[1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

[März '21]
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

“Ihr seid ein Schlitzohr”, stellte die Signora da fest. “Und Ihr versucht Euer ganz eigenes Hellekin-Spiel auf dieser blutigen Bühne in der Nacht… .”
Es klang ein bisschen melancholisch, so wie sie das sagte. Dann meinte sie unvermittelt: “Ich frage mich oft, was mir entging, wisst Ihr? Ich war kein Kind mehr, als ich in die Nacht ging, aber ich war auch keine gestandene Frau, keine Mutter, keine Matrone… .”

Zum zweiten Mal ließ sie den Satz einfach verklingen und zuckte dann mit den Schultern. “Kain und Lilith haben vielleicht keine Ämter gekannt, doch wenn es mit diesen zweien einst begann, dann mussten sie auch nicht mit Dutzenden ihrer Art zurechtkommen und viel, viel mehr noch in den Städten und Ländern umher, die öfter Feinde und Rivalen sind als Freunde und Verbündete. Der Anfang, der mag einfacher scheinen, doch unsere Nächte sind nicht so einfach und wir sind mehr als nur zwei mit großer Macht.”
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Bah, Kain selber hat den Nachkommen ja verboten, Nachwuchs zu schaffen. Und was haben sie gemacht? Und wagen die es auch noch, sich auf Kain zu berufen! Die Tore der Ironie sind weit aufgestoßen jedes Mal, wenn Hohe Familien versuchen, ihre Herrschaftsposition ausgerechnet mit Kain zu legitimieren.
Man muss immer aufpassen, nicht lachen zu müssen. Das finden die seltsamerweise nicht gut."

Sie zeigte deutliche Sympathie für die Wehmut der Frau.
"Ja, ich verstehe ganz genau, was ihr meint. Seht mich an. Ich habe nicht einmal Eure Erfahrungen sammeln können!"

Schlau und mit fast diabolischer Einflüsterung fügte sie hinzu: "Aber Ihr könnt doch immer noch Nachwuchs haben. Es wäre eine andere, dunklere Art Nachwuchs.
Aber neues, wundersames Unleben könntet Ihr schaffen und die Mutter sein, die Lillith von Euch erwarten würde.
Eine weitere Ungerechtigkeit der Hohen, gerade uns Töchtern Lilliths ohne ihre nutzlose Erlaubnis das Schaffen neuer Kinder der Nacht zu verwehren.
Ausgerechnet die, die sich auf den Vergewaltiger der Mutter unserer Art berufen, wagen es, uns die Mutterschaft zu verwehren! Hah, Ironie und Hybris, die ihnen noch mal böse auf die Füße fallen werden!"
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Da wirkte die Signora zunächst einmal verblüfft. Sie blinzelte ein, zwei Male erstaunt. Doch dann neigte sie sich vor, sichtlich interessiert an diesen Worten.

“Ich kenne kaum mehr als den sagenumwobenen Namen jener dunklen Mutter”, sagte sie. “Würdet Ihr mir mehr erzählen? Wovon Ihr sprecht, klingt düster und übel, doch es klingt auch nach einer Geschichte, die nicht verklingen sollte und die ich hören will.”
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Angelique hüpfte von Kopfstein zu Kopfstein auf dem Pflaster auf dem Weg. Fast singend sprach sie Sätze, die aus geheimen gnostischen Schriften zu stammen schienen.

"Samael, einer der Trinität Jaldabaoths, war der erste der Engel, der als Ankläger, als Satan geschaffen wurde, Lillitu die letzte, die die erste Frau des Adam sein sollte.
Aber sie gab Widerworte und wollte oben liegen, so verstieß der Lehm gewordene Seelenfunken sie und verlangte nach der unterwürfigen Eva, die aus seinem eigenen Dreck geschaffen war und nicht aus spirituellen Stoff.

Sie ist ein Zweig des Sephiroth, des Lebensbaums, und ein Garten aus Zwielicht ist ihr Heim. Sie ist die Mutter aller, die die Nacht durchwandeln. Die Mutter der Hautwechsler, die Mutter der Riesen, die Mutter der Bluttrinker.

Sie ist die Mutter, die keine Liebe für ihre Kinder empfinden kann. Sie ist die Geliebte Kains, die ihm alle Zauber seines verfluchten Blutes. Und wie sein arroganter Vater misshandelte auch er am Ende die so weit über ihm Stehende, als er glaubte, alle Geheimnisse gelernt zu haben.

Sie ist der Vogel der Nacht, die Eule ist ihr Symboltier. Ihre Flügel deuten nach unten, was sie zu den chthonischen Wesen gehörig ausweist."

Angelique lächelte so entwaffnend, als sie schulterzuckend ihre eigene dualistische Zerrissenheit offenbarte, die sie so an Lilith faszinierte:
"Bin ich die alte Lilith des Samaels oder die jüngere Lilith, die Gemahlin des Asmodäus, die von Samael begehrt wird?"

Wirr, aber dennoch lagen in den Worten dunkle Weisheiten, die einen warnten, warum das Wissen, das nicht für ehemals Sterbliche gedacht war, den Klan der Malkavianer in den Wahnsinn getrieben hatte.
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Achilla lauschte diesen Worten schweigend und auch noch ein Weilchen länger, während Angeliques Frage in der Luft hing. Es war die Leichtigkeit, mit der das kleine Mädchen über die Steine hüpfte, die die Bedeutungsschwere umso dichter machte. Die Signora dachte darüber nach, tastete über die Wange ihrer Maske und meinte schließlich:

“Warum muss es das eine oder das andere sein? In Dingen wie diesen, Geschichten wie diesen, Bedeutungen wie diesen, gelten doch so oft beide Wahrheiten. Sie schließen einander nicht aus, sind nur verflochten miteinander. Die eine für sich auszuschließen, hieße dann auch zugleich, die andere abzuweisen.”

Sie neigte den Kopf ein wenig, grub in ihren Erfahrungen mit Geschichten und wie sie in die Zeit getragen wurden, wie sie erzählt und gesponnen wurden.

“Es klingt nach ...einer Sorte von Stärke, die selten zu hören und doch oft zu spüren ist. Die der Frauen, die der Wesen im Schatten, die der Dinge, die als ungehörig gesehen werden.”

Sie stockte einen Moment und fragte dann doch: “Macht Euch diese Geschichte froh oder macht sie Euch bitter?”
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

Angelique grinste keck und zitierte die scheinbar Ältere: "Warum muss es das eine oder das andere sein?"

Sie schlug ein Rad und machte eine Kerze. Alle Welt stand so Kopf für sie und war vielleicht in diesem Moment so, wie normale Menschen oder Tote sie sahen.

"Die eine für sich auszuschließen, hieße dann auch zugleich, die andere abzuweisen.“

Das Echo der eigenen Worte, das man als kindische Nachahmung verstehen konnte, schien eher die Weisheit der Achilla zu betonen und aus einer neuen Perspektive und in neuem Kontext erscheinen zu lassen.

Es war anstrengend, den Gedanken der kleinen Gelehrten zu folgen, aber auch eine gute Reflexion der eigenen Rhetorik, die die aufkommende Scholastik vorwegnahm.
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Davor musste die Signora das Haupt neigen, denn Angelique hatte recht: Es konnte beides sein und sie konnte es auch. Bitter und froh zugleich, bittersüß.

“Selten sind solche Dinge nur eine Sache, eh? Und sonst bin ich diejenige, die davon spricht, dass es mehr gibt als nur das Schwarz und Weiß, in das so mancher allzu einfach gestrickte Geist Genua einteilen will.”
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Grämt Euch nicht", beruhigte Angelique. "Die sind zumeist noch jung und wissen wenig von der Welt. Man kann die Hoffnung haben, dass am Ende auch sie eine weitere Weltsicht haben werden.

Wenn selbst ich aus einfachen Verhältnissen Gelehrsamkeit erlangen konnte, mögen das auch all die oberflächlichen und machtgierigen Kreaturen schaffen, wenn sie es nur wollen.

Eure Theaterkünste helfen dabei immens. Vielleicht regen sie die Gedanken an, die sich sonst nur um Blut und Spiele drehen. Selbst bei dem bäurischen Alain hatte ich diese Neugier wecken können. Leider fiel er in die Intrigenfalle, bevor das mehr Früchte tragen konnte. Schade."
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Signora Achilla
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Signora Achilla »

Die Erwähnung von Alains Namen brachte wohl gemischte Gefühle für die Signora. Trauer, Melancholie, Verlust. All das klang daraus, als sie sagte: “Ich glaube vor allem, dass er noch hätte so viel sein können, so viel tun können… . Vielleicht kennt Ihr das? Manchmal sieht man solcherlei auch in den Sterblichen, die Möglichkeit, dass da etwas Großes werden könnte.”

“So ein Gefühl hatte ich oft mit ihm. Und dann hat er sich so verrannt, in all diese Gedanken um den Grafen der Gosse, um meinesgleichen. Hat Feinde und Verrat gewittert, hat sich… nun. Wie Ihr sagt.”
Sie seufzte. “Ich trauere um all die Dinge, die hätten sein können. Doch das ist wohl etwas, das zu unser aller Natur in der Nacht gehört. Und wenn’s mich eines Nachts erwischt, dann wird’s wohl genau so sein. Heh!”
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Angelique
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Re: [1046] Aus der Asche lesen [Achilla, Angelique]

Beitrag von Angelique »

"Oh, ja, ich hatte so einen Sterblichen gekannt! All das Potenzial, über ein Jahrhundert näher als jeder sogenannte ,Verwandte'. Und dann durch meine Dummheit in die Falle gelaufen und ermordet."

Da war ein so exquisiter Schmerz auf dem Gesichtchen, wie es nur Liebende haben konnten, die ihre Liebe an den Schnitter verloren hatten.
Und obwohl jemand wie Angelique doch durch ihren Pfad des Himmels, aus dem sie ja keinen Hehl machte, den Tod nicht fürchten sollte, trauerte sie doch so echt wie eine frisch verwitwete Braut.

Ein Mensch würde an gebrochenem Herzen vergehen mit so einem Gesichtchen voll Gram. Aber der Segen und Fluch des Untoten war es auch, von Herzschmerz nicht körperlich zerstört werden zu können.

Einzig eine kleine blutige Träne, die über die blasse Wange kullerte, zeigte an, dass Angelique nie über den Verlust ihrer Liebsten hinwegkommen würde.
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