[1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

[Juni '21]
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Livio di Ventimiglia
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[1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Livio di Ventimiglia »

Das Kuvert, das dem geneigten Empfänger zugestellt wurde, präsentierte sich in makelloser Qualität. Die gleichförmige Beschaffenheit des Pergamentes ließ auf ein neugeborenes Lamm als Spender des Materials verweisen, welches fein säuberlich und bündig eingerollt und versiegelt wurde. Ein karmesinrotes, ungebrochenes Siegel, mit dem Familienwappen der di Ventimiglia versehen, bezeugte die Echtheit des dargebrachten Dokumentes, das in seiner Gänze die Ästhetik eines Kunstwerkes besaß. Als das Siegel dem Versuch des Öffnens schließlich nachgab und sich das Pergament nur zu bereitwillig entrollte, zeigte sich ein Brief, geschrieben in feinster, fast schon kalligraphierter Handschrift, die keinen Zweifel daran ließ, dass der Verfasser ein durchaus geübter Anwender des geschriebenen Wortes war. Jeder Buchstabe schien minutiös abgefasst und um seiner Wirkung platziert. Jedes Wort durchdacht und wohlgewählt. Keines zu viel, keines zu wenig. Hoffnung war es, die zwischen den Lettern des Briefes herauszulesen war und sich dem Leser ganz unumwunden zeigte.
Ihre Gnaden Aurore,
Ahnin des Clans der Könige,
Prinz und Gebieterin über Genua,

ich richte meine Worte demütig an euch, nun, da die Verlockungen Genuas über die See bis nach Sizilien getragen wurden. Euer Ruf und der eurer prosperierenden Domäne eilt weit voraus und lässt den geneigten Zuhörer voller Verheißung aufmerken.
Es wäre mir eine allergrößte Freude und Ehre gleichsam, eure vielgerühmte Stadt bereisen zu dürfen, um meine Geschäftsfelder – freilich auch zum Wohle eurer Stadt und Domäne – auszuweiten.

Ich verbleibe demütigst in der Hoffnung auf eine baldige Antwort eurerseits.

Livio di Ventimiglia,
Neugeborener des Clans des Todes,
Kind der Jorid
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Nubis
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Nubis »

Ein Bote brachte alsbald ein Schreiben zurück. Dieses war kein feines Pergament, sondern Papier, welches eine leinenartige Oberfläche aufwies. Es war gerollt und versiegelt, aber ohne Motiv.
In schöner Schrift, sichtlich gemalt, stand geschrieben:
Werter Livio di Ventimiglia,

Euer Ansinnen wird einer der Herolde Genuas prüfen und vor Ort nach einem ausgiebigen Gespräch entscheiden.
Findet euch in zwei Monaten zum vollen Monde im A Tarda Ora ein. Sollte euch der Weg nicht bekannt sein, so wird ein Bote beim Hafen aufs Meer hinaus starrend, auf euch warten und euch dann führen.

Hochachtungsvoll
Galeno Fiore
Herold Genuas
Das zu lernen, was Gott uns durch die Not lehren will, ist wichtiger, als aus ihr herauszukommen.
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Livio di Ventimiglia
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Livio di Ventimiglia »

Zwei Monate später mochte der geneigte Spaziergänger, den es des Nachts, zweifellos aus unlauteren Gründen heraus, ins Hafenviertel Genuas führte, vor dem Vollmond die Silhouette eines einmastigen Schiffes ausmachen. Das Schiff, ein einmastiges Handelsschiff nach Bauart eines Nefs, fuhr in aller Seelenruhe in den Hafen Genuas ein, als stünde im die Ewigkeit zu Gebote; was auch, wenn auch nicht für das Schiff selbst, dann jedoch zumindest für einen der Männer an Deck, durchaus zutreffen konnte. Livio stand an der Heckseite des Schiffes auf dem Steuerpodest, die Arme recht leger an die Reling gelehnt, ein wenig über eben jene gebeugt, und betrachtete die Umrisse einer Stadt, die alsbald vielleicht seine neue Heimat werden sollte.
Heimat... Er sann nur kurz über diesen Begriff nach und zog die Augenbrauen hoch. Ein Abstraktum welches für ihn schon lange an Bedeutung verloren hatte. Ja, er mochte einmal eine Heimat gehabt haben. Eine Heimat im ideellen Sinne. Eine Heimat im Herzen. Eine Familie. Doch dies lag bereits weit mehr als ein Jahrzehnt zurück. Denn sie hatte ihm alles genommen. Alles hatte sich in jener Nacht verändert als, ihrem unseligen Schoß entsprungen, seine Halbgeschwister das Licht der Welt erblickten.

Er schloss die Augen. Nur für einen kurzen Augenblick rief er sich Augenblicke, Gedanken, Impressionen längst vergangener Zeiten in Erinnerung und befeuerte mit diesen seine Ambitionen. Alle Ereignisse mündeten in dieser Nacht; führten ihm zu dem, was nun recht unmittelbar vor ihm liegen mochte. Ein dumpfes Ächzen riss ihn unsanft aus seinen Gedanken, als das knarrende Holz der Schiffsbohlen, dem Zug des ankernden Seils nachgeben mussten. Das Schiff ruhte nun, doch die Besatzung an Deck des Einmasters erwachte jäh zum Leben. Befehlsgewohnte Stimmen schallten über das Oberdeck des Schiffes. Die letzten Segelflächen wurden gerade gerefft; das Steuerrad ausgerichtet, als die ersten Planken zum Anlanden über den Kai gehoben und dort scheppernd fixiert wurden. Livio betrat zuerst den Kai des Hafens, nach ihm folgten zwei dienstbeflissene Seemänner, die eisenbeschlagene Kisten mit seiner Habe trugen.

Aufmerksamen Blickes sondierte er seine Umgebung. Unterläge er noch der Notwendigkeit des Atmens, hätte er jetzt wohl ostentativ einen tiefen Atemzug genommen und sich mit verengten Augen umgesehen. Da war er nun. Genua. Alles was zurücklag hatte ihn hierher geführt. Wenn alles nach Plan verlief, würde sich hier alles fügen. Es musste sich fügen. Nur kurz ballte er die Hände zu Fäusten; dann fiel die Anspannung jäh von ihm ab und er setzte ein freundliches, offenherziges Lächeln auf.
Er wurde schließlich erwartet, so hieß es.
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Nubis
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Nubis »

Das rege Treiben des Hafen schien eine Person nicht zu kümmern. Sie stand mit den Augen zum Wasser gerichtet. Robust in seiner Form, gross gewachsen, breit, verhüllt in dunkle Leinen und mit einer Gugel ins Gesicht gezogen. Niemand sonst war in seiner Nähe, niemand sonst getraute sich wohl näher.

Nun, da ein weiteres Schiff eingetroffen war und die Ladung gelöscht wurde, wohl das letzte Mal für heute Abend, wandt er sich um, um für einen Moment die neuen Gäste und Händler Genuas zu betrachten. Langsam glitt der Blick über sie, als suche er vielleicht jemanden, oder als könne er von dort aus jemandem gewahr werden, den er vielleicht kannte.
Dann lag aber alsbald wieder der Blick auf dem Horizont, der sich dunkel zwischen Himmel und See entlang zog. Sterne funkelten über ihm, einige Wolken verdeckten hin und wieder die Sicht. Wellen platschten unter ihm an die Hafenmauern und das Holz der Stege. Wahrscheinlich würde eben jener lange hier verharren können, sehr lange.
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Livio di Ventimiglia
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Livio di Ventimiglia »

Livio verblieb noch einen Augenblick an der Hafenmauer und betrachtete das bunte nächtliche Treiben um sich herum aus einer schier regungslosen Position heraus.
Das Schiff mit dem er ankam mochte wohl das letzte Schiff gewesen sein, dessen Ladung gelöscht wurde und nun, ganz allmählich, wanderte die Geschäftigkeit von der Hafenbauer und den Anlegeplätzen weiter ins Innere des Hafenviertels, zu den Kontoren und Lagerhäusern. Seine Augen huschten über die Reihen ausladender, nun frequentiert betretener Hafengebäude und das Lächeln auf den Lippen intensivierte sich um einen Deut. Dies war die Art summender, vibrierender Betriebsamkeit wie man sie wohl nur an einem Hafen vorfindet. Es war ein Ort des Kommens und Gehens. Ein Ort des Umbruchs. Ein Ort, an dem an einem guten Tag unzählige Schiffe mit hölzernen Kisten voll exotischer Gewürze, seltenster Tücher und kostbarsten Geschmeides anlandeten und Menschen aus aller Herren Länder ihr Stelldichein gaben. Und hier, für diesen kurzen Augenblick der wohl nur wenige Sekunden währte, spürte er ein Stück weit vertraute Heimat.

Dann fiel sie ihm in den Blick. Die Gestalt um die jene beflissene Umtriebigkeit wie von selbst einen Bogen machte.
Es war ganz so, als ob ihre bloße Präsenz einen mehrere Meter großen Radius einnahm und einforderte und keiner der Hafenarbeiter auch nur im Entferntesten auf die Idee kam, sich ihr zu nähern. Schier regungslos verharrte sie dort und hätte wohl genauso gut eine marmorne Statue darstellen können.
Livio hatte keinen Zweifel. Bei der Gestalt musste es sich ohne Frage um den Boten handeln, der auf ihn warten sollte.
So setzte er sich in Bewegung. Schritt um Schritt näherte er sich der verhüllten Gestalt. Er lief parallel zur Hafenmauer, damit die Gestalt ihn bereits aus dem Augenwinkel erspähen konnte. Alles andere hätte er als unverzeihlich unhöflich erachtet. Er wusste nicht, wer... oder vielmehr was der angekündigte Bote war. Und einem potenziellen Raubtier näherte man sich nicht von hinten.
Einige Meter vor der Gestalt hielt er an. Hinter sich nach wie vor die Seemänner, die zwei schwere, eisenbeschlagene Kisten trugen.
"Seid mir gegrüßt. Mich deucht, ihr erwartet jemanden?", begann er in einem äußerst förmlichen aber sonor erklingenden Italinisch.
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Nubis
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Nubis »

Eben jene Gestalt wartete ab und als der Fremde Besucher sich ihm gänzlich genähert und angesprochen hatte, löste sich dieser aus seiner Haltung. Vor Livio stand ein kräftig gebauter Mann mit rosigen Wangen. Er zählte vermutlich schon um die 40 Lenze, vielleicht auch weniger, vielleicht mehr. Er hatte den Körperbau eines Schlägers oder vielleicht auch eines stämmigen Mönches und alleine die Statur konnte einschüchternd wirken. Nicht aber sein Gesicht. Denn ein Lächeln, welches die Augen erreichte, grüsste nun den Fremden. Und er senkte auch das Haupt dazu, zumindest soweit es die Maskerade zu liess.

"In der Tat, werter Herr."

Er blickte zum Schiff, um wohl sicher zu gehen, dass nicht noch jemand hier zu ihm treten würde und legte dann wieder die volle Aufmerksamkeit auf eben jenen Herrn vor sich.
Das Italienisch des dunkel Gekleideten schien nicht ganz aus dieser Gegend zu stammen, sondern eher aus einem anderen Teil Italiens, südöstlicher vielleicht. Ein leichter Akzent war heraus zu hören und doch flossen Worte und Betonungen dieser Breiten mit hinein. Er schien schon länger hier zu leben, auch wenn sein Ursprung einst ein anderer sein musste.

"Und ihr? Treibt euch die Neugier zu mir, oder ein spezielles Anliegen?"

Die Vorsicht sprach aus den Worten, offensichtlich nicht jeden sogleich in vollem Umfang begrüssen wollend, nicht jedem eine Führung gewährend...
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Livio di Ventimiglia
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Livio di Ventimiglia »

„Nun…“, setzte er zu einer höflichen Erwiderung an, ehe er sein Gegenüber noch einmal musterte.
„Das ist ein fürwahr interessanter Zufall.“, ein Lächeln hob die Mundwinkel des jungen Mannes. Dem Aussehen nach vielleicht irgendwo zwischen 20 und 30 Lenze verhaftet, verwies seine gut sitzende, dunkel gefärbte Kleidung auf einen gut situierten Hintergrund. Vielleicht niederer Adel oder ein zu Wohlstand gekommener Händler.

Nun ging er noch einen weiteren Schritt nach vorne und positionierte sich neben dem Mann. Dann wandte er den Blick kurz ab und blickte in die Ferne, auf die See gen Horizont.
„Wisst ihr, ich selbst habe eine weite Reise hinter mir. Ich komme aus Palermo und, nun ja, wie es der Zufall so will, hieß es, dass man mich exakt heute hier erwarten würde. Und…“, er unterbrach sich kurz, vollführte eine ostentative, deutende Geste um die beiden herum. „Es scheint mir, als würde hier sonst niemand mehr irgendwen erwarten.“
Das vormals etwas förmliche Lächeln intensivierte sich und wurde etwas herzlicher.
„Insofern; nun ja. Vielleicht bin ich eben jener, den Ihr erwartetet.“

Er neigte den Kopf nun deutlich; weitaus tiefer als ein Nicken, aber nicht ganz so weit, um es als Verbeugung zu deuten.
„Mein Name ist Livio di Ventimiglia; es ist mir eine Freude, eure Bekanntschaft zu machen.“
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Nubis
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Nubis »

Der Mann lächelte mit einem tiefen Nicken und meinte zu dem jungen, durchaus reicher gekleideten Gast:
"Luciano. Verzeiht, dass ich euch nicht angemessener begrüssen kann, doch zu viele Augen sind auf uns gerichtet. Bitte folgt mir, mein Herr wartet schon."

Und so deutete der Diener zur Strasse hin, die aus dem Hafenviertel führte und sie irgendwann nach Broglio bringen würde.

"Ich hoffe, ihr trag keine Waffen bei euch?" fragte der Diener unterwegs, während er mit einer Laterne nun den fremden Händler oder Edelmann dort hin geleitete, wo sie hin wollten. "Wenn doch, so solltet ihr dies den Wachen mitteilen, sodass diese entsprechend die Waffe für die Zeit in Verwahrung halten wird."

So gelangten sie schlussendlich nach Broglio, einem Stadtviertel, welches eher einem Dorf glich..mit den Hühnern und den einfachen Häusern, die hier zum Bild gehörten
Das A Tarda Ora war hier durchaus eines der bedeutenderen Bauwerken, vielleicht aber auch deswegen, da es in den vorigen Jahren immer wieder aus- oder umgebaut worden war.

Vor diesem Gebäude standen zwei Wachen bei einer Feuerschale und grüssten Luciano, der wohl bekannt war.
Der Fremde wurde allerdings kritisch betrachtet und natürlich nach Waffen gefragt. Sein Begleiter wartete so lange geduldig.
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Livio di Ventimiglia
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Livio di Ventimiglia »

„Eure Begrüßung ist der Situation entsprechend absolut angemessen, Luciano.“, sagte Livio mit einem versöhnlichen Lächeln auf den Lippen.
„Ihr habt gut daran getan, dieses Treffen so diskret wie nur irgend möglich zu arrangieren.“

Livio folgte Luciano mit gemessenen Schritten. Die Frage, ob er Waffen bei sich trug, verneinte er höflich und es schien die Wahrheit. Die Wahl einer potenziellen Waffe fiel in seinem Leben nur selten auf eine weltliche Hieb- oder Stichwaffe; was nicht hieß, dass er sich im Ernstfall nicht verteidigen konnte. Er bevorzugte nur die Schlacht auf dem gesellschaftlichen Parkett. Die Einsätze waren zwar auch schmerzlich aber zumeist nicht so endgültig.

Während sie also das Hafenviertel verließen und ländlichere Gefilde betraten, sah sich Livio aufmerksam um und versuchte sich alles gut einzuprägen. Vor dem A Tarda Ora angekommen verneinte er erneut die Frage, ob er Waffen mit sich führte und wartete geduldig auf Einlass.
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Nubis
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Re: [1053] Das Präludium [Livio, Galeno]

Beitrag von Nubis »

Und so ging es, nach noch einmal einem sehr kritischen Blick der Wache, hinein ins A Tarda Ora. Auch drinnen gab es Wachen, ordentlich positioniert an wichtigen Stellen, wie dem Eingang oder einer Tür, hinter der wohl ein etwas wichtigerer Saal liegen mochte.
Die Halle, in der sie standen, zog sich in den zweiten Stock hinauf, dessen Galerie durch ein Geländer begrenzt wurde. Treppen führten von hier hinauf. Die pompöse Halle war zudem von hellen Fliesen geschmückt und wies ein Fresko auf, welches ein wallendes Meer zeigte.

Unbeeindruckt von alle dem ging Luciano die Treppe hinauf und wartete dort auf den Herrn, sodass er ihm folgen möge. Er liess ihm aber auch Zeit, sollte er sich umsehen wollen. Einen Kainiten hetzte man schliesslich nicht. Auch wenn der eigene Herr bereits wartete.
Dort führte er ihn schliesslich zu einem Zimmer, in dem nicht sonderlich viel an Einrichtung vorhanden war. Ein Tisch, Stühle, eine Lampe, die brannte.

Neben dem Tisch, zur Tür gewandt, stand ein weiterer Herr, welcher Luciano zunickte, als dieser den Gast in seinem dunklen Bariton ankündigte.
"Der Herr Livio di Ventimiglia ist soeben angereist."

"Hab Dank, Luciano."
Das Nicken war Zeichen, dass der Diener gehen konnte. Und er folgte prompt, trat bei Seite und liess nun die beiden Kainiten alleine. Würde aber sicherlich nicht all zu weit weg Position beziehen.

Der Herr Lucianos war das glatte Gegenteil von ihm. Er war hager, wirkte, als würde der Hunger an ihm nagen. Dennoch hatte er an Würde nicht verloren, stand kerzengerade da, die Hände hinter dem Rücken, den Blick wach nach vorn gerichtet.
Sein Gesicht zierte ein gepflegter Bart und melierte Haare fielen leicht nach hinten gekämmt hinters Ohr. Einige Fältchen und sein generelles Erscheinen liessen einen Menschen sicherlich vermuten, dass er schon einige Jahre gelebt und somit einiges an Erfahrung gesammelt hatte. Vielleicht ein Lehrmeister? Oder ein Gelehrter?
Auch seine Kleidung war edel, wenn auch nicht protzig. Feine Stickereien an den Säumen setzten sich vom dunklen, feinmaschigen Leinenstoff ab.
Ein gut gearbeiteter Gürtel hielt ein kleines Säckchen und die Scheide eines Messers, nur ohne Messer darin.

Die Worte an seinen Diener mochten jedoch Livio etwas überraschen, denn wenn man bei eben jener Gestalt an eine vielleicht tiefe, möglicherweise sogar raue Stimme dachte, so war diese hell und klar, wie die eines Sängers. Als hätte der Stimmbruch nicht wirklich eingesetzt.
Zudem klangen sie melodisch fein, richtig wohlig wurde einem bei ihrem Klang.

Und so willkommen konnte sich auch sein Gast fühlen, denn in eben solchem Singsang grüsste er auch ihn, nachdem er ihm zugenickt hatte.

"Seid gegrüsst, werter Livio di Ventimiglia, Neugeborener des Clans des Todes, Kind der Jorid ich bin Galeno Fiore, Herold der Domäne Genua, Neugeborener des Clan des Todes, Kind vom verehrten Bruder Martinus, Prior der Einsiedelei Camaldoli, Kind vom sehr verehrten Hephaistos, Ahn unseres Blutes und Senechall zu Florenz."

Er lächelte und bot ihm, mit dem Wink seiner Hand in Richtung des Tisches, einen Sitzplatz dar.

"Ich hoffe, eure Reise vom Süden bis hier her war nicht zu umständlich verlaufen und mein Diener hat euch wohl empfangen und hier her geleitet."

In seiner Mimik war das Entgegenkommen zu erkennen, dass ein Gastgeber einem fremden Gast typischerweise zukommen liess. Keineswegs überzogen oder unehrlich wirkend und doch auch mit einer gewissen Vorsicht, die ihn auf Abstand hielt.
Das zu lernen, was Gott uns durch die Not lehren will, ist wichtiger, als aus ihr herauszukommen.
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