[1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, Eleonora(SL)]

[November '20]
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La Cronista
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

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"Die schönsten Seiten und die hässlichsten" wiederholte die verschleierte junge Frau und mit Wehmut in der Stimme fuhr sie fort, während sie den Bick kurz abwandte und zu Boden richtete. "Gern würde ich sie euch zeigen. meine zeigen und eure sehen. Doch kann ichs nicht. Nicht hier. Doch sagt mir, was ist es an euch, dass ihr nicht zeigen wollt...oder könnt?" Nun richtete sie ihren Blick wieder auf.

Derweil nahm die andere Witwe den Mann mit dem sie tanzte an der Hand und zog ihn weg von all dem großen Treiben und führte ihn in in eine Gasse neben dem ganzen Festgelage, zwischen die Häuser die den Platz begrenzten. Vorbei an abgestellten Körben mit Tand, Tüchern und Allerlei, vorbei an einem großem Vogel, der sich dort niedergelassen hatte und vorbei an Ständen anderer Schausteller und Musiker. Ins Dunkel, wo sie für sich und ungesehen waren. Nur um den natürlichsten aller Gelüste zu fröhnen.
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora nahm sich einen Moment Zeit, in dem sie ein wenig schwermütig und ein wenig sehnsuchtsvoll dem nächsten Paar nachsah, das seiner Lust folgte. Als sie noch ein wenig jünger gewesen war, hatte sie diese Lust geliebt, die Erinnerung an die Hitze, die im Körper aufsteigt, an Lust und Verlangen. Doch mit einem Körper wie dem ihren und mehr und mehr Jahren hatte sich ihr Verlangen verändert. Ja, der Hunger war immer da, doch ihre Lust verlangte nach dem Leben selbst. Was war das Grunzen und Reiben schon, das Schwitzen und Stöhnen? Ha… . Was sind solche Dinge für die Toten mehr als Erinnerungen, die fast verzweifelt wieder herauf beschworen werden? Kurze Momente der Illusion, denen man in endlosen Nächten nachjagd, immer und immer und immer wieder? Die Signora kannte die Illusion und das Spiel mit ihr, huldigte ihr, wenn sie es nur vermochte. Doch sie wusste auch, wie brüchig und dünn diese Maske war.

In gewisser Weise war dies, hier, vor ihr, köstlicher. Es war ein Rätsel, eine stillere und längere Lust, eine Verlockung. Sie sah wieder zu ihrem Gast herüber und gestand: “Meine Hässlichkeit kann und will ich nicht zeigen. Ich will Euer Auge nicht beleidigen, Euer Herz nicht erschrecken und Eure Nacht nicht verderben.” Sie ließ die Worte wie feine Seide über ihre Zunge gleiten, mit süßer Poesie für bittersüße Wahrheiten. Nun waren ein paar Lügen an der Reihe, für die Masken, die sie trug. Und es war nicht einmal tatsächlich eine Lüge, wenn sie sagte: “Es war ein großes Feuer hier vor ein paar Jahren, das mich fast aufgezehrt hat. Vom Hafen her haben sie auf die Stadt geschossen, vor der sie vor Anker lagen, Feuer und Pech.”
“Warum sie’s wohl getan haben? Ich gäb’ eine Menge drum, das zu wissen, wer es war und mit welchem Ziel.” Sie zuckte einmal mit den Schultern.

“Wollt Ihr einen stilleren Ort finden? Einen, an dem Ihr freier sein könnt als hier, im hellsten Feuerschein?”
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La Cronista
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von La Cronista »

"Bitte" hauchte sie und wirkte nun zugleich schüchterner und verführerischer als zuvor.
"Ich möchte nicht, dass ihr mich seht...wie ich bin." fügte sie langsam an. "Doch ich möchte euch gern fühlen."

So würde sie sich führen lassen von der Signora. An einen Ort, wo es kein Licht gab, wo sie in der Dunkelheit vereint sein könnten ohne auch nur einen Blick auf den jeweils anderen werfen zu können. Nichts zu sehen von Hässlichkeit oder Schönheit. Nicht mehr zu sein als das was man erfühlen könnte.
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Als Achilla ihren Gast, die Fremde, fast-Vertraute durch das Dunkel führte, spürte sie die Angst. Sie flatterte in ihrer Magengrube wie ein Knäuel Motten. Was, wenn die Fremde eine Jägerin war, genau auf ihrer Fährte? Was, wenn sie vom Blut war? Was, wenn sie jemand Vertrautes war. Ihr vielen eine Handvoll anderer ein, denen sie dort, im Dunkeln, Haut an Haut, nicht begegnen wollte. Fast hielt sie an, wollte umdrehen.

Doch nur fast. Es war eine Lüge, dass sie ihnen nicht dort im Dunkeln begegnen wollte, Haut an Haut. Ihnen oder all den anderen Schrecken. Sie wollte - vor allem wollte sie es sich nicht entgehen lassen, nicht das Gefühl der anderen, nicht ihre Fingerspitzen auf der eigenen, brüchigen Haut, nicht genau dieses Gefühl der vollständigen Ungewissheit. War sie töricht? Ja - dies war eine Sache, die sie umbringen konnte, so tödlich wie die Sonne jeden Morgen aufging. Und Nein - täte sie dies nicht, würde sie zurückhalten, was sie war, dann wäre sie nichts als graues Zwielicht. Solches Zwielicht konnte ewig dahindämmern, irgendwo zwischen den Dingen, unbemerkt, ungekannt, unberührt. Es war der endgültige Tod der Seele, der wahre Feind in diesen nie endenden Nächten, die wahrhaftig nicht mit den Fratzen unzähliger Feinde sparten. Doch dieser eine Feind war der schrecklichste und keines der anderen Monster kam ihm gleich.

Und darum ging die Signora weiter, mit Angst in der Magengrube und fast etwas wie Herzschlag in der Brust. Sie genoss jeden Moment, versuchte ihn wie einen Schatz in ihrer Erinnerung zu hüten und wusste doch, wie flüchtig jeder einzelne war.
Sie kannte einen Ort für dies, einen Keller, der nun nach langer Zeit wieder frei gegraben war. In ihm wäre sie fast verbrannt. Vielleicht würde sie darin wieder fast verbrennen. Vielleicht würde sie die schreckliche Erinnerung durch eine köstliche ersetzen. Vielleicht war all die Schärfe des Moments nur ihre Einbildung und die Angst würde sich in warmem Blut auflösen. Ah… .

Der Eingang zu diesem Versteck war verborgen, halb übergebaut und halb vergessen, denn nach dem Feuer war alles anders wieder aufgebaut worden. Es gab nur wenige, die ihn kannten, doch es konnte jede Nacht jemand neuen geben, der ihn fand. Es war eng in Clavicula, nichts war wirklich fest oder sicher. Aber für einen Moment, für eine Nacht, konnte es gehen.
Sie führte ihren Gast ausgetretene, gesprungene Stufen hinab ins Dunkel. Oben konnte man noch Umrisse sehen, doch sobald sie hinab tauchten in diese Enge, blieb nichts mehr für die Augen. Geräusche traten hervor, Stimmen von einer Gasse oben, das Scharren einer Ziege im Hinterhof, die sie geweckt hatten. Die Musik vom Hof der Wunder lockte aus der Ferne.

“Hier können wir sein, was wir sind”, flüsterte Achilla und fragte sich, was das wohl sein mochte.
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La Cronista
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von La Cronista »

Die Frau von der Achilla nicht mal wusste, wie alt sei sein mochte, wie sie aussah, wer sie eigentlich war, ging ihr hinterher und wurde doch mit jedem Meter den sie sich weiter von dem Feuer entfernten langsamer.
Vor dem Eingang in die dunkle Tiefe blieb sie stehen und hatte die Hände vor der Brust zusammengelegt. "Was ist das für ein Ort?" fragte sie und klang unsicher.
"W...Ich möchte euch nicht beleidigen, doch sicher werdet ihr verstehen, dass dies doch etwas wirkt wie als würdet ihr planen mich auszurauben und zu ermorden an so einem Ort." Aber es war dunkel, so wie sie es sich gewünscht hat. War das gut so? Oder war das eine Falle?
Ihr Kopf drehte sich zu jeder Seite und schaute ob hier nicht noch weitere waren, die nun aus dem Dunkel heraus sie ergreifen würden.

(3 + 5 + 1 + 9 + 10 + 3 )
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Es war still hier und niemand war nahebei zu sehen. Flecken wie dieser waren selten so dicht am Hof der Wunder und ausgerechnet hier, wo man um jede Schrittlänge innerhalb der Mauern froh war, Kloake oder nicht. Die Menschen lebten, arbeiteten, liebten, schliefen, aßen, stritten und lachten dicht an dicht in diesen Gassen. Das war es, was den Moment und den Ort so selten und so flüchtig machte.

Doch in der Stimme der Fremden klang echte Furcht. Dieses hohle Gefühl in der Magengrube, das einen die Augen weit offen halten und den ganzen Körper hellwach fühlen ließ. Achilla hörte diesen Klang und der Hunger wusch in einer heißen Welle über sie hinweg.
Ah, es war kein schöner Zug von ihr, so musste sie zugeben, doch diese ganz besondere Furcht war ein Geschmack, den sie entwickelt hatte. Er war mit dem Fluch ihres verrottenden Körpers gekommen, dem Entsetzen jener, die etwas davon sahen. Anfangs hatte es bitte geschmeckt, so bitter wie ihr das eigene Schicksal erschienen war. Erst mit den Jahren hatte sie ihn schätzen gelernt, dann genießen.

Sie ließ sich behutsam auf den ausgetretenen Stufen nieder. “Nein”, sprach sie leise. “Ich will Euch nicht berauben und ich will nicht einen Schritt weiter gehen als wir es gemeinsam wagen.”
Die eigene Furcht schwand mit dem Klang der Furcht der anderen. Nein, gewiss war dies kein Trick, kein Hinterhalt, keine Falle. Dies war zu süß, zu geheimnisvoll. Was für ein Rätsel dies wohl war? Vielleicht war die andere geflohen? Vielleicht war sie tatsächlich versehrt und vernarbt? Vielleicht trug sie eine Krankheit in der Haut? Pocken, eine Pest? Oh, wenn dies so war, gab sie es dann auch weiter? Und wie schmeckte solcherlei wohl auf der Zunge?

“Ich habe dieselbe Furcht vor Euch”, gestand sie da und es war nicht ganz gelogen. Nur die Gründe waren vielleicht andere. Wie kostbar auf einmal jeder Augenblick schien! “Hier sind unser beider Augen blind.”
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La Cronista
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von La Cronista »

Die Frau in schwarz ballte die Hände zu Fäusten und drückte sie sich gegen die Brust.
Ein Moment des Schweigens, des Zögerns in der sie wohl entschied. Abwägte was diese Situation bringen konnte. Ob es das Risiko wert war?

Dann streckte sie die bahandschuhte Hand aus, nach derer der Signora und würde sie umfassen, wenn sie es denn zuließe und sich in diese Höhle führen lassen, wo sie hoffentlich sonst keiner fand. Nicht einmal das Licht des Mondes.

„Die Augen mögen blind sein, doch die Hände sind es nicht.“

In der Dunkelheit ihres kleinen Versteckes fühlte die Signora dann auch die Hände der jungen Frau über ihre Arme streichen, zu ihrem Hals und ihrem Gesicht. Dann verschwanden sie einen Moment und es drang das leise Rascheln von Stoff an ihre Ohren. Dann waren da wieder Finger, diesmal ohne Handschuhe, die am Rande ihrer Maske entlang fuhren. Sie abnehmen wollten, doch waren ihre Bewegungen noch zögerlich, fragend. Ob Achilla es zulassen würde?
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Dies war nicht so leicht. Mit gutem Grund waren die Masken wahre Kunstwerke und die Art, wie sie unter dem Schal festgemacht waren, war alles andere als gewöhnlich. Behutsam legte Achilla ihre Hände über die der Fremden. So konnte sie sie lenken, vorsichtig, um nicht zu zerreißen und zu zerstören, was so delikat und zerbrechlich war.

Es gab feine Schnüre und dünnen Stoff. Der Stoff ließ sich im Haar feststecken und dies war das erste, was sie den tastenden Fingern der Fremden zeigte. Achillas Haar war weich und gelockt, beinahe unversehrt von dem Schrecken des Fluchs. Ob die andere spürte, das die Körperwärme fehlte? Achilla wollte nicht die Illusion zerstören, nicht jetzt schon! Nur einen Moment länger noch, so hoffte sie. Ihre eigenen Hände zitterten als lebenswarmes Blut durch sie floss. So musste sie sich tatsächlich auf das Geschick der anderen verlassen, dass sie die Spangen löste.

Hätten die beiden in der Finsternis ihres Verstecks sehen können, so hätten sie die aufgescheuchte Wolke an Nachtfaltern gesehen, die sich über Achilla erhoben hatte. Doch die Tiere flogen lautlos und waren geboren dafür, in der Nacht unsichtbar zu werden.

“Erschreckt Euch nicht”, wisperte die Signora und ihr angstvoller, nervöser Tonfall war kein Schauspiel. Sie ließ sich in den Moment fallen, atemlos, genießerisch. Noch immer konnte sie die Arglosigkeit der anderen nicht ganz glauben und wollte es doch so gern! Die Furcht der anderen - wie süß würde sie duften? Wie bitter würde sie schmecken?

Langsam ließ sie die andere die Ränder der Maske entlangfahren. Der Stoff war hier verleimt oder führte ganz unter der Maske weiter, als eine etwas weichere Schicht zwischen Haut und Holz. Und während sie die Hand und die Finger der anderen führte, versuchte sie selbst, etwas von ihr zu spüren: Die Wärme der anderen, vielleicht den Puls, wenn das schlagende Herz ihr das Blut durch die Adern trieb?


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*Körperwärme imitieren
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von La Cronista »

Die Finger der Frau nestelten an den Stoffen und Schnüren und leise machte sie ein Geräusch zwischen Amüsement und Scham.
Unter den leicht warmen Fingern der Signora schaffte sie es schließlich dieses seltsame Konstrukt zu lösen, doch was war das für eine seltsame Maske. Wo hörte sie auf und begann das Gesicht? Was war das? Was war mit dem Gesicht dieser Frau? Mit ihrer Hilfe zog sie die Maske langsam von dem Gesicht der Nosferatu. Man konnte das leise Reißen von etwas hören und die junge Frau erschreckte sich. Ließ wieder los, doch konnte nicht weit wohin, da die Signore immer noch ihre Hände hielt. Und irgendwie wollte sie ja auch nicht weg. Es war unheimlich, aber sie war nun so weit gekommen. Sie konnte auch nicht nun einfach gehen. Unverrichteter Dinge. Sie hatte das gewollt.

Als das Gesicht der Signora zum Vorschein kam, so konnte die Witwe ohnehin nichts davon sehen. Stattdessen wanderten ihre Fingerspitzen leicht über das Gesicht dass sich da offenbar hatte und zog sie sogleich wieder zurück.

Achilla konnte hören wie der Atem der Fremden hin und wieder aussetzte. Abgehakt und unregelmäßig hervorgestoßen wurde.

Als sie ihre Hände noch gehalten hatte, so waren sie so warm wie ihre gewesen. Der Puls spürbar aber nicht stark.

"Was ist mir dir geschehen?" fragte sie mit gedämpfter Stimme, sich fürchtend es zu laut auszusprechen, es überhaupt auszusprechen.
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die schwarzen Schwestern [Achilla, SL]

Beitrag von Signora Achilla »

Eine Hand der anderen gab Achilla da frei und legte die Maske beiseite. Es war selten genug, dass sie die Nachtluft direkt im Gesicht spürte. Sie wusste, dass jeder Lichtschein auch die letzte Illusion geraubt hätte. Der Moment war bitter und spröde wie ihre Knochen - und ebenso zerbrechlich.

“Ich habe von dem Feuer erzählt”, flüsterte sie. Es war eine süße Lüge, eine die sie in diesen Jahren so oft schon gesagt hatte, dass sie beinahe selbst glauben konnte, dass sie wahr war. Wenigstens für einen Moment, wie es eben war mit Lügen, die man oft genug erzählte.
Behutsam hob sie die Hand der anderen hoch und führte sie über die versehrten Linien ihres Gesichts: Die Wangenknochen, die ihr Gesicht einst fast nobel hatten aussehen lassen, waren noch immer spürbar. Der eine war etwas lose, weil etwas darunter sich zu verspinnen begonnen hatte. Die Haut unregelmäßig, brüchig und verzogen. Die Linie ihres Kinns war ausgefranst, wo die Bänder der verschiedenen Masken sich oft entlang zogen. Manchmal musste es schnell gehen, wenn sie die Maske abnahm, manchmal war der Hunger zu stark, der Moment voller Angst, Abscheu, Gewalt.
Achilla war ein Monster geworden und in diesem Augenblick, als sie die Hand der anderen über ihr Gesicht lenkte, tat es ihr entsetzlich leid. Was genau? Die Furcht, die sie brachte? Das Blut, das sie kostete? Tat sie sich selbst leid, dass sie auf ewig eingesponnen in Leder und Stoff, Farbe und Zierart war? Ja, sie tat sich selbst leid, aber all das andere doch auch… .

Sie hauchte einen Kuss über die Hand der anderen und meinte, schon die Stelle erahnen zu können, an der sie ihre Fänge in das Fleisch graben wollte. Dort, am Handgelenk, wo das Blut stark und dicht unter der Haut floss. Dann würde aller Schrecken enden und sich in Genuss wandeln. Ihr eigener, bitterer Schmerz würde zu Lust werden und für nur einen einzigen Moment wäre alles gut.

“Es war mitten am Tage”, flüsterte sie. “Vom Hafen her, wo Kriegsschiffe lagen. Solche, die schwer von all dem Gerät darauf sind, mit Fässern voller Pech und Schlimmerem.” Sie schauderte und daran war nichts gelogen. Die Vorstellung allein war ein Alptraum: “Ich kann’s nicht sagen, wer’s war, doch sie ließen die Feuer brennen und das Gerät bereit machen. Und dann schossen sie auf die Stadt, in deren Hafen sie doch lagen.”

Hier, in genau diesem Keller hatte sie damals gelegen. Heute war der Keller leer und halb vergessen, ein Schlupfloch für Ratten, Straßenkinder, niemanden.
“Das Feuer wurde über die Stadt weg geschleudert, doch es schlug auf den Dächern hier ein. Manche sagen, es war so gezielt gewesen. So viele sind gestorben an jenem Tag und darauf… . Die Feuer brannten und brannten und wollten nicht aufhören.”

Das Grauen in ihrer Stimme war echt, genau wie der Schmerz. Es tat so wohl, die Dinge einmal auszusprechen, sie nur irgend jemandem einmal anzuvertrauen. Natürlich wusste sie, wie dumm das war, doch es fühlte sich so gut an. Was sollte daran also falsch sein?

Sie fragte: “Willst du mir auch dein Gesicht zeigen so wie ich dir meines zeigte?”
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