und dann waren da die anderen Dinge, weniger blutig, aber schlimmer. Die Sache war nur einfach: es zahlte sich aus. Und er wollte mehr. Zurück ging es ohnehin nicht mehr. Dann war er der nächste, der in irgendeiner dunklen Gasse erbärmlich sein Leben aushauchte.

“Ich bring’ dich zu wem, der Heiligenspiele macht. Auch nicht zu schlechte, soweit ich sagen kann. Und noch nie ist mir auf dem Weg mehr passiert als ein paar Torwächter, die noch was extra für die eigene Tasche haben wollten.”
Er sah Luca herausfordernd an. “Was ist da los, in Burgus?”
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Luca lächelte über die Illusionen der Freiheit, die der junge Mann hegte. Er hätte sie zerstören können, aber Federicos Art zehrte an seinen Nerven und es erschien ihm süßer, sie noch ein wenig reifen zu lassen. Wenn sie in einigen Jahren von selbst platzen würden, würde das Resultat verheerend sein. Der Leibdiener war schon seit vielen Jahren nicht mehr sein eigener Herr und hatte eine wichtige Lektion begriffen: Unfrei zu sein, bedeutete nicht, keine Freiheiten zu haben. Es bedeutete sogar eine gewisse Sicherheit. Eine Art Gerüst, an dem sich ein ambitionierter Mann hinaufhangeln konnte. War er nicht gemeinsam mit einer anderen Sklavin gekauft worden? Und wo war sie nun? Teil einer Herde von Vieh, das mit fiebrigen Augen darauf wartete, verzehrt zu werden. All das ging ihm durch den Kopf und ließ seinen Mundwinkel noch höher steigen, während er Federico gönnerhaft zunickte. Was würde der Junge werden? Ein aufsteigender Stern? Oder Vieh?

Auf die Frage nach Burgus hin versteinerte sich sein Gesicht jedoch rasch. "Gerüchte von wandelnden Toten", sagte er leise. "Monster im Gewand von Heiligen. Kreaturen, die nicht zur den Körper, sondern auch den Geist in Fesseln legen wollen." Er versuchte ein unbesorgtes Schulterzucken und scheiterte kläglich. "Ich habe Anweisung, mich von dort fernzuhalten, so gut ich kann. Insbesondere nachts."
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Federico griff nach einem kleinen Anhänger, den er trug. Die Knochenschnitzerei war nichts besonderes und schon über die Jahre blankgerieben.
“Pfaffen, mhm”, meinte er. “Ich kann’s mir vorstellen, bei einigen. Die sind selbst von ihrem eigenen Latein abgekommen, und allem.”

Er sah abschätzend zu Luca. “Da fragt man sich, worauf man noch vertrauen soll in der Welt. Auf sich selbst, sag’ ich. Und die, die um einen her sind.” Doch er kaute wohl noch auf etwas anderem herum, das Luca gesagt hatte. Irgendwann platzte die Frage dann aus ihm heraus. “Wiedergänger, hm? Wie kann das sein und keiner fasst sich ein Herz und brennt sie aus?” Das klang halb tollkühn und halb nervös, doch Federico wollte ganz offensichtlich nicht dastehen wie ein Feigling. Nicht am helllichten Tag und während der Wind ihnen die salzige Seeluft zutrug.
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Re: [1035] Was einem heilig ist [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Luca kneift ein Auge zusammen, während er den jungen Mann betrachtet. "Weil es nur Gerüchte sind. Wer will schon den Zorn des Herrgott spüren, weil er auf Hörensagen hereingefallen ist?" Er zögert, dann fährt er fort. "Ich für meinen Teil glaube nicht, dass dort die Toten wandeln. Ich glaube, dass die Mönche dort Unzucht und andere Laster betreiben und dabei nicht gestört werden wollen. Deswegen diese Märchen. Aber die Wachen haben sehr reale Knüppel und Schwerter. Und sie dulden niemand, der nachts dort herumschnüffelt."

Dann verfällt der Leibdiener wieder in ein mürrisches Schweigen und marschiert geradewegs und raschen Schrittes durch das nahende Burgus hindurch. Federico bemerkt, dass er jeglichen Blickkontakt meidet. Erst danach entspannt er sich und sieht seinen Begleiter an. "Und?" fragt er in scheinbar unbekümmertem Tonfall. "Was sagst du zu unserem kleinen Auftrag? Ist Konkurrenz für euch, nicht?"
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