[1071] Neulich am Hafen [Vincente, Adamo]

[Adamo Manacres]

Die Nacht war nicht mehr jung, aber auch noch lange nicht zu Ende, als Adamo eine der Hafenschenken verließ und sich wie immer bei guter Laune auf einen Abendspazierung durch den Hafen machte. Seine Schritte führten ihn beschwingt am Wasser entlang, mal hierhin und mal dahin, ohne ein besonderes Ziel. Er hatte noch ein wenig Zeit, bevor er sich wieder zurückziehen und ein wenig schreiben wollte und so wollte er sich bei seinem Spaziergang von der Muse treffen und inspirieren lassen.

Adamo trug dabei wie immer die optisch einfache Seemannskleidung, welche sich erst bei näherem Hinsehen als hochwertiger Stoff erkennen ließ. Wie immer war der Bart gepflegt und lag ordentlich gekämmt.

[Vincente Carlos]

Vincente legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und ließ sich das Gesicht vom Mondschein wärmen. „Hmmm aaaaaaa“, erklang es in die Nacht als er tief die Hafenluft einsog. Kurz behielt er diese wie ein Connaisseur in der Lunge, ganz so als wolle er jede Nuance auskosten, nur um sie dann schnell wieder auszustoßen, nachdem er dort weniger erfreuliche Duftnoten bemerkt hatte. Großstädte konnten einem so vieles verderben...
Er hatte es sich an diesem Abend auf einer der weniger hart aussehenden Kisten am Hafensteg bequem gemacht, ließ die Beine baumeln und stieß hin und wieder sacht mit den Fersen gegen das Holz, um den Takt eines Kneipenliedes zu trommeln.
Vor ihm wippten Schiffe wie übergroße Enten auf dem Wasser auf und ab, Wellen schwappten in einem beruhigenden Schwapp Schwapp an Holz und Hafenmauern, irgendwo verlagerte eine müde Deckwache das Gewicht auf den anderen Fuß und ließ die Planken knarren. Alles war friedlich und Vincente erfreute sich an seinen Gedanken und Beobachtungen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Gestalt, die sich ihm näherte...

[Adamo Manacres]

Adamo hatte den Laut vernommen, der entweder nach einem Matrosen klang, welcher sich bei einer Hafendirne Erleichterung verschaffte, oder aber nach jemandem, welcher die Ruhe des Hafens um diese Uhrzeit genauso zu schätzen wusste wie er.

Beschwingt schritt er weiter aus, in der Hoffnung, auf letzteres zu stoßen und nicht ein Pärchen beim Liebesspiel zu stören. Wenige Schritte später erkannt er einen Mann, welcher auf einer der Kisten saß und in die Nacht hinein träumte.

" Seid gegrüßt", rief Adamo schon weiter weg. Er wollte nicht zwangsläufig denjenigen alarmieren in dem er ihn übertölpelte. Statt dessen wollte er deutlich machen, dass er sich näherte und kein Beutelschneider war.

Und so trat er näher an den Mann heran um zu sehen, wer er denn sei.

[Vincente Carlos]

Vincente hörte auf mit der Verse gegen das Holz unter ihm zum Takt einer Musik zu pochen, die nur er hören konnte. Stattdessen setzte er beide Hände neben sich auf die Kiste und lehnte sich ein wenig nach vorne und nach links, um den Mann, der ihn soeben angesprochen hatte, besser sehen zu können.

Das war gar nicht so einfach. Zwar gab es an den Schiffen ein paar Laternen, diese waren aber nur dazu gedacht, der Schiffswache Licht zu spenden und ihr Schein reichte daher kaum bis auf den Schiffsanleger. Die Tavernen, in denen auch zu dieser Stunde noch reger Betrieb herrschte, waren zu weit weg. Und der Mond war in dieser Nacht noch nicht voll - das würde wie bei einem geübten Alkoholiker noch ein paar Nächte dauern.

Alles was er ausmachen konnte waren ein paar grobe Umrisse in der Nacht. Der Fremde stand einige Schritte entfernt, am Anfang des Anlegers. Wenn er schätzen musste, dann war er wie ein Seemann gekleidet. Das ließ ihn stutzen. Es schien ihm ungewöhnlich. Hätte der Seemann einen freien Tag und Landgang, dann würde man ihn jetzt in einer Taverne oder im Bordell finden. Wenn er im Auftrag seines Brotgebers unterwegs wäre, hätte er ihn wohl kaum angesprochen.

Scheinbar hielt die Nacht noch Überraschungen für ihn bereit. Vielleicht ergab es sich ja, dass er die Stunden bis zum Morgen in angenehmer Gesellschaft verbringen konnte. Er beschloss den Gruß mit einem Spruch unter Seeleuten zu erwidern: „Schot und Mastbruch, der Herr!“ Er ließ seine Stimme möglichst harmlos klingen und bemühte sich um eine genuesische Sprechweise. „Nehmt ihr auch ein Bad im Mondschein oder seid ihr auf der Suche nach Gesellschaft?“

[Adamo Manacres]

" Mast- und Schotbruch auch euch," antworte Adamo und machte zwei weitere Schritte näher.

" Es ist weder das Eine noch das andere. Es ist eher das flanieren nach einem angenehmen Abend in der Schenke und somit der Ausklang eines guten Abends, indem ich mir die Beine an den Schiffen vertrete, und nebenbei schaue, ob auch alles meinen Erwartungen auf den Schiffen entspricht. Ich verbinde sogesehen das angenehme mit dem Nützlichen."

An seinen Worten konnte man hören, dass er schmunzelte.

" Was das Baden und den Mondschein angeht, so bevorzuge ich dann doch eher die Abgeschiedenheit und Ruhe des Badehauses. Ich hoffe, ihr habt nicht vor in dieser Brühe hier ein Bad zu nehmen," erkundigte sich Adamo.

[Vincente Carlos]

Vincente lachte wie er schon lange nicht mehr gelacht hatte – voller Freude und Herzlichkeit. Es begann tief im Bauch und stieg dann polternd nach oben, wo es nicht zurück gehalten werden konnte. Als würde man ein großes Fass Planken hinab rollen und die darin verstaute Leiche rutschte hin und her und schlug mit jeder Umdrehung gegen das Holz. Plonk, Plonk, Plonk! Ha, Ha, Ha!

„Haaa...bitte...verzeiht“, stieß er mühsam zwischen den Lachern hervor. Er war von der Kiste gerutscht, hielt sich mit einer Hand die Seite und bat mit der anderen den Fremden um Verzeihung.
„Es ist keineswegs meine Absicht euch zu kränken“, keuchte er. Es dauerte einen Moment bis er sich wieder beruhigt hatte und sich zutraute wieder eine normale Unterhaltung zu führen.

Kurz räusperte er sich, um zu testen, ob seine Stimme ihm wieder gehorchte, dann sprach er weiter: „Ja, ich kann verstehen warum ihr dachtet, dass ich ein Bad meine. Das war mein Fehler, ich habe mich da etwas unglücklich ausgedrückt. Aber ich hatte bereits das zweifelhafte Vergnügen in dieser Suppe zu landen und habe so schnell nicht das Bedürfnis das Erlebte zu wiederholen.“ Bei der Erinnerung an den Verlauf einer anderen Hafennacht hatte er wieder das Gefühl, als glitschte ihm Seetang zwischen den Schultern. Er schüttelte sich etwas. „Ich meinte, dass ich mich im Mondlicht..sonne“, erklärte er.

Dann musterte er die Gestalt, die etwa zwei Meter von ihm entfernt stand. Er sah im Dunkeln nicht so gut wie andere, aber das was er im Mondschein und in den Laternen der Schiffe wahrnehmen konnte, gefiel. Er lies den Blick langsam über den Fremden gleiten. Vielleicht nahm der Abend doch noch eine interessante Wendung. „Aber nachts baden gehen, das ist schon verführerisch“, er legte eine Spur Charme in seine Stimme. „Aber dann lieber in Gewässern, in denen man auch sauber wird. Sollte mir in nächster Zeit ein sinnliches Plätzchen begegnen, an dem man dem ungestört nachgehen kann, dann gebe ich euch gerne Bescheid. Ein gemütliches Bad in ungestörter Zweisamkeit, das hätte schon etwas.Verratet mir doch bitte wen ich vor mir habe in dieser schönen lauen Nacht? “ Den letzten Teil hatte er fast leise gegurrt. Heute Nacht war der Anleger sein Boudoire und die Holzkisten sein Recamiere. Warum auch jede Nacht allein verbringen?

[Adamo Manacres]

Adamo wartete geduldig ab, bis sein Gegenüber seinen Lachanfall überwunden hatte. Er hatte es nicht eilig. Die Zeit war auf seiner Seite und er fand diese menschlichen Züge seines Gegenübers interessant. Er hoffte darauf, dass der Lachanfall nicht die Besatzung der naheliegenden Schiffe geweckt oder auf sich aufmerksam gemacht hatte. Nicht dass es ihn stören würde, jedoch waren manchmal zu viele Blicke eher von Nachteil.

" Soso," sagte Adamo. " Ihr hattet bereits das Vergnügen in dieser Suppe zu landen. Was oder Wer bewegt einen dazu, in einer solchen Brühe zu landen?"
Adamo war neugierig, da er schon lange nicht mehr von solcherlei Dingen gehört hatte und ihn die Geschichte dahinter interessierte.

" Wie bereits erwähnt, gibt es in der Stadt ein gutes Badehaus, welches man durchaus weiter empfehlen kann. Dies sollte eine weitaus angenehmere Möglichkeit sein, um ein Bad zu nehmen, auch wenn ich mir recht sicher bin, dass das Mondlicht dorthin nur dezent vordringen wird."

[Vincente Carlos]

Vincente hob den rechten Arm und rieb sich verlegen den Nacken. „Das ist ein wenig schwierig zu erklären“, beantwortete er die Frage. „Sagen wir einfach es war nicht freiwillig und ich versuche der Person nicht noch einmal Grund oder Gelegenheit zu geben, das zu wiederholen.“ Zumindest vorerst, fügte er in Gedanken hinzu. Laut fuhrt er fort: „Wenn ich mich recht entsinne, dann habe ich noch nächtelang Seetang an Stellen gefunden, an die kein Seetang gehört. Aber vielleicht sollte ich auch einfach öfter ein Bad nehmen.“ Er lachte ein bübisches Lachen. Dann stockte er und blickte verlegen drein, als die Worte, die ihm gerade von der Zunge gerutscht waren, in seinem Kopf ankamen. Hastig ergänzte er: „Was nicht heißt, dass ich dreckig bin!“ Er biss sich auf die Wangen und schwieg, bevor er alles noch schlimmer machte. Wahrscheinlich wurde er gerade auch ein wenig rot.

[Adamo Manacres]

" EIn wenig schwierig zu erklären klingt zumindest interessant", sagte Adamo.

Adamo nahm sich die Zeit, um über die Worte seines Gegenübers nachzudenken.

" Seetank an Stellen gefunden, wo kein Seetang hingehört, das klingt irgendwie so, als wäret ihr lange im Wasser gewesen um euch dort ein wenig abzukühlen. Bitte erzählt, ich bin neugierig."

[Vincente Carlos]

„O, glaubt mir, an interessant – oder Interesse – mangelt es in meinem Fall nicht.“ Vincente verlagerte das Gewicht auf das rechte Bein. Zwar konnte er ganze Nächte damit verbringen auf Kisten und Fässern das Leben der Nacht zu beobachten, aber hin und wieder tat ihm danach doch die Pobacke weh. Heute war es die linke. Ärgerlich. Vielleicht würde es seinem Gegenüber nicht weiter auffallen, wenn er die Situation überspielte. Er konnte dem anderen unmöglich die ganze Wahrheit erzählen und um eine Halbwahrheit zu finden, dafür brauchte er Zeit.

Aus Erfahrung wusste er, dass man das Interesse verlor, sobald man bekommen hatte was man wollte. Das würde bei seinem Gegenüber sicher ähnlich sein. Er tippte sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand ein paar mal auf die Lippen und überlegte.

„Würde ich alle meine Geheimnisse am ersten Abend preisgeben, dann hättet ihr keinen Grund mich wiederzusehen“, stellte er fest. „Was haltet ihr also davon, wenn wir Die Geschichte vom tapferen Vincente und dem bösen Seetang bei einem Bad in trautem Kerzenschein vertiefen? Und nur keine falsche Scham bitte! Ich werde euch nichts abgucken“, schelmte er. „Bis dahin könntet ihr mir euren Namen verraten. Und, wenn ich nicht irre, dann meintet ihr, dass ihr heute Abend bei euren Schiffen nach dem rechten schaut? Seid ihr Kapitän?“ Seine Augen leuchteten, als er auf die Schiffe und die See zu sprechen kam.