[1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

[Januar '22]
Benutzeravatar
Giada Salvaza Rossi
Lasombra
Beiträge: 1587
Registriert: Mo 14. Jun 2021, 21:34

[1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Giadas Fortschritte waren nicht die Schnellsten gewesen, in diesen Monaten und Jahren. Es war nicht unbedingt so, dass die Lasombra auf den Kopf gefallen war. Gewiss hatte sie nicht den fiebrig brennenden Wissensdurst Angeliques und auch nicht deren geistige Beweglichkeit, doch sie war anders als viele andere in der Lage, ihre eigene und mitunter allzu feste Meinung beiseite zu stellen und Gedankenschritte zu vollziehen, die anderen vielleicht unmöglich gewesen wären.

Es war eine dieser Nächte, in denen Angelique bei Giada zu Gast war. Der Sommer draußen war brütend heiß, so dass die Kühle der Nacht eine Linderung für jeden war. Von draußen, vom Hafen her, konnte man entfernt das Gelärme einer Feierei hören. Giada hatte eine Sternenkarte in der Hand. Arabische Schriftzeichen an den Rändern boten Markierungen und verschiedene Linien gaben Anhaltspunkte für nicht unbedingt allzu klare Berechnungen. Um den Wind ging es, um Strömung und wohl die Fahrt auf hoher See und anhand der Sterne.
Die Lasombra hatte die Karte und einige Auflistungen mit Berechnungen dazu von einem der Fernhändler am Hafen auftreiben lassen, doch damit wirklich etwas anzufangen, das war eine ganz andere Sache. Wahrscheinlich war auch das der Grund, weshalb sie sie für Angelique für deren nächsten Besuch, heute Nacht, bereit gelegt hatte.

“Es ist fast als wären die Sterne von einst nicht mehr dieselben wie heute”, grollte Giada. “Oder als hätte dieser Schreiberling sie mit einem schiefen Blick angesehen.”
Benutzeravatar
Angelique
Autarkis
Beiträge: 4642
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 14:50

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

Angelique genoss sichtlich die Wärme der Nacht, die ihren kalten Leib den Anschein des Lebens vermittelte.
Sie war unzüchtig nur mit dünnem Hemd bekleidet. Als scheinbar unmündiges Mädchen konnte sie sich das leisten, ohne von Sittenwächtern belästigt zu werden.
Ihre Haare waren wuschelig heute Nacht und sie sah dadurch noch jünger als sonst aus. Offenbar hatte sie vergessen, sich von ihren Blutsvasallen hübsch machen zu lassen.
Das war ein Vertrauensbeweis an Giada, denn sie achtete sonst immer darauf, nicht gegen die alberne Etikette der Kainiten zu verstoßen.

Das Mädchen betrachte kritisch die sarazenische Karte.
"Die Wandelsterne und ihre Bahn ist leidlich gut getroffen, aber die Sternbilder sind in der Tat verzerrt. Fixsterne, müsst Ihr wissen, sind unverändert seit den Tagen Kains und Lilliths.

Ich gehe davon aus, dass der Künstler sich Freiheiten der Darstellung nahm oder schlecht ein Original kopierte. Interessant ist, dass der Mond in den Landen des Südens seine Sichel anders zeigt. Wenn Ihr die Fahnen an den Schiffen sarazenischer Händler seht, wird Euch das auffallen. Der Mond hängt schief und das soll die Wahrheit sein, wie auch die alten Hellenen schon wussten. Malkavianer sind Experten für Dinge, die den Mond betreffen."
"I'm a mighty thesaurus! Rawr!"
Benutzeravatar
Giada Salvaza Rossi
Lasombra
Beiträge: 1587
Registriert: Mo 14. Jun 2021, 21:34

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Giada hatte die Bekleidung - oder den Mangel derselben - von Angelique mit einer merkwürdigen Sanftheit einfach hingenommen. Hin und wieder könnte sie wohl dabei ertappt werden, dass sie mit einer gewissen Melancholie zu der kindlichen Vampirin herüber sah, doch sie sprach ihre Gedanken dazu nicht laut aus.

Die Worte der Malkavianerin waren ohnehin genug Grund, sie abzulenken. “Für den Mond, in der Tat! Weshalb ist das so? Was verbindet Euer Blut ausgerechnet mit dem fernen Mond?”
Benutzeravatar
Angelique
Autarkis
Beiträge: 4642
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 14:50

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

Die Kleine seufzte. "Tja, wenn wir das nur wirklich selber wüssten. Manche sagen, der Mond sei das Auge Malkavs und in alter Zeit haben wir tatsächlich den Mond als Zeichen geführt. Vielleicht hat er sich aber auch als Mondgötze verehren lassen.
Einzig Lukian von Samosata, der vor achthundert Jahren zum Mond gereist sein soll, mag die Antwort darauf kennen.

Andere sagen, man nennt uns Mondkinder, weil wir uns wie mondsüchtige Sterbliche verhalten, die schlafwandeln und nicht wissen, was sie tun. Diese Theorie sollte man aber besser nicht bei solchen wie Ferrucio äußern.
Ich dagegen sehe die Wahrheit darin, tue ich doch häufig Dinge, selbst komplexe Dinge, die nicht meinem bewussten Willen entspringen.
Meine Orakelvisionen zum Beispiel.

Da Malkav aber kein Mensch war, bevor er zu einem der perfecti wurde, sondern ein Engel des HErrn, ist die Wahrheit wohl viel fantastischer, als wir es uns vorstellen können.

Faktum es: Ich liebe den Mond. Sein Schein wärmt mich und ich fühle mich nie alleine in der Nacht."
"I'm a mighty thesaurus! Rawr!"
Benutzeravatar
Giada Salvaza Rossi
Lasombra
Beiträge: 1587
Registriert: Mo 14. Jun 2021, 21:34

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Fah, als wenn unsereins sich Namen Sterblicher Schwächen anheften ließe!” Die Lasombra hatte offenkundig die Geduld mit dem widerspenstigen Schriftstück verloren und fegte es auf dem Tisch beiseite.
“Und zum Mond soll einer gereist sein? Das klingt allzu fantastisch.” Sie schnaubte. “Ich habe mich immer gefragt, woher dieser Name kommen soll. ‘Mondkind’. Es klingt falsch. ‘Erben Cassandras’ - das kann ich verstehen. Seher, in der Tat. Wer mit nicht nur der Legende der Sibylle sondern ihrem tatsächlichen Echo in der eigenen Gegenwart die Nacht kennen lernt, wird das niemals leugnen.”
Sie sah prüfend zu Angelique.
“Ihr seid offen in Eurer Feindschaft zu dem verehrten Ferrucio. Mir gefällt eine solche Feindschaft nicht eben, doch mir scheint dies eine Sache des Blutes zu sein, in welche ich nicht hinein zu langen habe. Doch Feindschaft oder nicht - es muss etwas geben, das Ihr mit ihm gemeinsam habt. Dass alle Eure Blutes gemeinsam haben?”
Benutzeravatar
Angelique
Autarkis
Beiträge: 4642
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 14:50

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

"Oh, ich habe keine Feindschaft mit ihm. Ich habe öfter versucht, ihm zu helfen, ihn zu unterstützen und mich mit ihm zu versöhnen, als es vernünftig wäre. Und ich habe damit nie aufgehört.

Er ist es, der mich von Anfang an beleidigt hat, verprügeln ließ und sogar eine geheime Blutkraft gegen mich verwendet hat.
Nicht einmal Jesus oder der ferne indische Götze Buddha hätten mehr Geduld und Verzeihen zeigen können als ich.

Ich bin sogar so einfältig zu glauben, dass er auch heute noch umgestimmt werden könnte.
Doch als ich vor einiger Zeit es versuchte, kamen nur Forderungen, von denen er genau weiß, dass ich sie nicht erfüllen werde."

Sie erklärte das ruhig und eher mit Bedauern als mit Zorn, was allerdings unheimlicher wirkte, als würde sie sich in Rage reden.

Sie lachte leise. "Natürlich gibt es ein, zwei Dinge, die alle unseres Blutes teilen. Bei den Magistern wird das wohl ähnlich sein. Aber wir wären wahrlich eine mala cavilla, wenn wir damit hausieren gingen."
"I'm a mighty thesaurus! Rawr!"
Benutzeravatar
Giada Salvaza Rossi
Lasombra
Beiträge: 1587
Registriert: Mo 14. Jun 2021, 21:34

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Giada schnaubte dazu. “Es ist mir ein Rätsel. Diese Sache zwischen Euch und dem verehrten Ferrucio. Oder Eurem Blutahnen aus meiner Heimat und Euch.” Sie trat ein wenig vom Tisch fort wie um Angelique besser oder anders betrachten zu können - in etwa so, wie man mit einem Schritt zurück einen großen Wandteppich oder eine Malerei besser betrachten konnte.
“In dem Hofgelehrten erkenne ich einen brennenden, wahrhaftigen Glauben. Er ist ein Erbe, ein Kind dieser Zeit in der Art, wie er ihn betreibt. Doch ist dies so unüberbrückbar?”

Sie verschränkte die Arme vor der Brust, hob aber die eine Hand an und machte damit eine knappe Geste. “Ist dies eine Frage Eurer Gestalt? Oder weil Ihr Euch nicht an die Formen haltet?” Sie runzelte die Stirn.
“Ihr seid klüger und gebildeter als wohl die allermeisten in dieser Stadt. Ihr seid gereist und kennt allerlei Sprachen, als Schlüssel zu so vielen Reichen und Ländern, Völkern und Domänen.”
Benutzeravatar
Angelique
Autarkis
Beiträge: 4642
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 14:50

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

"Ja", sagte das Mädchen leise. "Und genau diese Art brennenden, wahrhaftigen Glauben fürchte ich.
Mein Normannen haben mir von dieser Art Glauben erzählt und was er anrichtet.

Sagt Euch die Stadt Barbastro im Norden Iberiens etwas? Sie ist von den Sarazenen zurückerobert worden letztes Jahr. Ein Heer aus Italien, Burgund und dem Frankenreich, vom Bischof von Rom zusammengerufen, ist den Katalanen zur Hilfe gekommen. Ihr habt bestimmt damals die Glocken läuten hören, die diesen Sieg feierten.

Die Katalanen aber waren gar nicht so glücklich, als die Stadt erobert wurde. Denn es war den Heiden ihr Leben versprochen worden, so sie sich nur ergeben würden. Sie wurden alle abgeschlachtet unter Folterqualen und ihre Frauen und Kinder geschändet und in die Sklaverei verkauft.

All dies hatte den Segen Roms und erzürnte die Katalanen, die sehr viel auf Eide und Ehre geben.
Wenn das der Wille GOttes wäre, Eidbruch und das Abschlachten von Hilflosen, dann wäre ich froh, verdammt zu sein. Für mich ist so etwas das Werk des Demiurgen und Ferrucio folgt seinem nepotischen Vertreter, aber bestimmt nicht dem Worte Jesu.

Ich halte nichts von der Idee, der Bischof von Rom bestimme über die Christenheit. Das ist ein Witz, denn ich habe in einer Zeit geatmet und meine ersten Jahrzehnte als perfecti verbracht, wo man die Herrschaft der Päpste Pornokratie nannte - Herrschaft der Mätressen."
"I'm a mighty thesaurus! Rawr!"
Benutzeravatar
Giada Salvaza Rossi
Lasombra
Beiträge: 1587
Registriert: Mo 14. Jun 2021, 21:34

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Ein mitfühlendes Herz.” Giadas Worte waren ernst und schwer.
“Ich erinnere mich an Gespräche zur Entscheidung mit meiner Herrin Mutter im Blute zu einer solchen Frage. Das mitfühlende Herz kann ebenso schuldig am Blut anderer werden wie das allzu kalte und grausame.”

“Ich habe den …Bischof in Rom, so wie Ihr ihn nennt, ehren gelernt. Ich habe die gesamte Ordnung der Kirche ehren gelernt, denn darin findet sich ein Halt. Wie alles, was Menschenhände erschaffen, ist dies von Tag zu Tag doch voller Makel, doch das ändert nichts an der guten Ordnung. Es zeigt allein die Fehler und die Schuld jener, welche dieser Ordnung nicht genügen.”
Giada machte eine Geste zum Fenster hin als wollte sie auf die gesamte Stadt zeigen.

“Wenn ein Mann einen anderen erschlägt, so ist dies eine Sünde. Wenn er ihn erschlägt, um seine Frau und Kinder vor diesem Fremden zu verteidigen, so ist es recht? Wenn ein Christenmensch einen Heiden bekehrt, so ist dies gut und ehrbar. Wenn er ihn erschlägt, so ist dies Sünde, denn der Heide hätte zum Glauben finden können. Doch wenn er ihn erschlägt, um zu verteidigen, was er sich erkämpft hat?” Sie machte eine abwinkende Geste. “Diese Dinge lassen sich in endlosen Stufen weiter aus dem hohen Berg des Guten und Bösen herausmeißeln. Für die allermeisten Menschen auf dieser Welt gilt jedoch, dass sie die rechte Ordnung brauchen: Sie haben nicht die gute Kraft, das Wissen, die Befähigung zur rechten Entscheidung. Sie haben nicht die Zeit oder Muße, um mühsam mit ihren Händen jene Stufen in jenen Berg zu hauen. Allzu leicht und zu allzu schnell verfallen sie den Verlockungen des Teufels.”

Jetzt legte sie Hand einfach auf die Brust und ballte sie dort zur Faust.

“Mord und Folter ohne Maß und Ziel sind wahrhaftig unrecht. Eine der Todsünden ist der Zorn - eine, welcher gerade wir auch allzu leicht anheim fallen. Doch wenn in einer fremden Stadt in einem fremden Land ein Herrscher oder ein Kirchenmann dieser Sünde anheim fiel, so sollte dies nicht die gerechte Ordnung der Welt stören. Es sollte nicht Euer Vorwand werden, unversöhnlich zu werden. Allein, es sollte eine Warnung davor sein, wie leicht und wie tief selbst die Größten und die Höchsten unter uns fallen.”

Mit gerunzelter Stirn sah sie Angelique an. “Ihr steht hier in Genua inmitten eines Sturms aus Glauben und Macht. Ihr wurdet sogar bereits davon erfasst und ich denke, jener Sturm wird nur weiter losbrechen und heftiger werden. Ihr könntet Aussöhnung mit den Euren finden, mit Ferruccio ebenso wie mit Eurem Ahnherrn. Wenn sich eine solche Gelegenheit für Euch böte, wenn sich die Hindernisse, welche Ihr als so unüberwindbar vor Euch seht, lichten würden, würdet Ihr den Schritt tun?”
Benutzeravatar
Angelique
Autarkis
Beiträge: 4642
Registriert: Fr 22. Jan 2016, 14:50

Re: [1065] Woher und wohin [Angelique, Giada]

Beitrag von Angelique »

"Natürlich würde ich das tun", sagte Angelique geduldig. Aber sie fügte auch hinzu: "Wie all die Dutzend Male zuvor auch. Ich bin es nicht, die unversöhnlich ist.
Aber ich wäre fast durch Ferrucio umgekommen, obwohl ich nicht weiß, ob das sein Plan war.

Ich weiß aber mit Bestimmtheit, dass es der feste Plan des Häretikers war, als ich durch seine Intrige fast vernichtet wurde.

Gestattet mir also leichte Zweifel, ob die anderen mit mir Versöhnung suchen."
"I'm a mighty thesaurus! Rawr!"
Gesperrt

Zurück zu „1065“