[1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

[November '20]
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

Der Setit verbarg seine aufwallende Angst in der Unruhe, die seine lebendige und ausschweifende Sprache vorantrieb.
Eine beunruhigende Hypothese war noch ein Stück wahrer geworden, und wenn sie ganz bewiesen war, dann war es eine grausame Wahrheit.

Doch so hieß es plappern und locken und forschen:
"Ach doch, ich habe Rollen, die ich lieber spiele als anderen, die einfachen und lebensfrohen - aber auch die herausfordernden, die Charaktere die mir gänzlich fremd sind.
Frauen zum Beispiel - es liegt eine rästselhafte Vielschichtigkeit in ihrem Wesen, das für einen Mann schwierig zu verkörpern ist.
Oder Menschen, die ich sehr gut kenne - ich finde es unglaublich schwierig sie zu spielen, als würden mich die ganzen Details, die ich kenne, seltsam blockieren.

Welche Masken sind es die euch reizen, werte Signora - welche weißen Flecken auf der Landkarte des Lebens wollt ihr noch entdecken? Wer seid ihr noch nie gewesen?"


Weiter suchten seine Augen, langsam, sorgsam, heimlich: Schmuck, Talismane, Zeichen auf der brüchigen Haut?
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ah, meine weißen Flecken sind da, wo mein Unvermögen liegt”, gab die Signora mit einem Seufzen zu. “Ich habe mit Reue feststellen müssen, dass ich schlechterdings ein furchteinflößender Hühne sein kann, dessen schwere Hand ein jeder fürchtet.” Da war eine gewisse Schärfe in ihrem Tonfall, der Biss von Selbstironie mit einer gerüttelten Portion Humor, als lache die Signora über einen Witz, den nur sie selbst verstand.
“Nicht, dass ich es nicht versucht hätte, eh?”

Schmuck trug sie in der Tat. Valerios konnte einen beinernen Anhänger erkennen, der einen nackten Menschen zeigte, der in einer Art Schale oder Kessel saß. Er konnte auch die verblassten und gebrochenen Spuren einer Malerei auf der Haut ihrer Hand sehen, dünne Linien auf dem Handrücken, vielleicht irgendwann einmal mit Henna gemalt oder sogar in die Haut gestochen, doch nun bis zur Unkenntlichkeit verrottet und ausgehöhlt. Wenn er genau hinsah, konnte er die kleinen Dreiecke sehen, die dunkel und langsam dort krochen, direkt unter der Haut.

“Ich glaube nicht an diesen großen Unterschied zwischen den Männern und den Frauen, nicht von Anbeginn an. Einst gab es doch das Paradies in Unschuld”, sagte die Signora derweil. “Es ist, was diese Welt mit uns macht, so glaube ich. Sie krönt die einen zu Königen und zwingt die anderen als Bettler auf die Knie. Sie gibt dem einen die Knute in die Hand und schlägt sie dem anderen über den Rücken. Kaum einer, jemals, kann dieser Fügung entkommen. Selbst die, die dem Tod ein Weilchen länger entkommen, fügen sich in die Gesetze der Geblüter, der Pflichten, der Ketten aus Blut und Asche.”

Das meiste von der Signora war geschickt verborgen. Die Kleider, die sie trug, verhüllten eine andere Schicht aus Leder, die festgeschnürt ihrem Körper eine Form und einen Halt gab. So viel konnte Valerios vielleicht erahnen. Auch die Maske half nicht viel. Die Maske dieser Nacht, mit ihren zarten und dicht ineinander gefügten Federn, wirkte leicht und fremdartig zugleich. Sie verschob die Gesichtsform etwas, lenkte die Blicke geschickt ab. Sie verbarg alles, was darunter liegen mochte.
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

"Seid ihr zu wacklig auf den Stelzen? Nein, wahrscheinlich fehlt es den Händen an Stärke um zuzupacken, nicht wahr?

Aber wenn euch nicht mal eine Maske aus dem Gefängnis der Gesetze und Pflichten befreit, dann bleibt ihr doch ewig getrennt von eurem Traum, alles und jeder zu sein, so viele Rollen und Stücke, die ihr euch damit verwehrt sind. Ihr solltet es weiter versuchen, die Türen der Schlösser und Gärten sind durchlässiger als ihr glaubt."
widersetzte sich Valerios ewiger Optimismus der Melancholie in Achillas Stimme.* War er selbst doch beseelt von dem Versprechen des sozialen Aufstiegs, den die Freiheit der Stadt versprach.

Er macht eine raumgreifende Geste Richtung Markt: "Und diese kleine Stadtpalais ist doch ein wahres Kleinod. Verwerft euren Traum nicht leichfertig."

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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Worte von den Stelzen und den schwachen Armen ließen die Signora auflachen. Es war ein schöner, melodischer Laut, nur ein wenig gedämpft durch die Maske. Eine junge Frau lachte so. Eine, die so gerade eben kein Mädchen mehr war, aus gehörigen und auch sehr ungehörigen Gründen.

“Ihr macht mir viel Mut”, meinte sie dann, noch mit einem Nachklang des Lachens in der Stimme. Sie strich ihm mit der freien Hand über den Schultern und den Nacken, dort, wo Haut und Muskeln um Ohren und Kiefer her dünn werden und geschickter Händedruck so angenehm sein kann… .

“Doch habt keine Sorge um meine Träume, oh nein. Und auch nicht um meinen Mut. Doch ich bin auch bodenständig genug, dass ich weiß, wie schwierig ein Weg wie der meine in Genua ist: In der See der Schatten, im Licht der schönen Morgenröte, unter dem gestrengen Blick ihres Priesters und Beichtvaters, dem mitleidlos harten Urteil des schwarzen Seneschalls unterworfen… und so vieles mehr.”

Sie wiegte den Kopf ein wenig und meinte dann: “Doch versteht dies nicht falsch. Ich liebe sie, diese Stadt, und auch die dunkle Pracht, die dies alles ihr bringt - die wir alle ihr bringen. Hier fügen sich die Dinge so: Zepter und Krone sind zum Herrschen gegeben und gemacht. Doch das macht mich nicht weniger sondern mehr frei für die Blüte der Stadt. Und könnt Ihr diese Blüte leugnen?”

Für einen Moment hielt sie in der Liebkosung inne und neigte den Kopf auf die Seite. “Es sind nicht die Masken, die Euch oder mich frei machen, verehrter Erzähler von Geschichten. Es sind unsere Gedanken, unser Herz und unsere Wünsche, so glaube ich.
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

"Wenn ihr euren Blick weitet, meine Teuerste, dann verschwimmen Licht und Schatten, Knechtschaft und Herrschaft. Im heiligen Land stehen die Ventrue am Rande der Gesellschaft, keine einzige Rose blüht im roten Sand von Ägypten. Auf dem Thron des Pharao sitzt eine Schlange schon seit Abertausenden von Jahren, und die heiligen Städte des Propheten Muhammad, Machtzentrum des Morgenlands sind in der festen Hand eures eigenen Blutes.

Und auch innerhalb der See muss euer Weg kein schwieriger sein, ist doch der sehr verehrte Seneschall nur ein finsteres Szepter unter vielen.
Der schwarze Prinzen unserer Schwesterstadt, den höchst verehrten Calistus von Pisa nennt man auch den "Sklavenprinzen". Warum fragt ihr? Weil er, als Sterblicher niederster Sklave aufgestiegen ist zum höchsten Wesen seines Landes. Seine eiserne Krone ist aus den Ketten und Bändern, seines früheren grausamen Lebens geschmiedet.

Wir sind die Blüten der Dämmerung, wir können alles sein, außerhalb der sogenannten heiligen Ordnung. Habt ihr doch mit diesem Baum und diesen Brettern eure ganz eigene Kanzel, was kümmern euch da Pfaffen und fromme Brüder?"

Mit einer zarten und ruhigen Berührung legte er das Gewicht seiner Hand dorthin, wo ihr Fuß sein musste, gab der Begeisterung die sie teilten, einen Spritzer Ernst und Demut bei, in der Hoffnung das der Funke seiner Worte auf sie übersprang. *

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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

“Wir sind die Blüten der Dämmerung”, wiederholte Achilla, doch fügte sogleich auch ihr an: “...und die faulige Hornhaut, die der Mensch besser abgeschabt hätte, um leichter zu gehen.”
Und auch das schien sie nicht sonderlich zu beschweren. Achillas Fuß war mit Stoff umwickelt, der von einem hübschen Band zusammen gehalten und mit einer Sandale verbunden wurde, die wahrscheinlich schon bessere Tage gesehen hatte. Was darunter lag, fühlte sich hager an, vielleicht ebenso brüchig wie ihre Hand es war.

“Ihr klingt als müsstet Ihr mich trösten, doch ich hadere nicht mit dem Lauf der Welt, weder tags noch nachts. Und ich seh’ ihr auch nicht eben zu wie ein müder Bauer tagein tagaus im selben Trott.”
Langsam hob sie beide Hände, beide Arme, fast wie ein Prediger, der sie über seine Menge hinweg ausbreiten wollte.
“Doch der Hof der Wunder ist auch kein Ort zum Predigen und um die Leute hierhin oder dorthin zu bringen. Und wenn, dann hält’s eh nicht länger als eine Nacht oder einen Sommer.”

Motten erhoben sich von ihren Armen und Schultern, aus den Falten ihres Kleides und aus ihrem Fleisch selbst, um die Luft um sie beide her mit ihren Leibern und Flügeln zu füllen.

“Es ist der Hof der Wunder und so kann er nicht der einen oder anderen Sache gehören. Doch er wird Euch, wenn Ihr ihn nur lasst, immer ein neues Wunder bringen.” Sie lachte plötzlich. “Und wenn’s was Handfesteres braucht als das, lässt sich das gewiss auch finden, eh? Verlorene Dinge finden sich wieder an, wie Treibgut am Strand von Genua.”

Sie spreizte ein wenig die Finger, präsentierte die Ärmel ihres Kostüms und fragte dann: “Wonach steht Euch der Sinn, hm?”
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

"Verlorene Dinge.." - Nachdenklich mustert er die Signora. Bevor er sich entschließt einen Vorstoß zu wagen. "Es gibt in der Tat ein verlorenes Ding', nach dem ein Kunde sucht. In Turin. Doch das wird wohl kein Wasser hierher spülen... Doch vielleicht find' sich ja ein Schlüssel für eine Tür in diese Stadt irgendwo im Sand. Das wär doch wohl ein Wunder, das seinen Namen verdient."
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ha, ja, solche Schlüssel sind viel wert. Sie können einem eine Heimat schenken.”
Für einen Moment hielt sie in jeder Bewegung inne.

“Sucht Ihr eine neue Heimat? Oder ist es nur ein Besuch in der Stadt bevor es diesen Seemann von einst wieder in einen anderen Hafen ziehen muss?”
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

"Nein, keine neue Heimat. Mein Kontor steht hier."
Kurz verengten sich seine Augen und er blickte die Herrin der Motten zweifelnd an.

"Aber ja, solche Schlüssel sind begehrt auf dem Markt, was hat der Schlüssel für Genuas Tor euch damals gekostet, meine Teure?"
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

“Mit dem Schlüssel hat mein Ahnherr in dieser stolzen Stadt meine unverbrüchliche Dankbarkeit gekauft. Er gab mir ein Heim, während ich zuvor ohne Heimat war, denn von dort, wo ich zweimal geboren wurde, musste ich fliehen.”
Ihre Finger wanderten über seine Haut wie um die Schritte der langen, langen Wanderschaft nachzuahmen.

“Den Hof der Wunder aber… nun. Das ist eine längere Geschichte. Der Handel begann mit einem Austausch von Geschichten, ganz ähnlich wie unserem heute. Doch das war nur eine Vorstellung zwischen zweien, die Geschichten lieben. Das Herz des Handels lag anderswo, bei Fernweh nach einer ganzen Stadt der Wunder, Constantinopolis, bei einem Schurkenstück, das mich immer noch Kopf und Kragen kosten kann und vielleicht eines Tages wird, und bei der Frage danach ob Wunsch und Wunder im Herzen schwerer wiegen als Wissen und ein fester Wert in der Hand.”

Sie schlang ihren Arm weit genug um ihn herum, dass sie ihre Hand über seine Brust legen konnte, dort, wo sein Herz irgendwann einmal geschlagen hatte.

“Und zuallerletzt bezahlte ich meinen Tribut an die strahlende Morgenröte. Ich gab ihr, was meines eigenen Herzens Frucht ist und was zum Kostbarsten gehört, das ich in dieser Welt schaffen kann: Ich überließ ihr die schönsten und strahlendsten Sterne Genuas, Sängerin, Tänzer, Akrobat, Wörterschmied… . Mit ihnen hatte ich Jahre und Jahre zugebracht, hatte sie die Gesetze der Bühne gelehrt, den Fluss von Gelächter und Weinen in der Menge, die Art und Weise wie Worte und Bilder zu Geschichten verflochten werden. Ich habe sie gelehrt, die Nacht zu kennen und zu achten, gerade weit genug, dass sie bereit waren für unsereins, habe sie in Handel und Blut gebunden und sie zum Besten und Schönsten gemacht, das ich nur konnte… .”
Hier blieb eine Pause, ganz plötzlich und karg. Erst, als sich diese Stille zog, flüsterte die Signora:
“...und dann gab ich sie fort und sah sie nie wieder. Dies war und ist der dritte Tribut für mein Heim in dieser Stadt, am Hof der Wunder und in Clavicula.”
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