[1070] Einen Sprung vorbereiten [Nubis, Angelique]

[Nubis]

Nachdem ein Bote geschickt worden war, welcher bei Angelique um die Zusicherung des Turms gebeten hatte und die Anfrage möglicher Vorbereitung für eine besondere Nacht übermittelt hatte, entschied es sich doch, dass darüber mehr als nur das Wort eines Boten gewechselt werden sollte.

Und so stand am Fusse des Turmes in der vereinbarten Nacht des Treffens ein Mann, gehüllt in reiches Tuch und hinter einer reich verzierten Olivenholzmaske verborgen, und sah hinauf. Er liess sich anmelden, sprach hier kein Wort, denn sein Diener wusste, was zu tun war.
Trotz all der Kleidung stand dieser Mann aufrecht, wie jemand von edlem Geblüt oder jemand, der überzeugt war, es zu sein. Doch er war keiner von jenen, die ungeduldig die Untergebenen eines anderen herunterputzten, sondern jemand, der geduldig auf die Gastgeberin wartete.

[Angelique]

Zwei schwer gepanzerte Normannen empfingen den enigmatischen Gast und ein kleines Mädchen, in ein weißes Gewand gehüllt und mit wenig, aber erlesenem Schmuck verziert, stieg die Stufen der Treppe, die zum Turmtor führten, hinab, um ihn zu empfangen.
Es war ein schwarz gelocktes, blasses Geschöpf mit großen Rehaugen.

"Seid willkommen im Turm der Nacht, verehrter Gast. Mein Name ist Angelique aus dem Hause Malkavs. Man avisierte mir Euer Erscheinen.
Tretet doch ein."

[Nubis]

Angelique war wie ein Würfel mit vielen Seiten. Mal traf man sie als Gassenkind, mal als Gauklerin an, mal als Mädchen, dass sich anderen anbot...nie wusste man wirklich, wie sie wieder erscheinen würde. Bei Toma war das einfach, der spielte nicht wirklich eine andere Rolle. Er war der Gleiche und seine Masken waren stumpf gegen das Schauspiel von Angelique. Oder spielte sie gar nicht?

Ihr Gast nickte ihr zu, freundlich, so offen wie möglich, begrüssend.
"Vielen Dank, werte Angelique.
Nubis vom Blute Kappadozius, doch wir kennen uns bereits. Wollen wir alle weitere ohne Diener besprechen?" grüsste er sie und trat ein. Natürlich war es für ihn klar, dass die Diener draussen zu warten hatten und er mit Angelique eher im Turm sprechen würde, wie schon Jahre zuvor. Doch er liess die Gastgeberin natürlich entscheiden.

[Angelique]

"Natürlich", sagt die kleine Malkavianerin und huschte in den Turm hinein.
Die Normannen schlossen das wuchtige Tor hinter den beiden Vampiren.
Der große Turm gehörte in der Tat ihnen allein.

"Verzeiht, ich habe keine Erfrischung, die ich anbieten könnte. Für so etwas ist mein kleines Nest nicht ausgelegt."

Sie führte den Gast in das wohl höchste Stockwerk unter der Wehrplattform. Das Fenster bot einen atemberaubenden Blick auf das Lichtermeer der Stadt, das sich obendrein im Hafenwasser spiegelte.
Ein Haufen Schreibzeug, Schriftrollen und Pergamente waren nach einem für einen Außenstehenden nicht verständlichen Prinzip in Regalen gestapelt. Kindliche und höchst begabte Zeichnungen und Ex libris waren daran geheftet. Auch Zeichnungen, die beide Stile vereinten, was unheimlich wirkte. So unheimlich wie die gefalteten Bögen, auf denen nur Tintenkleckse verlaufen waren und die trotzdem Ehrenplätze hatten.

Kissen waren am Boden drapiert und luden zum Sitzen ein, wie es die Sarazenen gerne taten.
Angelique deutete lächelnd darauf.
"Macht es Euch bequem, wohlwerter Nubis."

[Nubis]

Die traute Zweisamkeit im Turm schien Nubis lockerer werden zu lassen. Wahrte er draussen die Maskerade, so streifte er sie hier ab. Er löste die Maske vom Gesicht und entblösste sein Antlitz vor der kleinen Kainitin, deren Äusseres Lügen strafte. Wehe dem, der nur darauf reagierte.

Nubis machte es sich tatsächlich bequem. Stühle waren zwar normal, doch Kissen auf dem Boden, waren viel angenehmer. Zumal man sich aussuchen konnte, wie man sitzen wollte.
Die weite Kleidung legte sich wie ein Kreis um ihn herum, als würden sie mit ihm aus dem Boden wachsen.
Mit ruhigen Worten antwortete er, doch nicht mit dem typischen hohen Klang, sondern dunkler, rauer und leiser. Dennoch war der melodische Wohlklang noch immer vorhanden.

"Keine Sorge, werte Angelique, ich schätze eure Gastfreundschaft auch ohne eine Erfrischung. Dies ist absolut nicht notwendig."

Die Schriftrollen und Pergamente hatte er nur einen Moment betrachtet, eher er sich setzte. In Angeliques wildem Chaos hätte er sicher nicht durchgesehen.

"Wie geht es euch? Wir finden selten zueinander, fast als wenn unsere Schicksale stets aneinander vorbeilaufen."

[Angelique]

Sie lachte hell.
"Manche sind froh darum, wenn sie keinem von uns begegnen. Man denkt, wir Orakel sind wie Raben und Eulen Unglücksvögel.
Dabei sagen wir doch nur wahr. Wir schmieden die Zukunft nicht, wir verkünden sie nur.
Aber für einfache Geister ist der Bote schuld an der Nachricht."

Angelique sinnierte. "Nicht viel ist passiert und ich wurde meist in Ruhe gelassen. Also würde ich schon sagen, dass es mir gut ging.
Und Euch, wie erging es Euch?"

Sie schaute neugierig zu dem mysteriösen Gast.

[Nubis]

"Wohl wahr. Wir sehen, was andere oft nicht sehen wollen. Besonders düstere Visionen können uns eher den Kopf kosten, statt das eigentliche Problem zu ergründen und dagegen vorzugehen. Ich habe es deswegen vermieden, weiterhin irgendwem zu verkünden, was ich sehe. Aufzuhalten geht es wahrscheinlich ohnehin nicht. Wie steht es um euch? Ersuchen andere noch euren Rat? Gebt ihr diesen, egal was ihr seht oder fürchtet ihr, dass es alles doch keinen Sinn macht?"

Er räusperte sich kurz mit einem Ton, der wie zerreissendes Papier klang.
"Ich habe meine sterblichen Wurzeln nun bei Seite gestreift. So manch einer bedauert dies, doch nicht ich. Es ist notwendig gewesen, um einen weiteren Schritt unserer Existenz zu beschreiten. Ich kann also nicht klagen. Die Aufgaben als Herold laufen weiterhin wie gewohnt, die Forschung ebenfalls und auch Genuas Ausbau schreitet voran. Sollte meine Schule noch Fortschritte bringen, so wird Genua in Zukunft auch davon profitieren."

Ein Lächeln war zu erkennen, auch wenn es ein wenig seltsam wirkte, da einige Zähne mehr, als normal durch die leicht transparente Haut sichtbar wurden, als sich diese spannte.

[Angelique]

"Oh, ja, manche kommen trotzdem, wenn sie etwas wirklich wissen wollen. Ihr solltet versuchen, Eure Kunst auf die Gegenwart oder Vergangenheit zu schulen. Es verstört Leute weniger, wenn sie etwas auf mirakulöse Weise finden, was verloren war oder nicht gefunden werden will.
Wenn die Eingebung nur als Vorhersehung kommen kann, dann wartet einfach bis sie eintritt und tut so, als sei es normale Recherche gewesen, die es Euch offenbarte."

Sie hob die Braue. "Was die sterblichen Fesseln angeht, urteile ich nicht die Mysterien andere Familien des Blutes. Lazarus Weg war ein anderer als der zweiten Kain. Und Euer wird wohl anders sein als meiner."

[Nubis]

"Meine Kunst scheint wohl lediglich die Zukunft sehen zu wollen und auch nur die Passagen, die einer Apokalypse besonderen Ausmasses gleichen, einem Sterben vieler Seelen... Es mag sein, dass dies aufgrund meiner Verbundenheit zum Tode geschieht. Die Vermutung, dass es einen höheren Zweck erfüllt, bleibt bestehen. Wahrscheinlich wusste ich bisher nur meine Rolle darin noch nicht ganz gut einzuschätzen, zu definieren."

Er nickte Angelique bestätigend zu, ob ihrer Aussage zum Abstreifen der sterblichen Hülle und dass ihr Weg sicher ein anderer sei, als der seine. Jedoch sprach er dies nicht weiter an. Vielleicht wollte es heute auch nicht das hauptsächliche Thema sein. Ein anderes dafür schon eher.

Er setzte sich etwas aufrechter, also noch zuvor steifer wirkend.
"Doch kommen wir doch zu dem, warum ich euch aufsuche. Die Frage zu Orakeln und unseren Fähigkeiten erübrigt sich nämlich, wenn etwas bei meinem Vorhaben nicht mit rechten Dingen zugehen sollte oder es gar nicht durchgeführt wird. Zumindest dann in meinem Falle. Ich ersuche euch, da ich denke, dass ihr nicht vorhabt, mich loswerden zu wollen, oder doch?"

Er musterte einen Moment Angelique und ihre Reaktion darauf.
Jedoch setzte er noch etwas nach, während er weiterhin beobachtete.

"Unser aller geschätzter Baumeister, der werte Vergonzo, musste einst von diesem Turm springen. Ich war dabei, als er sprang und im Hafenbecken untertauchte.
Zu Justicia entglitt mir unglücklicherweise ein Stein und traf den höchst verehrten Prinzen. Um diesen Makel fortzuwaschen, werde ich ebenso springen und hoffe, dass ihr den Turm dafür zur Verfügung stellen könnt."

[Angelique]

Angelique legte verwundert den Kopf schräg.
"Warum sollte ich Euch loswerden wollen? Selbst wenn ich Groll hegen würde, habe ich einst Neutralität geschworen."

Sie sinnierte und sagte dann: "Einige kleine Tipps vielleicht. Schnuckelbuckel hatte Glück und ist sehr gewitzt.
Bedenkt, dass der Sturz tief ist und ihr weit springen müsst, wenn Ihr nicht auf die Felsen am Fuß des Turms aufschlagen wollt.

Freunde, die Euch aus dem Wasser fischen, solltet Ihr in Starre fallen, wären von Vorteil. Wusstet Ihr, dass Wasser hart wie Stein sein kann, wenn man nur von genügend großer Höhe hineinspringt? Habe ich selbst ausprobiert, wenn auch nicht von so einer Höhe wie dem Turm der Nacht.

Und Ihr solltet, so Ihr nicht darauf vertraut, bei Bewusstsein zu bleiben und zudem noch ein guter Schwimmer zu sein, bedenken, wie bodenlos tief der Grund in Genuas Hafen ist und wie reißend seine Strömungen.
Auch alles selbst ausprobiert. Dumme, kleine Angelique!"
Sie kicherte, als sie sich selbst scholt.

Ernster meinte sie: "Was haltet ihr von einem Seil, länger als Turm und Fels, das Euch davor bewahrt abzudriften? Ich würde Euch, wenn die Strafe vollzogen ist, wieder von starker Hand hineinziehen lassen und Euch gesund pflegen, wenn Ihr in Starre gefallen sein solltet."