[1064] Ein Gelehrter im Mondschein [Angelique, Gabriel]

[Gabriel Ducas]

Nach seinem Aufeinandertreffen mit dem Herold und der Harpyie hatte Gabriel seinen ursprünglichen wöchentlichen Besuch im Elysium inzwischen etwas verschoben und hielt sich nur noch alle zwei Wochen im Giardino della Rosa silenziosa auf. Auch seine Aufträge machten ein häufigeres Erscheinen schlicht unmöglich. Die bisherigen Gespräche waren bislang erfreulich verlaufen, auch wenn es natürlich sehr viel Heimlichtuerei auf allen Seiten gab. Die Nacht ist eben gefährlich und wir sind alle nur Tiere er schmunzelte bei dem Gedanken und betrat die Hallen des Hüters wie immer von Mascharana aus. Wie schön doch die Rosen blühten, als er in Genua ankam, war tiefster Winter. Es war alles kalt und wirkte abweisend. Doch nun wirkte der Garten so viel einladender. Ob man einen solchen Anblick einmal als selbstverständlich annimmt? Wie ist es wohl nach mehreren hundert Jahren? Ob der Hüter die Rosen wohl selber pflegt? Viele weitere Fragen schossen ihm durch den Kopf, ob diese Nacht nun Antworten bereit hielt oder noch mehr offene Fragen würde sich zeigen. Mit einem lächeln begrüßte er Mariam und ging mit ihr, erneut die Aushänge durch und entließ sie, so er nichts neues finden konnte, mit einem „Habt Dank!“ in die Nacht um sich einmal in den weiteren Räumlichkeiten umzusehen, ob eventuell, ihm unbekannte Kinder der Nacht anwesend waren. Offenbar gab es wohl mehr Kainskinder in der Stadt als bei der Veranstaltung der Harpyie anwesend gewesen waren.

[Angelique]

Es war wieder dieser Nächte, in der Angelique sich die Zeit nahm, im Elysium in Ruhe einige Schriften im zauberhaften Garten zu studieren.
Und so kam es, dass Gabriel ein kleines Mädchen, das aussah, als hätte es keine elf Winter gesehen, dort vorfand, das in der lauen Nacht offenbar nur in Lichte des Mondes und entfernter Lichtquellen in Schriftrollen schmökerte,

Es hatte dunkle Locken und einen abgetragenen Ledermantel um die schmalen Schultern geschlungen, wie ihn Pilger trugen. Ein hübsches Kleidchen trug es darunter und die nackten Füßchen spielten im Gras.
Blass war das Kind und es hat große, fiebrig leuchtende Augen, als es hochsah und den Neuankömmling bemerkte.

Einem neugierigem Tiere gleich legte die Maid den Kopf schräg und sagte: "Schiavo!"

[Gabriel Ducas]

Mochte sich Gabriel auch sonst bemühen ruhig und abgeklärt zu wirken, so war dies passé als er des Kindes gewahr wurde. Seine Augen weiteten sich, die Stirn legte sich kraus und und er blickte ungläubig zu Angelique. Ist das ein Kind? Ein richtiges Kind? Oder eine Verkleidung? Lesen konnte es auch? Mit langsamen Schritten kam Gabriel näher, ganz so als nähere er sich einem verletzten Tier. In ungefähr einem Schritt Entfernung blieb er stehen und neigte sanft den Kopf. Er trug eine dunkle einfache Hose aus Leinen und einen leinenweißen Hemdsrock. Über die Schulter ein einfacher Wollmantel, der von einer goldenen Spange gehalten wurde. Der Bart und das Haupthaar waren offenbar frisiert und die braunen Augen sahen neugierig und milde lächelnd auf seine Gegenüber.

„Ich wünsche euch eine gar angenehme Nacht. Gabriel Ducas, Neugeborener vom Clan der Gelehrten, Kind von Canissa von Catania, Kind von Xanthus dem Wissenden aus der Linie von Syphax von Karthago.“ stellte der Brujah sich freundlich lächelnd vor. „Mit wem habe ich das Vergnügen? Und so mir die Frage gestattet sei, was lest ihr da?“ Niemand hatte ihm ganz offensichtlich von einem Kind berichtet.

[Angelique]

Es war tatsächlich ein Kind. Wahrscheinlich eins, das keine Dutzend Sommer gesehen haben konnte. Es schaute aus großen Rehaugen den Mann an. "Seid gegrüßt, Gabriel Ducas. Mein Name ist Angelique, wie Ihr bestimmt erraten habt, und ich versuche, auch eine Gelehrte zu sein, selbst wenn ich nicht dem Hause Troiles angehöre.
Ich gehöre dem Haus Malkavs an und komme aus der Blutlinie der Sybillen."

Sie lächelte und betrachtet die Schriftrolle. "Oh, das? Das sind Ausführungen von Tacitus über den Bataveraufstand. Ich versuche zu verstehen, ob stuprum in diesem ungerechtfertigten Fall von den Römern als Unehre für die Mädchen und Knaben erachtet wurde oder als Unehre für die Legionen des Vitellius, da sie Verbündete der Römer waren."

Das war mit Sicherheit ein Thema und ein Niveau an Gelehrsamkeit, das man nicht bei einem Kind, geschweige denn einem Mädchen erwarten würde. Bei Gott, die wenigsten greisen Äbte würden diese Texte gelesen und noch viel weniger darüber philosophiert haben!

[Gabriel Ducas]

In Gabriels Blick mischte sich unglauben aber auch Interesse. Er selbst schien diese Schriften nicht zu kennen, verschloss sich jedoch auch dem möglichen Wissen nicht. Nach einem kurzen Moment fing er sich wieder und nickte dem Kind freundlich zu. „Es mir eine Freude euch kennenzulernen werte Angelique. Vom Clan des Mondes aus der Blutlinie der Sybille. Sind dies eure Schriften? Oder gehören sie dem Hüter und sind für alle zugänglich? Ich selbst mag Erzählungen und Schriftgut, allerdings bevorzuge ich als Handwerker, die eigene Erfahrung.“ Er lächelte die Malkavianerin zugleich gütig doch auch mit leichtem Schwermut an. Ein aufmerksamer Beobachter konnte erkennen, wie der Brujah leicht verstohlen umher sah und die Hände etwas rieb. Er schien mit sich zu ringen, ehe er schließlich erneut ansetzte.

„Nun…ähm..es ist mir unangenehm. Doch werde ich in diesem Thema wohl kein ausreichender Gesprächspartner sein. Ich habe von diesem Thema noch nie etwas gehört und somit sind mir auch die Texte hierzu unbekannt.“ gab er unumwunden zu. Offenbar noch immer unschlüssig wie er auf ein solch offenbar belesenes Kind reagieren sollte. Hatte ich in diesem Alter? Nein! Ich musste erst mühsam die Schrift entziffern können. Reiß dich zusammen! Wir altern nicht mehr. Sie sieht aus wie ein Kind. Ist aber wahrscheinlich älter als ich.

[Angelique]

"Hihi, das ist vielleicht besser so. Das Thema ist traurig und nur Soldaten oder Verrückte finden Gefallen daran."

Dann aber schwieg das Kind kurz und überlegte. "Das ist eigentlich keine schlechte Idee. Ich sollte Ilario fragen, ob er eine verborgene Bibliothek der Kinder Liliths und Kains einrichten will. Ich könnte ihm Kopien meiner eigenen machen."

[Gabriel Ducas]

Gabriels Augenbraue zuckte etwas als das Kind ohne korrekte Anrede über einen Ancilla und noch dazu Amtsträger sprach. Anstatt jedoch etwas zu sagen, legte er den Kopf schräg und zuckte mit den Schultern. Die Idee ist hervorragend. Er faltete die Hände zusamme und sah Angelique mit einem milden Lächeln an.

„Verzieht die Rückfrage aber ihr meint den verehrten Hüter des Elysiums Ilario Contarini? Oder gibt es noch ein weiteres Kind Kains in mit dem Namen Ilario in Genua? Ich möchte die Etikette der Domäne ungern verletzen. “ Seine Augen musterten die Umgebung. Bislang war er dem Hüter noch nicht begegnet. Allerdings musste das nicht heißen, er wäre nicht über alles in seinem Elysium informiert.

„Doch eine verborgene Bibliothek würde dem kulturellen Ansehen der Stadt sicher gut stehen und eventuell dereinst sogar Gelehrte aus Nah und Fern anziehen.“ Auf das traurige Thema der Schriftrolle ging er nicht näher ein.

[Angelique]

"Genau den meine ich. Ilario Contarini, der verehrte Hüter des Elysiums. Ich bin nicht gut in oströmischen Schmeicheleien. Bei mir freundlich gesonnenen Vampiren vergesse ich manchmal, den geziemenden Titelsermon. Seht es mir bitte nach. Ich bin nur eine einfache Müllerstochter ohne adlige oder klerikale Ausbildung. Und meist bin ich auch zerstreut und vergesse Details, die für andere wichtig sind."

[Gabriel Ducas]

Gabriels Blick musterte Angelique eindringlich. Ein Kind? Eine einfache Müllerstochter? Ohne adlige oder klerikale Ausbildung? Beschäftigt sich mit Schriften und befürwortet die Einrichtung einer Bibliothek? Mit einiger Skepsis in Stimme und Gestik sah er sich seine Gegenüber genau an. Seine sonst eloquente und kaufmännische Art geriet in diesem Gespräch etwas ins Stocken. Malkavianer sind merkwürdig hallte in seinem Kopf die Stimme eines alten Bekannten. Nur mühsam fand er den Weg zurück und nahm das Gespräch etwas holperig wieder auf.

„Nun ich kann nicht beurteilen, in welchem persönlichen Verhältnis der verehrte Hüter des Elysiums und ihr steht. Ich persönlich hatte noch nicht das Vergnügen diesen selbst kennenlernen zu dürfen, von daher belasse ich es bei den Regeln der Etikette.“ ein leicht entschuldigendes Schmunzeln erschien auf den Lippen und das Chaos etwas zu ordnen. „Wenn ihr eine Gelehrte sein wollt, welchen Themen hängt ihr an und welche Schriften würdet ihr in eine solche Bibliothek einbringen?“ Gabriel klang neugierig. Zwar hatte er von der ersten Schrifft noch nie etwas gehört und auch sonst war sein Wissen sicher nicht das Beste, dennoch konnte man nur lernen.

[Angelique]

"Alle Themen!", hauchte Angelique ehrfürchtig und begeistert. "Ich will alles wissen und die Welt in ihrer Gänze verstehen."

Sie wurde wieder etwas gelassener und der fiebrige Glanz in ihren Augen wurde weniger intensiv.
"Aber die Bibliothek sollte kleiner anfangen. Die Standardwerke der Sieben Künste für die Sterblichen, die verborgenen Annalen Genuas für die perfecti."