[1044] Petrosinella [Angelique, Valerios]

[Valerios]

Nein - die Schlange angelte nicht nach der Herrin des Turms, wie der Baumeister vermutet hatte. Jemand anderes hatte wohl die Ohren gespitzt, als Valerios an jenem Abend Francesco gesagt hatte, wohin er ging.

Es war eine sternenklare Nacht, in der Geoffredo sich aufmachte, nach dem Turm zu suchen, von dem sein Herr und Meister gesprochen hatte. Als er ihn schließlich gefunden hatte, ging er gerade aus über den Pfad der zu ihm führte auf das große Bauwerk zu und besah ihn genau. Hier wohnte die schöne Signora mit dem frechen kurzen Haar?

[Angelique]

Ein Feuer flackerte auf den Zinnen des Turms und wies den Schiffen den Weg nach Genua, stand er doch auf der steilen Felszunge vor dem Hafen der Stadt.

Die Silhouette eines Wachmanns war vor dem Feuer zu erkennen und auch im Turm selbst schien Licht aus den Schießscharten.
Treppen führten steil zur Eingangstür hinauf. Eine Miniaturfestung, eine der stärksten Genuas. Gebaut von einem Meister und erdacht von einer Wahnsinnigen, die die Visionen der antiken Militärtechnik in die Planung hatte einfließen lassen.

Die Fahne Genuas wehte im Wind, das Georgskreuz der Byzantiner. Und eine Fahne mit einem Bären darauf der ein Taukreuz hielt, das Geoffredo an manche Symbolik des Valerios erinnerte. An jenes seltsame Kreuz mit dem Henkel daran.

Hier war er definitiv richtig. Das musste der Turm der kleinen Prinzessin sein.

[Valerios]

Beeindruckt blickte der junge Rumtreiber den Turm hinauf - war er doch selten außerhalb der Stadt und bisher noch nie hier an diesem Ort gewesen.
Da er kein Fenster oder ähnliches fand an dem Turm, stieg er die steile Treppe hinauf, um an der Tür zu klopfen.

[Angelique]

Die Tür öffnete sich direkt danach.

Zwei Hünen aus dem Norden des Frankenreichs standen im Türrahmen und blockierten ihn mir ihren tropfenförmigen Schilden. Nur ihre Augen waren unter hinter dem Kettenvisier und dem Nasalschutz zu erkennen. Eisiges Blau, wie es so häufig bei den Söldnern und Adligen war, die über die Massen der romanischen Bevölkerung herrschten.

"Was willst du, Junge?", fragte der eine Krieger mit schwerem Akzent.
Der andere meinte: "Das ist der, der den Falken abgeholt hat. Er will sicher zu Ange!"

"Die ist nicht hier, Junge! Komm morgen Nacht wieder! Dann ist sie da... vielleicht, wenn Ange es so will."

[Valerios]

Geoffrdeo erschrak etwas, als die beiden Ochsen die Tür öffneten und fragte nur kleinlaut: "Angela, ist das ihr Name, ja? Dann komm ich morgen wieder, mein Herr.."
Und huschte wieder die Treppe hinunter.

[Angelique]

In der nächsten Nacht wartete tatsächlich das kleine Mädchen Angelique vor dem Turm, die nackten Beine über den schroffen Felsen baumelnd. Die lockigen Haare im steifen Meereswind zersaust.

Sie lächelte und die großen Rehaugen glommen wie in einem unheimlichen Licht, das wie die Augen von Katzen im Dunkeln wirkte.

"Weiß Valerios oder dein Vater, dass du hier bist? Weißt du denn nicht, dass Angelique gefährlich ist?"

[Valerios]

"Wieso sollte er's wissen? Würd' der alte Mann eh nicht verstehen.", gab der Junge sich selbstsicher. "Warum sollt' ein edles Fräulein mir Gewalt antun?" erwiderte er.

[Angelique]

"Da musst du noch viel lernen, wenn du das glaubst", seufzte Angelique und strich sich durch das zerzauste Haar.
"Du bist dann wohl nicht von Valerios mit einem Auftrag oder einer Nachricht zu mirgeschickt worden?", vermutete das Mädchen und hüpfte auf die Beine.

Neugierig vorgebeugt, mit Händen hinter dem Rücken und den Kopf schräg gelegt betrachtete es den Jüngling. "Groß bist du geworden seit dem letzten Mal. Fast ein Mann", stellte die Malkavianerin fest.
"Was kann ich für dich tun, wenn du doch aus eigenem Antrieb hierhergekommen bist? Bedenke, ich suche keinen Streit mit dem Schlangenschlingel. Tue also nichts, was Valerios missfallen würde."

[Valerios]

"Naja, nun, nicht mehr also.. als.. Aber ihr seid anders als die anderen Meister. Ihre Messer sind so.. und ihre Pranken. Manche sind so hässlich.. und ihr so.."

Er zog ein kleines Armband mit einer einzelnen schimmernden Perle aus der Tasche und streckt es ihr hin. "Das wollt ich euch.. mitbringen.."
"Ist auch nicht ge-.. also nicht von Signore Lo.. also Val-, also nicht geklaut." beteuert er und läuft rot an wie eine Karotte.

"Warum lebt ihr hier draußen in diesem Turm mit diesen Nordmännern? Seid ihr eine Tochter des Grafen?" springt er verlegen zu einem anderen Thema. So vieles was ihm gerade im Kopf herumspukt.

[Angelique]

Angelique war gerührt. "Für mich? Oh, danke!" Sie nahm es und berührte mit ihrer kühlen Hand flüchtig die des Jünglings. Die Haut fühlte sich wie Samt an, aber auch wie diese sündhaft teure glasierte Keramik, die in Mode kam. Und das Mädchen wirkte auch so zerbrechlich wie diese. Sie probierte das Geschenk sofort aus und betrachtete es an ihrem schlanken Arm.

Die kleine Vampirin lächelte geheimnisvoll. "Das mit den dauernden Fragen hast du dir von Valerios abgeguckt, was? Mädchen haben gerne ihre Geheimnisse."
Sie lachte hell. "Aber ich wohne hier nicht wirklich. Ich bin unstet und reise viel. Anders als die anderen... Meister." Sie musste bei dem Wort wieder spöttisch lachen.

Angelique lächelte scheu, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss mit kühlen Lippen auf den Mund Geoffredos.

Sie schaute ihn dann aus diesen unwiderstehlichen Rehaugen an. "Nein, ich bin wohl keine Grafentochter, obwohl ich das nicht sicher sagen kann, denn unser Lehnsherr damals segnete jede Ehe auch mit seinem Samen.
Ich bin eine Müllerstochter, nicht mehr, nicht weniger, die es nach Höhen und Tiefen zu etwas gebracht hat. Die Normannen sind mir treu und nicht umgekehrt. Treu sein kann ich gar nicht, da hatte der falsche Prediger der Meister schon recht dereinst."

Sie lächelte erneut. Diesmal ein Lächeln, das nicht zu so einem unschuldigen Gesichtchen passte. "Möchtest du für diese Kebsengabe eine Gegenleistung? Hier schnell und im Vorübergehen wie neulich, wie junge Kerle es mögen, oder in einem kuscheligen warmen Gemach im Turm, wo wir einander in Ruhe erkennen können?"