[1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

[Juni '20]
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Signora Achilla
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Sie beobachtete ihn ein Weilchen, wie er so auf und ab ging.
“Es ist jedoch nicht so, schöner Herr.” Auch sie erhob sich, doch sie blieb auf der Stelle stehen.

“Ich kann nicht sagen, warum Ihr dem hohen Herren Godeoc so nachjagt - und nicht zum ersten Mal, so will ich meinen. Ist es nur, weil er Euch nie empfing wie Ihr es gewollt habt? Was hat es Euch je eingebracht?” Es klang fast ein wenig hilflos, jedenfalls aber ratlos.
“Er ist alt und machtvoll und er ist vom Blut der Verborgenen. Wenn er verborgen geht, vor Euch oder irgendwem sonst, dann können weder Ihr noch ich etwas daran ändern. Und keiner von uns beiden tut gut daran, ihm etwas anzudichten. Ganz gewiss sehen weder Ihr noch ich, wie er sich gegen irgend jemanden stellt.” Sie neigte den Kopf ein wenig.
“Wenn Ihr meinen Rat hören wollt: Verrennt Euch nicht. Nicht in dieser Richtung. Der Graf der Gosse ist kein freundlicher oder nachsichtiger Herr.” Sie machte eine kurze Pause und ergänzte dann, mit einer Note von recht beißender Selbstironie in der Stimme: “Ich erinnere mich an das erste Mal, dass ich ihn sah und er uns ein paar Dinge auftrug. Was mir jedoch am ehesten in Erinnerung blieb, war sein Versprechen, dass er dem von uns, der am wenigsten zustande bringt, die Beine ausreißen will, um ihn damit zu verprügeln. Solche Worte und die Gewissheit, dass sie keine leeren Versprechen sind, können echter Ansporn sein. Und sie schrecken mich auch gründlich davon ab, seinen Zorn auf mich zu ziehen.”
Behutsam machte sie eine Geste als wollte sie das Thema beiseite legen.

“Ich habe Euch gesagt, weshalb ich mich um den Dottore sorge und ich bin Euch dankbar für Eure Antwort. Es ist keine, die mich froh stimmt, denn die Ketten des Blutes von dieser Art sind selten ein Grund zur Freude - doch es ist eine, die das, was geschehen ist, mit Sinn füllt, wo vorher keiner war. Und nun sind die Dinge eben wie sie es sind.” Ein Schulterzucken und die Signora ließ auch dieses Thema wieder fallen.

“Wenn Ihr es für klug haltet, dass ich mich aufmache, um mich anzudienen, dann will ich es wohl wagen, auch wenn ich kaum weiß, wo ich beginnen sollte oder was ich zu bieten hätte. Es ist nicht eben so, dass die Schauspielerei und die Bühnenkunst einen großen Platz in der Nacht haben, so wie ich es sehe. Zumindest noch.” Das letzte fügte sie ein wenig keck an.

“Vielleicht kann ich helfen, dass es sich ändert. Gewiss aber höre ich gern auf Euren Rat und suche den Magister auf, um die Wogen zu glätten, wenn ich es vermag. Die Geste allein hat Bedeutung.”
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Alain le Beau
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

"Dem sehr verehrten Godeoc nachjagen? Bin ich ein Idiot?" Der Tzimisce ist stehengeblieben und schaut Achilla entsetzt an. "Macht eure Augen auf, werte Achilla: Wenn ihr das Spinnenwesen bedenkt - möge es ewig ruhen! - und dann den Angriff durch den werten Dottore, wenn ihr bedenkt dass Anastasia mich beleidigt hat und es dann später so auslegen suchte, ich hätte Schulden an euren Clan nicht bezahlt - wer jagt dann wem nach? Wessen unsichtbare Hand legt mir ständig Steine in den Weg? Was denkt ihr denn, was passiert, wenn er erfährt, dass der Dottore mein Blut getrunken hat, mh?" Alain schaudert - schaudert wie ein Sterblicher. "Ich jage niemandem nach. Ich werde gejagt!"

Alain schließt die Augen. Sein Körper beruhigt sich, richtet sich auf. "Aber das Blut der Drachen lässt sich nicht so einfach einschüchtern", sagt er dann, der Beweislage zum Trotz. "Und noch einmal, werte Achilla: Was euch vor dem Zorn eures Ahnen bewahren kann, ist der Schirm eines anderen Ahnen. Zum Beispiel der Schirm der höchst verehrten Aurore und ihres sehr verehrten Seneschalls Lydiadas. Die beiden wären entzückt, wenn ihr euch gegen den Beinausreißer stellen würdet, da bin ich sicher. Ich denke, ihr werdet nicht darum herumkommen, wenn ihr wahrlich eurem Schwur gerecht werden wollt."

Er faltet die Hände. "Was den Rest angeht: Gebt ihnen Geschenke, gebt ihnen Gefallen. Fallt vor dem werten Gasparo auf die Knie, reicht ihm ein Schriftstück alter Meister, bietet ihm zudem einen kleinen Dienst in der Zukunft und das Versprechen, dass eure... kleinen Freunde ihn nie wieder derart belästigen werden, dass es ein Versehen war. Wenn ihr meinen Rat schätzt, dann erklärt ihm auch, dass ihr auf mein Anraten dort seid. So zeigt ihr die Klugheit, eure Fehler gutmachen zu wollen und die Weisheit, auf diejenigen zu hören, die sich auf solche Dinge verstehen. Wie die Harpyie Genuas."
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Signora Achilla
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

“Und töricht ist, wer nicht auf die Harpyien hören will”, besiegelte die Signora diese Worte und machte einen tiefen Knicks. Altes Leder knirschte leise… oder vielleicht war es auch alte Haut.
“Dann will ich gehen und mich mühen wie ich nur kann. Gern gebe ich auch Euer Wort darin weiter. Rat wie der Eure sollte gekannt und geehrt werden.”

Sie sah dann wieder zu ihm auf. Nicht ohne Neugier fragte sie: “Ist es ein Zufall, dass Ihr der zweite schon seit, der wegen eines Festes mit mir spricht? Oder ist es eine frohe Feierstimmung unter denen vom Blut?”
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Alain le Beau
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

"Ich weiß es auch nicht. Offenbar denken andere, auf diese Weise die Sterblichen von jüngsten Ereignissen ablenken zu können." Er zuckt mit den Schultern. "Ich bin mir da nicht so sicher. Andererseits - mehr Feste, mehr Vergnügen. Ich ärgere mich schon genug, eure Feier nach den Nächten verpasst zu haben."

Alain verschränkt die Arme. "Aber ich habe das Gefühl, ihr lenkt absichtlich vom Thema des Dottore ab. Wenn ihr ihm nicht helfen wollt: Vielleicht kann ich es tun? Euer Ältester müsste ja nicht davon erfahren..."
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Signora Achilla
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ich habe ihn gesucht, vor und nach jenen fünf Tagen”, sagte die Signora leise. “Jetzt, mit Eurem Wort, weiß ich, warum er uns alle gemieden hat.”
Sie blieb still stehen, so wie zuvor. Nur die kleinen Bewegungen der unzähligen Insekten in und um ihren Leib her durchbrachen diesen Stillstand.

“Es ist keine kleine Sache, solche Bindung in Blut. Und der Dottore ist gewiss nicht der Einzige, den es traf. Doch es heißt, solche Ketten verblassen mit der Zeit.” Damit schwieg sie und beobachtete, ob Alain verstand.
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Alain le Beau
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

"Selbst wenn ich ihm mit dem Band, das zwischen uns besteht, gebieten könnte - ich habe ihm nicht aufgetragen, seine Familie zu meiden." Alain runzelt die Stirn. "Im Gegenteil: Ich habe ihm geboten, alles so zu tun wie vor unserer unglücklichen Begegnung. Denn wie ich bereits sagte: Ich habe keinerlei Interesse daran, den Zorn des sehr verehrten Godeoc auf mich zu lenken. Außerdem ist er auch bei mir nicht wieder aufgetaucht, obgleich er doch ein häufiger Gast hier im Palast war. Wenn euer Ältester ihn nicht selbst... gefangen gesetzt hat, dann ist es möglich, dass er anderen in die Hände gefallen ist."

Auf ihren letzten Kommentar hin hebt der Tzimisce die Augenbraue. "Möglich ist es. Was wiederum bedeuten würde, dass euer Ältester darauf wartet. Ich für meinen Teil hatte wenig Erfolg in dieser Richtung, als ich... ein anderes Kainskind von seinen Ketten zu lösen suchte. Und das Band des werten Dottore hat sich nicht von selbst gelöst in der Zeit vor den Nächten, also habe ich nicht allzuviel Hoffnung." Er verschränkt die Arme und blickt die Signora nachdenklich an. "Wo genau würde er meinen lieben Freund wohl gefangenhalten?" Sein Blick verfinstert sich, wirkt unangenehm starrend, so, als wolle er direkt in ihren Kopf hineinsehen. Aber das ist natürlich nur Einbildung...

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[Auspex 4 gg. aktuelle WK Signora: 9,4,4,3,3,2 => Nur Gedanken lesen, Konzentration auf Dottore]
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Signora Achilla
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

"Wo genau würde er meinen lieben Freund wohl gefangenhalten?"

Es waren genau diese Worte, die im Geist der Signora widerhallten wie Echo an kahlen, dunklen Kerkerwänden. Doch dieser Kerker war nicht gemauert, er war gescharrt. Es stank nach Blut und Verzweiflung, verwesendem Fleisch und faulendem Schlamm, vor allem aber nach Hunger.
Der Hunger war hier wie ein eigenständiges Wesen, so groß, dass er drohte, den Verstand beiseite zu drücken. Die Grenze zum roten Wahnsinn war dünn geschabt. Das blasse, blutige Gesicht des Dottore war kaum wieder zu erkennen.

Gewiss war da noch mehr, doch Alains Konzentration genügte nicht und zerfiel.

---

Die Signora stutzte etwas unter diesem stechenden Blick und wollte ihn auch nicht erwidern. Es war nicht eben ihre Art und so sah sie fort. “Er ist direkt und hart, mein Ältester. Er ist stark und alt, mächtig und ohne Mitleid. Er würde tun, was getan werden muss, stets”, sagte sie bedächtig und vorsichtig. Sie machte einen kleinen Seitenschritt, dann einen weiteren.

“Ihr verlangt zu viel von mir, schöner Herr. Ich will kein Leiden sehen, weder Eures noch das eines anderen. Ich will keine Feuer auf meinem Haus sehen, keine blutigen Kriege in den Straßen, die mir Heimat wurden. Wir begannen dies Gespräch mit einem Fest und nun?”
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Alain le Beau
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Alain reibt sich die Stirn, so, als würde ihn der Kopf drücken. Er wirkt müde, erschöpft. "Dann ist die Frage, wie ihr das erreichen wollt, werte Achilla. So naiv könnt ihr nicht sein, dass ihr nicht versteht, dass in unserer Welt immer jemand leidet. Jetzt, in diesem Moment, leidet der Dottore. Wenn ihr euer Wissen an euren Ältesten weitergebt, werde ich leiden. Wenn nicht, wird er vielleicht vom Dottore erfahren, was er wissen will - und dann leide ich erneut. Oder er lernt, dass ihr ihm etwas verschwiegen habt. Dann leidet ihr."

Er verschränkt die Arme. "Und wenn ich dem sehr verehrten Seneschall von der Angelegenheit berichte, dann... nun, ihr versteht. Leben ist Leiden, weswegen wir danach streben sollten, uns so viel wie möglich zu vergnügen. Was mich zu euch bringt." Der Blick der auf ihr liegt, ist der Blick des Basilisken. Versteinernd. Kalt. "Was werdet ihr mit der Information anstellen? Sollte ich euch hier und jetzt festsetzen, um eine Gefahr auszuschließen?"

Für einen Moment hält er die Pose. Dann sacken seine Schultern herab und ein sardonisches Lächeln erscheint in seinem Mundwinkel. "Nein. Das werde ich nicht. Ich habe euch ehrlich geantwortet, euch erklärt, wie das Band zustandekam. Ich werde versuchen den Dottore zu retten. Was ihr tut? Das müsst ihr mit eurem Gewissen ausmachen."
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Signora Achilla
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Signora Achilla »

Jetzt, wo sich Alain ein wenig mehr auf die Signora konzentriert hatte und vielleicht auch als ein Nachhall auf den kurzen Einblick, könnte ihm auffallen, dass sie mit seiner Haltung und seinen Posen mitgeht: Er entrüstet sich, sie wird sanfter. Er wirft sich in Pose, verschränkt die Arme und droht mit Worten, sie macht den kleinen Seitenschritt, angstvoll womöglich, und ringt ein wenig mit ihren Händen.

Und dann fällt er aus der Pose, fällt aus der begonnenen Rolle und kommt zu seinem recht trockenen Schluss. Und so fällt auch sie, ein wenig ungelenk oder womöglich sogar ungestüm:
“Genug!”, rief sie aus. “Das soll so nicht weitergehen!” War das Schauspielerei? Oder echt? Es war schwer zu sagen, mit der Maske und der Art der Signora. Die Grenzen zwischen beidem waren verschwommen. Vielleicht kannte sie sie selber nicht mehr.

“Ihr heißt Euch ein Freund der meinen, doch Ihr habt wenig Achtung vor dem Wunsch, dass Ihr Ruhe gebt! Ihr heißt Euch ein Freund meines Bruders und doch ist er es, der in Blutsketten liegt! Ihr habt mich eingeladen, an diesem Abend, und nun droht Ihr mir in Eurem Haus! Ihr nennt Euch Harpyie, doch Ihr handelt wie ein Grobian!”

Sie stampfte einmal mit dem Fuß und dem Pantoffel auf, den sie trug, was nicht unbedingt eindrucksvoll war und von einem leisen, warnenden Knacken gefolgt wurde. Irgend etwas brach in ihrem Fuß.

“Ich habe Euch so oft in Schutz genommen und für Euch gesprochen, dass ich erklären musste, dass ich nicht in Blut an Euch gebunden bin!”, erklärte sie und hob die linke Hand - die Herzhand, wenn man denn auf schauspielerische Einzelheiten achtgeben mochte - und auch den Zeigefinger daran.

“Und jetzt wollt Ihr mir wahrhaftig das Messer auf die Brust setzen! Als hätte ich dort nicht ständig irgendeines ruhen, echt oder in Worten!” Aufgebracht stach sie mit diesem Zeigefinger in die Luft.

“Und warum mach’ ich dies alles? Weil ich Euch mag, schöner Herr! Ich mag, wie schön Ihr seid und vor allem: wie stolz. Ihr strahlt nicht mit Eurem perfekten Antlitz, nein! Ihr strahlt, weil Ihr wisst wie vollkommen das Antlitz ist, wie schön das Lächeln, wie kostbar Euer Blut! Wisst Ihr, wie selten derlei ist? Die allermeisten, selbst von unserer Art, sind so geplagt von Selbstzweifeln, dass es zu einem Teil ihrer selbst wird und damit ein Teil ihres Handelns. Doch nicht bei euch! Ihr tragt ein Licht in Euch und wie könnte ich anders als es sehen und lieben!”

Sie hatte immerhin aufgehört, mit dem Finger in der Luft zu stochern und warf nun in frustrierter Aufgebrachtheit ihre Hände in die Luft.
“Auch ich will meinen Bruder retten! Und wenn’s nach mir ginge, dann auch Euch! Aber Ihr wollt nicht tun, was für Euch gut wäre, und die Dinge ruhen lassen - weil Ihr eben seid, wie Ihr seid, vielleicht.”

Aus irgendeinem Grunde begann sie nun, ihren linken Ärmel etwas hoch zu krempeln. Noch war, vermutlich zum Glück, keine Haut sichtbar.
“Ich bin es leid, ständig zwischen Eurem Zerren und Stochern und den meinen zu stehen. Das ist ein grober Unfug und er nützt keinem einzigen von uns! Keinem!” Mit einem wütenden Ruck zog sie ihren Handschuh ab. Etwas knackte und riss und er baumelte etwas zu schwer in ihrer anderen Hand. Ein oder zwei Finger schienen noch darin zu stecken und sie sah halb ungläubig und immer noch halb aufgebracht darauf. Vorsichtig schüttelte sie ihn, doch das änderte nichts an den Fingern. Ein paar gelblich-braune Larven fielen herunter.
Sie hob kurz ihre linke Hand, an der in der Tat nun anderthalb Finger fehlten. Verrottet und tot sah sie aus, diese Hand. Man konnte die Sehnen und Muskeln sehen, wo die Haut verfallen oder nun auch gerissen war. Zarte Fingerknochen schienen durch und in alledem krochen und fraßen die Larven als wollten sie all dem Verrotten mit umso mehr Freude am eigenen Leben entgegenstehen. Sie beschloss dann wohl, diese faulenden Umstände einfach zu übergehen. Ändern konnte sie sie wohl kaum.

“Ich tue dies, schöner Herr: Ich lade Euch ein und auch die meinen. Mit dem Dottore, sollte er bis dahin Euch wieder aufrecht gegenüberstehen können. Und wenn es dieses Zusammentreffen gibt, dann wird es eins wie mit den Gesetzen des Elysiums: Ohne die Kräfte unseres Blutes, ohne Waffen und in Frieden. Ich werde die Dinge auf den Tisch legen und dann wird ein Handel gefunden, der gehen kann ohne dass ständig noch irgendein alter Groll im Hintergrund schwärt.”

“Und wenn das schief geht? Dann sei es so, Tribut an unser aller Natur und Unvernunft! Doch dann könnt Ihr Euch nicht länger “Freund der Verborgenen” heißen und die meinen müssen damit auskommen, dass da wohl eine Feindschaft wächst mit keinem besseren Grund als Torheit und Stolz. Und das, ha! Das ist wohl eine Schmach, die meinem Blut am wenigsten gut ansteht.”

Immerhin warf sie ihm den Handschuh nicht vor die Füße. Das wäre wohl auch die gänzlich falsche Geste gewesen. Stattdessen bot sie ihm diesen an. “Nehmt dies, als Zeichen, dass Ihr mein freies Geleit habt durch die Gassen und Winkel. Wenn Ihr den Mut dafür aufbringt, wohlgemerkt.”
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Alain le Beau
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Re: [1037] Was ungesagt blieb [Achilla, Alain]

Beitrag von Alain le Beau »

Der Gefühlsausbruch lässt Alain nicht kalt, im Gegenteil. Je mehr sie spricht, desto mehr tritt ein begeistertes Lächeln auf sein Gesicht. "Endlich!", ruft er. "Endlich echte Emotionen. Oh, Achilla, warum nicht gleich so." Er lässt sich auf seine Liege fallen, offenbar sehr zufrieden mit der Welt - und mit sich. Er nimmt den Handschuh aus den Resten ihrer Finger entgegen und sieht diesen mit gerunzelter Stirn an. "Wenn es nur um euch ginge, werte Achilla, dann würde ich mich noch morgen auf den Weg nach Clavicula machen. Aber könnt ihr auch garantieren, dass euer Ältester sich an euer Wort gebunden fühlt? Dass er nicht, so er die Gelegenheit hat, mich in Grund und Boden stampfen wird, dann meinerseits in Ketten legen oder mich in irgendeinem Loch vergraben würde, zwischen verrottendem Fleisch und Dreck?" Wieder dieser forschende Blick. Was weiß Alain?

"Ich will euer Freund sein, werte Signora, mehr als das. Trotz eures Blutes sehe ich in euch einen verwandten Geist. Wir könnten Großartiges schaffen! Nur muss ich bei jedem meiner Worte genau abwägen, was ich sage, auf dass ihr es nicht zu den euren tragt, wie die Bauersfrau die Eier zum Markt. Ich meine, ich verstehe durchaus: Die Bauersfrau verliert nicht ihre Beine, wenn sie es nicht schafft, all ihren Ertrag zu veräußern. Aber genau das ist das Problem, das mich skeptisch macht. Ich kann Anastasias Impertinenz nicht bestrafen. Ich kann dem werten Vergonzo nicht vertrauen, dass meine vier Wände sicher sind. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass der werte Federico tatsächlich nur bei mir vorstellig wird, um mir Respekt zu erweisen. Ich kann mit euch nicht das Leben genießen. Und warum? Weil hinter allem, was die Nosferatu in Genua tun, der sehr verehrte Godeoc steht. Oder stehen könnte."

Er sieht traurig auf den Handschuh. "Ich glaube euch, dass ihr es ernst meint - vertraue euch! Aber ich kann dennoch ein solches Risiko nicht eingehen. Seinetwegen."
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