[1052] Dem Zufall unterworfen zu sein beginnt, wer einen Teil seiner selbst außerhalb sucht [Achilla, Gawain]

[Signora Achilla]

Da legte die Signora eine Hand an die hölzerne Wange und ihr gelang sogar ein koketter Augenaufschlag - ganz die Pose eines geschmeichelten und vielleicht sogar errötenden Edelfräuleins. Natürlich errötete an der Maske rein gar nichts und wie echt die Pose tatsächlich war, das war schwer auszumachen. Und doch war es eine hübsche, kleine Geste, wenn auch ein wenig verspielt.

“Und gewiss hat Genua viel zu bieten und ist allemal einen Halt wert”, meinte sie. “Selbst für einen so weltgewandten Herren wie Euch. Ihr habt wohl auch schon einen Empfang durch die Herolde gehabt?”

[Gawain Mercier]

"Tatsächlich empfingen mich die Herrschaften Toma Ianos Navodeanu vor gut einem Jahr und verlieh mir das temporäre Gastrecht", erwiderte der Brujah. "Wie lange ist es her, dass Euch die Herolde der Domäne empfingen?", erkundigte er sich interessiert.

[Signora Achilla]

“Oh! Dann war Euer Willkommen auch gewiss auch…”, die Harpyie klang heiter bei diesen Worten, aber dann suchte sie wohl nach dem richtigen Wort dafür: “...interessant?”
“Ich glaube, mein Empfang liegt vielleicht drei Jahrzehnte zurück. Genuas Stand in der Welt war ein anderer. Ich denke wohl, dass es drei aufregende Jahrzehnte waren. Manchmal glaube ich, dass der Blick der ganzen Welt sich in diesen Jahrzehnten, vielleicht Jahrhunderten, auf diese Länder richtet und das Meeresrund an unseren Ufern.”

Dann aber neigte sie den Kopf und lachte einmal. “Doch das ist wahrscheinlich eitles Geschwätz, eh? Von Eurer Warte aus gesehen ist es vielleicht genau anders gesetzt und Eure Heimat ist genau im Auge des Sturms in der Geschichte der Welt.”

[Gawain Mercier]

"Interessant, durchaus", erwiderte der Brujah mit einem leichten Schmunzeln.

"So ist es wohl", pflichtete Gawain ihr bei. "Das Auge des Sturms ist immer im eigenen Ozean. Doch ob es eitel ist, sich in erster Linie um sein direktes Umfeld zu kümmern? Ich denke, es ist eine natürliche Sache und damit eigentlich grundsätzlich vernünftig. Ich würde sagen, beide Meere, sowohl das an diesen Küsten als auch das an den Küsten meiner Heimat, haben schon viel gesehen. Viele Gezeiten, viele Schiffe, viel Blut. Man mag sich fragen, wieso das Meer sich nicht längst rot gefärbt hat", sinnierte er.

[Signora Achilla]

“Ah, das ist einfach”, meinte die Signora da. Es klang heiter und damit in einem krassen Gegensatz zu den Worten, die sie dann sagte: “Sie ist gierig und durstig, diese Welt. Mehr noch als wir, so glaube ich wohl - denn wir sind am Ende auch nur Kreaturen in ihr. Nein, diese Welt nimmt all dies, das Blut, die Leben, die Zeit selbst und trinkt sich daran satt, damit sie neues gebären kann so wie Echidna aus den alten Geschichten in jeder finsteren Nacht.”
Sie spreizte ein wenig die Finger und machte eine Geste fast wie eine Geschichtenerzählerin, die all die Monster und Schrecken aus ihrer Geschichte zeigen will.
“Und dann? Dann wäscht sie die Reste fort, mit der Zeit und den Gezeiten, dass alles wieder aussieht wie neu - bis zum nächsten Gang und Gelage.”

Damit senkte sie die Hände und auch kurz ihren Blick. “Doch die Art und Weise, die immer eigenen Stimmen, Farben und Seelen… ich glaube, das ist, was jeden Einzelnen dieser Gänge es wert macht, sie zu sehen.” Das klang ein wenig milder, vielleicht sogar tröstend. Und dann? Dann wischte sie all das mit einem kleinen Lachen beiseite.

“Ich will keinen noblen Herren wie Euch mit solcherlei zum Schaudern bringen. Manches Mal gehen die Geschichten mit mir durch. Ich hör’ sie gern und erzähle sie auch, von Zeit zu Zeit.”

[Gawain Mercier]

Der Brujah lauschte mit höflichem Interesse: Es gab keinerlei Anzeichen dafür, wie viel oder wie wenig er von ihrem Vortrag verstanden hatte. Anschließend schenkte er ihr ein knappes, einstudiertes Lächeln. "Nobel? Was heißt das schon. Kleidung, Habitus, Ausdrucksweise... was unter Sterblichen klare Grenzen setzt, klar zuteilt zur Schicht, zum Umgang und zur Geburt, verliert unter solchen wie uns doch völlig seinen Wert. Ob ich hier in Hermelinpelz oder in Sack und Asche stehe. Es ist doch nicht mehr als der Schatten eines Echos aus der Vergangenheit, was wir zur Schau tragen. An mir ist sicher nichts nobel", erwiderte der Brujah seltsam abgeklärt.

"Ganz im Gegenteil", schloss er mit einem nachdenklichen Tonfall ab.

"Ich hörte, ein Clansbruder von mir, Salvador, sei verbannt worden. Aber nicht wirklich verbannt, sondern irgendwie versetzt. Könnt Ihr mir mehr dazu sagen?", erkundigte er sich höflich.

[Signora Achilla]

Oh, die Signora hörte diese Worte über Noblesse, über Arm und Reich und die Grenzen zwischen diesen Dingen in der Welt des Tages und der Nacht. Wenn ihre Maske und ihre Haltung hier auch sehr wenig verrieten, konnte Gawain doch ahnen, dass diese Dinge und seine Worte Bedeutung hatten - vielleicht nicht verwunderlich für eine Harpyie der Domäne.

Zu seiner Frage nickte sie langsam, denn hier ging es nun um ernstere Belange. “Ich kann Euch sagen, was sich um ihn her auf dem letzten Hoftag, welcher zugleich auch eine Iustitia war, zutrug”, sagte sie. “Fast alle in der Nacht in Genua haben dies bezeugt und Ihr werdet sicher von dieser oder jenem etwas darüber hören können, gesprochen mit einem anderen Blickwinkel als dem meinen. Doch ich will mich bemühen, nicht zuletzt um meines Amtes Willen, um eine Grundlage.”

Hier ließ sie eine kleine Pause und meinte dann: “...natürlich gibt es immer noch mehr und dahinter noch mehr, Verwicklungen und Facetten. Doch da würdet Ihr langsam in die Bereiche eintreten, mit welchen meine Familie im Blut ihre Geschäfte macht, eh? Immer eine gute Möglichkeit, gewiss.” Hier zwinkerte sie ihm einmal zu, ein verrottendes, an einer Stelle eingerissenes Augenlid über einem milchig-toten Auge.
“Doch zunächst dies, was sich zutrug.”
“Euer werter Clansbruder war nie als ein fester Teil dieser Domäne anerkannt, nicht als Gast willkommen geheißen worden. Er hatte das Recht zum Aufenthalt und hätte gewiss die Gelegenheit nutzen können, sich zu beweisen.”

“Sehr kurz gesprochen wurde ihm letztlich auf der Justitia ein Bruch der Stille vorgeworfen und er erhielt ein Urteil. Er wurde gesteinigt und er dient nun als Hilfs-Liktor unter dem Anführer der Liktoren, dem werten Liutprand. Doch seinen Dienst soll er außerhalb der Stadt tun, auf See und zur Sicherung der Fahrten von und nach Sardinien.”

“Letztlich ist der Fall um Salvador vielschichtiger gewesen, eine Sache in welcher mehrere Neugeborene verwickelt waren, darunter der werte Benjamin und der werte Arash, die Geißel, ebenso wie Alain, der im Zuge jener Iustitia gesteinigt und nicht wieder erhoben wurde. Es mag gut sein, dass die höchst verehrte principessa bianca seine Existenz endgültig beendet hat.”

Sie neigte den Kopf ein wenig. Trauer? Melancholie? Achtung oder Furcht vor der Härte der gesprochenen Urteile?
Sie löste die düstere Stimmung dieser Worte mit einer neutraleren Stimme auf als sie dann sagte: “Der werte Salvador und die geehrte Charda sind die einzigen Vertreter Eures Clans, welche in den letzten Jahren in Genua von sich reden machten. Seid Ihr mit dem ...Hilfs-Liktor verbandelt, dass Ihr Euch für sein Schicksal hier interessiert?”

[Gawain Mercier]

Gawain nickte und schenkte der Nosferatu ein kurzes Lächeln. "Seid bedankt für Eure Auskünfte. Ich habe tatsächlich nicht mehr mit dem besagten Salvadaor zu tun als dass wir das selbe Blut teilen. Nur erwähnten die Herrschaften Toma Ianos Navodeanu die anderen beiden Mitglieder meines Clans bei meiner Vorstellung. Und es kommt ja leider nicht selten vor, dass ein einzelnes Mitglied einen ganzen Clan in Verruf bringt, gerade wenn es an einem Ort nur wenige Mitglieder des Clans gibt. Deshalb war ich einfach neugierig.", erklärte er bereitwillig.

"Hattet Ihr viel mit ihm zu tun, wenn ich fragen darf?"

[Signora Achilla]

“Tch, gar nicht”, meinte die Signora da. Als sie dazu mit den Schultern zuckte, knirschte es leise, ein wenig wie brüchiges Leder.
“Er war keiner, der mit den meinen oder mir Geschäfte gemacht hätte, jedenfalls nicht in Genua. Und sonst… da hat’s für ein kurzes Aufeinandertreffen bei einer Einladung der anderen Harpyie Genuas, der werten Iulia Cornelia, gereicht.”

Sie schüttelte den Kopf. “‘s ist auch schwer mit dem Verruf. Es war eine verworrene Angelegenheit, so wie sie vor die Iustitia gebracht wurde. Am Ende hat der Richtspruch eine Klarheit gebracht und eine Sache beendet, die sonst Jahre und Jahrzehnte mitgeschleppt worden wäre. Und es war der Richtspruch für ihn, nicht für Euch.”

“Es ist ein wenig ein Fluch und ein Segen zugleich, wenn der eigene Clan kaum in einer Domäne vertreten ist, so würd’ ich denken. Wird deswegen gleich Euer ganzes Blut an Euch gemessen? Fallen darum alle in Ungnade, die nach Euch kommen, wenn Ihr fehl ginget? Wären alle von Euren Siegen begünstigt, wenn Ihr sie errungen habt?” Sie schüttelte den Kopf.
“Wenn Ihr nicht seine Sache zur Euren macht, dann bleibt Euch die Freiheit für Eure eigenen Taten. Und falls Ihr Euch nach dem eigenen Blut sehnt: Die verehrte Charda hat die ersten Schritte zu einer Blutjagd beginnen lassen. Eine solche Sache ist nichts, vor der sich irgend jemand scheuen sollte und vielleicht wäre es eine Gelegenheit für Euch, um deutlich zu machen, dass Euer Blut nicht ewig im Echo der Verfehlungen eines einzelnen Neugeborenen gefangen ist.”

[Gawain Mercier]

"Ja, von der verehrten Charda hörte ich bereits. Was hat es mit dieser Blutjagd auf sich?", fragte der Brujah. Er bewegte sich im Gegensatz zur Nosferatu recht wenig. Nur hier und da hörte man das leise Rascheln der kühlen, seidenen Gewänder.