[1069] neue Leichen [Génotin, Toma]

[Genotin]

Genotin schob sanft aber bestimmt Toma's Hand aus seinem Gesicht. Seine Augen verrieten, dass es ihm nicht leicht viel, diesen Tanz um Wissen und Erkenntnis zu unterbrechen.

"Wir werden noch viele Gelegenheiten haben, unser Wissen auszutauschen."

Dann trat eine überraschende Verschlagenheit an die Stelle der Gier. Dabei hielt er Tomas Hand weiterhin in der Nähe seiner zerstörten Wange. Mit Mühe unterdrückte Genotin ein Husten.

"Ihr spracht davon, dass ich Fürsprecher brauche ..."

Die Stimme des Söldners klang noch einmal kratziger und metallener als sonst. Mit der anderen Hand fuhr er langsam über den Verschluss seiner Lederrüstung. Es waren nur wenige Worte, die Toma eine Nacht voller neuer Erkenntnisse und Wissen einbringen würden.

[Toma Ianos Navodeanu]

Oh. Da wusste einer wie man den Handel um Gefallen spielte. Geschickt.

Für Toma war es in jedem Fall auch eine verführerische Situation. Sie wussten dass sie hier gekauft wurden. Aber waren Gefallen nicht genau dafür da? Mussten sie diesen aber eingehen? Mussten sie Genotins Körper sehen?

Sie dachten an die anderen Kappadozianer die sie kannten und die alle so verschiedenen waren...

Ja sie mussten.

Sie lächelten Genotin mit sichtbaren ausgefahren Fängen an und schnalzte mit der Zubge. "Schlau."

"Nun es scheint ihr habt euren ersten Fürsprecher bereits gefunden."
Dann zogen sie ihre Hand aus seiner und blickten ihn auffordernd an. Auffordernd dass er hielt was seine Gesten versprachen.

[Genotin]

Genotin öffnete die Schnallen seiner Lederrüstung. Nachdem er diese entfernt hatte, zog er sein Kettenhemd über den Kopf. Zielstrebig fiel ein Kleidungsstück nach dem anderen. Seine Augen waren dabei wortlos auf Toma gerichtet, bis er schlussendlich nackt vor dem Tzimisce stand. Er breitete die Arme aus und hob das Kinn, damit sein Gegenüber ihn von allen Seiten betrachten konnte.

Der Körper des Kappadozianers war eine einzige Ruine, unzählige Male zerstört, geschliffen und danach in Teilen wieder aufgebaut.

An seinem eingeschlagenen Hinterkopf schwammen ein paar Fragmente seines zerstörten Schädels wie Eisschollen auf der Hirnmasse. Aus dem Hals ragte ein Pfeilschaft, der dort wohl schon seit Jahren vermoderte. Seine Kehle war durchtrennt worden und wieder zusammengewachsen. Der Pfeilrest im Hals und der Kehlenschnitt schienen verantwortlich für die Probleme, die Genotin beim Sprechen hatte. Der lippenlose Mund zeigte ein überraschend vollständiges Gebiss, die Zähne in mäßig gutem Zustand. Über den Wangen war die Haut eingefallen und der Schädel gut sichtbar.

Den Brustkorb zierten unzählige kleine und große Narben, Löcher, aufgerissen und wieder verwachsen, Wunden, die bis auf die Knochen reichten und manchmal darüber hinaus. Eine Öffnung gab den Blick frei auf seine grauschwarze Lunge, die schlaff hinter den Rippen herunterhing. Aus einem weiteren Loch in seiner Bauchdecke hingen Reste seiner Gedärme, verdorrt und vertrocknet, wie braune Fäden. Wie bei einer Vergiftung zogen sich schwarzblaue Adern von einer kreisrunden, etwa einen Centimeter umfassenden Narbe an der Schulter über die rechte Seite des Torsos.

Hände, Füße, Beine und Arme waren nicht minder übel zugerichtet. Überall fehlte Haut, teilweise Fleisch, an einigen Stellen war das weiß trockener Knochen sichtbar. Die Jahrhunderte, die einem Vampir für gewöhnlich geschenkt werden, würden von Genotin sicher nichts mehr als ein Skelett übrig lassen, vielleicht auch nur Staub. Alle Narben und Wunden hatten gemein, dass sie allesamt das Produkt grober Gewalt waren, verübt mit unterschiedlichen Waffen, großen und kleinen.

Schweigend stand Genotin vor Toma, geduldig und vielleicht auch ein bisschen stolz.

[Toma Ianos Navodeanu]

Sie mochten die stolzen. Diese versteckten sich nicht, jammerten nicht. Warum sollte man sich auch seines Körpers schämen?
Dieser Körper war aus rein objektiver Betrachtung keiner auf den man Stolz sein konnte, war er doch zerstört und zerfleddert. Doch dass er dennoch stand und ging und funktionierte was das eigentlich bemerkenswerte und sicher konnte der Kappadozianer stolz darauf sein, vor allem stolz auf das was er überlebt hatte.
Wie lange würde das jedoch gut gehen? Wann wäre der Körper so zerstört, dass er nicht mehr funktionieren würde?
Was für ein schweres Schicksal diese Wunden nicht heilen zu können.

Sie waren ebenfalls aufgestanden und umrundeten Genotin nun. Betrachteten ihn ausgiebig und fühlten den Löchern und Narben nach. Vor allem jedoch dessen Kopf mit der beschädigten Schädeldecke hatte ihr Interesse gezogen. Vorsichtig tasteten sie darauf herum. Was der Knochen noch unter Hautverborgen oder teilweise freiliegend?
Zugern würden sie sein Hirn sehen.

"Wenn dies nicht ein Teil eures Blutes ist, wie bei den anderen, sondern euch etwas eigenes, so könnten wir versuchen euch wieder herzustellen." sprachen sie plötzlich.
"Zumindest für diesen traurigen Rest Gedärm habt ihr nun wirklich keinen Nutzen mehr. Wie wir alle. Wir könnten ihn euch entfernen."

"Fühlt ihr nicht konstant Schmerzen? Wie ist es für euch wenn die Lunge so frei liegt?" Sie kannten das Gefühl selbst von freiliegenden Gedärmen, hatten sie sich selbst schließlich auch oft genug den Rumpf geöffnet.

Sie konnten es auch nicht lassen die Finger in die Öffnungen zu stecken, würde er daraufhin zusammenzucken, schreien? Es überhaupt bemerken?

[Genotin]

Genotin straffte den Rücken und ließ die Berührungen stoisch über sich ergehen. Er beugte sich sogar etwas zur Seite, um seine Rippen so weit zu öffnen, dass Toma bequem mit der Hand die Lunge erreichen konnte.

"Ich fühle Schmerzen, aber nur bei frischen Verletzungen. Der Schmerz vergeht, er ..."

Genotin suchte das richtige Wort und nutzte die Zeit für ein erlösendes Räuspern.

"... er heilt. Der Körper hingegen nicht."

Genotins Blick war in die Ferne gerichtet, als würde er sich an jeden Schmerz erinnern, den ihm die Verletzungen beschert hatten.

"Ob dieser Zustand Teil meines Blutes ist, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht ist es bei mir auch nur schneller und brutaler und ich bin das, zu dem jeder Kappadozianer wird, wenn die Jahrtausende verstreichen. Aber allein die Vorstellung klingt anmaßend."

Er ließ auch die Untersuchung seines Kopfes über sich ergehen. Eine Schicht Haut war straff und löchrig über die Knochenreste gespannt, wodurch der Hinterkopf teilweise wie ein Gebirge wirkte. Durch ein paar kleine Öffnungen konnte man so etwas wie ein Gehirn erahnen, zur Überraschung von Toma schien es aber ähnlich verrottet zu sein wie die Gedärme, die sichtbar aus dem Bauch hinaus hingen. Nach einer Weile des Abtastens, Drehens und Betrachtens wandte sich Genotin wieder direkt an Toma.

"Seid bedankt für das Angebot. Vielleicht werde ich es eines Tages annehmen. Dieser Tag ist jedoch nicht heute."

Ein Röcheln folgte, Genotin griff zum Hals und rückte den Pfeilschaft etwas zurecht. Dann senkte er den Kopf.

"Ich hoffe, ich konnte euren Forschergeist ... befriedigen?"

Ein leichtes Schmunzeln umspielte den lippenlosen Mund.

[Toma Ianos Navodeanu]

Das Hirn des Kappadozianers war für Toma kein neuer Anblick. Sie hatten bereits das Gehirn eines Kainiten untersucht...und in Bernstein eingefasst. Was war wohl daraus geworden?
Es bestätigte jedoch ihre Annahme, dass es für sie alle so war, dass die Organe verkümmerten, eben starben. Und dennoch verrichteten sie ihren Dienst, mehr oder wneiger. Das Gehirn war immer noch relevant für Kainiten, wurde nicht umsonst das Abschlagen des Kopfes oft als Hinrichtungsmethode gewählt?

Jedoch stellte sich durchaus die Frage: Warum?

Als Genotin ihr Angebot ausschlug, nur um sich sogleich danach einen Pfeilschaft im Halse zurecht zurücken, schauten sie ihn mit einer erhobenen Augenbraue fragend und kritisch an.
"Ihr wollt das wirklich so lassen? Warum entfernt ihr nicht wenigstens das?"

[Genotin]

"Es ist ... eine Erinnerung."

Genotins Augen zeigten eine gewisse Nostalgie. Die Erinnerung an Vergangenes schien ihm offensichtlich wichtiger zu sein als eine unbeschwerte Existenz. Einen Moment blickte er so in Richtung Wand, bevor er sich wieder Toma zuwandte.

"In zehn Jahren von jetzt an werde ich euch aufsuchen und darum bitten, diesen Pfeil zu entfernen. Es würde mich freuen, wenn ihr mir die Ehre erweist und meine Bitte erfüllt."

Seine Augen waren erwartungsvoll auf den Tzimisce gerichtet. Der Brustkorb zuckte kurz, als würde Genotin ein Husten oder Räuspern unterdrücken.

[Toma Ianos Navodeanu]

"In zehn Jahren?" sie schauten nachdenklich, doch sie fragten nicht warum genau in zehn Jahren. Das war eine Frage für in zehn Jahren, wenn sie dann noch einander wiedersehen würden.

Sie nickten schlicht.
"Gut. Das werden wir tun. Dafür erzählt ihr uns dann diese Erinnerung und was sie euch bedeutet."

[Genotin]

"Das werde ich gerne tun."

Genotins Augen strahlten eine gewisse Freundlichkeit aus, der lippenlose Mund formte ein Lächeln. Mehr war mit dem zerstörten Gesicht offensichtlich nicht mehr möglich.

"Gibt es noch etwas, das ich heute noch für euch tun kann?"

Wieder der Husten gefolgt von einem tiefen Räuspern.

"Selbstverständlich könnt ihr euch auch jederzeit wieder an mich wenden, falls ihr ein Anliegen habt."

[Toma Ianos Navodeanu]

Sie schüttelten den Kopf.

"Nein, für heute ist alles gesagt. Wenn ihr noch Fragen habt, richtet diese auch gern an Alvaro, er wird sie uns mitteilen. Bis wir uns widersehen wünschen wir euch viel Erfolg für eure Aufgabe."