[1036] Wohin mit den verlorenen Seelen? [Alain, Fray Diego]

[Fray Diego]

Der Abend war noch jung, als sich Fray Diego durch die Gassen der Stadt bewegte. Er hatte gerade sein Abendgebet beendet und ging nun, gemächlichen Schrittes durch die Stadt. Sein Ziel, eine Taverne, kannte er nur vom Hörensagen und es war schon eine lange Zeit her, als er das letzten Mal eine solche betreten hatte. Also lies er sich Zeit mit dem Weg. Als er das Gebäude erreicht hatte, bekreuzigte er sich noch einmal vor dem Eingang und betrat dann die Spelunke. Warme Luft traf ihn wie eine Wand, das Kaminfeuer an einer Seite des Raumes verbreitete eine Wärme, welche durch die Körperwärme der anwesenden Personen noch erhöht wurde.

Er suchte sich einen Platz in der Nähe des Eingangs und bestellte sich Wasser, welches wahrscheinlich eher in der Wärme des Raumes verdunstet, als getrunken worden wäre. So nutze er es, um sich immer mal wieder die Lippen zu benetzen und den Anschein zu erwecken, dass er nur auf jemanden wartete. In der Tat hoffte er darauf, dass die Person, welche er zu sprechen gedachte, sich an diesem oder den kommenden Abenden hier einfinden würde.

[Alain le Beau]

Es gibt viele Tavernen in Genua. Eine Stadt der Seeleute und des Handels findet stets Wege, das Silber aus der einen in die andere Tasche zu befördern. Entsprechend misstrauisch wird ein Mönch beäugt, noch dazu einer, der sich mit Wasser begnügt. Aber offenbar hat keiner der Gäste Lust auf einen Sermon, denn Bruder Diego bleibt unbehelligt. Doch zunächst ist seine Suche ergebnislos. Erst, als er einige Wochen später wieder die Taverne betritt, sieht er an einem Tisch eine kleine Gruppe bei einem ausschweifenden Gelage mit Würfelspiel, Hühnerbeinen und Krügen voll Wein. Ein Mitglied der Gruppe, ein Jüngling, kommt ihm ausgesprochen bekannt vor. Gerade beißt der Kerl herzhaft in ein Stück Fleisch und spült das Essen direkt mit einem guten Schluck hinunter. Dann schüttelt er den ledernen Würfelbecher. 'Ahhh' und 'Oooh' machen die Umsitzenden, während der Schwarzgelockte traurig grinst und den Kopf schüttelt. Kein guter Wurf, offenbar.

[Fray Diego]

Fray Diego nimmt wieder an einem Platz in der Nähe des Eingangs Platz, bestellt wieder sein Wasser und schaut sich aufmerksam in der Taverne um. Er hat den jungen Mann zwar erkannt, will diesen aber auch nicht in seinem Spiel stören und wartet daher geduldig, bis dieser mit ihm Blickkontakt aufnimmt. Dann macht er, wenn auch nur durch ein Kopfnicken deutlich, dass er den anderen erkannt hat.

Es wird deutlich, dass Fray Diego sich in diesen Räumlichkeiten nicht wohl und mit Sicherheit auch nicht willkommen fühlt. Viel zu unterschiedlich sind die Denkweisen der anwesenden Besucher zu seinen eigenen. Viel zu sehr grenzt sich sein Verhalten in dieser Taverne von dem Verhalten der anderen ab.

[Alain le Beau]

Vor dreißig Jahren, ja, vielleicht sogar vor zehn Jahren hätte Alain den Priester in der Taverne ausgelacht, ihn vor allen Augen gedemütigt, Kainskind oder nicht. Heute aber sieht er nur gelegentlich zu ihm hin, kurze, scharfe Blicke, die so gar nicht recht zu dem weinseligen Verhalten passen, dass er gerade an den Tag legt. Die Würfelrunde endet mit Ausrufen des Erstaunens und Diego sieht, wie Alain einen Haufen von Münzen und anderen kleinen wertvollen Dingen zu sich heranzieht. Einer der Mitspieler scheint protestieren zu wollen, doch da tritt ein großer Kerl vor, der bis dato unauffällig an einer Säule gelehnt hat, die Hand am Kurzschwert. Kein Widerspruch erklingt.

"Ich muss mal austreten", sagt der Jüngling und wirft dem Wirt einige Münzen zu. Dann geht er schwankend zur Tür, wobei ihm der Bewaffnete und ein weiterer Mann folgen, der zweite ein drahtiger kleiner Kerl.

[Fray Diego]

Fray Diego wartet fast zwei Minuten, als er sich mühsam von seinem Schemel erhebt und den Männern folgt. Auf dem Tisch hinterlässt er eine Münze, welche nicht nur für das Wasser, sondern auch den Kelch und eine Mahlzeit entlohnt hätte.

Als er die Tür öffnet und nach draussen in die kühle Luft tritt, blickt er nach oben gen Himmel, den Blick eher fragend zu Gott gewand.

[Alain le Beau]

Gott ist nicht zu sehen. Der Jüngling auch nicht. Aber der kleine Drahtige steht an einer Gasse gegenüber dem Gasthaus und reinigt sich mit einem langen Messer die Fingernägel. Er bemerkt Diego demonstrativ nicht, sondern ist ganz auf seine Maniküre konzentriert. Der Mann hat einen gewissen Charme, wie der gute Bruder bemerkt, eine Art dreckiges Charisma, das ihm sicher die Herzen einiger Frauen zufliegen lässt, trotz seiner geringen Körpergröße.

[Fray Diego]

Fray Diego geht zu ihm herüber.

" Guten Abend, derr Herr. Ich wünsche den Herrn Alain zu sprechen."

[Alain le Beau]

Der Mann sieht Diego an, macht ein schmatzendes Geräusch mit dem Mund und zeigt mit einem Schulterzucken auf die Gasse neben sich. Dann nimmt er den Dolch in die andere Hand und beginnt, sich auch derer Fingernägel anzunehmen.

In der Gasse selbst kann der Geistliche den zweiten Mann erkennen, der lässig an einer Wand lehnt. Alain seinerseits steht in der Mitte des Weges, die Hände auf den Rücken gelegt und einen betont neutralen Gesichtsausdruck auf seiner Miene. Als Diego herantritt, sieht er diesen abwartend an. Prüfend.

[Fray Diego]

" Einen wunderschönen Abend, werter Alain, ich freue mich, dass ihr mir die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch einräumt." Er nickt kurz, bevor er sich seinem Gegenüber auf ca . 2 Meter Entfernung nähert.

" Da ich davon ausgehe, dass meine Person noch nicht hinlänglich bekannt ist: Mein Name ist Fray Diego. Gehe ich recht in der Annahme, dass diese beiden Herren zu euren Dienern gehören ?"

[Alain le Beau]

Der Mundwinkel des Tzimisce hebt sich leicht, bevor er seinen Kopf ein wenig neigt. "Ich sehe euch, werter Fray Diego. Und ich muss sagen, ich bin bisher wenig beeindruckt. Vielleicht bin ich durch die Gesellschaft des werten Ilario verwöhnt, aber bisher war ich der Ansicht, dass die Mitglieder des Clans der Schatten wüssten, wie man sich gegenüber anderen Kainskindern benimmt - insbesondere Höherrangigen." Alain sieht ihn mit einem Stirnrunzeln an. "Es sei denn, natürlich, dass ihr absichtlich beleidigen wolltet. In diesem Fall lasst mich euch zu eurem Mut gratulieren."