[1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

[März '21]
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Signora Achilla
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[1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Signora hatte ein wenig Zeit verstreichen lassen, nach jenem unseligen Orakelspruch in Clavicula. In dieser Zeit hatte sie nicht untätig bleiben können: für die Stille mussten blutige Preise bezahlt werden.
Doch als sie nun einen Boten zu Angelique schickte, ganz ähnlich wie zuvor, war darin vielleicht eine kleine Überraschung oder sogar Erleichterung: Der Bote selbst war einer der Männer, welche das ewigjunge Orakel und die Signora begleitet hatten, wahrscheinlich bezeugt hatten, was geschehen war. Der Mann war nicht schön und schien auch nicht besonders. Im Gegenteil: Er sah aus wie so mancher vom Claviculaner Lumpenpack und noch mit der hässlichen Note dazu, dass ihm irgendwann in seinem Leben einmal wohl jemand die Nasenflügel mit einem Messer aufgeschnitten hatte.

Doch nun war er da, hatte sich sogar Gesicht und Hände einmal gewaschen und die strähnigen Haare zurechtgebunden, mit einer Botschaft ganz ähnlich wie sie zuvor der Junge gebracht hatte. Sie war für die “junge Dame” bestimmt und lautete in etwa so: “Maestro Mauricio richtet seinen Gruß für die junge Dame aus und sagt, dass es ja ein großes Spektakel war beim letzten Mal. Er lässt nachfragen, ob sie vielleicht einmal herüber kommen will, um drüber zu reden und den Lohn für all die Mühen allerseits?”

Er konnte das zumindest ungefähr auswendig aufsagen und wirkte nur ein wenig beschämt, dass er als gestandener Mann solche Botengänge machte. Aber dann wieder war auch offensichtlich, dass er in so ordentlicher Gesellschaft wie hier auch selten genug unterwegs war und es sich so vielleicht ausging.
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Angelique würde dann kommen. Etwas zögerlich und auf dem Wege verdunkelt. Sie hatte von ihren Männern die Gerüchte über Menschenfresser gehört und wollte in dieser Nacht sich nicht mit so was aufhalten, obwohl es ihr Herzensanliegen war, eine solche bestialische Verletzung der göttlichen Ordnung zu beenden. Vielleicht konnte man ja die Segnora überzeugen, etwas dagegen zu tun.
Alles roch nach Schwefel, was mit so etwas zu hatte.

Aber nun wollte sie sich einfach mit den Gauklern treffen und wahrscheinlich auch der Segnora das Ergebnis ihrer Weissagungen verkünden.
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Als Angelique letztlich ihre Blutskraft verfliegen ließ, konnte sie trotzdem am Treiben am Hof der Wunder untertauchen. Es war elend, wenn man es mit dem verglich, wie der Hof seinen Namen verdient hatte. Die Menschen waren dürr, ihre Blicke hungrig, die Schatten tiefer, der Zauber des Ortes hatte Zähne und Klauen.

Doch es gab ein kleines Häuflein der Fahrenden, die um ein Feuer hockten, auf dem ein kleiner Topf köchelte. Es roch nach Gras und Brennnesseln, aber immerhin war es nicht nur Wasser. Die Stimmung war gedrückt, doch immerhin waren fast alle von denen da, die Angelique kennen gelernt hatte. Christofa, ein alter Halunke mit schöner Stimme, fehlte. Barto, ein junger Burscher, der so gerade eben den ersten Bartflaum gezeigt hatte, fehlte. Alle wirkten ein Stück verhärmter, härter, bitterer vielleicht. Oder es war einfach die Unbeschwertheit, die verloren gegangen war.

Doch als Angelique näher kam, hellten sich ein paar der Gesichter auf. Der Maestro hatte sein Bäuchlein verloren, aber nicht seine Herzlichkeit. Es war eine Frage des Stolzes, dass keiner, mit dem man die Bühne teilte, vom Feuer abgewiesen wurde. Er breitete die Arme aus und lachte. “Kleiner Hellekin! Ich hab’ schon gefürchtet, dass es dich um Kopf und Kragen gebracht hat! Doch da bist du, leibhaftig!”
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Ich habe leider kein Getreide diesmal dabei. Aber ein wenig Silber, das Euch helfen kann", meinte sie entschuldigend und gab dem Mann ein Beutelchen mit guten Denaren.

"Habt Mut, die Not geht vorüber! Das tut sie immer..." Die Bitterkeit auf den kindlichen Zügen und der Schatten vergangener Grauen deutete an, dass sie solche Zeiten schon erlebt hatte, obwohl sie doch so jung wirkte.
Das Mädchen war auch so dünn und unterentwickelt, dass es wohl Zeiten des Hungers buchstäblich am eigenen Leib erfahren haben musste.
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Mauricio und die anderen auch sahen das Silber, aber der Sippenführer zwirbelte erst einmal nur seinen Schnurrbart. Sicher war da die Gier in seinem Blick aufgeblitzt, doch er hielt sie im Zaum. Stolz kam dazu und noch eine andere Sache, älter und auf ihre Art sanfter oder doch wenigstens maßvoller: Sitte und Tradition.

“Lass’ das mit dem Silber”, meinte er dann langsam und eher leise. Seine Stimme war wie gemacht und gewiss auch geübt darin, laut und tragend zu sein und über ganze Märkte hinweg zu schallen. Doch jetzt war sie leise und auf eine etwas schräge Weise ein wenig väterlich. “Davon können wir grad eh nichts kaufen und ich hab’ das Gefühl, dass du eine bessere Hand dafür hast als irgendwer hier.”

Er räusperte sich, reckte sich ein wenig, hob das Kinn etwas störrisch und erklärte:
“Du bist bei uns willkommen, basta.”

Isadora, eine nunmehr recht hagere junge Frau mit rotbraunen Locken, die unter ihrem Kopftuch hervorlugten, klopfte einladend auf einen Platz auf der Bank neben sich. “Es gibt immer beschissene Zeiten”, sagte sie unverblümt. “Immer wen, der unsereins jagt oder tritt oder zum Teufel jagen will. Immer einen Winter, der zu lang ist, eine Straße zu schlecht, Räuber und Ritter und manchmal keinen Unterschied zwischen beiden. Wir brechen bald auf und vor einer Reise kann man auch noch einmal ein paar Grüße teilen!”
Sie lachte, trotz der schlechten Zeiten.

“Oder bist du mit was auf dem Herzen hergekommen? Suchst wen?”
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Nun, gut", meinte Angelique zögernd und steckte das Geld wieder weg. "Aber ich brauchte dafür auch keine Speise Eurer Gastfreundschaft. Ich habe schon... gespeist.

Sie setzte sich neben die rothaarige Frau. "Schade, dass ihr weiterzieht. Es hat Spaß gemacht, bei Euch aufzutreten. Aber ihr könnt ja an mich denken, wenn ihr das Repertoire von mir aufführt. Es würde mich freuen, wenn meine Possen andere Gauklertrupps inspirieren könnten. Es sind ganz alte Geschichten, die ansonsten vergessen würden.
Ich habe einst einem alten Verwandten versprochen, dass die Erinnerung an seine Kultur von mir am Leben erhalten wird. Wenn der Hellekin der Wilden Jagd als Bühnenfigur weiterleben würde, würde ich mein Versprechen halten können, selbst wenn icb selber zu Staub werde. Es wär schön, wenn ihr euch auch dieses Lied einprägt und aufführen würdet."

Und leise begann sie eine Ballade zu singen, die so süß und schön war und eine untergegangene Welt von wilden Göttern und verwegenen Seefahrern heraufbeschwor. Sie konnte singen wie ein kleines Engelchen, wenn auch kurz die Melancholie von 150 Jahren im Vortrag durchschien.


Charisma+Vortrag: Gesang heute um 15:25 Uhr
@🌜 Angelique (Olaf) rolled 39. (1 + 7 + 8 + 3 + 7 + 9 + 4 = 39)
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Was Angelique da sagte, schien eine besondere Saite in den Fahrenden um das Feuer her anzuschlagen. Auf eine Weise war es ein tiefes Verständnis davon, was Angelique sprach, auf eine andere auch die Achtung vor den Geschichten, die über Generationen und Generationen hinweg durch die Zeit getragen wurden.

“Das ist, wie wir unsterblich werden”, meinte Mauricio zu ihr. “Mit den Geschichten, die wir sammeln und weitergeben, weitertragen in die Herzen der Leute. Wenn wir alle längst Staub sind, dann werden immer noch unsere Lieder gesungen, unsere Helden bewundert, unsere Sagen und Geschichten erzählt. Gern wollen wir den Hellekin mit auf die Reise nehmen.”
Er lächelte plötzlich.
“Es braucht auch keinen alten Maestro wie meinen Vater, dass ich erkennen kann, wie gut eine solche Rolle ist! Man kann viel mit ihr erzählen und wenn man nicht eben direkt den Zorn der Pfaffen und der noblen Herrschaften entzündet, kann der Mund vom Hellekin sagen was sonst keiner kann.”

Sie alle lauschten Angeliques Gesang. Es war ein wenig kraftloser als es vielleicht in anderen Jahren gewesen wäre - alle waren erschöpft und schwach vom Hunger. Doch sie waren Musikanten und Spielleute, Schausteller und Fahrende und sie hatten die Musik im Blut. Dora hatte bald eine kleine Trommel zur Hand, um Angelique leise zu begleiten, und dann fand sich auch eine Citola, um die Töne mitzutragen.


Das war es auch, was letztlich die Signora anlockte. Sie hatte sich eingepasst in das Elend dieser Tage: das bunte und mitunter auch einmal gewagte Flickenkleid war eher grau und braun, alt und dünn. Nur die Erinnerung an kecke Pracht war auch die Maske, von der die Farbe hier und da absplitterte oder sonnengebleicht war. Sie lebte zu sehr zwischen all den Menschen umher als dass diese Jahre spurlos an ihr vorübergehen konnten.

Doch sie lauschte mit Andacht, vielleicht mitgetragen von jener bittersüßen, schweren Melancholie der Sängerin.
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Angelique bemerkte schließlich die enigmatische Gestalt, als sie ihr Lied beendet hatte.
Sie entschuldigte sich kurz bei den Sterblichen und näherte sich der dräuenden Gestalt.

Das letzte Mal, als sie sich getroffen hatten, war unter wenig guten Umständen geendet. Der titanische Kampf zwischen der immensen übernatürlichen Stärke der Verborgenen und der durch Wahnsinn mächtigen Malkavtochter war glücklicherweise in einem Patt geendet und Angelique war dem Schraubstockgriff entronnen, bevor das mächtige Ringen wohl die Stille und die windschiefen Reste des Slums zerschmettert hätte.

"Seid gegrüßt, Segnora!", sagte das untote Kind und verbeugte sich. "Ich hoffe, Ihr könnt mir den Ausbruch beim letzten Treffen verzeihen. Die Erinnerung des Feuers übermannte mich und ließ meinen inneren Dämon frei."
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

“Es ist der Fluch und Segen unserer Art, Blutrausch, Mordsünde, Hunger”, sagte die Signora da leise und machte eine Geste über Angelique und auch sich selbst hinweg.
“Schämt Euch nicht. Es ist, was Ihr seid, was ich bin und wir begegnen dem jede Nacht.”
Der Blick der Nosferatu wanderte zu den Menschen herüber.

“Es hat Leben gekostet, in jener Nacht. Ich hab’ die Spuren ausgelöscht, Eure und meine, dass die Stille gewahrt bleibt.” Es klang so einfach und beinahe leicht, so wie sie es sagte. Doch was es bedeutete, war weder das eine noch das andere.
“Sagt mir: Habt Ihr die Flammen geschaut, die wir alle hier überlebt haben? Habt Ihr gesehen, wer sie uns schickte und wohl mehr Leben auslöschte als Ihr oder ich zusammen?”
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Das kleine Orakel zögerte kurz. Es schauderte sichtlich, als es an die Flammen erinnert wurde.

"Der Mistral hat mir geflüstert, dass er die Feuer vom Südwesten her gebracht hat. Das Element des Michael hat mir gesagt, dass es gleichzeitig an mehreren Stellen entflammte. Brandgeschosse, wohl gezielt. Der Wind blies von der See und er brachte das Feuer aus Ravecca. Er blies vom Sesta Collina, dem westlichsten Hügel Raveccas. Dort wo des Vampirjägers Brambillas Werkstätten für Kriegsmaschinerie stehen."

Das mochte nicht das sein, was sie in den Flammen gelesen hatte, sondern das Ergebnis malkavianischer Detektivarbeit wie damals bei der Suche nach Aurore. Und somit keine vage Prophezeiung mit Auslegungsspielraum, sondern harte Fakten. Aber das wusste die Segnora natürlich nicht.
Angelique hatte die Erfahrung langer Jahrzehnte hinter sich, in denen ihren wüstesten Schwurbeleien oft bereitwilliger geglaubt wurde als ihren mit scharfen Sinnen und scharfem Verstand deduzierten Analysen. Also verpackte sie echte Fakten oft in übernatürlichem Brimborium.
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