[1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada]

[August '21]
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Giada Salvaza Rossi
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[1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Ein Elysium für die Gesellschaft der Nacht konnte vieles sein. Es konnte ein seltener Ort des Waffenfriedens sein, ein sonst unmöglicher Ort des Kennenlernens, ein Refugium vor den ewig bohrenden, neugierigen, rastlosen Augen der Welt dort draußen. Es gab solche, die nur selten je dorthin gingen, es vielleicht sogar als Eitelkeit verachteten. Es gab solche, die davon lebten, denn die Gesellschaft der Nacht hatte hier stets auch einen Fokus.

Die Lasombra hatte beides bereits durchlaufen, wenn wohl auch nicht in diesem Elysium oder dieser Stadt. Und doch kannte sie beide Extreme und eine ganze Reihe Nuancen dazwischen wohl auch. Weshalb sie in das Elysium kam? Sie hatte eine ganze Reihe von Gründen, doch zuvorderst kam sie, um zu sehen, vielleicht auch um gesehen zu werden. Sie war kein Spion, denn Spione versteckten sich und ihre Motive. Sie wurde gesehen, so war es eben und sie versteckte sich davor auch nicht. Und sie sah, mit so klarem Blick wie sie es eben vermochte, so schwer es ihr auch fallen wollte.

War ihre Anwesenheit bequem? Freundlich? Gewiss nicht. Weder für sie noch für andere. Bislang hatte keiner sie damit beleidigt, so zu tun als wäre es anders. Auf eine gewisse Weise war dies etwas, das sie an dieser Domäne und Gesellschaft schätzen lernte: Die Männer und Frauen in ihr schienen sich wenige Illusionen zu machen. Vielleicht war das eine Folge der Gewalt und der Kämpfe? Des gleich mehrfachen Eidbruchs des Prinzen mit all den bitteren Folgen, die dies auch für die Höflinge Genuas haben musste?

Giada Salvaza Rossi versuchte, sich selbst als eine Beobachterin vorzustellen. Sie fühlte sich nicht wohl in dieser Rolle, war eher eine Kreatur der Tat als eine der Zurückhaltung. Doch zumindest für nun und zumindest hier versuchte sie, einfach nur zu sehen. Und vielleicht zeigte sich ja eine Seite des Hofes von Genua, die ihr bislang entgangen war?
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Angelique
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Angelique »

Ein unscheinbares kleines Mädchen saß abseits und las intensiv in einer abgegriffenen Schriftrolle. Neun weitere Rollen lagen um die Gestalt herum, Schreibgriffel und Wachstäfelchen waren griffbereit und ab und an kritzelte die Kleine darauf herum.

Das Mädchen wirkte nicht wie eine Tochter aus reichem Haus, dem der Vater Lesen und Rechnen beibringen ließ, damit es eine bessere Partie für einen Händler oder Geliebte eines Geistlichen werden würde.

Eher sah es so aus als studiere es einen Text und machte sich Notizen dazu.

Als Giada eintrat, hatte das Kind kurz den Kopf gehoben und aus großen braunen Rehaugen in einem blassen Gesichtchen, umrahmt von dunklen Locken, ohne zu blinzeln in deren Richtung geschaut.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Kinder saßen nicht einfach in einem Elysium, nicht mitten in der Nacht, nicht ohne Grund. Und es gab nicht viele Gründe, die dies zulassen würden. Giada straffte sich und trat auf die kleine Gestalt zu.
Die Lasombra trug ein teures Gewand aus dicht gewobenem, teuer gefärbten Stoff. Der metallene Schmuck an ihren Armen und Fingern sprach auch davon, dass sie ihrerseits durchaus hätte eine Tochter aus gutem Hause sein können, vielleicht sogar bereits eine Hausherrin eines solchen Hauses, mit all den Dingen, die daraus erfolgt sein mochten. Doch was für eine Rolle spielte solcherlei an einem Ort wie diesem?

“Ihr würdet kein Studium an diesem Ort beginnen, würdet Ihr nicht ebenso in Kauf nehmen, dass es unterbrochen wird”, stellte sie fest. Giada sprach mit einer gewissen, steifen Förmlichkeit, doch es klang nicht unhöflich, nur eben ein wenig steif. Ihre Stimme war ungewöhnlich tief für die einer Frau.
“Erlaubt Ihr, dass ich mich Euch vorstelle?”
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Angelique
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Angelique »

Das kleine Mädchen schaute auf. Auf einen sterblichen Menschen hätte der Blick ohne Blinzeln wohl sehr unheimlich gewirkt.
Das blasse Kind war wie ein Geist. Ein Geist mit fiebrigen Augen.

Die Kleine stand auf und verbeugte sich artig nach den elaborierten Regeln der Vampire.
"So mag es scheinen", antwortete sie leise.

Sie lächelte. Auch das Lächeln hätte einen Sterblichen wahrscheinlich Unwohlsein bereiten können.

Dann aber schwang die ernste Stimmung um und Fröhlichkeit strahlte über das Gesichtchen." Sicher brenne ich darauf, Euch kennenzulernen, edle Dame!
Aber gestattet, dass ich Euch zuvorkomme, da ich zu den Niederen Häusern gehöre und Ihr gewiss nicht.

Ich bin Angelique aus dem Hause Malkavs."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Die Lasombra hob beide Augenbrauen und schien einen Augenblick verwundert, doch dann straffte sie sich und nickte Angelique zu. Der Größenunterschied zwischen ihnen beiden verzerrte die Geste und machte sie eigenartig. Auf eine vage und hässliche Weise könnte es an den Blick einer Mutter auf ein - ihr?- Kind ähneln.
Giada schien dies selbst zu bemerken und machte kurzerhand mit ihrer Vorstellung eine Geste zum Sitz Angeliques zurück, als eine Einladung, dass man sich setzen könne. Vielleicht wollte sie schlichtweg nur diesen Größenunterschied und jene Ahnung im Keim ersticken.

“Ich bin Giada Salvaza Rossi, neugeboren in den Clan der Nacht”, erklärte sie. Es war eine rabiate Verkürzung dessen, was sie in förmlicherem Umgang wohl gesagt hätte, doch es genügte am ehesten noch der Vorstellung Angeliques.
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Angelique
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Angelique »

"Aha", machte Angelique, während sie sich wieder setzte und ihre verstreuten Sachen einsammelt, damit die hohe Dame nicht darauf treten musste.

"Willkommen in Genua oder seid Ihr hier zur perfecti geworden und man hat es mir nur nicht gesagt? Wo seid Ihr her? Ich für meinen Teil stamme aus Arelete im Burgundischen."

Kurz wirkten die Augen der Kleinen so alt, als sei sie ein Großmütterchen, das überrascht feststellte, wie viel Zeit seit ihrer Jugend vergangen war.

"Aber ich bin schon sehr lange hier in Genua. Je nachdem, wen man fragt, zu lange."
Sie lächelte und kniff füchsisch die Augen dabei zusammen. Fast wirkte sie niedlich dabei.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Ja, eine förmliche Vorstellung erleichtert diese Dinge”, bemerkte Giada und setzte sich dann auf die niedrige, steinerne Bank, die Angelique nun auch freigeräumt hatte.
“Doch ich will es auf Eure Weise versuchen.”

Sie legte die Hände im Schoß ineinander und während Angelique die Schriftrollen ordnete, warf sie auch einen Blick darauf. Womöglich konnte sie erkennen, von welcher Art das war, was darauf geschrieben stand?

“Meine Heimat ist Mailand”, sagte sie also. Es klang ernst, jedoch nicht schroff. “Meine Herrin Mutter im Blute ist die verehrte Ancilla Santa Noellina, Tochter im Blute des höchst verehrten Totila, Prinz Mailands, Ahn des Clans der Schatten aus der Linie des Boukephos, Herr der Lombardei und Gafaúrd des Zirkels der bitteren Erinnerung.” Es wirkte beinahe ein wenig melancholisch, so wie sie all dies sagte. Etwas an Angelique schien sie zu berühren und nahm dem Ganzen die Steifheit oder sogar Härte, die man ihr sonst leicht zudenken konnte.

“Von Arelete hörte ich noch nicht, doch von Burgund gewiss, vom Erbe Ludwigs des Frommen und seinen drei Söhnen. Doch nun ist Genua zu Eurer Heimat geworden?”
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Angelique
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Angelique »

"Colonia Julia Paterna Arelate Sextanorum Constantina ist eine alte ligurische Stadt und das Metropolitanbistum von ganz Südfrankreich und die Hauptstadt des Königreich Burgunds, das seit kurzem zum Kaiserreich der deutschen Barbaren gehört", erklärte sie und wirkte etwas irritiert, dass jemand eine der wichtigsten Städte des Abendlandes nicht kannte.

Sie schaute wieder so melancholisch in die Ferne

"Meine Heimat", echote sie, "so würde ich Genua nicht nennen. Hundert Versuche habe ich gemacht, es zu dieser zu machen und hundertmal bin ich gescheitert. Es ist wie mit einem, der in anderes Dorf zieht. Er wird nie zu den Einheimischen zählen, egal wie sehr er sich bemüht, er wird immer der Fremde bleiben."

Angelique seufzte. "Meine Heimat wird immer das Land des Lavendels sein, wo Flamingos, wilde Stiere und Pferde in den Sümpfen und Feen und Werwölfe in den karstigen Bergwäldern leben, während die Monumente der Altvorderen uns zeigen, wie tief wir gefallen sind und bärtige Wilde, die mit Mühe nur ihren Namen schreiben können, über uns herrschen und alles verfallen lassen."

Sie seufzte noch tiefer. "Aber ob das noch meine Heimat ist? Niemand lebt mehr, den ich von damals kannte, und das neue Jahrtausend mit all seinen Erfindungen und Veränderungen lässt mich selbst da fremd fühlen, entwurzelt und verwaist."

Sie schien zu überlegen. "Zirkel der bitteren Erinnerung klingt poetisch. Was steckt hinter diesem Namen? Tatsächlich etwas Poetisches oder nur rachsüchtiger Groll für irgendeine Tat längst vergessener Nächte?
Und der Titel Gafaúrd klingt wie ein Wort der Sachsen. Ungewöhnlich für Mailand oder perfecti außerhalb der Gangrel. Könnt Ihr es mir erklären?"

Die Schriftrollen bildeten ein Liber, das "Rervm gestarvm libri qvi svpersvnt" als Titel führte.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

So wie Angelique staunte, dass hier eine ihre ursprüngliche Heimat nicht kannte, schien Giada nun etwas erstaunt über ausgerechnet diese Nachfrage. Sie hob die Augenbrauen und stellte dann erst einmal fest:
“Es ist ein Fluch für die Frauen und wohl auch die Kinder unter den Menschen, dass sie nicht viel von der gelehrten Bildung der Welt erhalten. Es ist ein seltenes Vorrecht und vielleicht gar eine Pflicht für unsereins, solches aufzuholen, wenn wir es vermögen. Vergebt mir, dass ich Eure Heimatstadt nicht kenne. Mein Wissen über die Länder und Mächtigen jenseits der hohen Alpen ist gering. Doch durch Euch höre ich von Eurer Heimatstadt und werde sie nicht vergessen.”
“Der Titel des höchst verehrten Totila stammt aus einer anderen Zeit, auch wenn das Echo noch immer widerhallt. Kennt Ihr die Geschichte der Lombardei? Die Geschichte der Goten, ihrer Könige und hernach auch der Zirkel, die in unserer Nachtwelt daraus entstanden?”
Sie neigte den Kopf ein wenig.
“Der Zirkel der Bitteren Erinnerung ist ein solcher von Kainiten aus jener Zeit. Jeder Zirkel wird angeführt von einem Gafaúrd. Es mag gut sein, dass jener Titel älter ist als Ihr und ich gemeinsam. Und Ihr seid die Erste, welche es wagte, mich danach zu fragen.”
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Angelique
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Re: [1060] Kein schöner Land [Angelique, Giada, offen]

Beitrag von Angelique »

"Ich wollte Euch nicht beleidigen, als ich danach fragte. Ich wollte es nur wissen, weil ich alles wissen will.
Ich kenne De origine actibusque Getarum von Jordanes und natürlich kenne ich meinen Ammianus Marcellinus."
Angelique deutete bei diesen Worten auf das Schriftrollenbündel.

"Aber die Details wie solche Ehrentitel werden wohl nur die von uns kennen, die dabei waren und echte Goten zugleich sind oder ihr Vertrauen besitzen.
Über die Geschichte der Nacht, die die Reste jener Zeit bewahren, weiß ich leider nichts, da es als Geheimwissen der Hohen Familien gilt und mir verschlossen bleibt."

Sie lächelte leise. "Da ich aus der Blutlinie des Orakels der Lombardei bin, denke ich, weiß ich in der Tat das eine oder andere von deren Gegend. Einstmals war auch meine Blutlinie groß und mächtig. Selbst wenn man das heute gerne vergisst."
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