[1046] Des Schäfers liebster Zeitvertreib [Angelique, Davide]

[Davide]

Davides Blick ging einen Moment in die Ferne während Erinnerungen aus Kalabrien vor seinem inneren Auge aufflackerten. Jetzt wo sie ihn darauf aufmerksam machte war es so offensichtlich. Und doch war es ihm nie aufgefallen. Natürlich waren die Unterschiede offenbar. Aber ihm war nie bewusst geworden dass es keinerlei figürliche Darstellungen gab.
"I.. ist es nicht. Nein. Nicht... so."
Sie wusste vielleicht was er auszudrücken versuchte. Manche Dinge fielen einem auf ohne dass einem der Kontext dazu ebenfalls begreiflich wurde. Man übersah sie im Zusammenhang. Oder den Zusammenhang zwischen ihnen.
"Der P... Pfarrer bei uns im D... Dorf hatte nie viel für d... die Sarazenen übrig. Er hat k.. kein gutes Wort an ihnen gelassen. Aber er h... hatte für wenige Leute etwas übrig, denke ich."
Er war ein sehr harter, wütender Mann gewesen. Ob er wohl noch lebte...
"I... ich war so lange nicht mehr in d... der Kirche, es ist eine Sch... Schande."

[Angelique]

"Kirchenbesuch wird überbewertet. Zudem bereit uns der Fluch des Demiurgen körperliche Pein, wenn wir einen geweihten Ort betreten. Ich pilger gerne zu jeder Kapelle und jeder Kirche, die ich erreichen kann, aber oft kann ich mich dem Altar nicht nähern.
Sehr frustrierend für eine Gläubige wie mich.

Dorfpfarrer sind aber zumeist überhaupt nicht ausreichend ausgebildet in der Schrift, um sie zu verstehen, geschweige denn vermitteln zu können.
Wenn du willst, kann ich dir aus der Bibel vorlesen und die Stellen für dich übersetzen. Dann lernst du vielleicht auch ein wenig Latein dabei. Das wäre hilfreich, wenn du Aurore verstehen willst oder andere hochnäsige Gestalten, die gerne in Latein reden, um sich schlau zu geben."

[Davide]

Davide nickte verstehend.
"Das i.. ist es. S wundert einen n... nicht dass manche von unser... unsereins glauben der Herrgott habe sich v... von uns abgewendet."
Jaccopo war dieser Ansicht gewesen. Vielleicht war es ihm am Ende deshalb so leicht gefallen mit den göttlichen Geboten zu brechen.
"I... ich mag das nicht denken."
Auch wenn er begreifen konnte auf welchem Boden diese Gedanken, dieser Zorn, gewachsen war. Wenn es eine Strafe war, dann war sie hart und bitter. Wenn es eine Prüfung war... ja dann traute Gott ihm mehr Kraft und Glauben zu als er sich selbst.
Er schenkte der Malkavianerin ein Lächeln.
"S w.. wär schön. Ich hab die W... Worte der Schrift lange nicht mehr gehört. U... Und viele davon sind tröstliche W... Worte. A.. also falls dich nicht a... andere Verpflichtungen umtreiben. D... du nimmst dir ja heute schon Zeit."
Eigentlich hatten sie davon wohl genug. Eine Ewigkeit an Zeit. Und trotzdem schien es als ob ihresgleichen immer so furchtbar beschäftigt waren, als hätten sie es fürchterlich eilig.

[Angelique]

"Natürlich gerne. Jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme, nehme ich mir einfach die Zeit, dir aus der Bibel vorzulesen. Etwas, was eigentlich der wohlwerte Beichtvater Ferrucio tun sollte, wenn es einem von uns nach Seelentrost dürstet."

Sie schaute sanft. "Nicht GOtt hat sich von uns abgewandt, sondern Kain von GOtt und von jedem, der ihm je etwas bedeutet hat. GOtt wird jeden mit offenen Armen aufnehmen, der sich ihm hinwendet, selbst in seiner letzten Stunde."

[Davide]

"W... wer ist denn Signor Ferrucio?", erkundigte er sich. Der Name war ihm bisher noch nicht untergekommen. Es wäre das erste Mal dass er einem der Ihrigen begegnete der sich als Beichtvater um die Seelen der Unsterblichen sorgte.
Dann lächelte er ob ihrer Worte.
"I... ich möchte das auch glauben. Dass er a... auch auf uns mit Wohl... Wohlwollen blickt w... wenn wir uns bemühen."
Es war ein tröstlicher Gedanke dass es auch für ihre Art letztendlich vielleicht so etwas wie Erlösung und einen Platz im Paradies geben könnte. Eine Hoffnung an der man festhalten konnte.

Er schieg einen Moment bevor er fragte.
"B... bist du schon l.. lange in Genua?"

[Angelique]

"Vor 83 Jahren", sagte Angelique, da sie sich denken konnte, dass der junge Gangrel sich unter dem Jahr 963 AD nichts vorstellen konnte.

Sie strickte dabei eifrig weiter und sah keinen Tag älter aus als elf. Sie war dies wohl schon seit weit über 83 Jahren.

[Davide]

83 Jahre... das war länger als er sich überhaupt vorstellen konnte. Länger als er als Mensch und Kainit bereits existierte. Viel länger. Und trotzdem sah sie aus wie ein Mädchen nicht älter als elf oder zwölf Jahre.
"Das i... ist viel länger als ich lebe.", antwortete er. Irgendwie war es beruhigend zu sehen wie hoffnungsvoll sie trotz dieser langen Jahre geblieben war. Wie offen sie lachen konnte.

"Der Herold e... erwähnte etwas das hier in Genua passiert ist dem i.. ich aber nicht f...folgen konnte."
Er lächelte verlegen.
"Ich w... wollte nicht nachfragen, weil er n... nicht viel Freude an unserem G... Gespräch zu haben schien. Vielleicht kannst du es mir er... erklären. Er sprach vom Pack von San Donato und v... vom Krieg."

[Angelique]

Angeliques eifriges Klickern stoppte und sie begann zu beben.
Davide mochte kurz in Sorge sein, aber dann prustete es aus der kleinen Kainitin heraus und sie lachte schallend.

Die Hündin schaute neugierig auf, als die kindliche Vampirin mit den Socken bekleideten Beinchen strampelte und buchstäblich lachte, bis ihr die blutigen Tränen kamen.
Das war wahrscheinlich die ehrlichste Heiterkeit, die Davide je bei einem Vampir gesehen hatte oder je sehen würde. Blutige Tränen konnte man nicht heucheln.

Erst nach einiger Zeit beruhigte sich das Vampirkind wieder. "Versprich mir, das NIE so einem anderen zu sagen", meinte sie immer noch kichernd. "Bei manchem würde dich das den Kopf kosten!"

Sie fing sich wieder und wischte sich die Bluttränen weg, während sie erklärte: "Das Pack von San Donato war die Zusammenkunft der Höchsten der Hohen Familien beim letzten Hoftag 1034 AD, wo der Krieg beendet wurde, indem der Aschene Pakt von San Donato geschlossen wurde. Aurore blieb auf dem Thron und schwor Vasallenschaft der See der Schatten. Während Lydiadas, im Gegenzug das Knie vor ihr beugte, den Vasalleneid schwor und zu ihrem Seneschall wurde. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann gilt dieser Pakt noch heute."

[Davide]

Für einen Moment fürchtete Davide er hätte Angelique mit seiner Frage verärgert. Ja er erwartete regelrecht gleich ein Donnerwetter über sich ausgeschüttet zu sehen. Doch dann begann die kleine Kainitin zu lachen. So herzlich zu lachen dass es sie regelrecht schüttelte. Ratlos sah er sie an und versuchte sich vergeblich einen Reim darauf zu machen was an seinen Worten so erheiternd gewesen war. Bei jedem Anderen hätte ihn so ein Lachen vermutlich verletzt. Aber sie kannten sich mittlerweile gut genug dass er sicher sein konnte dass sie nicht über ihn oder sein stottern spottete. Das hatte sie noch nie getan. So war sie nicht. Trotzdem erinnerte es ihn einen unangenehm langen Moment daran. An früher. An Spott. Doch der Moment verflog und mit ihm die dunklen Erinnerung. Ließ ihn vor allem eines zurück: Ziemlich verwirrt.

Als sie es ihm erkärte wurden seine Augen groß.
"O... ooh..."
Aber hatte der Herold es nicht so gesagt... Oder hatte er es einfach falsch erinnert...
In jedem Fall war er offensichtlich gerade einer echten Katastrophe entkommen. Ihm wurde jetzt noch spontan übel.
"Ich... ver... versprochen."
Das würde ihm ganz sicher nicht passieren. Er konnte ja jetzt noch den Luftzug der Messerklinge spüren die gerade so über ihn hinweggezogen war weil er Angelique gegenübersaß und nicht beispielsweise einem der Herolde.
"D... das heißt es w... war ein kainit... kainitischer Krieg?"

[Angelique]

"Nein, jeder Krieg der sogenannten Kainiten ist immer auch ein Krieg der Menschen untereinander. Die grundsätzliche Natur der Vampire und insbesondere der Hohen Familien ist Feigheit. Schon Kain hat den arglosen Abel von hinten erschlagen und die regierenden Häuser rühmen sich, von so einem Feigling abzustammen.

GOtt hat ihn aus der Gemeinschaft der Sterblichen verjagt und doch behandeln die Vampire die Menschen wie ihre Sklaven oder ihr Nutzvieh.
Manche wie wohlwollende Schäfer, die meisten wie heidnische Sklavenhalter, die schlimmsten wie grausame Tyrannen, die Spaß am Leid anderer haben.

Der Krieg, der da sein Ende fand, wurde vor allem von Sterblichen ausgetragen und zum Leid dieser.
Die meisten von uns sind inzwischen blutsaugender Abschaum, der vergessen hat, dass wir einst Mensch waren und Engel sein sollten.
Egel ohne Wert in der Natur."

Ihre bitteren Worte voller Verachtung für die meisten Vampire und Liebe für die meisten Menschen trug sie so vor, als redete sie über das Offensichtliche wie die Farbe des Himmels.