[Fluff] Was bleibt [Iulia]

Geschichten über Monster

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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Iulia Cornelia
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[Fluff] Was bleibt [Iulia]

Beitrag von Iulia Cornelia »

„Frauen betrauern einen Verlust, Männer erinnern sich.“, schrieb Jemand einst, doch wie mag Jemand mit einem derartigen Verlust umgehen, der die Grenze zwischen dem was die Welt von außen als männlich oder weiblich ansieht, längst hinter sich gelassen hatte? Dessen äußere Hülle zwar noch immer die feinen Züge einer wohlgepflegten Dame der Gesellschaft innehielt, die die Sterblichen umgarnte und selbst umgarnt wurde, ob ihrer außergewöhnlichen Schönheit. Deren zartes Lächeln zahllose Männerherzen höherschlagen und Frauen neidisch auf sie hinaufblicken ließ. Wie ging das uralte und rachsüchtige Monster, das tief im Inneren hinter der so zerbrechlich anmutenden Oberfläche aus weißem Marmor verborgen lauerte damit um, dass ihm etwas genommen wurde, dass ihm gehörte?

Ich spürte, wie sich die rote Glut in meinen Augen widerspiegelte. Das wilde Flackern, welches ich selbst nur distanziert wahrnahm. Trotz der Wärme der Nacht fühlte ich eine kalte Leere in mir, in dessen Schatten der stetige Hunger rumorte, der vor fast einem viertel Jahrhundert in mir geweckt worden war. Ich hatte mich damals gefragt, wie es wohl sein würde, wann es wohl so weit wäre, dass ich die Ersten der Meinen zu Grabe tragen werden muss. Sie lebten ihr Leben länger, als es mir selbst vergönnt war und doch hatte ich damals nicht gedacht, dass es nur so kurz sein würde, dass sie ihr Dasein mit mir verbringen würden. An meiner Seite. Und doch stand ich nun bereits schon vor dem zweiten Scheiterhaufen in diesem verfluchten Jahr, den ich hatte errichten lassen müssen.

Ich spürte die zunehmend schwindende Wärme des Umhangs, den der alte Mann an meiner Seite mir um meine schmalen Schultern gelegt hatte. Hinter dem schwarzen Schleier, der mein Gesicht verdeckte, sah ich wie er sich immer dann, wenn er sich unbeobachtet fühlte, mit dem Ärmel seines Gewandes über das Gesicht rieb, ganz so, als würde das flammende Licht, diesen alten Augen die mehr als manch anderer Mensch je gesehen hatten, Schmerzen bereiten. Doch das war es nicht. Er hatte fast zwei Jahrzehnte mit den Beiden zusammengelebt. An ihrer Seite. Tag für Tag. Sie unterwiesen und sie aufgezogen, wie seine eigenen Söhne. Und nun stieg der Zweite zu schwarzem, süßlichem Rauch empor, welcher die Nachtluft durchzog und dunkel färbte. Feiner Staub, der unter Blumen neben seinem Bruder die letzte Ruhe finden würde. Nur wenige Monate nach ihm.

Ich hatte sie verdammt. Ihre Seelen. Und ich trug die Verantwortung hierfür. Sie sollten Genua von Nutzen sein. Sie sollten edle Rösser für den Kampf zu Lande züchten. Bollwerke bauen gegen den Feind zur See. Nun waren Beide tot. Gestorben weit vor ihrer Zeit. Vernichtet. Getötet von einer Bestie, ähnlich wie ich selbst eine war. Ausgelaugt. Leergesaugt, so leer, wie sich ihr Tod für mich anfühlte. Sie starben nicht in einem glorreichen Krieg. Nicht einmal in einem heldenhaften Kampf für das Land, welches sie inzwischen Heimat nannten. Sie starben, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Weil es das Schicksal so wollte. Womöglich auch, weil sie es so wollten. Denn wer konnte schon sagen, was wahr war in dieser Welt, wenn Zufall und Absicht sich im wilden Ringelrein regelrecht ineinander schlugen.

Aber vielleicht war es das, was sich veränderte. Was einen selbst veränderte, so man in der Dunkelheit existierte. Man glaubte nicht länger an etwas wie Zufälle. Nicht länger an ein unglückliches Schicksal. In dieser meiner Welt geschah nichts ohne einen Grund. Oder doch? Lernte ich nur zu früh, mich vor meinem eigenen Schatten zu fürchten? Vor den Dingen die im Dunkeln lauerten. Was sahen sie wohl, wenn sie auf mich blickten? Einen Feind, dessen Pläne man frühzeitig zerschlagen musste, bevor sie Wurzeln schlugen? Oder genossen sie es schlicht mich leiden zu sehen, aus purer, reinen sadistischen Freude heraus?

Ich wusste nicht sicher was es gewesen war, doch ich klagte dem Wind lauthals mein tiefes Leid, der mein Wehgeschrei weit über das Meer hinaustrug, gleich einem schaurig schönen Gesang, der von meinem Verlust und meinen inneren Schmerzen sprach. Er erwies dem jungen Toten die letzte Ehre, die ihm gebührte und spiegelte wider, wie sehr er doch vermisst werden würde. Zwar wusste ich nicht, ob diese Klage sein Ohr erreichen würde und diese Seele den rechten Weg finden würde, doch was blieb mir mehr, als mich an diese letzte kleine Hoffnung zu klammern?! Der Hoffnung, dass selbst die Verfluchten nicht derart verdammt waren, dass ihre Bitten und Wünsche für andere als sich selbst, abgewiesen werden würden. Und so doch, was blieb dem Monster letztlich anderes als eines nur: ewigwährende Rache.
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