An einem späten Mittsommernachmittag erreicht ein Bote das kleine Gehöft am Leuchtturm. Er erklärt dass er eine Depesche für die Hausdame mit sich bringen würde. Verweilen tut er jedoch nicht. Nach einigen kurzen Fragen, und nachdem er jemanden gefunden hatte der seiner Ansicht nach dafür Sorgen würde, dass die Nachricht ihr Ziel erreichte machte er sicht wieder auf den Weg zurück. Wollte er doch vor Einbruch der Nacht wieder zurück sein. Die Nachricht sei von Benjamin aufgegeben worden.
Der Brief war mit Wachs verschlossen kam jedoch ohne weiteres Siegel. Das benutzte Material war vor allem zweckmäßig aber keine zweite Wahl. Alles in allem konnte man das Gefühl bekommen, das Aussehen der Nachricht wäre gewollt neutral gehalten. Sollte Iulia die Nachricht öffnen würde sie folgende, schlicht notierte, Zeilen lesen können.
Wohlwerte Iulia Cornelia, Harpyie von Genua, Neugeborene vom Blut der Könige, Kind der Aurore, la principessa bianca, Prinz von Genua, Ahn vom Blut der Könige, Kind des Alexandre de Paris, Ahnherr vom Blut der Könige, Kind des Ventrue, erster seines Blutes, Kind des Enoch, des Weisen, Kind des Kain, des Vaters,
Wie Ich bereits eurem wohlwerten Bruder Liutprand mitteilte bin Ich an einer Beilegung unserer Differenzen interessiert. Da Ich der Meinung bin, dass das Elysium für eine solche Unterredung doch etwas zu öffentlich sein könnte, wäre mein Vorschlag dass wir uns am Frohnleichnahm dieses Jahres an einem Ort eurer Wahl begegnen. Eine Nachricht an die Saba ob und wo dieses Treffen zustande kommt oder Änderungsvorschläge eurerseits wird mich zeitnah erreichen.
Ein Botenjunge, welchen es wohl in Genua zuhauf auf der Straße geben mochte und der für eine Handvoll Münzen Nachrichten überbrachte, ohne selbst weiter Fragen zu stellen, erreichte die Saba einige Nächte später. Die verbale Antwort, welche er Benjamin oder einem seiner Stellvertreter überbrachte, war dass die Herrin Iulia den friedlichen Garten als einen ausgezeichneten Ort für eine Begegnung halte und sie eine Stunde nach zwölf in der Casa anzutreffen sei.
Entsprechend hatte Iulia sich in jener Nacht dorthin aufgemacht. Gekleidet wie so oft in einem weißen seidenen Kleid unter einem wollenen grauen Umhang mit Lammfellbesatz, den sie neben sich auf dem Stuhl feinsäuberlich gefaltet abgelegt hatte, während sie mit dem Rücken zum größeren Teil des Elysiums saß, den Blick auf das Gemälde gerichtet, dieses mit einer gewissen Nachdenklichkeit aus dieser Position heraus begutachtend, dabei auf das Erscheinen des Banu Haqims wartend, der sie sprechen wollte.
Benjamin kam zeitig aber später als die Harpyie und so konnte Iulia während sie gerade das Gemälde betrachtete Schritte hören. Keine ausfallenden oder gar gehetzten sondern im Gegenteil leise und sacht. Den Rhytmus beibehaltend erschien die Silhouette des Banu Haqim in ihrem Blickfeld und er neigte den Kopf betont etwas tiefer als noch bei ihrer letzten Begegnung. Gekleidet war er in die einfache Kleidung eines Bauernjungen. Leinenoberteil und eine gegerbte Lederhose. Während seine Aufmerksamkeit ganz offensichtlich auf ihr lag erhob er dennoch vorerst nicht die Stimme.
Die Harpyie ließ ihren Blick aus blaugrauen Augen von dem Kunstwerk weiter auf Benjamin wandern als er in ihrem Blickfeld erschienen war und drehte einen kurzen Moment später ihren Kopf in dessen Richtung, ihm mit einem leichten Nicken zunickend, bevor ihre feingliedrige helle Hand einladend auf den freien Stuhl ihr gegenüber deutete.
Ihr Blick folgte seinen Bewegungen und ihr Haupt nickte noch einmal dezent, nachdem er den Stuhl erreicht hatte, während sie ihre Hand entspannt in ihren Schoss zurücksinken ließ. Die Körpersprache der Ventrue war gewohnt aufrecht und in sich ruhend, als sie sich an den Banu Haqim wandte und mit einer melodischen Stimme sprach: „Guten Abend. Ich hoffe ihr seid wohl auf und dieser Ort euch nicht gänzlich unangenehm.“
Sie machte eine kurze Sprechpause, bevor sie weiter fortfuhr: „Ihr wolltet mich sprechen?“
Benjamin kam ihrer Aufforderung nach und setzte sich. "Guten Abend und ja Ich bin wohl auf, danke der Nachfrage. Ich hoffe es geht euch ebenso wohlwerte Iulia Cornelia. Und nein dieser Ort stört mich keinesfalls, Ich dachte nur dass der verehrte Hüter in letzter Zeit sowieso schon viel zu hören bekommen wird und man ihn alleine quantitativ hätte entlasten können wen man sich an einem anderen Ort getrofen hätte." er ließ seine Worte für ein paar Momente so stehen ehe er sich ihr vollständig zuwandte und nickte.
"In der Tat das wollte Ich. Seht... Ich bin bereit euch und eure Stellung anzuerkennen. Ich habe euch und eure Resillienz unterschätzt. Unsere Missverständniße rauben mir Zeit und Energie und halten mich von essentiellen und deutlich wichtigeren Aufgaben ab. Solches Handeln aus der Motivation verletzten Stolzes und Rache sind nicht länger tragbar. Also habe Ich mich an mein Kredo erinnert und um dieses Treffen gebeten." dabei beließ er es fürs erste. Interessiert schaute er in ihre Richtung auch wenn sich ihre Augen nie wirklich trafen, waren sein doch leicht gen Boden gerichtet.
„Nun ich habe keinen Grund für Geheimnisse vor dem Hüter der Elysien.“, meinte die Ventrue in einer ruhigen und unaufgeregten Stimme, bevor ihre Hände sanft in die Umgebung deuteten und sie feststellte: „Zumal ich als Harpyie den Garten hier als Ort der friedlichen Zusammenkunft durchaus sehr zu schätzen weiß.“ Ihre Hände sanken in ihren Schoß zurück, als sie ergänzte: „Auch wenn ihr einen anderen bevorzugt hättet, weshalb ich nicht wusste, wie genehm er euch sein würde. Aber es ist schön, dass er euch nicht stört.“
Iulia machte eine kurze Sprechpause, bevor sie weiter fortfuhr: „Ich selbst bin wohl auf und es freut mich zu hören, dass ihr angeblich euren verletzten Stolz und euren Wunsch nach Rache überwunden habt. Erlaubt mir dennoch die Frage, was diese plötzliche Veränderung eurer Haltung hervorgerufen haben soll, nachdem ihr nicht einmal ein Jahr zuvor noch den Hüter der Elysien zu einen gemeinen Laufburschen für eure Nachricht an mich degradiert hattet, obwohl ihr wusstet, wie ihr mich erreichen könntet?“
Benjamin erhob den Zeigefinger und ließ ihn von links nach rechts und wieder zurück wandern als er kopfschüttelnd entgegnete. "Dieser Version der Ereignisse muss ich entschieden widersprechen wohlwerte Harpyie. Ich wusste dass ich ziemlich sicher nicht erwünscht bin bei eurer Zusammenkunft. Also übergab Ich eine Nachricht an die Untergebene des verehrten Hüters mit dem Addendum, dass dieser jedoch natürlich jederzeit selbst einen Blick in die Nachricht werfen könne. Immerhin befinden wir uns hier auf seinem Grund. Ich entschuldigte mich ebenfalls wörtlich, überbracht durch seine Untergebene, vielmals bei ihm für die Unannehmlichkeiten die ihm dies verursachen könnte. Dass der verehrte Hüter letztendlich entschied euch die Nachricht persönlich zu überbringen war außerhalb meiner Handlungsreichweite und nicht von mir intendiert." er machte eine kurze Sprechpause, auf ihre implizite Aussage dass es an einem anderen Ort womöglich keine friedliche Zusammenkunft gewesen wäre ging er vorerst nicht ein. Entweder er hatte die Bedeutung der Worte nicht verstanden, oder, was wahrscheinlicher war, hatte sich entschieden sie zu ignorieren.
"Was sich geändert hat... nun ja Ich hatte eure Resillienz einerseits unterschätzt. Andererseits reifte im letzten Jahr die Erkenntnis, dass Ich, ob es mir gefällt oder nicht, auf euer Wohlwollen zwar nicht angewiesen bin was meine Pläne für die Zukunft betrifft. Diese aber durch euren Missmut, empfindliche Schläge abbekommen könnten. Zuguterletzt, sind es auch meine eigenen Worte gewesen die mich umdenken ließen. Wir sollten anstatt unseren Blick nach innen zu richten, lieber nach außen schauen und für die höchst verehrte Majestät und Genua eine geeinte Front nach außen bilden." insgesamt klangen seine Worte ehrlich, hier und da hielt er sich wahrscheinlich absichtlich vage um nicht ungewollterweise Abzweigungen dieser Unterhaltung zu erkunden welche mit einem weiteren Zerwürfniss enden könnten.
Seine Haltung hatte etwas demütiges, aber nicht unterwürfiges, und man konnte durchaus beobachten, dass ihn dieses Gespräch einiges an Überwindung kostete. Insgesamt war aber festzustellen, dass Benjamins gesamte Körpersprache, sein Stimmton und Stimmfarbe deutlich ruhiger und präziser geworden waren.
"Ich hoffe ihr seid ebenso wie Ich an einem Überdenken des Status Quo interessiert nachdem Ich euch nun die Gründe meiner Haltungsänderung erläutert habe wohlwerte Iulia Cornelia?" hier erlaubte es sich Benjamin zum ersten mal Blickkontakt herzustellen, so die Harpyie dies ebenso tun würde. In seiner Mimik war durchaus so etwas wie Zurückhaltung und Anspannung zu lesen, die Benjamin jedoch gut zu kaschieren wusste. Andererseits war der letzte Satz natürlich auch so etwas wie ein Griff nach der Initiative um sachte und behutsam aus der Stellung des Bittstellers zu einem aktiven Gespräch überzugehen.
„Und da ihr, aus welchen Gründen heraus auch immer glaubtet zu wissen, ihr wärt nicht auf dieser Veranstaltung erwünscht, hattet ihr dem Diener des Hüters der Elysien eine Nachricht, zu der ich der Höflichkeit halber nichts weiter sagen möchte, an mich zukommen lassen, wobei ihr die Diskretion sowie die Integrität des Hüters der Elysien herausgefordert hattet, indem ihr ihm freundlicherweise zugestanden hattet, jene Nachricht an mich lesen zu dürfen?“, erkundigte sich die Harpyie rhetorisch und mit einseitig leicht nach oben gezogenen Augenbraue auf den Fingerzeig ihres Gegenübers hin, bevor sie nüchtern feststellte: „Eine interessante Entscheidung vor allem nachdem ihr, wie ich bereits sagte gewusst habt, wie ihr mich anderweitig hättet erreichen können.“ Ihre feingliedrige Hand beschrieb eine wegfegende Geste, als sie meinte: „Aber nun gut, reden wir nicht weiter darüber.“
Ihre Hand hatte sich erneut entspannt in ihren Schoss zurück gelegt, bevor sie ihm mit einem ruhigen Ton weiter zu verstehen gab: „Wie ihr scheinbar vergessen habt bin ich bereits seid über drei Jahrzehnten dabei, zwischen alteingesessenen Genuesen und der See der Schatten zu vermitteln. Etwas was durch eure jüngsten Eskapaden zwar nicht unbedingt einfacher wurde, jedoch irrt ihr euch so ihr annehmt mein angeblicher Missmut wäre der Grund dafür, weshalb ihr empfindliche Schläge abbekommt. Vielmehr sind sie die Folgen und Konsequenzen eurer eigenen Entscheidungen und Taten, worauf ich, wie ihr sicher versteht, kaum einen Einfluss habe.“ Ihre blaugrauen Augen lagen dabei noch immer ungerührt in den seinen, als sie ihm den massiven Fehler in seiner Denkweise klar machte und sanft mit den Schultern zuckte.
Benjamin seufzte leicht während er seine Haltung in Iulias Richtung eindrehte. Die Beine überschlagen, eine Hand auf dem Knie liegend die andere das Kinn stützend. "Ich dachte nachdem Ihr dem verehrten Chronisten umgehend von meinen Worten an Euch erzählen musstet, wäre die Sache klar gewesen. Aber da muss Ich mich wohl geirrt haben." er machte eine Andeutung einer wegwerfenden Geste mit der Hand die gerade noch sein Kinn gehalten hatte.
"Zumindet schien der verehrte Hüter nicht so als ob er sich in seiner Integrität und Diskretion herausgefordert fühlte. Doch Ich kann mich bei einem kommenden Treffen gerne noch einmal meiner Einschätzung versichern so ihr dies wünscht?" seine Stimme klang neutral, sehr neutral, weder huschte ein Lächeln über sein Gesicht noch sonst irgend eine Emotion.
"Das Ich alleine für mein Handeln verantwortlich bin und auch die Konsequenzen dafür trage ist mir bewusst wohlwerte Iulia Cornelia. Und auch wenn ihr wie ihr sagt, auf solcherlei Dinge keinerlei Einfluss habt, jetzt bin Ich schon einmal hier. Ebenso muss alles einen Anfang haben. Und ihr habt nun schlussendlich die Wahl. Meine Respektsbekunndung vor euch und eurem Amt, sowie mein Versprechen dass Ich gelobe mein Verhalten zu verbessern, anzunehmen oder eben nicht." sie nachdenklich musternd fuhr er sich mit dem Zeigefinger über die Schläfe.
Schweigend betrachtete die Harpyie nachdem ihr Gegenüber geendet hatte dieses einen schier endlos dauernden Augenblick lang, in dem ihre blaugrauen Augen regungslos auf Benjamin lagen, bevor sie ihm nach der Dauer eines weiteren Herzschlags mit einer ruhigen und gleichmäßigen Stimme zu verstehen gab: „Eure Worte wurden so zur Kenntnis genommen.“
Noch einen weiteren Moment lang schwieg die Ventrue danach und sah den Banu Haqim einfach nur an, bevor sie fortfuhr: „Und was den Chronisten anbelangt, so weiß ich nicht mit wem ihr denn noch so alles über ihn gesprochen hattet, in eurer blind anmutenden Hetze gegen ihn.“ Ihre blaugrauen Augen lagen weiter auf ihm, bevor sie nur den Kopf schüttelte.
„Aber ich meinte ich hatte euch bereits damals, wenn auch auf höflichere und diskretere Weise zu verstehen gegeben, dass ihr besser eure Klappe halten oder aber eindeutige Beweise für eure haltlosen Anschuldigungen vorbringen sollt. Oder?!“, erkundigte sie sich bei ihrem Gegenüber, welches sie fragend anblickte.
Erneut pausierte die Ventrue, bevor sie rhetorisch meinte: „Es spricht allerdings natürlich sehr für euch, dass ihr sofort glaubt ich sei umgehend zum Chronisten gegangen, um diesem von euren Worten erzählen zu müssen, als hätte ich nichts besseres zu tun, anstatt einmal selbstreflektierend darüber zu sein, ob nicht vielmehr ihr selbst euch ihm gegenüber verraten hattet.“
Wieder machte sie eine sprachliche Pause, bevor sie ergänzte: „Insbesondere nach den neuerlichen haltlosen Anschuldigung von euch, die ihr wohl ihm gegenüber erhoben hattet.“ Wieder und wieder machte die Harpyie jene bewussten Sprechpausen, womöglich um ihm seine eigene Arroganz vor Augen zu führen.
„Auch wenn ich, wie ihr gerade so schön deutlich gemacht hattet, keinerlei Einfluss auf euer Tun habe.“, griff Iulia seine Worte unbeeindruckt auf, bevor sie ihm empfahl: „So rate ich euch doch zu eurem eigenen Wohl, zumindest dieses Mal besser den Mund zu halten. Denn ich fürchte anderenfalls, wird der Chronist nur wenig Grund dafür haben, keine Beschwerde bei Aurore über euch und euer Verhalten einzureichen, und ein Urteil zu verlangen.“
Iulia machte erneut eine kurze Sprechpause, bevor sie dem Banu Haqim versuchte ins Gewissen zu reden: „Und offen gestanden, ich weiß nicht, wie gut es euch dieses Mal bekommen mag, so ihr schon wieder glaubt die Geduld des Prinzen dieser Domäne euch gegenüber auf die Probe stellen zu müssen.“
