[1072] An der Promenade [Paolo, Angelique]

[August '22]
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Paolo
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[1072] An der Promenade [Paolo, Angelique]

Beitrag von Paolo »

Eines nachts traf man Paolo am Hafen Genuas. Wie ein junger Seemann oder Händler, der das erste mal hier war, schaute er über den Kai, das Wasser, die Straßen und Hausfassaden und staunte nicht wenig, als er alles Neue sah, was sich durch den Ausbau des Hafens getan hatte.

Beinahe mit den Augen und der Neugier eines Kindes schritt er die platea longa entlang, neben ihm ein junger Mann, so um die dreißig oder jünger, der nicht weniger interessiert schien, aber dies weniger enthusiastisch durch seine Mimik zeigte, wie Paolo.
Der junge Mann trug eine lederne Mappe bei sich, neben den üblichen Geldsäckel und Zunderbüchse am Gürtel.

Sie begaben sich zum neuen verlängerten Kai und ließen sich einen Moment dort nieder. Woraufhin der Jüngere eine Wachstafel aus der Ledermappe auspackte und begann diese zu beschreiben oder was auch immer er da tat.
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Angelique
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Angelique »

"Schiavo! Was schreibst du da, Onkel?"

Ein kleines Mädchen, barfuß und in einfachem Hemd, ein gelbes Schleifchen im lockigen Haar war näher gekommen und schaute mit unverhohlener Neugier zu dem Wachstäfelchen.
Man hatte es auf dem langen Kai gar nicht kommen sehen, so unauffällig oder verstohlen huschend war es herbeigeschlichen.

Es wippte auf den Zehenspitzen und hatte die dünnen Ärmchen hinter dem Rücken verschränkt.
"Ich bin Angelique. Wie heißt du, Onkel?"
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Paolo
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Paolo »

Beide Männer erschraken zusehends. Der Jüngere ließ dabei das Wachstäfelchen fallen, das klappernd auf der Kaimauer aufschlug und ins Hafenbecken rutschte.
Der andere zuckte zusammen und wand sich zackig vom Anblick des ruhigen dunklen Hafenbeckens ab, zu der Stimme, die da hinter ihnen aufgetaucht war, jedoch sogleich zu dem Platschen, dass die Wachstafel machte, als sie im dunklen dreckigen Wasser verschwand.

Der Jüngere schaute missmutig zu dem scheinbaren Kind, der andere ältere Mann hingegen erschrocken.
"Nichts mehr, offensichtlich." murrte der andere. "Was schleichst du dich so an, Göre?!"

Der ältere fand nun sein Lächeln wieder und hob beschwichtigend die Hände. "Na na, es war nur Holz und Wachs...etwas das wir auch wieder bekommen können. Aber... tatsächlich ist das doch eine ungewöhnliche Zeit und Ort für ein Kind. Bist du eine Waise? Willst du Geld?"
Ihm schien die Situation etwas unangenehm.
Bettler waren aber auch selten dafür bekannt eine angenehme Gesellschaft zu sein.
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Angelique
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Angelique »

Das Kind selbst erschrak, als die Tafel ins Wasser fiel.

"Oje, das habe ich nicht gewollt!", rief es aus und wirkte ehrlich zerknirscht.

Das Mädchen griff in ein Beutelchen am Kordelgürtel und zauberte seinerseits ein Wachstäfelchen hevor.
"Nehmt bitte meins als Ausgleich für den Verlust."

Die Kleine hielt das Täfelchen dem Jüngeren entgegen und lächelte entschuldigend.

Es wurde absurd. Das Kind schien Lesen und Schreiben zu können und das trotz des scheinbaren niederen Standes und auch noch als Mädchen. Wer bitte verschwendete Zeit und Geld Mädchen Lesen und Schreiben beizubringen?

Geübte Augen konnten in kleiner Schrift auf dem Täfelchen lesen:

"Drei Schiffe mit Getreide, eins mit Söldnern und Pilger. Schöner Mond. Tanzende Nereiden auf dem Wasser. Zwei Kerle am Pier. Einer schreibt oder zeichnet trotz Dunkelheit. Ein Verwandter von uns? Mond immer noch schön."
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Paolo
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Paolo »

Der junge Mann schaute das Mädchen irritiert an und nahm etwas zögerlich die Wachstafel entgegen, während der Ältere Angelique unverholen musterte.
Jetzt erst fiel ihm auf, dass sie eine gelbe Schleife trug, als Zeichen einer Dirne.
Aber eine einfache Dirne war sie kaum, auch keine Bettlerin.

Der Jüngere gab die Wachstafel an Paolo weiter und dieser las nun ebenfalls was darauf stand, das Brett ins Mondlicht haltend und die feinen Vertiefungen im Wachs mit den Fingern nachspürend, wie auch der andere zuvor.
"Verwandte von uns". ..."von uns"...eine ungewöhnliche Art über sich zu reden oder eine Art mehrere Gleichartige zu meinen.

Er wusste, dass er ein Kainit im Kinderkörper vor sich hatte.

"Verwandt sind wir nicht direkt,...wohlwerte Angelique...Wäre es zu simpel anzunehmen, dass ihr ein Kind des Mondes seid?"
sprach er zu ihr mit leiser Stimme, denn immer noch waren sie an einem öffentlichen Ort. Im Zweifel könnte man noch annehmen dass er sich einen Spaß mit einem Kind erlaubte und ihre Fantastereien mitmachte. Nun hoffentlich würde sie sich keinen Spaß daraus machen ihn auflaufen zu lassen. Und schon war er sich unsicher ob seines Vorgehens geworden.
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Angelique
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Angelique »

Das kleine Mädchen verneigte sich formvollendet. Vom kindlichen Gossenlombardisch wechselten ihre Worte in das höhere Idiom mit vielen lateinischen und althoch deutschen Lehnworten, wie sie die Elite Norditaliens sprach.
Das wirkte umso seltsamer, dass solche höfische Sprache von einem scheinbaren Straßenkind kam.

"Eure Annahme ist richtig, wohlwerter Gast. Ich bin in der Tat ein Kind des Mondes und Orakel dieser Stadt.
Mit wem habe ich das Vergnügen und was ist Euer Begehr in Genua?"
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Paolo
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Paolo »

Paolo blickte Angelique einen Moment schweigend an, vielleicht überrascht über ihre Umgangsform.
Soweit er wusste, war eine Verbeugung nicht richtig, nicht für ihn, vielleicht auch nicht für sie? Irgendwie stimmte hier alles nicht, was ihm beigebracht wurde. Außer sie nahm an er sei ein Ancilla... Sie war das jedoch nicht oder zumindest zeigte sie sich nicht als solcher...

Mit einer Hand fuhr er sich durch das wellige kurze Haar und lächelte wieder. Es war kompliziert.
Er erhob sich von der niedrigen Kaimauer und deutete nur eine knappe Verbeugung an, weil es ihm einfach auch unangenehm war dies hier am Hafen zu tun, vor einem Kind.
Er blickte sich kurz um, ob sie jemand anstarrte. Ein paar Seemänner waren noch zugegen, die auch zu ihnen herüber sahen. Jedoch auch mehrere Meter weit genug entfernt stande, um irgendetwas hören zu können.

„Man nennt mich Paolo….bin neugeboren und entsprechend meines Blutes tatsächlich ein… Reisender… Wanderer, mag man ja sagen. Stets auf den Straßen Italiens unterwegs und nun hat es mich nach Hause gezogen. Obwohl man das auch kaum so sagen kann. Ein wirkliches zuhause habe ich nicht. Aber ich wurde hier geboren. So viel hat sich seit dem verändert…und ihr?...seid ihr schon lange hier? Ist Genua eure Heimat? Angelique ist kein italienischer Name. Fränkisch?” stellte der fremde Kainite sogleich einige Fragen zurück und setzte sich wieder.

Der junge Mann hielt sich derweil zurück und schaute vorsichtig zwischen Paolo und Angelique hin und her.
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Angelique »

"Schiavo, werter Paolo. Ich selbst bin auch gerne auf Wanderschaft. Ich pilgere gerne von Stadt zu Stadt, von Santiago bis Tindari. Nein, fränkisch bin ich nicht, sondern gehöre zu den Okzitaniern und bin aus Arles. Aber inzwischen ist Genua schon so was wie meine Heimat geworden. Man sagt, wo seine Liebsten begraben sind, ist die Heimat."

Sie überlegte kurz. "In Genua bin ich seit über hundert Jahren."
Der Horror, über hundert Jahre als Kindervampir existiert zu haben, schwang in diesen fröhlichen Worten nur unterschwellig mit.

"Sagt, plant Ihr zu bleiben? Habt Ihr Euch schon vorgestellt? Braucht Ihr Fürsprecher? Wer ist Euer Begleiter? Steht Wanderer für Gangrel oder Ravnos? Wenn Ihr Ravnos seid, kennt Ihr Sousanna?"

Eine Flut von Fragen brach aus der Kleinen hervor und das mit einer kindlichen Begeisterung, die die Gravitas mancher der Fragen überspielte.
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Paolo
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Paolo »

Die vielen Fragen schienen ihn nicht zu nerven oder zu erzürnen, jedoch verlor er schon etwas den Faden und blickte einen Moment Angelique einfach nur an, bevor er dann doch antwortete.
"Äh...ja, ich war beim A Tarda Ora und habe um ein Treffen gebeten, stattgefunden hat es aber noch nicht." Dann schaute er zu seinem Begleiter, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. "Das ist Marco, mein...Blutsdiener..." Irgendwie klang er etwas unsicher dabei und der Diener presste kurz die Lippen zusammen und neigte sich dann in seiner sitzenden Haltung soweit vor, dass es wie eine Verbeugung aussehen könnte.
"Hmm und, ja Ravnos, nicht Gangrel. Man nennt sie auch Wanderer?" das hatte er nicht gewusst.
"Wer ist Sousanna? ich kenne keine Sousanna..."

"Ihr seid seid über hundert Jahren in diesem Körper gefangen?" Er blickte sie für einen Moment mitleidig an, bevor er sich scheinbar selbst dabei ertappte und dann unangenehm berührt drein schaute. Trotz des Alters agierte sie aber auch recht kindlich. Dass man irgendwann so wurde, wie man sich darstellte, das wusste er gut. Es mochte hier genauso sein.
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Angelique
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Re: [1072] An der Promenade [Paolo, offen]

Beitrag von Angelique »

Das Mädchen nickte. "Ja, Gangrel bedeutet bei den Angelsachsen Vagabund und ist, wie mir ein altehrwürdiger Gangrel mal erklärte, der Beiname des Götzen Odin in seiner Heimat. Ich habe leider noch keinen Gangrel getroffen, der aus Asia oder Africa stammt. Ich wüsste gerne, wie sie sich dort nennen."

Wieder kam die Neugier zum Vorschein. "Was bedeutet Ravnos? Stammt er dem fernen Indien? Er klingt wie der Name eines Dämonenfürsten dort. Aber alle Ravnos, die ich kannte, waren keine Inder, nur Griechen und nun wohl auch Lombarden. Ich frage mich, ob unsere Familae so ihre Einflusszonen erweitern."

Die letzte Frage war wohl eher an sich selbst gerichtet.

"Mein Körper ist doch nur ein Gefäß für die Seele. Nach ein paar Jahrzehnten findet man sich damit ab und man findet auch willige Gefäße, deren Lebenssaft man in sein Gefäß umfüllen kann.

Bringt Ihr mir die Kunst bei, Fata Morganas zu erschaffen?", fragte sie, plötzlich das Thema wechselnd, "Sousannoula kam nicht mehr dazu, als sie in der Zeit der Querelen verschwinden musste."

Mit niedlichem Gesichtchen und zuckersüß lächelnd wandte sie sich dann dem Menschen zu und streckte das kleine Händchen aus. "Schiavo, Marco! Schön dich kennenzulernen. Bei mir musst du den Etiketteblödsinn nur machen, wenn andere Egel dabei sind. Die legen Wert auf so einen Mist. Ich nicht. Menschen sind für mich mehr wert als die meisten blassen Zecken, die sich für was Besseres halten, nur weil der Teufel sie mit schicken Hexereien für ihre Schandtaten belohnt hat."

Für einen Ravnos, einem Clown der tausend Gesichter, mochte dieser drastische Persönlichkeitswandel seltsam vertraut wirken und vielleicht erklären, warum eine des Lügnerklans so einen Gefallen an dem kleinen Vampir gefunden haben sollte.
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