[1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

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Signora Achilla
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

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Das konnte Achilla auch sehr gut verstehen. Sie selbst verlangte Gefühl von den Schaustellern, von sich selbst, von der Welt. Ohne das war jedes Spiel nur fade und hölzern, jede Nacht nur dunkel und leer. In dem Moment erschien ihr Ferrucio fast wie eine verwandte Seele.
Sie seufzte, nickte und meinte: “Ja, das ist wohl wahr. Doch ich kann’s nicht bereuen oder nur wenig davon.”

Für einen Moment hielt sie inne und dachte über die Zwickmühle nach, in der all dies nun steckte. Sie verstand seine Worte gut genug: Davon, wie leer und hohl für ihn ihre Worte waren, weil sie nicht dasselbe Feuer enthielten, das in seiner Seele brannte. Für ihn musste das meiste in der schnöden Welt da draußen bedeutungslos klingen. Ihre Furcht vermischte sich mit dem Mitgefühl für diesen Mann. Er glaubte diese Dinge, von denen er sprach: Dass Gott ihm mehr Jahre gegeben hatte, damit er den Weg durch die Finsternis finden konnte. Schaudernd fragte sie sich, was dies für ein grausamer Gott war, der in Ferrucios Welt dies mit ihm und ihnen allen tat. Und was hatte Ferrucio getan, dass er glaubte, er habe dies verdient? Hatte er Schrecklichstes getan, so dass ein schwerstes Gewissen ihn niederdrückte und er glauben konnte, dass ein Fluch wie der seine nur gerecht war? Oder hatte er gelebt wie ein Heiliger, der nun mit dem Segen der Ewigkeit beschenkt und mit den Versuchungen der Nacht geprüft wurde, so dass er sich vor seinem Gott als würdig erweisen sollte?
Nein, für Achilla war nichts von dem, was der Priester sagte, verwunderlich.

“Diese Welt ist wunderschön”, sagte sie dann mit weicher Stimme. “Manchmal ist es so schwer zu sehen, gerade für solche wie uns, die nur im Dunkeln wandeln. Wie viele von uns gehen jede Nacht Hand in Hand mit Schrecken und Tod, Gewalt und Morden, Zerstörung und Verfall? Manchmal scheint mir, dass diese Dinge in allen ruhen, in den Menschen und uns. Doch in uns werden sie stärker mit all den Jahren, so wie aus süßem Traubensaft mit den Jahren ein Wein gärt… und lässt man auch den noch ruhen und verderben, dann wird daraus nur saurer Essig.”

“Ich glaube wohl, dass unsereins sich leicht verliert. Vielleicht haben wir eben das gesehen, in jenen fünf Nächten: wie all die Begehrlichkeiten empor gekocht sind und wie alle Hemmungen weg brachen. Und wem hat’s genutzt außer den Feinden unserer Art und den Feinden Genuas? Noch nie sah ich so viel Sterben und Leid um mich her. Wie schnell rutscht unsereins ab, zu all den schlüpfrigen Abgründen hin, die wir in uns tragen?”

“Und ich, in alledem? Wenn ich nicht fallen will, dann finde ich doch trotzdem keinen Halt in den Bibelworten. Ich finde ihn in der Welt wie sie geschaffen ist, in den wahrhaftigen Dingen, in ihren schönsten Seiten und manchmal sogar in ihren Schrecken. Ich könnte Halt in Euren Worten finden, weil Ihr sie mit Leidenschaft sprecht. Könnt Ihr dies verstehen?” Sie hoffte es mit aller Kraft. Vielleicht verstand er es als ein Priester, der wie ein Hirte die seinen hüten will? Das reizte sie wenig, auch wenn sie sich fragte, wie prächtig er wohl entfesselt sein würde, ein Priester in rechtschaffenem Zorn und all der Selbstherrlichkeit seines Stolzes? Stolz war ein wunderschönes und furchtbar teures Laster. Vielleicht verstand er es auch als ein anderer Verdammter wie sie, der mit ihr all die Lichter in der Finsternis schauen konnte? Vielleicht verstand er ihr Sehnen nach seinen verborgenen Wundern einfach als der Mann, der er einmal gewesen sein musste:
“Es ist die Liebe, die durch Eure Worte klingt, die mich leicht Halt finden lässt. Ich will sie nur zu gern erwidern!” Es war Begehren, das in dem Augenblick aus Achilla sprach. Vielleicht war es fehlgeleitet und ganz gewiss gehörte es nicht in einen Beichtstuhl, doch es war eben wie es war und je straffer die Welt ihre Zügel anziehen und ihre Ketten spannen wollte, umso größer wurde doch die Lust auf all die Dinge, die außerhalb der eigenen Reichweite schienen.

“Doch der Rest? Das alte Latein ist tot für mich und ich versteh’s kaum. Ohne einen, der mir die Bibel übersetzt, kenne ich ihre Worte nicht. In der Art, wie Ihr davon sprecht, kann ich hören, wie kostbar Euch die Ewigen Worte sind. Doch ich kann darin nicht sein wie Ihr, denn ich versteh’s ja nicht.” Die ferne Leblosigkeit der gelehrten Kirchenworte brachte auch entfremdete Kälte in ihre Worte. Es war wie das Erlöschen der letzten Kerze in einer großen Halle.
Erst mit den nächsten Worten flackerte die Verlockung wieder auf, eine Rettung für sie ...oder für ihn: “Doch was ich versteh’ und wohl jeder erkennen kann, der nur sein Herz auftut, das ist Schönheit der Schöpfung direkt um uns her. Ich bitte Euch: Verlangt nicht von mir, was ich nicht habe. Ich kann Euch nicht geben, was ich nicht besitze. Doch ich kann mich nach Eurem Licht richten so wie ein Steuermann auf hoher See bei Nacht nach den Sternen und dem Licht des Heimathafens fahren kann. Ich kann um Euch kreisen wie eine Motte um das Licht.”
Das war eine gefährliches Bild. Doch sie war, was sie war - und dies war nun einmal ein Beichtstuhl. Und heute Nacht war dieser Ferrucio, dieses Licht, nun einmal das hellste und strahlendste, das es an diesem kalten, kargen Ort gab.
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Während sie sprach und die dunkle Schwere des beengten Holzbeichtstuhls im wärmenden Nachhall der italienischen Tageshitze trocken und stickig auf sie eindrückte, den Sterblichen den Atem nehmend, für sie aber die Kälte der Leichenhaftigkeit hinfortnehmend, war sie ganz allein. Die andere Seite des nur mit einem dünnen Stück löchrigen Holz und einem dünnen samtenen Stoff als Sichtschutz von ihr getrennt, reichte dies dennoch um ihr das Gefühl zu geben hier für sich u sein. Jener der da lauschte und auch bereits geantwortet hatte war nur dann wirklich anwesend, wenn sie seine Stimme hörte. Sonst war es nur sie die da sprach und mit sich selbst (oder war es Gott?) ein rechtfertigendes Zwiegespräch führte warum sie einfach nicht Bedauerte. Wie eine Soloszene in einem Stück, ein nachdenklicher Teil einer düsteren Tragödie die die Zuschauer nach gefallenem Vorhang hinaus in die Nacht trieben. Schweigend zu Boden blickend und über das Nachsinnend was sich gerade vor ihren Augen abgespielt hatte.

Ferrucio jedoch war kein Zuschauer. Er betrachtete nicht die Bühne und ließ sich von Geschichten begeistern, sich lehrreich unterhalten oder gar amüsieren. Ferrucio war jener der mitten im Stück die Bühne in Brand steckte, weil jemand ein falsches Wort benutzt hatte. Er war nicht dumm, wusste doch das man sein Ziel auf diesem oder jenem Wege erreichen konnte. Mit Güte oder mit Furcht, mit der anderen Wange oder dem ersten Stein. Es war in dieser dunklen Beengtheit auch kaum ersichtlich ob es die Worte der Signora selbst gewesen waren oder etwas anderes. Ob es von vorneherein sein Plan gewesen war oder ob sie etwas gesagt hatte oder ob da wirklich mehr war in den Worten jener Bibel die ihr keinen Halt geben würden. Tat er dies auf ihr anraten hin? War es diese Leidenschaft die sie gemeint hatte?

Wie dem auch gewesen sein mochte. Nachdem sie geendet hatte gab es einen kurzen Augenblick der Stille, dann wiederholte Ferrucio seine soeben zitierten Zeilen ein weiteres Mal. Und auch wenn der Wortlaut ein und der selbe war, war alles andere anders. Ihr Tier riss bei der ersten Silbe schockiert die Augen auf, ihr Herz begann zu schlagen, die Motten, die sich eben ruhig auf ihr niedergelassen hatten, stoben in wildem Chaos in der beengten Wärme des Beichtstuhls auseinander. Es steckte Wahrheit und Drohung in seinen Worten. So dicht beieinander das es unmöglich war das sie sie beim ersten mal übersehen hatte: "...denn die Finsternis vergeht und das wahre Licht scheint jetzt. Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt niemand zu Fall. Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet." während sie versuchte der enge des Beichtstuhls zu entkommen, stellte sie fest, dass jemand von außen die Kabinentüren verkeilt haben musste und sich dagegen stemmte. Sie war in der dunklen Kammer voller panisch umhersausender Motten gefangen.

Wieder hörte sie Ferrucios Stimme die vor heiligem Zorn brannte und jeden Buchstaben rauchend und glühend hervorstieß wie Glut und Kohlen: "Reue ist notwendig, Achilla. Also bereue!"
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Signora Achilla
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Signora Achilla »

Sie wollte ja bereuen! Sie wollte! Doch was? Nur was?! Die Worte des Priesters sähten Panik in ihre wild tanzenden Gedanken. Sie brannten sich wie ein Funkenregen in ausgebreitetes Tuch und Achilla wusste, dass sie bald brennen würden - ihre Gedanken, ihr Verstand, sie, alles!

Sie warf sich gegen die Tür, um zu flüchten, doch die war verkeilt und verschlossen. Sie warf sich gegen die Rückwand des Beichtstuhls - nur fort von dem Priester mit seinen brennenden Worten, doch das schwere Holz hielt.
"Reue ist notwendig, Achilla. Also bereue!", sprach er seine sengenden Worte.

Die Motten zerstoben in einem wilden Wirbel. Ein paar zerbrachen ihre Flügel in ihrer heillosen Flucht an den hölzernen Wänden ihres Gefängnisses, ein paar entwischten durch feine Ritzen hier und da. Doch die meisten taumelten gegen das Tuch und Gitter, das sie von Ferrucio trennte. Sie krochen hindurch und blieben im Flechtwerk stecken. Andere drängten nach, durch die Leiber ihrer Vorgänger hindurch. Sie alle drängten auf die das brennende, gleißende Licht zu, das Ferrucio für sie war. Keine von ihnen kannte mehr ein Halten und bald quollen sie zu dutzenden in seine Kabine hinein, als flatternder, panischer, selbstmörderischer Wahnsinn.


Achillas Gedanken waren mit ihnen zerstoben, überall und nirgends, in gesplitterten Ausblicken auf das, was geschehen musste:

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Sie würde sich noch einmal polternd gegen die Rückwand werfen - kein Ausweg. Ihr Körper würde anschwellen, Muskeln die ihrem Hunger und der Panik gerecht wurden. Ihre Blutskräfte mussten erwachen und das Holz? Splittern und brechen würde es, bis sie im freien stand, zwischen all den Menschen, den Kerzen, Weihrauch und Hass auf ihre Art. Sie würde vor dem Feuer fliehen!

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...doch trotz Blut und Macht gab das Holz nicht nach. Sie würde sich nach vorn stürzen, Angriff als letzte Verteidigung, wie eine Ratte, die in die Enge getrieben worden war. Sie würde sich auf den Priester stürzen, tausend winzige Leben und ihr eigenes. Sie würde ihn stoßen, mit all der brachialen, berauschten Kraft ihres Blutes und aus seiner Tür flüchten, nur hinaus, hinaus, hinaus!

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Sie würde dort um die Oberhand ringen, zwischen all den Menschen, dem Hass, den Kerzen, dem Weihrauch und den starren Blicken der hölzernen Heiligen. Schreien würde sie, über den Dämon, den verfluchten Priester! Und all die Flügel würden um ihn schlagen, bis sein Licht durch all die winzigen Leiber verdunkelt wurde. Ja, das war ein Plan, der mehr klang wie sie selbst. Wer war sie? Tausend Leben und mehr, die alle auf das Licht zu strömten.

---

“Ich bereue!”, wollte sie heulen. Sie wusste jetzt, was. Sie erinnerte sich: wie sie gewesen war, so blutjung, so wunderschön. Liebhaber hatte sie gehabt, in jener Nacht. Mit einem hätte es vielleicht ernst werden können, vielleicht auch nicht. Sie hatte ihnen die Sterne vom Himmel herunter versprochen, mit zarten Küssen auf warmer Haut. Der eine hatte ihr süße Spezereien mitgebracht, damit sie ihm lächelte. Der andere hatte ihr Schleifen ins Haar gesteckt, so bunt und schön als wäre es ein Festtag. Der dritte hatte sie zum Tanzen ausgeführt, mit Wein und Musik und wildem Drehen umeinander her.

Und sie? Gelacht hatte sie und es mit keinem ernst gemeint. Doch sie hatte ihnen alles versprochen und zugesehen, wie sie übereinander gestolpert, wie sie aneinander geraten waren. Fäuste flogen, Blut floss, Sieg und Niederlage wurden egal, als sie sich einen erwählt hatte, einfach so. Sie war grausam gewesen, wunderschön und jung.

Doch Gott hatte sie für das üble Spiel bestraft, genau in jener Nacht. Die Dunkelheit war über sie herein gebrochen, mit fauligen Zähnen und dürren Armen, die stärker als alle ihre Liebhaber zusammen gewesen waren. Die Nacht hatte sie verschlungen, mit Haut und Haar, und was sie am Ende wieder ausgespien hatte, das war nicht mehr wie zuvor.

“Das bereue ich”, wollte sie rufen. “Was ich da getan hab’, all die Eitelkeit und der Stolz und die Lügereien!”

---

Ein anderer Teil von ihr wollte mit den Faltern fliegen, haltlos, besinnungslos, ziellos auf das helle, wunderbare Licht zu. Warum verbrannte der Priester nicht selbst? Sie wusste es nicht, doch sie konnte nicht wegsehen.

---


Doch nichts davon wurde wahr. Gewalt, wilde Pläne, listige Worte - was ergab schon einen Sinn? Schluchzend warf sie sich gegen die hölzerne Wand, wieder und wieder. Etwas brach - das Holz? Oder ihre eigenen, faulenden Knochen? Sie weinte bitterlich, denn sie bereute ja.

Doch wem hat das jemals schon genutzt?
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

"WEITER!" donnerte die Stimme des Malkavianers, fordernd und unerbittlich. Hatte sie eben noch , als die Worte aus ihr herausplärrten wie Wasser aus einer Felsöffnung, ein wenig innere Ruhe - oder zumindest nicht noch mehr inneres Chaos - gefühlt, war dieses eine Worte wie einen Eimer Wasser den man in eine viel zu große, glühende Feuerstelle schüttete. Es explodierte nahezu in ihr, Rauch stieg auf und vernebelte ihr die Sinne, das Tier schrie in Panik, eben noch gewillt alles zu tun um nur hier wegzukommen, sogar in Richtung des Priesters, war nun wieder die höchste Priorität nur von diesem Priester wegzukommen, koste es was es wolle.
Vitae begann durch ihre Adern zu pumpen als sie sich erneut wieder und wieder gegen die Rückwand der Kabine, die Seitentür der Kabine warf. Der hauchdünne Widerstand nach vorne, hin zum Priester, war offenbar nicht einmal eine Option.

"BEREUE!" brannte seine Stimme erneut einen glühend heißen Stahl durch ihren Geist wie ein weiß glühendes Eisen mit dem jemand durchbohrt, gefoltert oder eine Wunde verschlossen wurde. Nun wo sie begonnen hatte zu beichten und zu bereuen, wo die ersten Worte gesprochen waren, in Wahn, Angst und Panik, schien er mehr davon zu wollen.
Gierig wie ein... Kainit nach dem Saft des Lebens gierte es ihn danach die Sünde in ihr zu sehen, zu hören und aus ihr hinauszusaugen. Wie ein Aderlass, der alles schlechte hinfortspülte und einen geschwächten, aber gesunden Patienten zurücklässt nutzte er das Feuer in seinem Herzen um sie zu versengen.

Schwieg sie zu lange, kämpfte sie zu lange oder heulte sie zu lange die guturalen Klänge des Tiers hinaus, erklang erneut seine Stimme. Wie eine Peitsche die wieder und wieder auf ihr Tier hinabfuhr. Mit der Absicht es so lange zu treffen bis es gehorchte. Er zähmte es von aussen. Mit Zuckerbrot und Peitsche. Als ob er einfühlsame Worte auf einen Zettel schreiben, an einen Pfeil binden, diesen mit brennendem Pech übergießen und in ihr Herz schießen würde.

Irgendwo roch es, kaum wahrnehmbar, nach Vitae. Sie wusste nicht ob von ihr, von ihm oder gar jemand anderes, sie konnte auch nicht sehen wo sie stecken könnte, war sie doch noch immer allein in dieser dunklen Kammer und gemeinsam mit ihrem völlig wahnsinnigen Tier in ihrem Körper gefangen.

Motten sirrten wie kleine geschosse durch die Gegend, nur auf der Suche nach einem Ausweg. Weg von diesem zappelnden Monstrum, durch die dünne Absperrung hinter der ein weiteres, brüllendes Monstrum steckte. Aberdutzende lagen mit zertrümmerten Flügeln und zerstossenen Körpern bereits zu ihren Füßen. Mindestens genausoviele schwirrten wild durch die viel zu enge Kammer - auf beiden Seiten der Trennwand.
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Signora Achilla
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Signora Achilla »

“WEITER!” ...wollte sie von ihm fortrennen, Feuer und Verderben im Nacken. Doch WEITER! verlangte er ihre Sünden von ihr. Welche Sünden? Welche Sünden…? Fieberhaft grub sie nach den Worten, drehte sich in der Enge im Kreis wie einer ihrer Falter. Was waren diese Sünden schon? Leere Worte, hohles Geschwätz, sie glaubte selbst nicht daran!

“WEITER!”, verlangte er trotzdem unerbittlich und sie krallte sich an dem dünnen Gitter fest, das zwischen ihnen beiden lag. Hier wurden sonst Worte geflüstert, beschämt, heimlich, nur für jene bestimmt, die in diesem Dunkel lagen.
Etwas brach. Nicht das Holz in ihren Händen. Nicht ihre brüchigen Knochen. Ihr Verstand? Vielleicht. Es war als würde ein Schleier um sie her aufreißen, ein Kokon aus festgesponnener Seide, den sie ewig mit sich herum trug. Dahinter wartete die brennende Dunkelheit des Beichtstuhls, doch etwas darin war anders.
Was Achilla in dem Kokon hinter sich ließ, das war der Rest des alten Selbst, den sie mit sich genommen hatte. Da war das Gefühl für Sünde und Unrecht so wie die Kirche sie benannten, wie die Leute sie in ihren Herzen trugen. Sie wusste, wie ausgehöhlt diese Dinge wurden, wenn man das Leben hinter sich ließ und dennoch hatte sie sie mit sich getragen wie ein altes Kleid, das einmal hübsch gewesen war. Zuletzt waren es nur noch Lumpen gewesen.
Die Signora Achilla wusste genau, was Sünde war.

“WEITER!”, donnerte die Stimme und drohte, sie zu versengen. Was war die erste Sünde gewesen?
“Ja! Ich sag’ dir meine Sünden!”, schrie sie das Gitter und den Mann an, der ihr keinen Raum gelassen hatte als sich zu erkennen. Wie ein aufgespießter Schmetterling. Doch all die Schmetterlinge tanzten um sie her, hässlich und braun, weil die Nacht keine Farben kannte und nur furchtbare Schönheit.

“Ich bin heute Abend hergekommen! Da. Das war meine Dummheit! Ich wollte sehen, wer du bist und wie du bist. Ich wollte sehen wie dies ist, eine Beichte! Ich hätt’ tun sollen, was so viele andere tun und dir ausweichen und mich davonwinden mit Briefen und Münzen und gelogenen Worten! Doch ich wollte dich sehen, den Beichtvater, den Priester, den Wissenden und Sehenden! Und so habe ich mich gegen mich selbst versündigt!”
Wie schmerzhaft war das, das auszusprechen! Ihre eigene Torheit! Die größte Sünde ist, sich selbst zu verneinen. Wie erleichternd war das, als es endlich heraus war. Ein Lachen brach in ihr frei.
Mit einer Hand riss sie an Maske und Schleier vor ihrem Gesicht. Der Schleier kam los, doch die Maske war in der Haut vernäht, wie stets. Sie riss und riss. Wimmelndes Leben kroch und flatterte aus den aufgeplatzten Nähten und Lücken.

“Und dann..? Und dann…! Die zweite Sünde!” Sie wusste ganz genau, was das war. “Ich habe noch Euer Lied mitgesungen, von dem ich weiß, dass es nur in den Abgrund führt, dass es verbrennt, mich und auch Euch - ich kann’s ja sehen und spüren!”
Sie ließ die Hände von der Maske sinken und fing all die wimmelnden Larven auf, die von ihren Schläfen und dem Kinn herunter tropften. “Wollt Ihr mich verführen, dass ich hier im fremden Haus die alten Traditionen breche? Wollt Ihr mich an Eurem harschen Kirchengesetz messen, wohl wissend, dass Ihr doch selbst die Kirche und Gott zurückgelassen habt? Das ist meine zweite Sünde! Ich Närrin hab’ Euch noch darin ermutigt!”

Schmerz, Erleichterung und plötzlich eine Welle von heißem Zorn durchfuhren sie und jetzt brach sie das dünne Gitter zwischen ihm und sich entzwei. Das war nicht genug, um zu ihm zu gelangen, doch es war genug, dass er nicht mehr glauben konnte, dass diese dünnen Wände aus staubigen Gesetzen und Scheinheiligkeit ihn oder irgend jemand sonst bewahrten. Niemanden! Sie konnte etwas in ihrem Herzen singen hören. ‘Die Bestie’ nannten viele Kinder Kains den ewigen Hunger in sich und schrieben ihr alles mögliche zu. Sie versteckten sich davor und wann immer sie etwas taten, das ihr Verstand nicht begreifen wollte, schrieben sie es dieser Bestie vor.
Doch die Wahrheit? Die Wahrheit war, dass es keine Bestie gab. Das war das eigene Herz, der eigene Hunger, das eigene Verlangen. Doch Achilla fürchtete sich davor nicht und jetzt, da sie ihre Sünden beichtete, musste sie es auch nicht. Wahnsinn, rote Furcht und wilde Raserei zehrten an den Rändern ihres Verstandes.
Doch was war das für ein Moment! Sie würde ihn nie vergessen, nicht diesen Augenblick und nicht diesen Mann, der sie so weit trieb.

“Und die dritte Sünde!”, rief sie. “...ach, die habe ich nicht begangen. Noch nicht.” Sie lachte in ihrer Unschuld. Die dritte Sünde war eine weitere Verneinung: Die Furcht davor, zu töten, zu trinken, sich zu stärken, zu genießen, zu wachsen. Nein, das war nicht ihre Sünde. Noch nicht. Sie genoss den Moment und sie wuchs.

“...aber die vierte”, spie sie dann aus. “Dass muss ich offen sagen, da habe ich gesündigt! Ich bin hergekommen, Kirche und Trauergewand. Und was hätte ich erwarten sollen? Wieder meine Torheit, denn auch hinter so grauer, weihrauchgeschwängerter Tünche liegt doch oft genug ganz unerwartete Freude! Und habt Ihr mich nicht erfreut? Euer Feuer, Euer Glaube, so töricht und selbstverzehrend er auch ist - sie sind so wunderschön! Bringt Ihr mir Freude oder Leid, Priester? Nach Leid sieht es mir nun aus und auch danach als würdet Ihr mich in den Bruch unserer eigenen Gesetze treiben!”
Es brach aus ihr heraus, ganz schamlos. Niemals sonst hätte sie solche Dinge laut gesagt, einem Ancilla einfach entgegen geschleudert! Niemand mit etwas Verstand tat derlei. Und doch konnte sie nicht anders, nicht unter seinem Wort.

“Die fünfte Sünde kam vor diesem Abend. Und sie ist der Grund, dass ich überhaupt herkam und damit begann es alles ja. Schwören sollte ich! Als wenn nicht die Hälfte aller Worte in jener Halle dort schon jetzt gelogen sind und betrogen wurden! Als wenn nicht alles dort nur aus Sklavenketten und ohne einen Funken Freude oder Pracht gemacht wäre! Als wenn mein ‘Schwur’ etwas daran ändert, dass ein Prinz ein Prinz ist und eine Heimat eine Heimat!”
Das Heulen in ihr wurde lauter und lauter, triumphierend, erleichtert, verwirrt. Hungrig, weil es immer hungrig war, ewig gierig. Und da wusste sie, dass diese Beichte sie schmerzte und zugleich befreite. Achilla weinte und lachte und warf die Reste des Gitters zur Seite, um auf Ferrucio auf der anderen Seite zu sehen.

“Ich liebe Euch, Vater, denn Ihr macht mich frei”, flüsterte sie. “Wollen wir nicht die Wand zwischen uns einreißen? Wollen wir uns nicht beide freimachen?”
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Die dünne Wand zwischen ihnen und dem so unterschiedlich gearteten Chaos auf der anderen Seite blieb bestehen. Zwar hatte die Holzabgrenzung einige üble Treffer abbekommen und war hier und da sogar komplett duchbrochen worden, aber zumindest der Malkavianer machte keine Anstalten ihr nicht weiter die Funktion zuzugestehen die sie hier drin hatte. Genausowenig wie er Achilla den Zweck ihres hierseins abnehmen konnte.
Stattdessen ließ er sie toben. Hört ihr zu. Nahm ihre Sünden zwischen all dem Gestammel, dem Geschrei, den tierischen Lauten und den Anfeindungen auf und warf sie auf sie zurück wie ein Spiegelbild ihrer Abartigkeiten.

"Es war also eine Dummheit heute Abend hergekommen zu sein..." eröffnete er mit einem glühenden Tonfall in der Stimme, aber viel ruhiger als noch zuvor. Gefährlich ruhig. "...Eine Dummheit dem Befehl der Prinzessin zu folgen. Du bereust zur Beichte erschienen zu sein und damit bereust du getan zu haben wie Aurore befiehlt. Nur die Neugierde trieb dich her, wie die Motte zum Licht." fasste er zusammen und Verachtung schlich sich in seine Stimme wie ein Dieb durch eine offenstehende Tür.

"Die zweite Dummheit nennst du, dich dem Beichtzeremoniell unterworfen zu haben, wie ich es dir darbot. Wie Gott es gebot und Aurore befahl. Wie Kain es billigte und dein Tier fürchtete.

Als drittes speist du mir entgegen deine bisherige Zurückhaltung sei eine Sünde gewesen und das du dem Teufel nun Einzug in dein Herz gewähren wirst. Das du in Zukunft gedenkst, erst recht in die Niederungen deines Abgrundes hinabsteigen wirst. Das du entweder Aurores Herde oder ihre Domäne schlachten wirst wie Vieh.

Dann bezeichnest du dein Vertrauen in diese Beichte als Sünde weil du dachtest es würde leicht werden. Dachtest du könntest dich hier verkaufen und lügen wie du es anderswo tust und damit durchkommst und nun bist du erzürnt über dich selbst, weil es heute nicht funktioniert.

Und zuletzt... bezeichnest du deine größte Sünde darin das du Aurore die Treue geschworen hast.
Statt also, wie Aurore verlangte, mir lediglich vorzukauen das es dir Leid tut, dass du die Bühne eines Friedensvertrages zur Errettung Domäne dazu genutzt hast für deine kleine private Hurerei zu werben, präsentierst du mir diesen Blumenstrauß an Hochverrat, Verkommenheit und Morddrohungen...
...Wirklich, der Teufel hat ganze Arbeit mit dir geleistet. Alle anderen tun dir solches Unrecht, du willst ja nur, man behandelt dich ja so unwürdig. Dieses Gejammer kenne ich. Was mich überrascht ist diese Wut, dieser tiefsitzende Zorn... auf Aurore. Als ob diese Ansammlung von Irrtümern, Sünden und Lügen die du via schimpfst, dich dazu zwingen würden Hochverrat zu begehen und auf die Traditionen, die du eben noch heraufbeschwören wolltest, zu spucken."


Nun wurde er wirklich ruhig. In seiner Stimme glomm lediglich noch ein letzter Funke jenes Feuers, das eben über sie hereingebrochen war wie ein Orkan. "Sagt ihr euch nicht, dass ihr keine Eide ablegen sollt die euch binden? Euch keine Ketten anlegen lassen sollt?" man hätte Spott erwarten können, aber dazu war die Sache zu ernst, sie waren beide zu tief darin verwickelt und der Malkavianer war einfach zu fanatisch. Durch eines der Löcher in der Absperrung sah sie einen kurzen Moment eines seiner Augen - und sie erschauderte. Waren Iris und Pupille, Aniridie und Netzhaut doch zerschlagen wie Scherben, zerbrochen wie Glas, zersplittert wie Trümmer. Eine pulsierende Macht von solcher Komplexität brannte in diesem Blick, dass einem allein der Blick darauf Übel bereitete.

"...und lügt ihr euch nicht vor allem vor, das ihr in eurem eigenen, persönlichen Interesse handeln sollt, Achilla? Raunt ihr euch in euren lästerlichen Zeremonien nicht zu, das nur die geistig Armen sich selbst opfern würden? Wieso also opferst du dich selbst, indem du gegen jene handelst die dich weisen dürfen und vernichten können? Ist es wirklich in deinem Interesse dich vernichten zu lassen? Oder ist es vielmehr das Tier, welches du als Teil deines selbst betrachtest, was zurück in die Hölle möchte und dir deshalb Gedanken ins Ohr zu setzen versucht zu rebellieren - auch gegen dein eigenes und bestes Interesse? Ist es dann nicht gar das Tier welches dich zu fesseln versucht? Die Sünde, die dich versucht dahin zu treiben wo du selbst nie freiwillig hingehen würdest? Will es dir in letzter Konsequenz nicht einreden das die Traditionen dich daran hindern jedem zu erzählen was du bist, die Kinder zu zeugen die du möchtest und den zu vernichten der dir passt? Wieso akzeptierst du diese Fesseln aber nicht jene anderen?" er schwieg einen Moment um sie diesen Gedanken fassen zu lassen, dann fuhr er fort. "Weil diese Regeln in deinem besten Interesse sind. Genau wie jene vor der Herrin der Domäne zu schwören. Genau wie Gottes Gesetze die dich von Fluch und Kummer befreien sollen. Wieso also rennst du vor den einen Regeln weg und den anderen nicht? Entscheidest du selbst: nein, wegen jenen Dingen sollt ihr mich nicht ermorden...aber wegen jenen schon? Das ist schizophren, Achilla. Erkenne das du getäuscht wurdest. Das du selbst dich täuschst. Jener Teil von dir, den die Alten das Tier nennen."
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Signora Achilla »

Oh, wie sehr sie ihm widersprechen wollte, hier und da und dann, bei diesem, jenem und allem! Doch es war schwer genug geworden, die Konzentration aufzubringen, schwer genug, sich in dem engen Dunkel nicht zu verirren. Sie folgte seinen Worten so wie ein verirrter Wanderer einem Irrlicht über die Salzwiesen am Meer folgt bis in das Moor und die Nebel hinein und vielleicht niemals wieder hinaus.

Und dann, mit einem Male, ging ihr auf, dass er recht hatte. Es war sein Blick, der sie innehalten ließ. Für einen Moment erstarrte sie und es war als würde die Welt umher zerbrechen bis sie jenem Blick genügte. Die Dinge fügten sich neu, ergaben einen Sinn, den sie begreifen konnte. Ihr eigener Zorn war nur ein Ding, das aus parfümiertem Stolz gemacht war. Doch am Ende hatte er recht!
Es war in ihrem Sinne, wenn sie artig tat, was alle taten. Wenn sie die Worte sprach und die Beichte erlog und sich in die Dinge fügte so wie sie es meistens tat.
Und hatte sie das nicht ohnehin vorgehabt? Tat sie das nicht alle Nächte, Jahrein Jahraus? Was nur war heute Nacht wohl schief gegangen?

Sie seufzte schwer, hustete Mottenflügel und vertrocknete Insektenleiber aus, die vielleicht schon eine Weile dort in ihren toten Lungen verrotteten.

“Oh, Ihr habt ja recht”, seufzte sie. “Die uralten Gesetze haben recht, denn mit ihnen überleben wir. Und ist nicht auch eines davon eben dieses Recht der wunderschönen Aurore, auf ihrem Grund, in ihrem Reich zu schalten und zu walten wie es ihr gefällt?”
Sie hob die Arme und stieß schon dabei an die Holzwände, so eng und beklommen war es hier.

“Und ich hätt’ nichtmal einen einzigen Grund, dagegen aufzubegehren. Ich bin dankbar für die Heimat, froh um ihre Pracht, teile etwas von der Fürsorge im Sinne dieser Stadt. Wie sonst wäre sie so wie sie ist, so schön, so reich und voll?” Ein wenig betreten klaubte sie die gesplitterten Reste des Gitters vom Boden auf, aber natürlich ließ nichts davon sich wieder fügen, schon gar nicht im Halbdunkel hier drinnen. Sie versuchte es dennoch als wollte sie die Mauer zwischen ihnen beiden wieder aufrichten, als wollte sie nicht seinen brennenden, spiegelscherbenscharfen Blick sehen.

“Ich fürchte mich vor jenen grausigen Feinden, dem wilden Nordmann, der wohl in der Mitte der Gesellschaft hier gewesen war und nun gehetzt wird! Vor den Feinden von außen, die begehrlich auf die Schönheit von la superba blicken. Es ist nur klug, wenn wir einander stärken, denn früher oder später wird es wieder auf die Probe gestellt werden.”
Langsam sank Achilla auf den Boden zurück. Der Stoff ihrer Kleider und des Schleiers raschelte, Holz knackte und knarrte, Insektenleiber brachen, Haut und Leder spannten sich, wo die Nähte nicht weiter nachgeben konnten.

“Ach Vater, was ist das nur für eine Narretei, die uns so oft in die Irre gehen lässt? Wie schön, wie wundervoll wäre diese Welt wohl ohne das? Wäre sie dann wie das Paradies von einst, vor allen Sünden? Doch wie groß wäre ihr Wert ohne das ewige Ringen? Und wie süß ihre Früchte ohne die Sünde selbst?”
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Nachdem sie in sich zusammengesackt war und ihm recht gegeben hatte, als sie den Kurs änderte, da ließ auch der Druck etwas nach, dem sie ausgesetzt war, seitdem sie sich in diesen dunklen Sarkopharg gesetzt hatte. Gleichzeitig fühlte es sich an als ob ihr Geist, nachdem er von allen Seiten malträtiert worden war, diverse blaue Flecken hätte. Der Schmerz war noch da, auch wenn die Schläge aufgehört hatten auf sie niederzuprasseln.
Stattdessen scheuchte sie die rauchende Stimme des Malkavianers weiter durch ihre Gedanken. Offenbar kannte er sich innerhalb solcher Konstrukte so gut aus, das er ihr Weganweisungen gab, obwohl sie gerade zum ersten Mal miteinander sprachen.

"Nun bereut ihr." fasste er ihre Gedanken in einem kurzen Satz zusammen. Als ob er erst die kainitischen Floskeln und Abwägungen hatte beiseite schieben müssen, ein Konstrukt über diese Beichte spannen die all die Lügen und kleinen Flüchte offenbarte, um dann auf den Kern der Sache loszugehen. "...und ich erkenne in euren Worten und euren Augen das ihr aufrichtig bereut. Ihr möchtet diesen Dingen in Zukunft nicht mehr nachkommen, weil sie Sünde sind." er hielt einen winzigen Moment inne, dann fragte er, mit aufkeimendem Wind in der Stimme: "Ist das richtig? Denn dann muss Wiedergutmachung geleistet werden. Ist diese getan, ist die Beichte erfolgreich abgeschlossen. Ich kann unserer Herrin dann mitteilen das keine Sanktionen notwendig sind." beinahe konnte man das Geräusch hören mit dem er die Klappe zuschnappen ließ. Und sie auch im übertragenen Sinne in einen dunklen Sarkopharg sperrte.

"Wie also wollt ihr Wiedergutmachung leisten, für jene Sünden die ihr begangen habt? Dafür das ihr den Befehlen Aurores nur dann folgt wenn ihr selbst ebenfalls ein Interesse daran habt? Das ihr angekündigt habt Aurores Herde oder Domäne zu schlachten wie Vieh? Das ihr bereut das ihr Aurore die Treue geschworen habt?" wieder eine kurze Pause, dann kam ein Vorschlag der keiner war: "Wäre es nicht angemessen etwas zu tun was nur Aurore nutzt und nicht euch? Nur der Herde Genuas, nur den anderen. Vielen außer euch?... Jedem außer euch?" sie konnte seinen starren Blick und die eisblauen Augen nicht sehen, aber sie wusste das er in diesem Augenblick direkt auf das Stück Trennwand blickte das ihre eigenen Augen verbarg. Und wartete. Was sie vorschlug zu tun, das diesen Kriterien entsprach.
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Signora Achilla
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Signora Achilla »

Es tat ihr in der Seele weh, all dies. Hatte sie geahnt, was er tun würde? Nein! Doch sie hatte es gewagt, hatte alles gewagt. Oh, die verfluchte, unselige Neugier. Lag sie ihr im Blut wie so vielen Verborgenen? Lag sie ihr im Blut, schon vom Leben her?

Für einen Moment wollte sie wettern und zürnen, die Holzwand endlich einreißen und den Priester mit bloßer Hand erwürgen. ...doch genau dann wollte sie es zugleich nicht mehr. Oh, seine Worte hatten geschmerzt, doch die Wahrheit darin war klar. Das war es, was schmerzte, das war es, was sie bluten ließ, in Herz und Seele.

“Ohh..”, schluchzte sie und ließ sich zurücksinken. Für eine Weile starrte sie in der Dunkelheit an die Decke des beengten Raumes hinauf. “Zuerst muss ich Euch danken”, meinte sie dann. Blut rann ihr unter der Maske hervor, von Tränen oder von ihrer eigenen Raserei. Es war ihr einerlei.
“Vielleicht habt Ihr mich vor dem allerschlimmsten bewahrt.”

Was für eine bittere Erkenntnis das war. Und zugleich: Wie wunderschön sie war! Der zarte Schmetterling, der sich schwach und feucht aus dem Kokon freibrach… . Vage und am Rande war ihr bewusst, dass sie nicht mehr wirklich klar war, in einem taumelnden Fall gefangen war wie sie es sonst nur durch den Rausch kannte, den sie hier und da mit den Opfern ihrer Nächte teilte, wenn diese ihn im Blut trugen.

“Es müsste etwas freudloses sein”, sagte sie mit schwerer, toter Stimme. “Zäh und langwierig, niemals richtig endend, ohne echten Lohn und voller kleiner Pflichten, die kaum je einen Dank finden.”
Sie versuchte, sich dies vorzustellen, nachtein, nachtaus, und schauderte. Es gab solche Pflichten ja und sie könnte sie wohl ausfüllen, wenn sie es wagte und wenn sie es wollte.
“Es müsste zugleich der hohen Herrin der Domäne von Nutzen sein und wohl auch der Stadt mit ihren Menschen.”

Sie hob die Arme ein wenig, dirigierte mit brüchigen und halb gebrochenen Fingern eine lautlose Melodie in die Luft, zu der die Motten ungesehen tanzten. Was für ein absurdes, hässliches Schauspiel!

“Das werde ich tun, geachteter Ferrucio. Ich werde in das Licht der strahlende Morgenröte, Aurore, la principessa bianca, treten und sie auf Knien darum bitten, dies für sie tun zu dürfen.Ich werde tun, was ich kann, dass sie mir die Gelegenheit gewährt, denn nichts ist in unserer Welt geschenkt und alles von Wert hat auch seinen Preis. Ihr werdet’s sehen und bezeugen und vielleicht wird es Euch lächeln lassen.”

Damit ließ sie ihre Arme und Hände erstarrten. Für einen Moment endete ihre lautlose Musik und sie lauschte auf seine Antwort.
Niemand kann auf Dauer eine Maske tragen. (Seneca)
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Il Canzoniere
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Re: [1037] Sündenfall [Achilla, Ferrucio (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Noch mehr von diesem Druck ließ nach. Als ob jemand, der ihren Kopf in einem schraubstockartigen Griff gehabt hatte nun etwas lockerer ließ und der Druck auf ihren Schädel nachließ. Nur das dieser jemand in ihrem Kopf steckte und drohte ihn platzen zu lassen wie eine Larve ihren Kokon.

"Gut." war sowohl sein Urteil als auch seine Zustimmung in einem. Offenbar fand er ihre Überlegung vielversprechend. Oder zumindest in die richtige Richtung gehend.

"Ich werde die principessa bianca in Kenntnis darüber setzen was für eine Art Aufgabe euch vorschwebt." machte er den Sack dann noch zu. Nicht das sie, wie vermutlich manche seiner Schäfchen, noch einmal drüber nachdenken würde, sobald der Malkavianer aus ihrer unmittelbaen Nähe verschwunden war. Außerdem stellte es auf konservative Weise sicher das Aurore nicht von einer plötzlich motivierten Nosferatu überrascht würde. Eine Kapazität mit der sie in dieser Weise, zu diesem Zeitpunkt, sicher noch nicht kalkuliert hatte.

"Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." erteilte er die Absolution und beendete damit ihr Martyrium. Die Beichte war abgeschlossen. Sogar erfolgreich, wenn man so davon sprechen wollte. Sie hörte wie Keile entfernt wurden und eine Tür geöffnet wurde und die Präsenz des Priesters aus der Dunkelheit verschwand. Ihr selbst wurde wohl ein Augenblick der Ruhe gestattet. Niemand würde sie hier verjagen oder auffordern zu gehen. Und wenn sie es schlussendlich tun würde, stünde Ferrucio einige Meter entfernt und starrte zum Altar. Ob sie über die Beichte hinaus mit ihm sprechen wollte, schien ganz ihr überlassen zu sein.
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