[1047] Gemini [Galeno, (SL)]

[April'21]
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Il Canzoniere
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[1047] Gemini [Galeno, (SL)]

Beitrag von Il Canzoniere »

Er hatte gerade die winzige, hölzerne, grob gezimmerte Brücke im Wald von Luccoli überquert da wunderte er sich erneut. Wieso zum Henker war er hierhin aufgebrochen? Und wohin trug es ihn noch weiter? Wieso liefen seine Beine einfach immer weiter den kleinen Weg entlang, durch die Weiler Luccolis, vorbei an dem Dorf und seinen Wildfangzäunen, in den Wald hinein. Hinab ins Ferrgianotal, also zumindest von der Richtung her. Erst käme, in einer guten Stunde, Macelli und dann, noch ein paar Stunden später, irgendwann diese Sackgasse im Nirgendwo. Es gab wirklich keinen Grund hier herauszukommen.

Trotzdem war Galeno schon mehrere Stunden auf den Beinen, lief durchs Dunkel, ohne Licht, ohne Anhaltspunkt wo er denn nun genau war. Er war schon ein gutes Dutzend mal gestürzt seit er über den, sich zwischen den Bäumen entlangwindenden luccolischen Waldpfad lief, seine Händen waren braun voll Erde, seine Haare wust durcheinander und seine Kleidung hatte sicher hier und da ebenfalls bereits einen Fleck abbekommen.

Er hatte schon allerlei Überlegungen angestellt was hier vor sich ging, aber die Kraft die ihn immer weitertrieb, weiterzog, vorwärtsdrückte, ihn wie einen Fisch mit der Angel einholte, war ihm unbekannt. Und irgendwie beunruhigte sie ihn nicht einmal. Es war alles so still, so friedlich, das man nichts Böses erahnen mochte. Sicher, brimir war noch irgendwo da draußen, aber es war ein gutes Jahrzehnt her, das er irgendwo gesichtet worden war. Aufgrund der Hungersituation trieben sich auch hier und da noch Wilderer herum oder Männer des Grafen auf der Jagd nach Wilderern, jedoch allesamt nicht so dicht an den Dörfern um Genua oder den Pfaden zwischen ihnen.

Die klar ersichtlichen Sterne zeigten denen die von soetwas eine Ahnung hatten einen tief blauen Himmel voller gut erkennbarer Sternbilder. Der Zwilling allen voran. Mochte dies irgendwie mit dem nächtlichen Ausflug des Kappadozianers zu tun haben? Vermutlich nicht. Aber es gab kaum etwas anderes zu sehen, wenn man im Dunkeln durch die Nacht schritt. Nur die weit weit entfernten Lichtpunkte an denen man die Jahreszeit ablesen konnte.

Langsam näherte er sich Macelli, lediglich die Geräusche des Waldes begleiteten ihn. Sonst war er allein.
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Nubis
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Nubis »

Es hatte ihn überrascht. Es hatte ihn verärgert.

Er war ohne ein Wort zu erwähnen, einfach aus seinem Haus getreten und ins Dunkel der Nacht begeben. Ganz ohne Vorbereitungen. Ohne zu wissen, warum. Ohne es eigentlich sogar zu wollen.

Welche Macht führte ihn? Was trieb ihn an?

Als er das erste Mal gestürzt war, hatte er noch geflucht und sich gefragt, warum er nicht wenigstens eine Lampe hätte mitnehmen können. Der zweite war dann nur noch ein kleines Ärgernis, der dritte dann Gewöhnung. Was brachte es auch, sich drüber aufzuregen? Ändern konnte er es nicht.

Doch was war es? Eine gottesgleiche Macht? Ein Kainit? Ein Baali vielleicht, der es nicht so zu schätzen gewusst hatte, dass er möglicherweise deren Zeichen gefunden hatte? Die uralte Macht, von der sowohl Ilario, wie auch Liutprand gesprochen hatten?

Aber wollte da nicht Ilario vorher einen Boten schicken? Hatte dieser es vergessen oder war dies hier alles ohne sein Wissen im Gange?

Stunden vergingen, in denen er allein mit sich und der Nacht war ... und den unaufhörlich sich bewegenden Füssen, die von selbst die Richtung zu kennen schienen.

Was war dies nur? Er hatte der Prinzessin Macht gespührt, als sie von allen Demut gefordert hatte. Nichts hätte jemanden davon abhalten können, sich vor ihr auf die Knie zu begeben.
Er war selbst schon einmal aus Burgus davon spaziert und quasi inmitten eines Pflocks hinein....
Waren es diese Kräfte, die ihn nun erneut riefen?

Aber hier her?

So weit weg von Genua?

Die Vermutung, dass Brimir dahinter stecken könnte, kam ihm auch, doch nein, wieso sollte er? Was könnte jener von einem Kappadozianer ohne Einfluss bitte wollen, als vielleicht einen Pausensnack?

Und dennoch war jedes seltsame Geräusch ein Fall für besondere Aufmerksamkeit. Die Sinne hatte er lieber geschärft, um wenigstens ab und an erkennen zu können, wo er hin lief und um Bäumen ausweichen zu können.

Er fuhr sich durchs Haar und fingerte ein paar Zweige heraus. Der Busch hatte ihm alles zerzaust und sogar ein paar Spuren auf seiner Haut hinterlassen können, wenn da nicht Blutkräfte passiv wirkten. Auch versuchte er es wieder etwas zu richten, denn wenn es wirklich Ilarios und Liutprands erwähnter Kainit war, so wollte er nicht gänzlich wie jemand aus der Gosse erscheinen. Sondern schon wie ein König, einer, der ohne Gefolge und Licht durch ein grosses Waldgebiet gelaufen war...
Das zu lernen, was Gott uns durch die Not lehren will, ist wichtiger, als aus ihr herauszukommen.
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Il Canzoniere
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Il Canzoniere »

Er erreichte Macelli nach einer gefühlten Ewigkeit. Das kleine Dorf war nie sonderlich in den Fokus kainitischer Aktivitäten gerückt, auch weil es wirklich klein war und so weit ab vom Schuß lag. War er überhaupt schon einmal hier gewesen?
Völlig dunkel lag es da, beinahe verlassen. Die wenigen Hütten verstreut, hier und da ein paar leere Weiden für Rinder oder matschige Koppeln für Schweine. Schinken, erinnerte sich Galeno. Wenn jemand in Genua über Macelli redete, dann eigentlich immer über Schinken. Nie über dieses gottverlassene Nest am Rande des Ferregianotals.
Und doch zog es ihn genau hierhin. Genauer an den Rand dieses Nestes. Zu einer abgelegenen, kleinen Hütte zwei Minuten vom Dorfplatz entfernt. Wenn es wirklich ein Dorfplatz war und nicht nur ein größerer Abstand zwischen vier Häusern.

Jene kleine Hütte lag, wie auch alle anderen hier, dunkel und verlassen dar. Kein Zeichen offenbarte das hier irgendetwas seltsames vor sich ging. Keine Gestalten die es bewachten, keine Personen auf der Straße, in den Fenstern oder etwas anderes. Hier und da hörte man das raunen der Blätter oder das ferne gackern eines Huhns oder das Blöcken einer Kuh. Mehr war da nicht.

Wäre er nicht hier, es gäbe keinen Beweis das etwas vor sich gehen würde.

Er hatte die Tür erreicht. Sie war eine recht gewöhnliche Tür aus Holz, mit einem einfach geknoteten Seil als Griff. Die zugehörige Hütte hatte nur ein Stockwerk und war recht länglich, hölzern und rustikal gehalten. Das Dach war mit einfachem Stroh gedeckt. Von der innen glühenden Feuerstelle kräuselte sich Rauch aus dem schmalen Abzugsloch im Dach, wie beinahe in allen Hütten des Ortes. Nachts wurde es häufig recht kalt, so nahe am Ausläufer der Apenninen.

Galeno konnte sich dabei zusehen wie seine Hand das Seil ergriff das als Türgriff diente und die etwas sperrige Tür aufzog, nur um dann rasch hineinzuschlüpfen.

Das Bild was sich ihm daraufhin bot war... ungewöhnlich. Offenbar gab es keine Möbel in der Hütte. Sie war völlig ausgeräumt worden. Stattdessen hatte jemand die Feuerstelle vergrößert. Soweit das sie auf beiden Seiten beinahe komplett an die Wände reichte und auch sehr tief in den Raum hinein führte. Sicher die Hälfte des kompletten Innenraums bestand aus ihr. Zum Glück, so dachte der Kappadozianer im ersten Augenblick, brannte hier kein loderndes Feuer, sein Tier hätte auf der Stelle kehrt gemacht. Stattdessen hatte hier wohl ein Feuer gebrannt, den häufig noch glühende Kohlen glommen in der Dunkelheit, erleuchteten die Hütte mit einem fiebrigen Schein aus Hitze und etwas Licht. Mit der kühlen Nachtluft im Himmel kam es beinahe an eine Schwitzhütte heran, so heftig war die Wärme im Raum.
Mit einem leisen Geräusch fiel die Tür hinter ihm zu, locker, ohne Probleme wieder öffenbar, was etwas Sicherheit gab. Er drehte sich jedoch nicht um, gebannt war sein Blick auf jener anderen Seite der Hütte verhaftet, verborgen von Dunkelheit und Rauch jedoch trotz allem von glimmen der Kohlen in Andeutungen gezeichnet saß dort eine Gestalt auf einem großen Stuhl mit breiten Armlehnen.

Hierher so, schoss es Galeno durch den Kopf, hatte es ihn gezogen. Zu dieser Person. Und während er noch darüber nachdachte, merkte er wie er seinen ersten Schritt in Richtung der Kohlen machte.
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Nubis
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Nubis »

Galenos inner Gefühlswelt drehte sich im Kreise. Wann sonst hatte man auch mal Gelegenheit, alles zu durchdenken? Jetzt...wenn die Schritte nicht die eigenen waren, wenn man mental Däumchen drehen konnte, oder sich eben über die Zerrissenheit der Welt Gedanken machen konnte.

Was machte er eigentlich hier? Warum versuchte er in Genua stets etwas anzukurbeln und zu schaffen? Was trieb ihn eigentlich an.... ein Fremder Wille, so wie offenbar jetzt?
Wohin würde es ihn führen?`
Würde er alles vermasseln?

Über diesen Stein sollte er lieber treten, wenn er nicht hinfallen wollte....
...zu spät...

Aufrappeln, weiter laufen und während die Füsse sich so ihren Weg suchten, das Laub und Gras und den Dreck etwas aus der Kleidung streifen.

Solch eine Fähigkeit konnte nur jemandem mit grosser Macht gehören...
Eben jenem, von dem sein Mentor gesprochen hatte, vermutlich...
Oder eine Gegenpartei?
Wäre schliesslich auch möglich.

Aurore, so viel war klar, würde ihn nicht hier her rufen und der Schattenfürst wohl auch nicht.
Die Gegend würde noch für Brimir sprechen, doch was wollte der wilde Kainit von jemandem wie ihn? Und so alt und mächtig hatte er ihn ohnehin nicht eingeschätzt.

Dann kam endlich die Hütte und er trat ein. Die Augen musterten seine Umgebung. Er konnte es sich nicht verkneifen und blickte hinter sich, als die Tür zu schwang. Nun, hier würde er im schlimmsten Fall ohnehin nicht weg kommen und Flucht an sich...wer hinderte Ihn, es oder wen auch immer denn daran, ihn nicht erneut hier her zu bestellen. Auf eben gleichem Wege wie jetzt.

Also legten sich die Gedanken und eine rechte Gleichgültigkeit trat zum Vorschein. Es hatte ja keinen Sinn. Es gab nur den Weg nach Vorne.
Also ergab er sich der Situation und lief nach vorn, dennoch neugierig, wer oder was denn nun hierfür sich verantwortlich zeichnete.
Er versuchte innerlich sein Tier zu beruhigen und irgendwie auch sich selbst....nicht wegen der Gesamtsituation, sondern der Kohlen. Wer lief schon gern auf diesen? Vor allem, weil sie noch glühten.
Wäre er Mensch, würde er auf Grund der Hitze hier wohl schwitzen und wahrscheinlich auch wegen alle dem Panik bekommen.
Gut, dass er keiner mehr war und auch schon einiges mittlerweile erlebt hatte.

Aber trotzdem, dies war noch einmal etwas ganz anderes.

Er war bereit, sich jenem zu beugen, der ihn gerufen hatte. Eben, zum Teil auf Grund dessen, dass ihm ohnehin nichts anderes übrig bleiben würde. Zum anderen aber, da er innert seines Pfades, den er beschritt, so viel Möglichkeiten hier drin sah...so viele Handlungszwänge....
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Il Canzoniere
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Il Canzoniere »

Später.

Soviel wusste er. Er kniete und sah vor sich die weißen und grauen Flocken alter Asche. Vom Feuer hinter ihm, das er so deutlich spürte? Oder von den Kainiten die hier vor ihm knieten? Nicht einmal festen Boden schien die Hütte zu haben, denn das unter seinem Knie war spürbar die feine Konsistenz von Sand. Er konnte mit den Fingerspitzen seine Abdrücke hineinzeichnen, wenn er es wünschte. Lag er wegen dem Feuer hier? Und warum sah man hier und dort harte, getrocknete Perlen aus Glas? Welches gewöhnliche Feuer wurde derartig heiß?

Wörter hallten in seinem Schädel nach, wie ein Gedanke der von einem Ende des Kopfes zum anderen rauschte - und wieder zurück. "Ihr wurdet empfohlen. Von verschiedenen Seiten. Man gab mir zweimal das Wort darauf das ich mit eurer Verschwiegenheit rechnen kann, was alles angeht was ihr in dieser Nacht erlebt oder besprochen habt. Man sagte mir außerdem das ihr in ziemlich großen Schwierigkeiten steckt und euch entweder Pisa, Mailand, Florenz oder Genua vernichten wird, abhängig davon was ihr tut und was nicht. Und was ihr nicht tut. Und was doch. Ich bin nun hergekommen um mir ein Bild davon zu machen ob ihr es wert seid das ich euch aus dieser... Todesfalle... heraushelfe. Ihr könnt euch bei euren Fürsprechern für diese Chance bedanken." Galeno hatte den Drang der Stimme jeden Wunsch von den dunklen Soldatenstiefeln abzulesen, die er am Rande seines Gesichtsfeldes erspähen konnte. Er wusste aber auch das dieses Verschwiegenheitsabkommen, was jene ansprach, das erste war, was man heute abwickeln müsste, wenn man überhaupt etwas abwickeln wollte.

Und auch wenn er sich mittlerweile sicher war das er die volle Kontrolle über seine Beine, seinen Körper und seine Gedanken wiedergewonnen hatte und ihn nichts hinderte tatsächlich den Kopf zu heben und einen Blick ins Anlitz jenes Mannes zu werfen der dort vor ihm saß, so wusste er doch das auch dieses Implikationen haben würde, jenseits von Blut und Tod. Es schien die erste einer Anzahl von Prüfungen sein, mit denen heute Abend, völlig unvorbereitet, sein Wesen geprüft werden würde. Neige das Haupt vor dem König. Hörte er eine Stimme die so weit entfernt war das er sich nicht einmal mehr an ein Gesicht erinnerte. War es sein Vater gewesen? Unmöglich. Der Abt? Vielleicht.
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Nubis
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Nubis »

Was war geschehen? Wie viel Zeit war vergangen? Nur der kurze Weg von der Tür hier her? Er kniete, ohne sich sicher zu sein, ob er dies auch willentlich getan hatte. Vermutlich. Sein oder der Wille eines Fremden spielte ohnehin nicht so die Rolle.
Asche, Sand, Feuer, Glas...
Eine seltsame Fremde, in der er sich befand.
So unbekannt von dem, was er sonst kannte, was er sonst erlebt hatte.

Die Worte in seinem Geist, die nachhallten, als wäre die Unterhaltung schon vergangen. Oder sprach jene Person vor ihm...nur ohne Worte in seinem Geiste? Er dachte nach, er ging sie durch.
Er war empfohlen worden von mindestens zweien? Er ahnte, wer. Wenn er sich denn bedanken könnte, so würde er dies wohl tun. Bei einem von ihnen würde er sich stets immerfort bedanken. So viel verdankte er ihm bereits.
Die Todesfalle... Ihn überkam ein Schaudern. Immer wieder, wenn er daran dachte, wie sehr er in solch eine Falle blindlings hineingetappt war. Mit anfänglichen Zwängen, die mehr und mehr, auch durch die eigene Unfähigkeit ... oder vor allem durch diese ... zu diesem Gespinst geworden war, in welchem er sich verheddert hatte und irgendeine dieser grässlichen Weber des Ganzen irgendwann zuschnappen würden.
Ihm heraushelfen? Wie, fragte er sich.
Der Preis würde hoch sein. War es dies wert? War er es wert?

Es gab Zeiten, in denen Galeno tatsächlich zweifelte. An genau dem. Rausgerissen aus einem sicheren Hafen, hineingeworfen in ein Haifischbecken.... Er hatte zu schwimmen versucht, doch war dennoch hinabgerissen worden.
Ob er es jemals schaffen würde mit zu schwimmen oder zumindest an Land zu kommen, ans rettende Ufer?
Er hatte sich Dinge aufgebaut. Allerdings mundaner Art. Er war damit einigermassen zufrieden und doch...und doch grämte es ihn, dass er damit eigentlich nichts für dich selbst wirklich erreicht hatte. Ein Mittel zum Zweck. Mehr nicht.
Denn gebracht hatte er herzlich wenig bisher.
Seine Forschungen, die er einst geliebt hatte, waren dadurch nur zur Nebensache geworden. Stets raubte ihm anderes die Zeit.
Die Politik liess sich damit auch nicht sonderlich gut auskosten. Zumal es da ohnehin andere gab, die stets ihn übertrumpfen würden. Deren Clan an sich schon die besseren Voraussetzungen hatte.
Er hatte sich Aufgaben gewidmet, die eigentlich für ihn und seine Clanzugehörigkeit ohnehin irgendwann untragbar wurden. Wahrscheinlich schafften nur wenige von ihnen den Sprung in Ränge, wie Senechall oder Prinz. Etwas, was er ohnehin nicht zwingend haben musste. Und sicherlich hatten sie es anders angestellt, als er.

Trotzdem musste er sich eingestehen ... und da kam der Stolz in die Gedanken zurück, dass er alles auf sich genommen hatte, um eben zu sehen, wohin es führen kann. Mutig, Entschlossen hatte er sich unschönen Ereignissen entgegen gestellt. Hatte sich gewandelt und angepackt. Er hatte keinen Müssiggang zugelassen und war vielleicht drauf und dran eine eigene Domäne für sich zu erhalten. Er hatte es schon irgendwie weit geschafft...für einen Kainiten, der Anfangs sein Kellerloch und die Abgeschiedenheit des Klosters kannte...und mehr nicht.
Und auch wenn auf kainitischer Ebene nicht so viel gelaufen war, so hatte er in Genua selbst etwas aufgebaut...etwas, dessen Fehlen bemerkt werden würde, käme es zum sofortigen Erliegen...

Doch würde dies reichen?
Würde ihm dies reichen?

Er verbeugte sich tief inmitten der Asche, des Sandes und der kleinen Glasperlen.
Er war angespannt und doch ruhig. So ruhig, wie ein Angehöriger des Clan des Todes vorm Angesicht des Todes selbst nur sein konnte.

Verschwiegenheit. Wenn er sie wahrlich geschworen hatte, so hatte er sie stets eingehalten.
Und diese Situation mit all den Möglichkeiten, die im Raume standen, seiner Verbundenheit zu einer Person, seine Loyalität gegenüber diesem und der Stadt... all dies liess ihn nicht zweifeln, dass er hier absolute Verschwiegenheit schwören konnte. Und doch...der Gedanke an die Vorstellung, dass andere möglicherweise seinen Geist lesen konnten.... Wie könnte er da dies schwören? Denn je mehr er über ihr Dasein erfuhr, umso unsicherer wurde er, wie sicher man sich noch sein konnte.

Und so blieb ein unsicherer Galeno, knieend, sich beugend, umringt von Asche, Hitze, Sand und Glas gegenüber einer alten Macht zurück. Sicher, dass er verschwiegen sein wollte, unsicher, ob er es sein konnte...oder ob er damit nicht doch wieder tiefer in die Gespinste eintauchen, noch tiefer ins Becken gezogen werden würde...oder auch gleich hier und jetzt vergehen würde...
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Il Canzoniere »

All die Gedanken, in die sich der Kappadozianer verlor, schienen die vor ihm thronende Gestalt nicht zu interessieren. Das einzige was sie sehen konnte war das zögern dieses. Das schweigen nach einer Aufforderung die klarer nicht hätte sein können. Ja oder Nein hatte die Frage gelautet und der Kappadozianer schien sich offenbar für Nein entschieden zu haben.

Statt jedoch zu reagieren oder etwas zu tun herrschte weiter Stille. Offenbar war jene Person nicht der Typ überhastete Entscheidungen zu treffen. Offenbar überließ er es Galeno selbst jenen Schwur zu leisten mit dem er haderte oder den Rückweg anzutreten, den er ja soeben erst in die Gegenrichtung absolviert hatte. Zeit verstirhc wie Sand der durch eine gläserne Uhr zu Boden rieselte und dehnte sich dabei wie die Brechung von Licht im Wasser. Der Raum schien sich zu krümmen wie das gebogene Sternenzelt das die gleichen Sterne zum Beginn des Winters an einer anderen Stelle wiedergab wie zum Beginn des Sommers. Drückende Ruhe wie in einem Schwitzzelt oder einer römischen Therme lag in der Luft. Die Anspannung war unerträglicher als die aufsteigende Hitze über einem Kohleherd.

Zur Entladung jener Szenerie schien die Kreatur nichts beizutragen, die Galeno hierher dirigiert hatte. Sie saß dort und wartete. Regungslos und ohne jede Zeitnot.Als ob sie alle Gedanken um diesen lästigen Faktor abgestriffen hatte, der sie mit soetwas wie einem Sonnenaufgang behelligen würde, wenn er es für richtig empfand.
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Nubis
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Nubis »

Er wollte wissen, was es mit dieser ganzen Sache auf sich hatte und er wollte seine Fürsprecher auch nicht enttäuschen. Besonders den einen nicht.
Innerlich seufzte er lang und ausgdehnt und brachte dann doch Worte über seine Lippen.

"Nach meinen eigenen Willen wird kein Wort über dies Treffen und über zukünftige Inhalte meine Lippen verlassen."
Dies war es, was er wirklich schwören konnte.
"Ich werde zudem meinen Willen und Geist zu stärken suchen, sodass auch unwillentlich nichts nach Aussen treten wird."
Und auch diesen Zusatz konnte er ohne Bedenken äussern, wieder mit fester Stimme. Dies waren Dinge, die er garantieren konnte und sollte er scheitern, wäre dies wohl sein letztes...
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Il Canzoniere »

Offenbar war dies eine Aussage die weder Donner noch Blitz auf den Kappadozianer herunterfahren ließ. Stattdessen ein zustimmendes Schweigen. Weshalb es ein zustimmendes wahr? Weil es Galenos Aussage unterstrich und ihr nicht widersprach. Es lag keine Aufforderung darin und kein Verlangen. Dennoch, so ging es Galeno auf, musste sich so ein Pakt mit dem Teufel anfühlen. Wenn man eine solch gewichtige Entscheidung auf der Natur eines Schweigens abstellte. Was wenn er es falsch interpretierte? Die Flüchtigkeit war so präsent das sie nur dadurch der Entscheidung Substanz gab.

Nun hatte er beinahe einen Eindruck von der Stimme erhaschen können die dort sprach. Fest und bei Bedarf sicher auch laut kam sie daher, rau und hungrig. Mit einem altertümlichen Akzent behaftet, der fremd aber auch vertraut vorkam: "Ihr habt euch ein tieferes Grab geschaufelt als all die anderen Totengräber. Weil ihr eure Zugehörigkeit verloren habt. Die Etrusker haben euch vergessen. Euch nie viel mehr beigebracht als das allernötigste. Und ihre Gesetze wirken nun für euch fern und undurchschaubar. Sie hegen einen Groll gegen euch, da ihr ihren Feinden dient oder gedient habt. Und der Rückweg zu ihnen ist euch versperrt. Sie trauen euch nicht mehr.

Die See ist neu für euch, groß und fremd. Und ihr ahnt noch nicht einmal welche Praxen noch alles aus dem Dunklen auftauchen werden. Abseits von Tophet und Pharmakos.

Und jene der ihr zu dienen versucht? Sie wird euch niemals verzeien wo ihr während der Nächte gestanden habt. Was ihr während der Nächte getan habt. Das wird euch langsam klar.

Und die anderen? Die Pisani sind Söldner, denen seid ihr gleichgültig. Die Mailänder haben jemanden vor Ort der euch stets sabotieren wird. Der einzige Grund warum ihr nicht weglauft, ist der, das man euch lebendig eingemauert hat. Es gibt keinen Ort an den ihr könnt. Sicherlich schafft ihr es noch ein paar Jahre. Zehn. Zwanzig. Vielleicht sogar fünfzig. Aber dann wird irgendetwas passieren und irgendjemand wird mit dem Finger auf euch zeigen und weil sich niemand sonst regt, werdet ihr als Kompromisslösung für irgendein Vergehen hingerichtet bei dem sich andere viel schuldiger gemacht haben als ihr."
eine bedeutungsvolle Pause folgte. Vorgetragen mit einer müden Beharrlichkeit gab er Galeno einen Augenblick der Aufzählung zu folgen.

"Der Gedanke den ihr zu all dem hattet, ist zwar der richtige, aber trotz allem wird er euch nicht mehr retten. Der Widerstand ist zu groß." gab er zumindest vor zu Wissen was Galeno zu diesem Thema selbst alles im Kopf hatte.

"Ich mache euch also folgendes Angebot: ich schirme euch ab, vor jenen die nach eurem Blut gieren. Die Asche und Blut geschworen haben um euch früher oder später zu Fall zu bringen. Vor der Angst das eine falsche Bewegung, ein Unglück oder ein unbeobachteter Moment auf einem Hoftag euch das Leben kostet. Im Gegenzug arbeitet ihr für mich. Erforscht das Ungesehene, sprecht mit dem Ungeborenen, lest die Spuren des Nichtseins und hört die Melodie Gottes in der Schöpfung. Ich benötige einen Späher auf den Pfaden der Toten. Jemanden der keine Angst hat ins Dunkel zu blicken. Der diese Welt dort erkundet wo sie aufhört offensichtlich zu sein. Jemanden der auch weltlich auf eine gewisse Basis zurückgreifen kann. Auf dessen Wort verlass und dessen Taten präzise sind. Man wies mir die Richtung zu eurer Tür, als ich nach ebensolchem fragte.

Das ist mein Angebot. Gebt mir jetzt Bescheid oder nehmt es mit nach Hause und zerbrecht euch den Kopf darüber, mir ist es gleich. Wichtig ist, das ich eine Antwort bekomme."
wieder ein Schweigen. Diesmal von tieferer Natur.
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Nubis
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Re: [1047] Gemini [Galeno, SL]

Beitrag von Nubis »

Ja, er war umgeben von alledem und brauchte gar nicht zu widersprechen. Er wusste es selbst. Und die Anstrengungen, etwas zu schaffen, was ihn davor bewahren würde, hatten bisher nichts grosses für die Nacht freigegeben. Er fischte also quasi im Trüben.
Er könnte Genua etwas schaden, vielleicht für ein bis zwei Jahre, aber nicht so stark, dass sein Wegfallen jemandem leid tun würde.

Und dann kam dies Angebot...

Der Kappadozianer kniete noch immer in dieser Asche und den kleinen Kügelchen aus Glas. Und er stockte leicht, die Gedanken kreisten.
Oder besser sie sagten: Wo war er vor 50 Jahren? Warum erst jetzt?

Er musste ja doch etwas richtig gemacht haben, wenn jemand solch ein Angebot machte, auch wenn er sich sicher war, dass es für diesen wahrscheinlich weniger anstrengend sein würde, als das, was jener von Galeno erwarten würde. Doch...

... warum nicht endlich sich bei jemandem in Abhängigkeit begeben, der das verlangte, nach dem man ohnehin stets gestrebt hatte? Wissen ergründen, Mysterien entdecken, das Reich der Toten umarmen und daraus lesen...

Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber ein erregter Schauer glitt über seinen Rücken.

Egal ob Teufel oder nicht...anders würde er früher oder später verlieren, hier faktisch nur gewinnen. Vorausgesetzt jener hielt sich auch daran.

"Ich habe bisher nie wirklich eine andere Seite gewählt, als jene, der ich stets folgte. Nicht willentlich. Ich habe sogar willentlich Seiten ausgeschlagen, auch wenn sie mir dennoch zugeschrieben werden. Ihr bietet mir etwas an, was ich nicht ausschlagen kann und nicht, weil ich sonst irgendwann den Tod finden werde. Nein, es sind andere, viel tiefer reichende Gründe. Ich bin sogar dankbar, dass ihr mir diese Möglichkeit offeriert und dankbar jenen, die euch zu meiner Tür wiesen."

Er setzte ab, liess noch einen Gedankenzug verstreichen, auch wenn er ihn nicht brauchte.
"Also ja, ich sage dem zu."

Noch einmal eine Pause.
"In wessen Dienst stehe ich dann also fortan?"
Er hatte Vermutungen, Liutprand selbst hatte etwas erwähnt ... jedoch wusste er es nicht genau. Vielleicht bekam er keine Antwort darauf, vielleicht doch. Es war nicht wichtig, aber eine gute Ergänzung...
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