[1063] Wächserne Angelegenheiten [Galeno, (SL)]

[Il Cavaliere]

Ein Gast war angekündigt worden, eine Verborgene, in einer von drei Nächten hatte man Galeno gesagt. Nach zwei des Wartens war auch die dritte Nacht verstrichen und niemand war gekommen. Die darauffolgende Nacht war dunkel, der Himmel wolkenverhangen, und Nieselregen durchtränkte langsam das Umland Genuas.

Dumpf pochte es an der Tür jenes Hauses, das der Herold das seine nannte. Dreimal klopfte Holz auf Holz, eine Minute verging, dann wieder. Draußen stand eine Gestalt, gehüllt in weite Lumpen samt Umhang, das Haupt verborgen unter einer Gugel, in der Linken einen Hirtenstab. Sie wartete.

[Nubis]

Er hatte gewartet. Die erste Nacht niemand. Er widmete sich seinen Aufzeichnungen und verfeinerte Passagen. In der zweiten Nacht niemand. Doch er kam mit einer Übersetzung gut voran. Die Dritte Nacht wieder keiner. Er wurde stutzig. Hatte es Probleme gegeben? Konnte jener nicht erscheinen? War vielleicht etwas dazwischen gekommen?
Er arbeitete weiter und die Übersetzung nahm gut an Seiten zu.

In der folgenden Nacht hatte er sich vorgenommen, sich Experimenten zu widmen. Doch er schlief lang und so klopfte es an der Tür, ehe er sich seiner Pläne zuwenden konnte.

Sein ältester Diener öffnete der Gestalt. Sie war an den Wachen vorbei, den Hügel hinauf und wohl auch durch ein verschlossenes Tor gekommen. Dreist.

Oder vielleicht auch nicht. Der Diener wies die Gestalt nicht fort, denn draussen war es ungemütlich und sie sollte sich wärmen, wenn möglich.
Galeno trat vor sie und musterte sie einen Moment. Konnte es sein?

Es war ein etwas skuriles Bild. Ein gutaussehender älterer Gelehrter mit Schmuck an den Fingern in edlerer Kleidung und vor ihm diese zerlumpte Gestalt mit dem Hirtenstab.
So könnten Märchen beginnen.

Der Kappadozianer überlegte, was er wie tun sollte und entschied sich schliesslich dafür, nicht zu viel zu sagen, doch auch höflich zu sein. Jener Angemeldete stand vielleicht gerade vor ihm, verspätet, aber nun doch eingetroffen.

"Willkommen in meinem Anwesen." sprach er einladend. "Darf ich fragen, welch Anliegen euch zu mir führt?"
Er tastete sich vorsichtig heran und der melodische Klang seiner Stimme sorgte hoffentlich für ein Wohlempfinden bei der Gestalt.
Es konnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit gering war, nur eine Alte sein, die diese Nacht wohl an der falschen Tür geklopft hatte.
Ruhig wartete er ab, mit einem knappen Blick zu seinem Diener, der sich aus dem Raum begab und doch stets zur Seite stehen würde.

[Il Cavaliere]

"Der Baumeister. Er hat dies Treffen zwischen uns vermittelt." Ein trockenes Husten war zu vernehmen. Oder war es ein verborgenes Kichern? "Wollt ihr die alte Volto Cera nicht hereinbitten?" Wieder dieses trockene, kehlige Husten, erinnerte irgendwie an Herbstlaub unter den Füßen. Der Kopf der Gestalt hob sich ein wenig und die Kapuze rutschte einige fingerbreit aus dem Gesicht. Ein Gesicht, wenn man es denn so nennen konnte, welches mehr an geschmolzenes Wachs erinnerte denn an etwas das einmal eine Mutter angelächelt hatte. Eine getropfte, zerflossene Masse wächsern bleichen Fleisches in deren Mitte eine Öffnung als Naselöcher dienen mochte. Darunter ein Schlund voll gelber, teils schiefer Zähne, darüber, bei alles Abartigkeit des Gesichts, zwei erschreckend normal aussehende Augen. Ein tiefes, schönes Grün, in dem sich Schalk und Verschlagenheit spiegelte.
Ein rascher Griff rückte die Kapuze zurecht, so dass der Augenblick der Enthüllung wieder vorbei war noch ehe ein unbedachter Beobachter mehr sehen konnte als gut für ihn wäre.

[Nubis]

Er schien nicht überrascht. Zudem stand sie ohnehin schon im Foyer seines Hauses und so bat er sie mit einer tiefen Verbeugung, eines Ancillas gefällig, und einer zusätzlichen Geste der Hand in den Raum, der mit der Küche eine Wand teilte. Jene, wo die Feuer brannten. So war es hier stets warm, auch wenn es draussen klamm und ungemütlich war. Vielleicht konnte auch die Kleidung dadurch trocknen.

Hier stand ein Tisch und ein paar Stühle. Der Raum selbst war an sich schmucklos, bis auf die aufwändigen und immer wieder erweiterten Fresken, die hier vom Leben in Genua zeugten. Jede Schicht war vertreten, vom einfachen Bettler, der um eine Münze bat, bis hin zum Adel und den Herrschenden.

Er gab nichts zum Besten, was die Verspätung betraf, denn jede Erwähnung mochte zugleich auch irgendwie beleidigend oder anprangernd oder zumindest wie eine leichte Beschwerde wirken. Es war nicht nötig und so beliess er es dabei. Er bot ihr einen Sitzplatz an, wenn sie denn sitzen wollen würde und wartete auch so geduldig ab, wie sie sich entscheiden würde.

"Darf ich euch etwas zu trinken anbieten?" meinte er höflich und beobachtete die Nosferatu genau, in der Hoffnung nichts falsch zu machen. Manch Ancilla konnte schon die Messlatte recht hoch stecken.
"Es freut mich, dass ihr euch für dies Treffen entschieden habt. Ich nehme an, eine Vorstellung meinerseits ist überflüssig, da ihr schon informiert seid?"
Dennoch, nachfragen war besser, als es gänzlich sein zu lassen und dann wieder als unhöflich zu wirken. Aber es einfach so in den Raum werfen, empfand er auch nicht als passend und konnte die Situation zu schnell sehr steif werden lassen. Ungefragt Dinge erwähnen, die sie ohnehin schon wissen konnte...nein.

Und so gab er der Verborgenen die Zeit, die sie brauchte, um selbst zum Thema zu kommen oder eben auf die Frage zu antworten oder ein Getränk zu fordern. Er wusste schliesslich nicht, worum es heute gehen würde, drängte sich mit seiner Neugierde aber auch nicht auf.

[Il Cavaliere]

"Alles bestens, alles bestens." Lehnte sie sowohl ausführliche Vorstellung als auch das angebotene Getränk höflich ab. "Ich möchte euch nicht damit behelligen wie ich trinke." Ein trockenes, merkwürdiges Geräusch entfuhr der Kehle Volto Ceras. Ein Husten? Ein Lachen?

"Werter Galeno, dies ist ein geschäftliches Treffen, und so will ich euch auch nicht eure Zeit stehlen mit Gerede über kleine Dinge. Bevor ich aber zu meinem direkten Anliegen vorstosse, möchte ich wissen was ihr über Amalias Verbleib wisst. Ihr wisst schon, diese riesige Salubri mit der Statur eines Ochsen und fast so schön wie ich. Und wisst ihr auch weshalb sie eigentlich nach Genua kam?"

[Nubis]

Ein knappes Nicken äusserte das Verständnis und zugleich den Dank für die Ablehnung der Vorstellung. Auch beharrte er nicht weiter auf den Trunk, liess sich selbst natürlich auch nichts kommen.
So lauschte er den Worten Volto Ceras, die sogleich auf den Punkt kam. Mal wieder ein Kainit, der Wert aufs Geschäft legte und weniger auf das Drumherum.

Doch als Amalia angesprochen wurde, zogen sich Galenos Mundwinkel kurz herab.
"Ich weiss nicht, wo sie verblieben ist. Es kam schon einmal jemand zu mir, sogar mit einer unterschwelligen Andeutung, ich hätte damit direkt zu tun. Mag sein, dass diese Meinung einige von mir haben, da ich nun in ehemals ihrem Haus lebe, doch nein, ich war selbst etwas überrascht. Ich nehme an, dass sie bestraft wurde, vielleicht zurückbeordert wurde, da Genua nun zur See der Schatten gehört...
Möglich auch, dass die Menschen Genuas sich ihrer entledigt haben, denn einige Behausungen von Kainiten waren einer hier ansässigen Gruppe bekannt, die nach und nach einige der unsrigen umgebracht haben. Einer ihrer Hunde lag als Skelett hier herum. Auch weiss ich nur, dass sie nicht sonderlich glücklich damit gewesen war, Mailands Vasallin zu sein...was die ehemalige Liktorin hier in Genua ursprünglich zu tun hatte, weiss ich nicht."

[Il Cavaliere]

Mit dem Stoff ihres Ärmels fuhr sich die Nosferatu über das wächserne Gesicht, als wolle sie etwas fortwischen. "Nun in Mailand ist Amalia nicht. Weder wurde sie zurückbeordert noch kam sie aus eigenem Antrieb. Entweder hat sie Genua mit unbekanntem Ziel verlassen oder sie ist tatsächlich hier verschwunden. Wer deutete euch gegenüber denn an, dass ihr damit zu tun hättet? Vielleicht hat diese Person ja Indizien für ein Verschwinden gefunden? Wenn dieser Hund, der skellettierte, einer ihrer beiden Ghulhunde war, dann wisst ihr was das bedeuten mag oder?"

Volto Cera ließ Galeno nun genug Zeit nachzudenken und gegebenenfalls auch zu antworten, ehe sie sich dem weiteren Aspekt zuwandte. Sie senkte verschwörerisch die Stimme, als befürchte sie ungesehene Mithörer. "Vielleicht erwähnte Amalia mal eine gewisse Sophia? In jedem Fall gehört die Salubri einem heidnischen Blutkult an, ich nehme an das wisst ihr, doch vermutlich tappt ihr ebenso im Dunkel wie ich, was dieser Kult so treibt. Also außer eine heidnische Muttergöttin anbeten. Was ich aber weiß, ist dass Amalia entsandt wurde um in Genua beziehungsweise dem Umland eine Reliquie eben dieses Kultes zu bergen. Und da kämt ihr ins Spiel, denn ich möchte gern ins Geschäft mit euch kommen und euch gewissermaßen als Schatzjäger anheuern."