[1036] Großfamilie [Alain, Federico]

[Mai '20]
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Alain le Beau
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[1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Alain le Beau »

Wenn sich die Sonne hinter der Stadt Genua senkt, schlafen nicht nur die Menschen. Auch die Straße, die von der großen Stadt aus nach Quinto und schließlich weiter über Nervi führt, ruht in der Stille der Nacht. Selten ist der Wanderer, der sich zu später Stunde noch darauf verirrt, denn die Tore Genuas sind geschlossen und Gasthäuser gibt es zwischen den Ortschaften nicht. Einen Dauergast aber hat die schlafende Straße: Den Tzimisce Alain, der des Öfteren zwischen seinem Heim und den Vergnügungsstätten der Stadt flaniert. Auch in dieser Nacht wandert der hübsche Jüngling mit seinen zwei grimmigen Begleitern in der Dunkelheit entlang.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: Alain wandert vorneweg, in einem luxuriösen Seidenhemd, einen modischen Hut auf seinen schwarzen Locken. Sein Schritt ist beschwingt und erwartungsvoll, sein Mund zu einem ewigen ironischen Lächeln verzogen. Bei dem Gedanken an Weib, Wein und Gesang reibt er sich bereits die Hände, während ihm die blutige Spucke im Mund zusammenläuft. Die Männer hinter ihm bilden einen interessanten Gegensatz dazu. Der eine ist klein und drahtig, der andere hochgewachsen und ruhig, aber beide haben die Stirn gerunzelt und beobachten die Landschaft mit kritischem Blick, so, als erwarteten sie jederzeit eine Räuberbande hinter dem nächsten Busch. Der Große trägt ein Kurzschwert und einen Speer auf dem Rücken, der Kleine scheinbar keine Waffen, bis der Blick auf verschiedene Ausbuchtungen an seinem Körper fällt, die erstaunlich dolchartig aussehen. Beide sind in festes Leder gewandet und hier und da lässt sich Metall an ihrem Körper erahnen.

Das ungleiche Trio nähert sich Genua zielstrebig. Für den einen bedeutet es den Beginn des Vergnügens, für die beiden anderen das vorläufige Ende der Sorgen.
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Federico Augusto
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Federico Augusto »

Hinter dem nächsten Busch wartete aber keine Räuberbande, sondern nur eine ärmliche Gestalt. An der Kreuzung, wo die Straße von Quinto her sich aufspaltet um einerseits nach Genua und andererseits zur Via Aemilia und Borgo Incrociato hin zu führen, hockte sie zwischen den Weggabelungen. Sie lehnte an einem Pfahl an, der tief in den Boden getrieben worden war. Eine einfache L-Form, wie sie an Kreuzungen und Weggabelungen oft zu finden war, um Wegelagerer als Abschreckung daran aufzuhängen. Unter dieser baumelte wie so oft ein Dieb und Taugenichts.
Zu seinen im Wind schwankenden Füßen saß eine erbärmliche Gestalt, gehüllt in einen weiten Lumpenmantel, der hier und dort geflickt war und hier und dort Löcher aufwies. Ihr Gesicht war ganz darunter verborgen und nicht einmal der Vollmond konnte das Fleisch darunter erreichen. Vor ihren Füßen wiederum lag ein Schälchen aus Holz. Reste von Münzen lagen darin - geviertelte Pfennige, halbe Groschen, abgefeilte Reste von Gulden, die das Volk von Genua als Almosen loswerden konnte.
Vergnügen schien ihr gar nicht in den Sinn zu kommen.
Es besteht kein Grund, dass Ihr eure Hände beschmutzt, mein Herr. An meinen klebt genug Dreck für uns beide.
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Alain le Beau
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Alain le Beau »

Der Jüngling an der Spitze der kleinen Reisegesellschaft betrachtet den Toten mit einem Seitenblick, so wie man einen seltsam gewachsenen Baum oder einen Fels mit interessanten Konturen betrachtet. Erst auf den zweiten Blick bemerkt er die Gestalt zu dessen füßen - nun, unter dessen Füßen, um genau zu sein. Eine Geste mit der Hand und die Gruppe hält an. Der Mund des jungen Mannes verzieht sich zu einem ungläubigen Grinsen. Dann tritt er näher an den seltsamen Bettler heran, mit grazilem, fast tänzelndem Schritt. Wie eine Katze, die eine fette Ratte erblickt hat.

"Heda, Freund", sagt er und legt die Hände hinter den Rücken. "Wie läuft das Bettelgeschäft?" Es ist eine zugegebenermaßen leicht absurde Situation. Ein scheinbarer Edelmann - oder zumindest reicherer Kaufmann - der einen Bettler auf diese Weise mit Aufmerksamkeit beehrt. Unwahrscheinlich, dass die Einsamkeit eine Art Egalität zwischen arm und reich schafft. Wahrscheinlicher, dass hier eine Grausamkeit geplant ist.
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Federico Augusto
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Federico Augusto »

"Schlecht", sagte der Bettler und hob die linke Hand, um auf die Leiche zu zeigen. "Krieg macht die Leute hart."
Er hob den Kopf ein wenig, beäugte aus den Schatten heraus den Edelmann und seine Entourage. Vielleicht unsicher, ob er der nächsten Mahlzeit oder einer weiteren Schikane ins Gesicht sah. "Kommen auch nicht viele anständige Leute zu dieser Nachtzeit hier vorbei."
Mit müßiger, beinahe fauler Bewegung griff der Bettler sich seine Schale, fischte mit den Fingerspitzen darin herum. Dabei murmelte er Berechnungen, Umtauschraten und schätzte den Wert der Münzreste darin ein.
"Halber Mailänder Dukaten oder 'n Viertel Scudo. Reicht für 'ne tote Katze."
Was blieb, war ein unangenehmes Gefühl. Wie altes Öl auf der Haut, das man abzukratzen versäumt und auf dem sich Staub angesammelt hatte.
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Alain le Beau
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Alain le Beau »

Mit offensichtlich gespieltem Mitleid nickt der Edelmann. Der Bettler sieht, wie dessen Begleiter langsam um ihn herumwandern, die Hände an den Waffen. "Ja, es sind harte Zeiten." Die Stimme des Jünglings ist wie Honig, ein seltsamer Akzent macht sie weich und süß. "Da ist man um jede tote Katze froh. Wer würde schon eine Mahlzeit verschmähen, egal wie zäh und ekelhaft?" Seine Hand fährt an den Geldbeutel und zieht eine silberne Münze heraus. Der Mondschein spiegelt sich darin, lässt sie wie dessen kleinen Bruder schimmern. Verlockend, zu verlockend.

Der Zerlumpte hört das leise Atmen der beiden Männer hinter sich, rechts und links des Galgenpfahls. Und er sieht das kalte Lächeln im Mundwinkel des Jünglings.
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Federico Augusto
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Federico Augusto »

Der Bettler lachte. Ein raues und hässliches Geräusch, wie das Meckern einer heiseren Ziege.
"Ja, sicherlich. Aber so zäh sieht dein Gastgeschenk gar nicht aus. Der Kleine ist ja kaum ein Imbiss."
Mit einem Satz, der das menschliche Augen Lügen strafte, war der Bettler nach hinten gesprungen, noch hinter die beiden Wachen.
Im selben Augenblick erstarb das Atmen der Sterblichen.
Das heißt sie atmeten sehr wohl noch. Sie mochten auch etwas sagen. Aber ums Verrecken war kein Laut von ihnen zu hören. Nicht ein Mucks kam aus ihrer Kehle. Das Blut in ihren Ohren rauschte lautlos vor sich hin. Das vertraute Reiben von Leder und Metall blieb plötzlich aus. Selbst das Schlagen ihrer Herzen verstummte. Es blieb nur dieses Gefühl von Falschheit, das den Bettler umgab wie Ölschlieren auf Wasser. Ein Gefühl, das jedem Sterblichen die Nackenhaare zu Berge stehen ließ, für Kinder Kains aber nur eins bedeutete.
Es war, als hätte sich zwischen Alain und seinen Dienern ein Loch aufgetan, das alle Geräusche der Welt einfach verschluckte. Nichts darin machte noch einen Ton.
Nicht einmal das meckernde Lachen des Bettlers.
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Alain le Beau
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Alain le Beau »

Die Reaktion der Leibwächter kommt verzögert, aber dafür umso heftiger. Als die Sinne der beiden die Veränderung bemerken, weiten sich die Augen und Münder öffnen sich, wie bei Fischen, die nach Luft schnappen. Sie gestikulieren, der Bettler offenbar vergessen, und blicken dann kläglich auf den Edelmann. Der wiederum reagiert mit einem Stirnrunzeln. Dann hebt er die langen, schönen Finger und schnippst. Aber er wirkt nicht verwirrt oder irritiert von der Erfahrung und den Nosferatu beschleicht das Gefühl, dass der andere mit dieser Kraft zumindest vertraut ist. Nun hebt der Jüngling die Hand, wie um seine Leibwächter zu beruhigen, und sieht dann den Zerlumpten an.

Seine Lippen formen ein Wort, das auch ohne Geräusche zu verstehen ist. "Basta!" - "Genug!"
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Federico Augusto
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Federico Augusto »

Das stumme Lachen erstarb. Einen Moment noch würgt die Stille der ganzen Umgebung die Luft zum Denken ab. Dann zersprang sie, während der Bettler zeitgleich sich verneigte. Der rechte Fuß kroch nach hinten, der Oberkörper neigte sich nach vorn und die Arme spreizten sich zur Seite weg. Nur war er nicht dumm genug, seinen Nacken zu präsentieren, wie die Etikette es verlangt hätte. Aus der Kapuze heraus schaute er zum Edelmann, die Notlage der Sterblichen ignorierend.
"Ganz wie der schöne Alain es wünschen", sagte er und brachte Ton und Geräusche zurück in ihre kleine Welt. Langsam, kontrolliert, richtete der Lumpenmann sich wieder auf. Seine Hände verschwanden wieder unter seinem Mantel. Die Stille war fort, zersplittert in das Rauschen ferner Wipfel im Wind, das Zwitschern nächtlicher Vögel, das Grollen der See hinter den Hügeln, das Schlagen der Herzen, das Rauschen des Blutes. Und die Worte der Untoten.
"Ich bin Federico Augusto Leonardo di Brianza, Neugeborener der Nosferatu, Kind der Madama Fogna, Ahnin der Verborgenen - Gast der weißen Prinzessin seit dem Jahre des Herrn eintausendundvier.
Sehr erfreut."
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Alain le Beau
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain richtet sich auf und runzelt die Stirn. Dann neigt er leicht den Kopf. "Dann bin ich erfreut, eure Bekanntschaft zu machen, werter Federico. Es scheint, ihr habt dem Titel eurer Familie alle Ehre gemacht. Ich war... mir eurer Anwesenheit in Genua nicht bewusst." Er klingt nicht gerade erfreut darüber. Aber dann legt er die Hand auf die Brust. "Ich bin - wie ihr natürlich wisst - Alain der Bretone, Liebhaber der Freuden und Neugeborener der Drachen, Harpyie Genuas, Kind des Konrad von Wolmar, Kind des Radislav Draculea."

Sein Blick wandert von dem Nosferatu zu dem Erhängten. "Und ich habe das Gefühl, dass wir uns nicht zufällig begegnen." Ein leichtes, böses Lächeln erscheint in seinem Mundwinkel. "Lasst mich euch zu eurem Sinn für... Szenerie gratulieren."
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Federico Augusto
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Re: [1036] Großfamilie [Alain, Federico]

Beitrag von Federico Augusto »

"Danke", lautete die schlichte Antwort. Ein Augenblick verstrich. Der Bettler ließ den Blick über die nächtliche Landschaft wandern. Sie fünfe an der Kreuzung. Zwei so lebendig wie noch nie, einer tot am Galgen - und zwei irgendwo dazwischen.
Eine pragmatische Entscheidung, wenn ich ehrlich bin. Wollte mich nicht bis nach Nervi schleppen, aber in der Stadt gibt es zu viele Ohren. Nicht alle davon unsere. Und er", sagte der Nosferatu und nickte zu dem Gehängten, "schuldete mir noch Geld."
Das falsche Lachen war aus seiner Stimme gesickert wie Wein aus einem rissigen Schlauch. Zurück blieb das Gefühl von Öl auf der Haut.
"Wollte mich euch präsentieren. Ist eine Weile her, dass ich mich der Welt gezeigt habe. Damals trugen viele Titel noch andre Gesichter und viele der Gesichter noch Schuppen vor den Augen."
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