[1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

[November '20]
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Valerios
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[1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

Seit einigen Wochen kam er immer wieder auf den Platz, der im Volksmund "Hof der Wunder" genannt wurde. Der Mohr mit dem windschiefen Hut, an dem eine Fasanenfeder steckte und dem strahlenden Lächeln. Zuerst kam er um Mauricios Stücke zu sehen, doch schon als er sie das zweite Mal gesehen hatte, ertappte er sich dabei, wie er den Text mitsprach. Und so wanderte er lieber über den Platz schäkerte mit den Frauen, scherzte mit den Kindern und lies sich schließlich auf einem Fass nieder, von dem man die Eiche und die Bretterbühnen darunter gut sehen konnte.

Mit deutlichem Mienenspiel und Rufen kommentierte er das Treiben der einzelnen Schausteller, bis er sich schließlich von seinem Fass herunterschwang und mit einem Satz selbst auf der Bühne landete. Es war ein einfacher Schwank den er erzählte, ein zotiges Stück über Männer und Frauen, in schöne Worte gepackt, doch den Geschmack des Publikums traf er wohl nicht*. Nur verhalten klatschte das Publikum, nur um bei den beiden Messerwerfer, die den Schönling zur Seite stießen, gepackt auf zu johlen.

Doch der Sarazene kam ein paar Nächte später wieder, diesmal mit einer Seemannsgeschichte in petto. Geister und Wasserschlangen, wilde Männer und Meerjungfrauen. Diese schienen in den Köpfen der Menschen lebendig zu werden, sie zu begeistern oder zu erschrecken. Beschwingt von dem Applaus schnappte er sich nach seinem Auftritt eine der Frauen in den kurzen bunten Kleider, die gerade mit einander tanzten und verschwand im Gebüsch am Rand des Platzes. Später setzte er sich zu einer Gruppe Männer und verbrachte die nächsten Stunden mit Gioco del coltello.

Doch noch ein paar Nächte später gelang ihm sein Meisterstück. Ein dreistimmiger Vortrag über einen gehörnten Ehemann, seine schöne Frau, ihren Geliebten, und einen Priester brachte viele der Zuschauer zum Johlen***. Kaum war er von der Bühne gestiegen, drückte ihm einer einen Becher Wein in die Hand und er fand sich in einer Gruppe gröhlender und singender Zimmerleute wieder. Doch bald seilte er sich ab, um stattdessen am Rande des Platzes ein paar Mädchen mit Kartentricks zu unterhalten.

Er fühlte sich sichtlich wohl an diesem Platz, schnappte sich die frischen Früchte der Bewunderung, die hier so einfach zu ernten waren und hatte schon fast vergessen, weshalb er hierher gekommen war.


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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

Und es war genau dieser Moment, an dem er die Signora sah. Dieser Moment des Wohlgefühls, in dem man sich fast wieder wie lebendig fühlte, warm und selbstvergessen, doch besser als alle umher. Fast berauscht, vielleicht weil der Raum im Blut der Menschen hier pulsiert, vielleicht weil die dünne, bunte Fassade am Platz der Wunder es möglich machte.
Die Nosferatu war auf einmal bei den Mädchen und sah staunend auf die geschickten Hände von Valerios, sich nicht einen Moment zu schade für ein “Ohh..!” oder ein “Ha!” und ein Lachen. Sie klatschte in ihre behandschuhten Hände, was ein wenig dumpf klang, doch hier nicht weiter auffiel. An ihrer Maske, die heute fast zur Gänze aus aufgefächerten, braunen, weißen und sogar ein paar schillernd dunkelgrünen Vogelfedern zu bestehen schien, die sorgfältig auf Stoff oder Leder aufgesetzt worden waren, verschob die Form ihres Gesichts ein wenig, machte es unmenschlich.

Schamlos staunend machte sie eine der Bewegungen von Valerios halb nach und auch wenn ihr der Trick nicht wirklich gelang, tat sie einfach so als wäre er gelungen, knickste mehr oder weniger elegant und reichte ihm geziert die Karte zurück.

“Da seid Ihr endlich zum richtigen Ort gekommen, eh?”
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

Er zuckte kurz überrascht, als er sich gewahr wurde, wer hier auf einmal vor ihm saß - hatte er doch gewusst, das sie kommen würde, doch nicht wann.
Aber da er die Zeit mehr als gut investiert hatte, nahm er der Frau nicht übel, das Sie ihn hatte warten lassen. Wieviel Zeit sie wohl an diesem Ort verbrachte, war er doch das perfekte Nest für so einen bunten Vogel.

"Olaaa, Schschwester!" Mit einem gierigen Blick über ihren ganzen Körper und einer so plumpen Anmache, signalisierte er den anderen Mädchen, das er ihrer überdrüssig war. Er hatte seine Wahl für diesen Abend getroffen und weiteres Bemühen um seine Gunst, wäre wohl vergeben. Da hätte es den abwertenden Strich mit den Händen über die Schultern nicht gebraucht, um seine Bewunderinnen zu verscheuchen.

"Ja, das bin ich. Fast als wäre ich in die Vergangenheit gereist.."
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ah, Orte wie dieser, die vergehen nicht und sind nie vergangen. Und gerade, wenn man das glaubt, tun sie sich neu auf!” Sie hakte sich bei ihm unter, gekonnt anschmiegsam, einfach um aufzugreifen, was er gerade vorlegte.
“‘s ist meine zweite Heimat in Genua”, flüsterte sie ihm zu, in dieser Art von Bühnenflüstern, die doch weit genug trägt. “Und ich liebe sie aus vollem Herzen, auch wenn sie einen nicht immer zurückliebt, eh? Aber wo wär’ die Würze, wenn eine Liebe immer artig geradeausginge?”

Leichthin plaudernd war die Signora doch trotzdem dabei, Valerios zwischen eine Art Zeltverschlag und hinter einer bunt angemalten Bretterbude entlang zu ziehen, in eine sehr schmale Gasse, die nur durch das Zelttuch hindurch etwas erleuchtet war. Es konnte schwer sein, in dem Treiben am Hof der Wunder einen Überblick zu behalten. Der Hinterhof war prall gefüllt, so dass es hier und da sogar manchmal schon in die Höhe ging. Zugleich lagen um diese Nachtzeit schon am Rande Menschen dicht an dicht, trunken, berauscht, schlafend. Gestank und Gerüche vermischten sich: kostbares Lavendelöl, vergorene Ziegenmilch, Menschenschweiß, Hühnerblut, Rauch und Schlamm - und gleich mit einem Wechsel des Windes konnte es ganz anders sein, schlimmer und besser zugleich.
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

In der Gassenbude angekommen nahm Valerios den Hut vom kahlrasierten Schädel und hängte ihn am nächsten Stock oder Vorsprung auf. Dann setzt sich mit dem Hosenboden in den Straßendreck, die Beine passend zum geringen Raum zusammengeklappt. Er schien sich an der Einfachheit der Verhältnisse nicht im geringsten zu stören, nur dass etwas Luft zwischen ihm und seiner Gesprächspartnerin blieb, darauf achtete er.

Auf die Frage der Verborgenen zuckt er unschuldig mit den Schultern: “Ich könnt’s nicht sagen, doch herauszufordern wagen würd’ ichs nicht.
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

Für einen Moment hielt die Signora verblüfft inne und dann lachte sie als sie ihre eigenen Worte aus seinem Munde wieder erkannte. Sie setzte sich geziert auf einen umgestürzten Wassertrog und drapierte ihr Kleid um sich her.
“Gebt uns einen Moment hier und dann haben wir ein Willkommen dort drin”, meinte sie und deutete auf das Zelt, in dem man von hier aus die Schemen von Menschen erahnen konnte, die sich darin bewegten.

“Ich hörte, dass Ihr Euer Heim nahebei gründen wollt. Dass wir Nachbarn werden könnten oder auch nicht, je nachdem wie wohl die Würfel fallen.”
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

"In der Tat, das war meine Absicht. Doch seitdem eure wohlwerte Schwester und ich über das Häuschen sprachen, hat niemand den Würfelbecher aufgedeckt. Dabei war das Klackern doch sehr verheißungsvoll." Fragend blickte er die Verborgene an. "Und ein bisschen pressiert es. Habe ich doch schon etwas an Holz und Ziegeln gekauft, die etwas Platz brauchen im Kontor. Und bald kommt das Schiff mit meinen neuen Waren an."

Dann wischte er sich die mitleidheischende Mine aus dem Gesicht.

"Aber was belästige ich euch mit meinen Sorgen: Sagt, wer fertigt diese Vielfalt an Masken für euch, jedes Mal wenn ich euch sehe ist es eine andere, und jedes Mal scheint sie kunstvoller als die vorherige."
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

Ohh, wie ihr das schmeichelte! Und daraus machte sie auch kein Geheimnis. “Das ist meine Kunst”, sagte sie und hob das Kinn ein wenig an. “Oder die der meinen. Die Masken sind für die Bühne, für mich, manchmal auch für andere. Hier und da gibt es ein paar, die ich im Auftrag gemacht habe.”

Sie legte eine Hand unter ihr Kinn und betonte damit die gefiederte Maske, die sie trug, noch ein wenig mehr. “Seht! Am Ende sind sie alle für die Bühne, denn wir alle spielen auf ihr.”
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Valerios
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Valerios »

"Wenn ihr wollt, mein sterblicher Geschäftspartner hat ein Händchen für den Verkauf von Kunsthandwerk." streute Valerios ein Angebot in ihre Konversation ein, bevor er fortfuhr. "Erzählt einem Reisenden doch von dieser Bühne, eurer Heimat. Ihr scheint Sie gut zu kennen, nicht wahr? Ihre Licht- und ihre Schattenseiten.
Oder soll ich was erzählen aus der Ferne, schöne Frau?"
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Signora Achilla
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Re: [1042] Die Bretter, die die Welt bedeuten [Achila, Valerios]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora lachte, als er seinen Geschäftspartner erwähnte. “Ai, die meisten Masken gebrauchen wir für unsere Schaustücke. Wenn ich welche mache, dann hat’s meist einen Sinn, ein Herz, einen Zweck. Wenn Ihr eine wollt, dann sagt mir, welches Gesicht ihr aufsetzen wollt und ich werd’ daraus eine nähen, kleben, malen und fügen. Doch das ist nicht ein Geschäft, das meine Leute satt macht. Wir sind Schausteller, eh?”

In dem Zelt nebenan wurde geräumt und etwas Schweres geschoben oder gezogen. Jemand ächzte und schnaufte. Die Signora neigte lauschend den Kopf zur Seite und beschloss wohl, dass es noch nicht an der Zeit war.

“Ich hör’ gern Geschichten aus der Ferne, die düsteren und die schönen, die wilden und die langsamen, die wahren und die bunt erfundenen”, schnurrte sie. “Und ich geb’s dann gern zum Tausch zurück, wenn Ihr wollt. Ha! Geschichten hat Genua in vielen Farben. Vielleicht hättet Ihr ja eine bestimmte im Sinn?”
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