[1066] Magister et Pupilla [Angelique, Ilario]

[Angelique]

Angelique eilte sofort, als sie die Nachricht erreichte, zur Villa des Ilario.
So durstig war sie nach Wissen, dass sie nicht zögerte.

Sie wusste, wie gut der Magister sie kannte und ihre Schmerzgrenzen, was Preise für Geheimnisse anging, lagen.
Bestimmt würde er sie, die verschwiegen und loyal ihren Freunden war, Neues lehren wollen.

Warum würden die Magister sonst auch Magister heißen, wenn sie nicht lehren wollen würden?

[Ilario]

Ein schon etwas in die Jahre gekommener Wächter in grauer Kluft, angetan mit einem kurzen Schwert, verneifte sich höflich vor der jungen Dame als er sie am Tor des Anwesens empfing. Vielleicht hatte Angelique ihn irgendwann einmal gesehen als er noch ein Knabe gewesen war, aufgewachsen als Waise. Einmal fuhr er sich durch den kurzen, ergrauenden Bart, dann bat er sie ihm zu folgen. Durch den Garten ging es schnell zu dem eigentlichen Gebäude, da schon älter war und wenig mit den modernen Geschlechtertürmen gemein hatte, die in Mascharana sonst gen Himmel wuchsen. Dort angekommen brachte der Bewaffnete die kleine Malkanianerin zu einem Raum der wohl eher die Kammer einer Dienstmagd war als Ilarios Schreibstube oder der herrschaftliche Saal. Er bat sie einzutreten und schloss die Türe hinter ihr.

Ilario erwartete seine alte Freundin dort bereits, er saß in einer der Art der römischen Feldherren nachempfundenen, Sitzgelegenheit. Ihm gegenüber stand ein weiterer solcher Stuhl. Er deutete ihr sich doch zu setzen.

"Nun, es freut mich, dass dein Wissensdurst noch immer nicht erloschen ist. Das was du begehrst ist gefährlich Angelique, sehr. Doch ich kenne dich schon lange, du weisst, dass es seinen Preis hat, solches Wissen... Daher weise ich dich auch nicht umgehend ab. Es gibt einen Preis, und es gibt Bedingungen. Doch zunächst habe ich Fragen: Warum und wieso jetzt?"

[Angelique]

Angelique setzte sich und druckste etwas verlegen herum.

"ich bin in einer Sackgasse angelangt, was das Lernen über uns und unseren Zustand anbelangt. Außerdem dem bin ich zu dem Schluss gekommen, dass das, was ich erstrebe, dem, was ich bereits kann, sehr nahekommt. Und ich will ergründen, wo die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede liegen. Wo die gemeinsamen Wurzeln unseres Wissens liegen.
Ob vielleicht in der ersten und der zweiten Stadt einst so wie wir jetzt Malkav und Ahriman saßen und einander lehrten. Oder Kain selbst es den Ältesten beibrachte, wie Lilith es ihm gelehrt hatte."

[Ilario]

"Ich verstehe dich... Mehr als du ahnst. Jemand, ein wesentlich älterer und weiserer Kainit, sagte mir es läge auch im Blute Malkavs die Geister anderer zu Täuschen, ihnen Trugbilder vorzugaukeln und Maskeraden. Dies jedoch anders, als es in meiner Macht stünde. Liegt darin Ähnlichkeit, Unterschied oder beides zugleich?"

Etwas anderes in den Worten des kindlichen Orakels schien Ilario zu verärgern, weckte seinen Unwillen.

"Ahriman? Sprich nicht von ihm als Begründer des Clans. Dies ist die Propaganda anderer, gar Ahrimans selbst vielleicht, der meines Wissens ein Ahnherr auf Sizilia ist. Einer dessen Nachkommen eine machtvolle Linie darstellen. Aber das was manche den Schatten oder Lasombra nennen... ist er nicht."

Halbwissen um Ahnenlinien war viel zu gefährlich um es so lapidar zu gebrauchen wie sie es tat fand Ilario. Vieles lag im Dunkel, im Clan der Schatten noch mehr als bei anderen.

[Angelique]

Angelique war erschrocken.
"Das wusste ich nicht! Verzeih! Ich dachte wirklich, der Name des persische Erzdämons wäre ein Beiname eures Ersten. So bin ich Opfer der Lüge geworden, für die auch der zoroastrische Namensgeber berüchtigt ist. Oh, ich wünschte, ich könnte die Zusammenhänge besser verstehen! Dann würden mir auch solche Fehler nicht unterlaufen!"

Sie wirkte zerknirscht. Gerade in Glaubensfragen wollte das kleine Harmoniekainsbärchen niemanden vor den Kopf stoßen. Erst recht nicht Ilario.

Um wieder auf das Thema zurückzukommen, bestätigte sie Ilarios Sinnieren. "Genau so sehe ich es auch. Und da ich bei den obskuren und verwirrenden Maskeraden nicht weiterkomme, dachte ich, ich könnte dich bitten, mich die klare, eindeutige Macht des Geistes zu lehren, deren Einblick du mir einst gewährt hattest."

[Ilario]

Ilario nickte, akzeptierte ihre Entschuldigung, und ging wieder auf das eigentliche Thema ein.
"Wie gesagt ziehe ich es Erwägung dich zu lehren. Im Gegenzug erwarte ich selbiges von dir..."
Nun sah der Magister seinerseits Angelique abwartend an und noch bevor sie antworten konnte ergänzte Ilario. "Bedingungen, ich sprach von Bedingungen... Es wäre zusätzlich folgende, zu unserer beider Sicherheit: Du sprichst mit absolut niemandem darüber und wenn wir fertig sind wende ich jene Kraft an... um sicherzustellen, dass man dir jenes Geheimnis zwischen uns nicht zu entreißen vermag."

[Angelique]

"Das also widerfuhr mir auf Sizilien!", rief sie in plötzlicher Erkenntnis aus. "Nun ergibt das alles einen Sinn! Kann man so eine Manipulation des Geistes rückgängig machen oder zumindest erforschen, was an Erinnerungen fehlt oder verfälscht wurde? Ich würde gerne wissen, was ich erlebt habe und wer genau mich vergessen ließ. Der Schluss liegt nahe, dass es jemand mit genau diesen Künsten war."

[Ilario]

"Was verloren ward bleibt verloren." Zitierte Ilario die Worte eines Alten. "Ich würde allerdings auch nicht völlig ausschließen, dass es Möglichkeiten gibt. Die Geheimnisse unserer dunklen Welt sind vielfältig, die Alten jedoch hüten sie eifersüchtig. Denn sie wissen um ihren Wert."

Grimmig sah der Lasombra das kleine Orakel an. Sizilien, immer wieder Sizilien. Probleme über Probleme... "Was genau ist passiert? An was erinnerst du dich?" Er wirkte nun viel mehr auf der Hut, als könne sie ihn jederzeit anspringen, angreifen auf diese oder jene Weise.

"Du kennst meine Bedingungen, unter diesen Umständen sind sie unverrückbar und von größerer Notwendigkeit als du ahnst."

[Angelique]

Angelique lachte. "Ein Bote sagte mir nach einem Jahr, in dem ich mich an nichts erinnern konnte, ich dürfe nicht darüber reden. Ich hätte einen Eid geschworen, es nicht zu tun.

Du weißt, was ich von Eiden halte, die unter Zwang gegeben werden und nicht aus freien Stücken. Das ist wie eine der Geschichten Brimirs, deren Helden nicht wissen, dass sie etwas nicht tun dürfen, weil ein Götze es so beschlossen hat, und sie unwissentlich ihr Verderben besiegeln.
Wohl eine Weltsicht, die jene alte Kreatur auch teilt. Ich aber nicht! Ein Eid bindet, wenn man sich zumindest an ihn erinnern kann. Kann ich nicht."

Sie sagte ihm im Folgenden alles, was sie wusste, auch den unheilvollen Namen, dem sie angeblich einen Eid schwor. Es war ihr in kindlichem Trotz egal, ob das Konsequenzen hatte. Sie hatte ihre christlichen Prinzipien und hatte schon mehrfach dafür ihre Vernichtung riskiert. Einen Blutegel mit dämonischem Namen fürchtete sie nicht. Denn der Herr war mit. Immer.

[Ilario]

Nachdenklich nickte Ilario, sah Angelique einen langen, stillen Moment an. "Eide die vergessen gemacht wurden, ich verstehe deine missliche Lage. Was den Zwang angeht glaube ich, dass dieser nicht von einem Eid entbindet. Vielleicht wenn es ein metaler Zwang war und es wirklich keine Wahl gab. Allerdings klingt diese Art mit Eiden umzugehen nicht nach jemandem der den Weg der Könige geht. Vielleicht jemand der damit dich und deinen Weg und deinen Glauben testen will. Oder verhöhnen." Schließlich verengten sich eine meergrauen Augen und leise fragte er: "Sprich ihn nocheinmal aus... diesen Namen." Diesmal betrachtete er, der selbst ein Scholar jener Mysterien war, die Schatten die auf der kleinen Malkavianerin lagen, die Schatten die sie umgaben.