[1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

[August '21]
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Giada Salvaza Rossi
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[1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Zum Winter hin wurden die Nächte länger, die Straßen und Gassen schlammiger und der Himmel grauer. Es kam die Zeit, in der die Menschen mehr vor Herd und Feuer zusammen kamen, in der Werkstätten ihren hohen Wert zeigten, in der man die stillen Stunden auch für die eigenen Studien und Einsichten gebrauchen konnte.

Das Haus, in welches Giada die Malkavianerin Angelique eingeladen hatte, lag in Platealonga. Von außen wirkte es ordentlich und zeigte die Art von Reichtum, mit der sich die wohl betuchten Händler am Hafen auch gern zeigten. Es gab ein oder zwei Wachmänner, die von draußen zu sehen waren. Drinnen konnte man Lichtschein erahnen, wo er zwischen den gegen Wind, Wetter und Nacht geschlossenen Fensterläden hindurch glänzte.
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Angelique
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

Ein dick vermummtes kleines Mädchen mit großem Bündel schien sich aus einer dunklen Seitengasse zu manifestieren.
Anständige Mädchen würden so spät wie alle Frauen sicher zu Hause eingesperrt sein und sich nicht in Kälte rumtreiben.

"Schiavo", erklang es gedämpft zwischen großem Schlapphut und dickem gestricktem Schal, als die Kleine die Wachleute begrüßte.
Bevor sie sie mit einem Fußtritt verscheuen konnte, fügte sie hastig hinzu:
"Ich bin eingeladen worden. Angelique ist der Name."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Der Zusatz war auch notwendig, denn Angeliques Erscheinen hatte den Wachmann doch in eine recht unwirsche Verwunderung versetzt. Doch damit nun rief er seinen Kumpanen dazu und tatsächlich: Offenbar wurde Angelique erwartet.
Die beiden berieten kurz, ob sie die Kleine nicht besser durch die Hintertür hereinbrächten, doch nein, ein Gast war eben ein Gast. Letztendlich führte einer der beiden das Mädchen in das Haus hinein.

Auch drinnen wurde es dem ansehnlichen Äußeren gerecht: Feste Bodenfliesen oder polierte Dielen, dichte Wandteppiche und vor allem die metallenen Beschläge hier und da, Halterungen für Lichter und auch sonstiges aus Metall waren durchaus einen Blick wert. Der Handelsmann, dem dieses Haus gehörte, machte wohl in Metallen - Eisen wohl vor allem? Gutes Mailänder Eisen.

Eine junge und zu dieser Stunde auch schon etwas müde Magd erschien, um Angelique in Empfang zu nehmen, mit einer Schale Wasser und sauberem Tuch zur Erfrischung für Gesicht und Hände. Hier drinnen roch es auch nach dem Lavendel aus der Gegend, ein wenig auch nach Rosmarin und getrockneten Blüten, wo diese gegen den Stadtgestank ausgestreut oder in in aufgestellten Schalen lagen.

Der Wachmann entfernte sich dann, um sich kurz wohl in der Küche noch einmal aufzuwärmen, bevor er wieder raus musste. Offenbar sah er das Mädchen nicht als eine Gefahr für das Haus. Die Magd dann brachte die Kleine die Treppe hinauf und einen etwas verwinkelten Flur entlang zu einer Tür, an der sie anklopfte.

Der Raum dahinter hatte etwas von der Kargheit einer Schreibstube oder eines Studierzimmers. An den Wänden gab es gegen die Winterkälte einige Wandteppiche oder aber hölzerne Regale mit Schreibzeug oder sogar Schriften. Vielleicht genau deswegen gab es hier kein offenes Feuer, auch trotz der Kälte, doch die Küchenwärme von unten und einer der Innenwände her half dagegen.
Es gab ein Schreibpult auf der einen Seite, aber auch einen gewöhnlichen Tisch und Sitze auf der anderen. An jenem Tisch stand auch die Lasombra. Die Hausherrin vielleicht?

Sie lud Angelique mit einer Geste zum Eintreten ein. “Willkommen”, sagte sie zu Angelique und entließ die Magd mit einem Wink.
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Angelique
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

Angelique schaute sich den zur Schau gestellten Reichtum an und bewunderte manche Handwerkskunst und hatte wie ein ewiges Kind kein Auge für den beißenden Stilbruch mancher Zusammenstellungen, die neureiche Händler auszeichneten.
Sie war ja selbst ähnlich gestrickt und hatte den Geschmack einer Malkavianerin und eines kleinen Mädchens.

"Schiavo", sagte sie zu Giada und seufzte wohlig, als sie ihre Füßchen auf den warmen Fußboden setzte.
"Ah, fast so gut wie die Bodenheizungen der Klöster! Sogar Fliesen wie in solchen!", lobte sie das Interieur.

Sie lud ihr Bündel auf den Tisch ab und öffnete es.
Schriftrollenbündel waren darin und allerlei Schulwerkzeug wie Wachstafeln und Griffel.
Die Kleine kam gut vorbereitet zu dem Symposium.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Ja, bei all unseren Sorgen ist es doch auch zugleich eine Zeit von Blüte und wachsendem Wohlstand, dicht neben Hunger und Elend. Oft liegt nur das Unglück eines Dürrejahrs zwischen beidem.”
Die Lasombra besah sich Angeliques Materialien einmal und nickte. Sie machte eine Geste zur Seite hin, wo auf dem Tisch aufgebahrt einige wohl arabische Schriften lagen. Einige waren lose gebunden, andere gerollt.

“Die Suche nach gelehrten Schriften ist keine leichte. Diese hier sind leichter zu bekommen, doch ich ließ auch nach Werken fragen, welche die Kirche sorgsam hütet. Derlei braucht seine Zeit, und so ist dies ein Beginn.”
Die Schriften waren auf arabisch verfasst, in ein paar verschiedenen Abarten, auch wenn die geschwungene Schrift sich doch immer stark ähnelte. Nicht wenige der Werke hatten Zahlen, Berechnungen und Logiken zum Thema. Doch es gab auch ein paar andere: Etwas zur Zeitmessung anhand der Sonne und der Sterne, eine Schrift über ein Heilgewürz “Ahowan”, das der dazugehörigen Zeichnung nach auch gut eine Art Kümmel sein konnte, ein zusammengebundener Briefwechsel von zwei Gelehrten, welche ein philosophisches Streitgespräch über “Mut” und “Selbstaufgabe” oder “Hingabe” führten und darüber, ob diese sich bedingten oder einander gegensätzlich waren. Eines der Werke war sehr offensichtlich eine schlechte Kopie von etwas, das im Original vielleicht eine Art Reisebeschreibung von einer Pilgerreise gewesen sein musste, doch die Fehler bei der Kopie machten dies schwer leserlich und vielleicht auch sehr fantastisch.

“Meine größte Schwierigkeit bei diesen Schriften ist wohl, dass ich mich auf das Wort anderer darüber verlassen muss, was sie wohl beinhalten”, bemerkte Giada dazu. “Sprache und Schrift sind wohl in der Tat der Schlüssel zum Lernen. Babels Fluch lastet auf uns allen.”
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Angelique
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

Angelique stöbrte schon in den Schriften, während Giada noch erklärte, und sichtete die Pamphlete.

"Hmm", machte sie, "die sind alle interessant. Hier eine Schrift über fructus aiovani, ein Heilmittel, dass Husten lindert. Und da Philosophien, die vielleicht vom großen al-Fārābīs, dem Gelehrten aus Transoxanien, stammen könnten.

Und ui, Astrolabiumberchnungen! Das lässt mich wuschig werden wie eine Jungfer beim Galan!"

Die Kleine lächelte selig, als sie die fremden Zeichen überflog, als seien sie Teil ihrer Muttersprache.

Auf das Lamento der Lasombra tätschelte sie vertraulich deren kühle Hand, als vergaß sie die Etikette, die gerade die Magister so gern hochhielten.
"Keine Angst, in Bälde werdet Ihr erkennen können, wer Euch neppen will, denn ich lehre Euch im Nu die Feinheiten der Sprache.
Auch ich finde den Fluch Babels überaus lästig und eher das Werk des Demiurgen, als das GOttes."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Angeliques Berührung ließ Giada auf diese Hand herabsehen. In einer beinahe ähnlich vertrauten, doch auf gänzlich andere Weise gewohnten Geste legte sie ihre andere Hand kurz über die der kleinen Malkavianerin. Für einen eingefrorenen, klebrig-vertrauten Moment wirkte dies wie die Geste einer mahnenden Mutter für das überschwengliche Kind.

“Wissen ist die schärfste Waffe. So einfach zu verbrennen und abzustumpfen, zu fälschen und zu verzerren. Nur die klarsten Geister können sie gebrauchen ohne ständig in der Versuchung zu sein, sie zu mißbrauchen. Ich will mich mühen.”
Sie gab Angeliques Hand wieder frei - der Griff war ohnehin nicht fest oder hart gewesen und Angelique hätte ihre Hand auch selbst fortziehen können.
“Ob die Ältesten der Alten die Ursprache noch gesprochen haben? Ob auch sie vom Fluch getroffen wurden und vergaßen, was einst alle verbunden hat?”
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Angelique
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

"Mit Sicherheit", stimmte Angelique, "bedenkt, dass Euer Kain von den ersten Menschen abstammte und von Lilith die Worte, die Macht sind, lernte.
Es gibt da draußen die echte, erste Sprache der Vampire, der ersten und der zweiten Stadt, noch vor Babel. Und eines Tages werde ich sie finden und enträtseln!"

Sie guckte dabei so ernsthaft, dass es wiederum süß aussah.

Sie fuhr fort: "Ich glaube eher, dass die alten Vampire die neuen Sprachen lernen mussten, als sie entstanden. Würde ein Alter aus dem, sagen wir mal, Alten Rom Cäsars nach Jahrhunderten des Schlafs aufwachen, würden wir ihn sofort an seiner Sprache erkennen und dem Unvermögen, unsere moderne Umgangssprache zu verstehen. Ich denke, der Fluch Babels wirkt bis heute fort und verändert die Sprachen bis zum Jüngsten Gericht.
Vertraut mir, ich selbst merke, wie ich manche Redewendungen meiner Heimat nicht mehr wiedererkenne, wenn ich nach Jahrzehnten dorthin reise."
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Es mag eine Art ...Entropie sein, je weiter wir vom Ursprung und der Zeit des Fluches von Babel in der Zeit fortgehen. Mehr und mehr bewegen wir uns von der Quelle fort und die Veränderungen und Verfälschungen bedingen einander, werden unter den Menschen in der Sprache ausgetauscht und vervielfacht.”
Giada sah in das ernste Gesicht Angeliques herunter. Ihr Blick war nicht minder ernst oder vielleicht auch einfach konzentriert auf ihre Theorie. Die Lasombra besaß nicht die geistige Beweglichkeit der Malkavianerin.

“Wenn es so wäre, so würden wir mit unserem Gebrauch der Sprache nicht nur Bewahrer des Stands der Sprache unserer Zeit sein sondern wir könnten uns auch, wie Ihr, gegen den Strom der Zeit zu stemmen versuchen. Ich erinnere mich, dass ich von einem einfachen Mönch Latein zu sprechen lernte und dies vollständig verwaschen wirkte, als ich so mit meiner Herrin Erzeugerin zu sprechen begann… und noch einmal musste ich einen langen Schritt weiter zurück erlernen, als ich mit meinem Großonkel sprach. Es ist wohl ähnlich, wenn die höchst verehrte Herrin Aurore von Genua spricht?”
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Angelique
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Re: [1060] al-ǧabr [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

"Alles Latein, was heute gelehrt wird, ist dasselbe, das Cicero sprach. Selbst die Princeps spricht das des einfachen Volkes ihrer Zeit.
Das ist das Geheimnis sowohl des Lateins, des Griechisch und des Hebräischen. Es sind untote Sprachen, auf ewig eingefroren im Moment ihrer Kodifizierung durch heilige Bücher. Sie sind wie wir perfekt und unwandelbar geschaffen worden.
Und somit eigenen sie sich vortrefflich zum Bruch des Fluchs von Babel für Gelehrte.

Ich kenne jemanden, der Lesen und Schreiben nicht durch das Lernen von Latein gelernt hat, sondern in der Landessprache. Kühne Gedanken, aber unterschwellig fördern sie den Fluch natürlich, selbst wenn es damit ungelehrten Leute leichter möglich wäre, gelehrt zu werden, aber am Ende zur Spaltung und zu einem Rückfall von geeinten Imperien zu Stammesgebieten, die immer kleiner zersplittern wie die Germanen und Kelten von einst. Ohne Latein als bindendes Glied wären wir nur Franken, Romanen, Sachsen, Engländer, Dänen und hunderte sich selbst über alle anderen stellende Sippenverbände."

Tiefe Gedanken von der Kleinen über Sprache und den Verfall des christlichen Abendlandes in etwas zukünftig Widerlicheres, für das ihre Zeit nicht einmal einen Namen kannte: Nationalismus.
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