[1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada]

[Giada Salvaza Rossi]

“Was für ein kühner Gedanke”, meinte Giada bedächtig. “Demnach wären wir selbst es, die uns mit unseren Taten besudeln, wo wir doch rein und frei davon sein könnten, auf einem Weg zu Gott.”
Sie senkte den Blick für einen Moment und schien noch weiter darüber nachzudenken.

“Doch Ihr sprecht nun ...kynisch davon.” Das Wort klang noch fremd aus ihrem Mund, sie übte seinen Gebrauch und Sinn erst. “...weil Ihr daran nicht mehr glaubt? Weil Ihr es zu vielfach um Euch her widerlegt seht?”

[Angelique]

"Eher weil ich meinen eigenen Ansprüchen nicht genüge.

Aber auch, weil ich sehe, wie Ihr auch sagt, dass das Potenzial rein und gut zu werden, von den meisten von uns gegen billige Macht und kurzsichtigen Vorteil im Dienste des Demiurgen getauscht wird.
Es ist frustrierend, Dummheit und Selbstsucht, anstelle von Sophia und Concordia herrschen zu sehen.

Wie viel weiter wären wir bereits, würden wir zusammenwirken? Wie viel weiter wären die Menschen bereits, wenn wir ihnen als hilfreiche Engel zur Seite stünden und nicht als gierige Teufel?

Meine Verachtung für die Machtspiele der Kinder Kains ist grenzenlos geworden, mein Selbsthass, nichts daran ändern zu können, noch größer.

Ich bin ewig das hilflose Kind, als das ich in die Nacht geholt wurde. Aber mit dieser Erkenntnis bin ich den Puppen an den Fäden der Puppenspieler weit voraus."

[Giada Salvaza Rossi]

“Und vielleicht sind eben das Eure Fäden, an denen Ihr geht.” Giada wendete den Blick von Angelique ab und dem Garten zu.
“Diogenes war wohl nicht zufrieden mit der Welt oder seinem Los in der Welt. Sonst hätte er nicht so bissig gesprochen wie er es wohl tat? Doch ist Eure einzige Wahl wahrhaftig, in einem Fass zu hausen und andere zu mahnen?”
Sie sah Angelique gestreng an, was unweigerlich ein wenig nach dem gestrengen Blick einer Mutter aussah bis ihr auch das selbst auffiel und sie eilig wieder fort sah. Sie setzte neu an: “Wäret Ihr stattdessen… oder sogar auch mit alledem bereit, zu lehren? In viel zu vielen Gesprächen wird mir viel zu offenbar wie wenig ich selbst weiß und doch wissen sollte.”

[Angelique]

Angelique lachte hell. "Ach, wie wahr Ihr doch sprecht, ohne es zu wissen! Von Anfang an tanzte ich an den Fäden meiner Ahnen. Und wie Diogenes zu Alexander sagte, so sage auch ich den Puppenspielern, sie sollen mir aus dem Licht gehen!

Bissig sein und zu mahnen ist es, was Diogenes Spaß machte. Nicht umsonst lief er einst masturbierend über die Agora. Man kann Satire betreiben und trotzdem dabei selbst Spaß haben. Das zeichnet den Idiotes aus, den Kosmopolit, die Privatperson."

Sanft schaute sie dann aber zu der Magistra auf. "Sicher bin ich bereit und begierig zu lehren. Das zeichnet ja den guten Lehrer aus, wenn er nicht politisch eingefärbt die Weisheit vermitteln will und sie verdreht, sondern der Wahrheit nahekommen möchte.
Ihr könntet Euch also keine geeignetere Lehrerin suchen. Ich wünsche Wissen zu vermitteln ganz gleich, wer danach fragt."

[Giada Salvaza Rossi]

“Ich wäre dankbar für solche Lehre”, erwiderte Giada schlicht. “Wie kann dies zwischen uns am Besten vonstatten gehen? Und ich will auch offen fragen: Was erwartet Ihr im Gegenzug für solche Lehre?”

[Angelique]

"Nun, man könnte sich hier im Elysium treffen zu Symposien oder ich kann auch zu euch kommen", schlug die Kleine vor.

"Nun, was die Bezahlung angeht, mag ich keine Gefallen oder Gunst, die ohnehin niemand je einhalten würde. Neue Bücher dagegen würden mir gefallen. Zahlt mich in Büchern oder Schriften. Ihr könnt Sie ruhig vorher auch lesen, das würde ich mir sogar wünschen, wenn es welche in einer Sprache sind, die Ihr beherrscht. Ich dagegen kann viele Sprachen und freue mich über Werke, die andere als komplett nutzlos erachten."

[Giada Salvaza Rossi]

“Hier ist es recht und ebenso will ich Euch auch gern einladen und willkommen heißen. Dies kann gut gehen”, pflichtete Giada bei. Doch Angeliques Worte zu Gunst und Gefallen ließen sie wohl stutzen. Sie nickte dennoch, wenn auch langsam, dazu.
“Ich will gern nach solchen Schriften Ausschau halten und bin oft selbst auf der Suche. Mir hat es die mathēmatikē téchnē seit ich einmal einem Herren vom Clan der Rose darüber sprechen hörte, doch meine Kenntnis der Sprache der alten Griechen reicht nicht aus und diese Lehren scheinen weit verstreut. Doch es scheint artverwandte Wissenschaften zu geben, welche die Juden kennen und auch die Mauren wohl.”

“Auf eine Weise ist Eure Bitte ein solcher Gefallen, welchen ich sogleich zu erfüllen versuchen kann. Das ist wohl eine Weise, wie sich solche Handel am besten zwischen unsereins machen lassen, wenn wir einander noch nicht allzu gut kennen. Doch ein Wort sollte stets gelten und nicht so einfach vergessen sein können wie Ihr es in Bitterkeit sagt. Ein Eid sollte standhalten und wo ein solcher gebrochen wird, da klafft eine eiternde Wunde, deren Schmutz und Gestank das Ansehen besudelt und einem jeden umher eine Warnung ist. Und einem Eidbrecher, soviel ist wohl allzu verständlich, mag man beim Wort allein nicht mehr trauen. Doch dies macht nicht einen jeden von uns dazu. Im Gegenteil ist oft die Festigkeit des eigenen Wortes das Einzige, was so mancher von uns durch die Jahrhunderte mitnehmen kann.”

[Angelique]

"Gutm so soll es sein", bestästigte das kleine Mädchen, "aber bedenkt dabei, dass Bücher sehr teuer sind. Ich will Euch schließlich nicht übervorteilen."

Sie überlegte. "So Ihr Sprachen zu lernen wünscht, könnte ich Euch auch das Griechische, Arabische und Hebräische lehren. Die Bibliotheken der Oströmer und Sarazenen beherbergen manche Schätze des Wissens der Altvorderen. Aber beherrscht man ihre Sprachen nicht, bleibt es einem so verschlossen wie einem Müllersmädchen das Latein der Itala-Bibel."

[Giada Salvaza Rossi]

“Bücher sind teuer, weil Wissen kostbar ist. Und darum ist dieser Tausch gerecht, denn wir geben beides hinein. Ich werde sehen müssen, was ich finden kann - und dann werde ich wohl erfahren, was davon Euch wert ist. Gewiss habt Ihr schon einiges gefunden und für Euch gesammelt?”
Sie machte eine Geste zu den Schriftrollen hin, die Angelique vor dem Gespräch noch studiert hatte.

“Die Sprachen sind wohl ein Schlüssel zum Wissen, doch ich muss auf Euren Rat vertrauen, wo gut zu beginnen ist. Die ...Mathematik nannte ich, weil die Rede darüber mich faszinierte, doch ich schließe daraus auch, dass ich von vielem anderen noch nicht einmal hörte.” Giada schien nicht eben zu gefallen, das so offen zu legen, doch sie tat es trotzdem.

[Angelique]

Da war die Kleine plötzlich begeistert in ihrem Element. Kühle Zurückhaltung wich manischer Lehrfreude.

"Und da beginnt schon die erste Lektion, da Ihr nicht wissen könnt ob mangelnder Sprachkenntnis, dass die Hellenen etwas ganz anderes mitmathēmatikē téchnē meinten, als die Sarazenen mit ihrem heutigen Worte al-ǧabr, dessen Definition mit jener der Römer übereinstimmt.

Um so passender, dass die wörtliche Übersetzung Kunst des Lernens lautet.

Arithmetik oder Geometrie, was Ihr eigentlich meint, ist ohne die anderen septem artes liberales, nutzlos wie Glieder ohne ihren Leib oder die Körpersäfte für sich allein genommen.
Erst im Zusammenspiel machen sie gelehrte Menschen oder perfecti."

Fast war es unheimlich, wie viel Wissen in so einen kleinen Kopf passen konnte.