[1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

[Februar '21]
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Nubis
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[1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Nubis »

Die Nächte verstrichen, die Jahre vergingen.
Die Zeiten wurden härter. Genua schlitterte von einer Misere in die andere....

... doch das musste heute Nacht kein Thema werden. Denn all die Sorgen dort draussen bekümmerten doch vor allem die Sterblichen, nicht aber jene, die von Feldfrüchten ohnehin keinen Ertrag zu erwarten hatten.

So konnte sich anderem hingegeben werden und so entschied der Herr des Hauses, dass er jemanden zu sich laden würde. Und sich somit auch zu einem gewissen Teil öffnen würde...

Ein Fehler? Womöglich. Das würde sich zeigen. Aber vielleicht kam auch entsprechend etwas zurück.
Ein Handel bestand schliesslich.

Und so wartete am Platz der Wunder, der die Nächte sicherlich auch vom Elend gezeichnet war und bei dem die Hoffnungslosigkeit noch nach dem letzten Schimmer suchen mochte, ein Bote, der nach Maestro Mauricio suchte und ihm eine Nachricht übermittelte.

"Der Herr lädt jene talentierte Maskenträgerin zu sich ein, die gern einmal eine andere Luft schnuppern mochte. Natürlich würde nur eine eingelassen werden, jene, die er als die Rechte erachte. Sie wisse sicherlich, wenn sie gemeint sei. Sie möge sich am 15. des Monats am Rande eines kleinen Wäldchens nahe Burgus einfinden. Man würde für ihren Schutz von dort an Sorge tragen. Es solle sich keine Sorge um eine angemessene Garderobe gemacht werden, denn auch dafür sei für diese Nacht gesorgt."
Die genau Beschreibung folgte auf dem Fusse.
Der Bote würde auf eine Antwort warten oder spätere Nächte erneut vorbei kommen, um jene zu erhalten.


Besagte Nacht gab es einen schimmernden Bodennebel, der sich über das Gras legte wie ein Schleier. Die Blätter glänzten von den feinen Tröpfchen an Feuchtigkeit, die der Nebel mit sich brachte.
Im Schutz der Bäume wartete ein grosser Mann mit einer ins Gesicht gezogenen Kapuze. Er war kaum von dem Dunkel der Stämme zu unterscheiden. Aufmerksam, aber auch geduldig wartend, beinahe lässig, erfüllte er hier seine Aufgabe. Würde der erwartete Besuch hier erscheinen?
Die Umgebung war ungewöhnlich still....für normale Zeiten, doch aktuell schienen alle Tiere, selbst die Insekten um Genua...eigentlich um ganz Europa einen grossen Bogen zu machen.
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Signora Achilla
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Signora Achilla »

Achilla hatte die Botschaft mit einer Mischung aus Neugier, Nervenkitzel, dem nie ganz abzuschüttelnden, klammen Griff der Paranoia und etwas wie einer Art von heiterem Trotz entgegengenommen. Ja, sie tanzte durch die Nächte, die hässlichen wie die schönen, die schlechten wie die guten! Und zum Teufel mit dem Rest!
Gegen was war der Trotz gerichtet? Sie war sich selbst niemals vollständig sicher, doch er ging nie ganz fehl. Es gab immer jemanden oder etwas, die sie anhalten wollten.

So bestätigte sie über Mauricio selbst dem Boten die Einladung und wenn er es denn wollte, dann bekam er auch einen Becher Wein. Das flache Brot, das es dazu gab, war hart und etwas kümmerlich, doch immerhin war es Brot - eine Kostbarkeit in dieser Gegend und dieser Zeit.

---

In jener Nacht ging die Signora allein. In dieser Zeit war es besser so, stiller und einfacher. Viele Menschen waren vom Hunger zu schwach, andere krank, andere eifersüchtig wachsam auf das wenige, was sie hatten. Es war eine schlechte Zeit für Gaukler und selbst für Lumpensammler, ganz sicher aber für Bettler und anderes zwielichtiges Volk.
Und weil sie allein ging, war ihr Gewand in dieser Nacht schlicht, braun und grau, leise und weich wie Mottenflügel. Die Maske, die sie trug, ähnelte ihren ewigen Begleitern: Braun gemasert, fast unsichtbar vor dem Hintergrund aus Wald und Nacht.
Sie nahm sich die Zeit, einen kleinen Bogen um das Wäldchen zu schlagen, leise und vorsichtig. Hier und da blieb eine Handvoll der Motten zurück, auf Baumrinde und Blättern, im Laub und Gesträuch.
Letztlich aber trat sie an den Mann heran, denn dies war eine Einladung und ein Handel war ein Handel. Sie kam sich seltsam vor, wie eine Gefangene des eigenen Blutes, die in ihrer Handlung einem Schauspiel folgte, das von Generationen und Generationen von Überlebenden vor ihr geschrieben worden war.

“Heda”, hob sie ihre Stimme halblaut. Irgend etwas in der Nacht gebot ihr, die Stille nicht sogleich hart und laut zu brechen. Vielleicht waren es auch einfach die Erinnerungen an die Gegend. Vielleicht wollte sie den Mann nicht überrumpeln und erschrecken. “‘s ist ein einsames Fleckchen hier. Doch das muss nichts Schlechtes sein, eh?”
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Nubis
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Nubis »

Der Mann löste sich von seiner Position und schritt ebenfalls auf sie zu. Seine Körperhaltung keineswegs bedrohlich, sondern etwas steif und ergeben.
Ein Nicken bestätigte ihre Ansicht vom einsamen Fleckchen und ein Lächeln deutete an, dass noch eine Antwort kommen würde. Der Mann reichte ihr den angewinkelten Arm, sodass sie, wenn sie es mochte, ihren darauf legen konnte, sodass er sie führen könne.

"Doch jenes einsame Fleckchen ist nicht euer Ziel, hoch verehrte Signora. Ich geleite euch zu des Meisters Anwesen, wenn ihr mögt."
Geduldig wartete er auf ihre Antwort und würde sie geleiten, egal, ob sie nun seinen Arm ergreifen oder aber nur hinter ihm hergehen wollte.

Durch das dunkle Wäldchen führte kein echter Pfad, höchstens ein Trampelpfad, der ab und an begangen wurde, sich aber nicht sehr deutlich aus dem Unterholz hervor hob. Jemand, der ihn nicht kannte, würde ihn verfehlen und jener, der es einmal tat, würde ihn erst einmal wieder suchen müssen. Nur die Diener Galenos waren schon so oft hier durch gewandert, dass sie ihn kannten, in und auswendig.
Er führte zu einem kleinen Tor hinter einer Villa. Durch eben jenes Tor gingen sie nun, vorbei an einem Hund, der sofort Ruhe gab und sich hinsetzte, als der Diener ihm den Befehl gab. Weiter ging es rechts herum zum Haus hin und einem schweren Eisentor, welches die Villa und den Innenhof schützte. Die Villa selbst stand auf einem Hügel, daneben und darunter noch weitere Bauwerke. Auch grenzte dieses Grundstück noch an einem weiteren an, auf dem auch ein Haus und eine Art Gehöft stand.

Der Diener öffnete das Tor und führte weiter an einem kleinen Kräutergarten im Innenhof vorbei. Hier gingen auch einige Türen zu diversen Räumlichkeiten ab. Doch er führte sie in die Haupthalle, ein Bereich mit einem Tisch, ein paar Stühlen und reich verzierten Wänden, alles Fresken von Hand gemalt, das Leben in Genua einfangend. Für jemanden, der Clavicula seine Heimat nannte, musste dies hier ein Schloss sein.
Auch als sie schon eingetreten war, in eine Art Flur, hatten sie Freskenmalerei und Wandteppiche begrüsst. Die Möbel waren aus gutem Holz, nichts fehlte in den Räumen. Doch sie waren auch nicht zu pompös ausgestattet... Doch kein Schloss, aber ein hochherrschaftliches Haus.

Ein jüngerer Diener, ein Blondschopf, vielleicht gerade siebzehn geworden, grüsste sie mit einer Verneigung, als sie eintraten.
"Der Herr hat alles vorbereitet. Wenn ihr möchtet, so könnt ihr euch im Nebenraum umkleiden. Es ist alles für euch, was dort vorzufinden ist und nicht zum Mobilar zählt. Ihr könnt frei wählen."
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Signora Achilla
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora folgte ihrem Führer durch den nächtlichen Wald. Sie versuchte sich in ein wenig Plauderei, über dies und das in Genua, wie kostbar und teuer auf einmal Essbarkeiten geworden waren, wie gut es schien, dass es hier doch wenigstens ruhig und friedlich war, dass es hoffentlich bald besser würde.

Sie bestaunte die Pracht des Hauses. Auch wenn diese nicht mit anderen Häusern und Palästen, die sie schon hatte sehen dürfen, in Luxus oder zur Schau gestellter Pracht mithalten konnte, konnte sie doch die Fresken bewundern, die schöne Art, die Handwerkskunst, die sie vielleicht sogar wieder erkannte.

In jenem Zimmer, in welchem all diese Dinge ausgebreitet vor ihr lagen, hielt sie erst einmal inne und beschaute sich alles mit einer gewissen Neugier. Sie hielt sich das Kleid einmal an, dann das Hemd, drehte sich um sich her und hatte ihre Freude mit dem Gedankenspiel, wie wohl dies oder jenes aussähe. Köstlich war das!

Die Schwierigkeit nun war, dass die Signora stets mit einer gewissen Sorgfalt gekleidet war. Selbst, wenn es nach Lumpen und Armut aussah, nach Fahrendem Volk, Leimsiedern oder Waschweibern, steckte dahinter doch eine gewisse Kunstfertigkeit. Der Grund dafür war einfach der, dass ihr Aussehen stets ein Kostüm war und sein musste. Als sie ihr Oberkleid ablegte, würde dies auch jedem ersichtlich werden, der zusähe: Darunter lag nur eine weitere Schicht aus Stoff und geschnürtem Leder, welches Formen schuf, die denen einer Frau glichen. Dies zu lockern und zu verändern, kostete sie Zeit und nur dank ihrer Übung ging es einigermaßen schnell. Unter Leder lag nur noch mehr Leder - oder war dies schon ihre Haut? Die Unterschiede verschwammen. So weit entblößt konnte man die sich windenden, bleichen Larven sehen, die hier und da in ihrem Fleisch, dem Leder oder Stoff oder was es auch war krochen oder still erstarrt schliefen und warteten, wo sie sich eingesponnen hatten. Hier und da glitzerten die Seidenfäden ihrer Kokons.

Die Signora legte die Kleider des Herrn an, nachdem sie die eigenen Untergewänder entsprechend verändert hatte. Die Hüften weniger geschwungen, die anscheinend in Wahrheit gar nicht so gerundete Brust erst abgelegt und dann in den daraus entstehenden Wickeln aus Leder und Stoff um die Mitte gelegt, so dass ihre Formen tatsächlich männlicher wurden. Aus ihrem Kopftuch und Schal wand sie sich ein wenig breitere Schultern. Nichts davon war echt, alles war Illusion. Doch die Signora spielte diese Art des Schauspiels schon so lang, dass sie die Handgriffe und Notwendigkeiten kannte. Sie band sich die braungelockten, erstaunlich hübschen Haare zurück, die wirklich ansehnlich wären, säßen nicht dutzende von braungrauen Faltern darin, die nun fast widerwillig und auch nicht für allzu lang flohen während sie sich einen Zopf band.
Die Maske jedoch blieb. Man konnte erahnen, dass diese Maske nicht einfach lose aufgesetzt war. Hier und da war sie im Haar festgesteckt oder war mit dem Schal verbunden gewesen. Die nächste, grauenvolle Erkenntnis wäre wohl gewesen: An zwei Stellen war sie auch mit der Haut vernäht und bestand in Wahrheit aus einem festeren und festgenähten und einem lockeren Teil.

Die Signora legte die Kleider für einen Herrn oder wenigstens jungen Burschen an, strich sie glatt und sah prüfend an sich hinab, ging ein wenig auf und ab und lauschte dem Klang des Schuhwerks, das fester war als das, was sie sonst trug.

Was dann geschah, war von außen schwer erklärlich. Die Verkleidung wurde eine Spur wirklicher, echter, war auf einmal keine Verkleidung mehr. Die Veränderungen waren nur schwach und subtil. Am ehesten war es an ihrem Gesicht zu sehen: Dort war keine Maske mehr sondern tatsächlich das Gesicht eines jungen Mannes. Es wirkte furchtbar entstellt, auf der einen Seite hässlich verbrannt und vernarbt wie von großer Hitze, auf der anderen Seite auch in kleinen Pusteln versehrt als hätten sich irgendwann einmal Glutfunken in die Haut gegraben. Die Nase war verbogen und der Mund durch die vernarbte Haut ein wenig verzogen. Doch es war immerhin ein echtes Gesicht mit dunklen Augen, unter einem etwas wirren, braunen Haarschopf.

Die Signora hob ein kleines, poliertes Tablett hoch, auf dem ursprünglich ein paar Kleinigkeiten zum Schminken gelegen hatten und versuchte, ihr Gesicht darin mit ein wenig Drehen und Wenden zu erkennen. Skeptisch begutachtete sie ihren Schemen darin, rückte ihre Haltung zurecht, die Schultern breit, die Arme raumgreifend, danach den Stand etwas breiter. Sie räusperte sich ein paar Male, machte ein Geräusch als säße ihr etwas in der Kehle - was wohl bei ihr auch nicht eben selten war. Dann sagte sie, mit einer recht kratzigen, aber passabel burschenhaften Stimme: “Ai, für einen Kerl sind Narben doch nur Zier, eh? Ha. Errhh…. .” Wieder ein Kratzen und Räuspern. “Arrhh… männlich sind sie. Narben! Ho..ho… . Nh.”
So übte sie ein wenig vor sich hin bis sie sich schlussendlich präsentabel genug fühlte, um wieder aus dem Raum heraus zu treten.

---
Kostüm improvisieren:
RPBot BOT Today at 7:47 PM @🎭 Signora Achilla (Jule) rolled 42. (6 + 6 + 9 + 6 + 7 + 8 = 42)

dann später und zusätzlich:
Maske der Tausend Gesichter (1 Erfolg -> -1BP)
@🎭 Signora Achilla (Jule) rolled 28. (8 + 2 + 1 + 4 + 5 + 8 = 28)

Männliche/raue Stimme nachahmen:
@🎭 Signora Achilla (Jule) rolled 30. (2 + 3 + 1 + 4 + 10 + 10 = 30)
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Nubis
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Nubis »

Hatten sie nicht eben eine Dame hineingeführt?
Verdutzt starrte zumindest der jüngere Diener nun den Burschen an, während der andere bedeutsam in die Hände klatschte.

Eine Tür ging auf und Galeno trat herein, fein gekleidet, Stickereien zierten das feine Leinen, ein kunstvoll mit einer Schnalle ausgestatteter Gürtel hing um die Hüften. Das Gesicht war gepflegt wie eh und je.

Er musterte den Jüngling vor sich. Interesse, keine Abscheu. Möglicherweise sogar mehr an Interesse, als man zuerst meinen könnte.

"Junger Bursche, ihr seid also meiner Einladung gefolgt? Jener zu lernen? Ihr seid aus gutem Hause ... welche Vorkenntnisse sind die euren?"

Galeno vollzog hier kein Schauspiel. Er hatte seinem Gast die Möglichkeit gegeben zu wählen und würde sie nun als genau jene Rolle behandeln, die sie für diese Nacht verkörperte. Er war ehrlich mit ihr, denn dies war gleichzeitig eine Lektion und er machte ungern nur halbe Sachen.
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Signora Achilla
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Signora Achilla »

Achilla, die höchstens in irgendeinem Schaustück einmal aus gutem Hause gewesen war, reckte dennoch mit einem gewissen Stolz ihr… nein, sein Kinn und lächelte verwegen. Hauptsächlich deswegen, weil das vernarbte Gesicht fast zwangsläufig jedes Lächeln verwegen oder bedrohlich wirken ließ.

“Den Waffengang, wie die Zeiten und die Pflichten es fordern”, meinte er und rieb sich das geschundene Kinn. “Das Lesen, Schreiben und etwas Kirchenlatein wie es sich gehört. Sagt, so wie es sich in einer stolzen Stadt gehört, die bessere Zeiten sehen will als diese: Könnt Ihr mich etwas lehren über die Städte und Länder um uns her? Wer welches Wappen führt und was das Wort des Papstes in diese Zeiten bringt?”

Achilla hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wohin Galeno mit alledem wollte, aber er war nur zu bereit, ihm ein paar Bälle zuzuspielen so wie die Jongleure am Hof, nur um zu sehen, wohin die Dinge wohl gehen würden.
Und natürlich hatte er auch ein paar ganz eigene und sehr spezielle Fragen an ihn… .
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Nubis
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Nubis »

Der Lehrmeister, den er nun verkörperte, nickte, als der Jüngling ihm mitteilte, welche Kenntnisse er schon besass, hob dann aber eine Braue, als der Redefluss kein Ende nahm. Strenge stand in seinem Gesicht geschrieben und er schüttelte mit dem Kopf. Sacht und bedächtig, aber auch so, dass man merken musste, dass die eigene Handlung gerade falsch gewesen war.

"Wenn ihr nach Kenntnissen gefragt werdet, langweilt mich nicht mit euren Fragen zu Dingen, die ihr nicht versteht. Was ihr lernt liegt in meinem Ermessen, nicht dem euren."

Kalt waren die Worte, nicht schneidend, aber deutlich mit Missmut darin, Tadel. Achilla hatte sich keine einfache Rolle gesucht, gewisse Schüler, wie unter anderem der damalige junge Valente, konnten darüber ein Liedchen singen.

"Benehmt euch, oder eure Familie wird davon in Kenntnis gesetzt, dass euch nichts beizubringen ist und es euch an Benimm mangelt. Ich schätze ehrgeizige und wissbegierige Schüler, jedoch darf dies nicht umschlagen. Lernt das gewisse Mass einzuhalten. Zu viel Wissen auf einmal ist zudem auch nicht förderlich. Ich würde in euren Kopf nichts hinein bekommen, wenn dieser schon mit zu viel gefüllt ist, vor allem unzusammenhängendem Wissen ohne Ordnung."

Noch einmal schüttelte er mit dem Kopf.

"Prüfen wir euer Latein... Die Fabel Vulpis et Corvis von Phaedrus... übersetzt...

Qui se laudari gaudet verbis subdolis,
Fere dat poenas turpes poenitentia.
Cum de fenestra corvus raptum caseum
Comesse vellet, celsa residens arbore,
Vulpes hunc vidit, deinde sic coepit loqui:
"O qui tuarum, corve, pennarum est nitor!
Quantum decoris corpore et vultu geris!
Si vocem haberes, nulla prior ales foret".
At ille stultus, dum vult vocem ostendere,
Emisit ore caseum, quem celeriter
Dolosa vulpes avidis rapuit dentibus.
Tunc demum ingemuit corvi deceptus stupor.
"


Und ohne mit der Wimper zu zucken, sprach der Lehrer fliessend Latein in einem angemessenen Tone, aber keine Rücksicht darauf nehmend, ob der Schüler nicht hinterher käme.
Sagen oder behaupten konnte man schliesslich viel, nun stand es zur Prüfung.

Auch gab er ihm ein Wachbuch und einen Griffel und forderte die ersten zwei Zeilen als Schriftprüfung.

Zu guter Letzt wollte er aber nicht so sein und Achilla durchaus auch ihre Frage beantworten. Noch während der Jüngling möglicherweise schrieb, fingerte er aus einem Beutel ein paar Münzen hervor, nahm Papier zur Hand und schrieb darauf mit Tinte. Er zeichnete die Bucht von Genua und vermerkte die Stadt darauf. Dann legte er ein paar Punkte in etwa der Richtung fest, wo er die anderen Städte vermutete und gab so Mailand, Lucca, Pisa, Bologna und Florenz wider, zeichnete auch eine Insel ein, Sardinien und weit im Süden Ägypten und das Morgenland. Weiter westlich, viel weiter, vermerkte er Frankreich und noch weiter in Norden die britischen Inseln. Doch war dabei nichts genau, es war nur eine etwaige Lage zu Genua gesehen. Je näher, umso exakter, je weiter weg, umso mehr geraten. Er hatte eben davon gehört, durch Reisende, durch andere Kainiten.
Auf einige der Städte legte er Münzen und als dann Achilla fertig war, schob er jenes Blatt zu dem Jüngling herüber.

"Dies sind umgebene Städte. Wichtig sind nicht die Siegel, die von einzelnen Personen und Klöstern stammen, nicht so wichtig zumindest, ausser ihr erhaltet einmal ein Schreiben eines geistlichen Ordens oder eines Adligen, gar Königs....sondern wichtiger sind die Währungen, die Münzen der Städte. Jede Stadt mit Münzprägerecht besitzt ihre eigene, was im Handel bedeutet, dass oft umgetauscht werden muss, treibt man Handel mit verschiedenen Städten. Jedoch ... wollt ihr dies Wissen vertiefen, so sucht euch einen hochherrschaftlichen Lehrmeister im Bereich des Handels, nicht der Sprache, Schrift und Kunst."

Spoiler!
Übersetzung von Fuchs und Rabe:
Wer sich freut, mit hinterlistigen Worten gelobt zu werden,
wird fast immer schändlich bestraft und bereut es.
Als ein Rabe Käse von einem Fenster geraubt hatte
und ihn, auf einem hohen Baum sitzend, essen wollte,
sah diesen ein Fuchs und begann darauf so zu sprechen:
"Oh, was für einen Glanz hat dein Gefieder, Rabe!
Wieviel Schönheit hast du am Körper und im Gesicht.
Wenn du eine Stimme hättest, wäre kein anderer Vogel besser."
Aber jener Dummkopf, als er seine Stimme zeigen wollte,
liess den Käse aus dem Schnabel fallen, den rasch
der listige Fuchs mit gierigen Zähnen aufschnappte.
Dann erst seufzte der Rabe in seiner Dummheit getäuscht.
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Signora Achilla »

Was Galeno ihm zurückspielte, das war gut genug in der Luft zu halten, befand der junge Mann und wirkte zerknirscht unter all der Schelte. Nein - der eigenen Familie wollte er gewiss keine Schande machen!
...oder so dachte es sich Achilla jedenfalls. Jemand wie dieser junge Mann hatte einen großen Namen und Erwartungen im Hintergrund, aber selbst noch nichts getan, um diesen Dingen gerecht zu werden. Oder jedenfalls noch lange nicht genug. So jemand wollte sich beweisen, wusste aber doch, dass es mit dem Kopf durch die Wand nicht ging. Denn dafür war er bereits zu lang poliert und geschliffen worden, von Kindesbeinen an.

Und so gab er ein angemessen gescholtenes Bild ab, als er sich daran machte, den Text zu entziffern. Er runzelte die Stirn und gab sich redlich alle Mühe…
...während Achilla die alte Geschichte kannte, wenn auch nicht unbedingt Wort für Wort in diesem Ton. Doch sie bekam es gut genug zusammen, dass sie sich Gedanken darüber machen konnte, wie dieser junge Mann wohl mit einer solchen Fabel umging. Vielleicht doch mit ein wenig Ungeduld, denn immerhin war er wohl nicht für Fabeln und Geschichten hier? Sie versuchte es einmal, diesen Funken von Ehrgeiz und eine Prise vom starken Auftreten, das auch besser zu dem vernarbten Gesicht passte. Und es war wohl angebracht, die eigentlich hübsche kleine Geschichte so kantig zu übersetzen wie die alte Sprache eben manchmal war.

So übersetzte er ein paar Zeilen, jedoch mit zunehmend finsterer Miene und nicht ganz ohne einen gewissen Stolz im Blick.
“...Aber dieser Tor, als er seine Stimme zeigen wollte,
ließ den Käse aus dem Schnabel fallen, den rasch
der listige Fuchs mit gierigen Zähnen aufschnappte.”
So brachte er es mit einer gewussen Ungeduld heraus. Nun kam es wohl eher darauf an, wo Galeno selbst als Lehrmeister im Machtgefüge stand, hm? Wie aufmüpfig würde sein Schüler wohl sein? Ah, beschloss die Signora da, der Lehrmeister hatte seine Strenge ausgespielt und das verdiente wohl auch, eingewoben zu werden. Nicht zu herausfordernd also… .
“Dann erst seufzte der Rabe in seiner Dummheit getäuscht.” Damit sah er Galeno direkt an. Es war ungewohnt, so ein Blick. Die Signora tat das selten, eigentlich nie. Niemals direkt, wenn es anders ging, hin und her, umher und umhin, leicht und sanft. Doch jetzt sagte der junge Mann es ganz geradeheraus:
“Verzeiht mir bitte, dass ich den Schnabel allzu weit aufgerissen habe!”
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Nubis
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Nubis »

"Ist dies alles, was ihr aus dieser Fabel lernt? Abgesehen davon, dass ihr flüssiger darin werden solltet, denn die Sprache der Gelehrten ist wichtig, um vor allem Wissen aus Vergangenem zu ziehen und auch heutzutage werden die meisten Schriften eben in dieser Sprache verfasst.....
..erkennt ihr, was in dieser Geschichte verborgen liegt? Oder kennt ihr sie bereits und wendet auch die Erkenntnis daraus für euch schon an?"


Er nickte dann und lächelte.
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Signora Achilla
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Re: [1045] Eine Nacht im Leben des anderen [Galeno, Achilla]

Beitrag von Signora Achilla »

Der junge Mann neigte dafür einmal den Kopf. Die Signora musste sich hier zurückhalten: Sie selbst hätte hier mehr Dankbarkeit zeigen müssen, geschmeidige Unterwürfigkeit, lachende Demut. Natürlich war sie gewohnt, Masken zu tragen - die Signora Achilla selbst war auch eine - doch diese Rolle war ein Stück weit echter als die überzogenen Bilder aus den Schaustücken. Eine Frau wäre wohl niemals in dieselbe Lage gekommen wie dieser junge Mann. Und wenn doch, dann würde sie anders handeln. Niemals im Leben wäre eine einfache Frau in diese Lage gekommen, dieses Privileg von Bildung und Übung für den Geist.

“Eine Fabel enthält immer wenigstens eine Lehre”, antwortete er dem Lehrmeister. “Und man tut wohl gut daran, wenn man das nicht ganz vergisst.” Doch sein Blick ging nun zu der gezeichneten Karte und Achilla versuchte, da auch das ein wenig verwegene, vielleicht weltmännische Interesse des jungen Mannes durchscheinen zu lassen. So schwer war das auch nicht, denn sie teilte das.

“Ich erkenne die Namen der Städte hier wieder”, meinte er. “Einige finde ich jedoch nicht. Darf ich versuchen, sie hinzu zu setzen?”
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