[1075] Lehrstunden [Giada, Vincente]

[Vincente Carlos]

Vincente hatte seine Abmachung, welche er mit Giada beim Schachturnier der Harpyie getroffen hatte, nicht vergessen. Auch wollte er sich nicht nachsagen lassen, dass er sein Wort gab und dann still und heimlich hoffte, dieses niemals halten zu müssen. Als er daher bei einem seiner vielen Besuche im Elysium auf Mariam traf, machte er auf seinem Weg kurz Halt, um sie um die Überbringung einer Nachricht zu bitten. Er achtete dabei auf die korrekten und respektvollen Anreden und Abschiedsworte, wie er sie zuvor schon bei verschiedenen Schreiben am Aushang gesehen hatte.

Sollte Mariam bei Gelegenheit seine wohlwerte Clansschwester Giada antreffen, so möge man dieser bitte ausrichten, dass er, Vincente, die Ereignisse beim Turnier nicht vergessen habe. Gerne halte er sich bereit, um die angebotenen Lektionen zu erlernen. Sollte Giada die dafür benötigte Zeit erübrigen können, so würde er gerne zum genannten Zeitpunkt und am gewünschten Ort erscheinen.

Ob Mariam die Nachricht mündlich übermittelte oder formvollendet auf einem Pergament für einen Boten niederschrieb, würde er ihr überlassen. Schließlich wusste sie am ehesten, ob Giada häufig das Elysium aufsuchte oder nur gelgentliche Boten schickte. Er würde in regelmäßigen Abständen das Elysium aufsuchen und nach einer Antwort fragen.

[Giada Salvaza Rossi]

Tatsächlich hatte Mariam eine Antwort für Vincente. Diese konnte sie mündlich überreichen: Zum Abend der nächsten Nacht des nächsten Neumondes solle Vincente in Platealonga in der Taverna "Il Fuso Pesce" erscheinen. Von dort werde er abgeholt werden.

[Vincente Carlos]

Vincente hob erstaunt eine Augenbraue, denn die überbrachte Nachricht klang doch mysteriös. Gut, nicht jeder wollte sich immer im Elysium treffen und das Gasthaus war ein öffentlicher Ort. Aber wenn er dort nur abgeholt werden würde, das eigentliche Ziel also woanders lag, warum dann die Geheimniskrämerei? Erwarteten ihn dort Schläger? Würde er, wenn er Glück hatte, mit einem Sack über dem Kopf irgendwo zusammengeschlagen und hoffentlich noch vor Sonnenaufgang wieder erwachen? Er selbst hatte dies schon das ein oder andere mal erfolgreich angewandt.

Keinen dieser Gedanken sprach er laut aus. Stattdessen bedankte er sich bei Mariam für das Überbringen der Nachricht. Er würde selbstverständlich zur genannten Zeit bei der Taverne erscheinen. Anschließend machte er noch ein wenig Small Talk und erwähnte auch, dass er hoffe Mariam bei Gelegenheit erneut zum Schachspielen treffen zu dürfen. Anschießend verabschiedete er sich und ging seiner Wege.

In der benannten Nacht wartete Vincente wie abgesprochen in der Taverne. Er trug einfache Kleidung, die durch einen Umhang ergänzt wurde. Er würde hier zwischen den anderen Menschen nicht weiter auffallen. Er hatte sich in eine der ruhigeren Ecken gesetzt, von der aus man die Tür gut im Blick hatte.

[Giada Salvaza Rossi]

Das Gasthaus hatte bessere Tage gesehen. Früher einmal musste es reich gewesen sein, hatte vielleicht auch gehobenere Gäste bedient. Man konnte noch Jahre- und Jahrzehntealte, gemalte Verzierungen am Gebälk erkennen. Der Tresen war einmal mit schönen Schnitzereien verziert gewesen, die mittlerweile aber an zu vielen Stellen fleckig, vernarbt, abgebrochen oder von Feuchtigkeit verzogen waren. Am Boden hatten sich längst Stroh und Sägespäne festgetreten und hätten sicher vor Wochen schon einmal neu ausgestreut werden können. In einer Ecke schimmelte es deswegen auch schon. Es stank nach saurem Wein, dünnem Bier, kräftiger Fischsuppe, Pisse und schwitzenden Menschenleibern. Vincente fiel nicht weiter auf - er war hier einer unter Vielen.

Er konnte jedoch bald feststellen, dass man wohl bereits auf ihn gewartet hatte. Ein großer, kräftiger Kerl mit einer Lederweste und einem Handbeil am Gürtel, löste sich von einem der Tische und schlenderte auf ihn zu. Er trug einen Tonbecher mit Wein in der Hand, doch stellte diesen einfach ab, wo Vincente sich nieder gelassen hatte.
"Vincente Carlos?", fragte er nach.

[Vincente Carlos]

Vincente ging seinen eigenen Gedanken nach, während er wartete. Er war sich nicht sicher, was er von diesem Abend zu erwarten hatte. Bisher hatte man sich mit ihm immer im Elysium und direkt verabredet, dass er abgeholt werden würde, erschient ihm mehr als geheimnisvoll. Aber nun gut, ein jeder bevorzugte andere Methoden, die ihm Sicherheit gewährten. Und zumindest wusste man im Elysium, dass er mit Giada verabredet war, sollte er in dieser Nacht plötzlich spurlos verschwinden.
Dennoch fühlte er sich ein wenig wie bestellt und nicht abgeholt, unter all diesen Menschen, die sich mit Freunden und Kollegen trafen oder hierher kamen, um alleine in den Becher vor sich zu starren.

Er gestand sich ein, dass er halb erwartet hatte Giada selbst hier zu sehen, nicht diesen fremden Mann, der sich einfach so an seinen Tisch gesellte. Er war gleichzeitig enttäuscht und aufgeregt.

Vincente wand den Kopf, als der Fremde ihn mit seinem Namen ansprach. Er ließ den Blick prüfend über die Gestalt des anderen schweifen und sein Blick fing sich an dessen Handbeil. Instinktiv schob er die Beine in eine etwas andere Position, die ihm einen besseren Stand bescheren würde, sollte er sich genötigt sehen, schnell aufzustehen, um einen Angriff abwehren zu müssen.
Er kannte das Gesicht nicht und er war nicht so eitel zu denken, dass er sich bei seinen Freizeitaktivitäten unter den Menschen schon einen Ruf beschert hätte.

Vielleicht ihr Ghul, dachte er, der mich hier abholen und zu ihr bringen soll. Vielleicht geht die Lehrstunde hier schon los, hat er mich doch nur mit Namen und nicht mit einer förmlichen Anrede angesprochen. Aber vielleicht bin ich auch paranoid und dergleichen hätte in der menschlichen Öffentlichkeit nur Aufsehen erregt. Es sind alles in allem zu viele vielleichts.

Notgedrungen blickte er zu dem Fremden auf und zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. „Guten Abend“, sprach er den Fremden an, den er weiterhin aufmerksam musterte. „Mit wem habe ich das Vergnügen an diesem schönen Abend? Ihr seid mit meinem Namen vertraut, jedoch kann ich mich nicht erinnern, dass wie einander schon einmal vorstellt worden wären.“ Er ließ seine Worte freundlich klingen, er hatte keine Lust eine Schlägerei in der Taverne anzufangen oder Giadas Handlanger direkt vor den Kopf zu stoßen.

[Giada Salvaza Rossi]

Der Mann schnaufte einmal bei der Gegenfrage. Er wirkte grob und nicht sonderlich feinsinnig, feinfühlig oder so, als hätte er einen Sinn für vampirische Etikette. “Ich bin Stefano. ‘ch soll dich abholen. Euch.” Er winkte ab, runzelte dann aber die Stirn als wäre ihm etwas eingefallen. Er nickte einmal zu einem Mann, der gar nicht so weit weg von Vincente an der Seite saß, ähnlich wie dieser auch mit dem Rücken zur Wand. Der hob seinen Becher etwas an als wollte er Vincente zuprosten.
“Das ist Massino. Der passt auf, dass dir keiner ein Messer in den Rücken steckt. Äh, Euch.”

Massino sah aus als hätte er nicht halb so viel Masse wie Stefano. Eigentlich sah er gar nicht besonders aus und hätte gut irgendein Handlanger aus zweiter oder dritter Reihe für irgendeinen genuesischen Handelsmann in Platealonga sein können.
“Gehen wir?”, fragte Stefano dann. “Weil wenn nicht, dann trinke ich noch aus.”

[Vincente Carlos]

Wen hat sie mir da nur geschickt, fragte er sich und verzog nach außen keine Miene. Ganz im Gegenteil, Trunkenbolde und Halunken waren sein täglich Brot, wenn man so wollte, und er fühlte sich unter ihnen genauso wohl wie im Bett einer Hure.

Als Stefano ihn auf seinen Begleiter Massino aufmerksam machte, musterte Vincente ihn kurz und hob dann wie zum Gruß seinen eigenen Becker. Wenn er auf mich aufpasst, muss ich mich wohl nur wegen seinem Messer im Rücken Sorgen machen. Auch gut. Unauffällig ließ er den Blick durch den Raum schweifen, ob vielleicht noch andere zu dieser Truppe gehörten oder ob Besucher Interesse an ihrer Unterhaltung zeigten, wo sie doch keinen etwas anging.

Dann wand er sich wieder Stefano zu und nippte an dem billigen Wein, der für seinen Geschmack etwas zu sauer war. Wenn man an einem Ort wie diesem nicht trank, fiel man mehr auf als ein Hund mit zwei Schwänzen. Er blickte zu dem Mann vor ihm auf. Die Hand ließ er dabei um den Becher, den er vor sich auf dem Tisch abgestellt hatte.

Die Worte des anderen ließen ihn lächeln. „Es würde mir nicht im Traum einfallen, mich zwischen einen Mann und seinen Durst zu stellen“, antwortete er jovial. „Allerdings sieht das die Person, die euch her geschickt hat, vielleicht anders“, fügte er etwas ernster hinzu. „Die da noch mal wie heißt...?“, fügte er unauffällig hinzu und wartete ab.

[Giada Salvaza Rossi]

"Rossi", antwortete Stefano knapp, griff dann seinen Tonbecher und trank aus. "Und du hast wahrscheinlich recht." Er grinste etwas scheel dazu, stellte dann den Becher ab und wartete einfach ab.

[Vincente Carlos]

Vincente nickte knapp, als Giadas Name genannte wurde. „Nun, wenn ihr so weit seid, dann sollten wir aufbrechen.“ Vincente erhob sich und wand sich der Tür zu. Draußen angekommen, wartete er ab, in welche Richtung er geführt werden würde. Da er den Weg nicht kannte, überließ er alles weiter den beiden Männern, er würde jedoch aufmerksam bleiben, falls ihm etwas seltsam und wie eine Falle erschien.

[Giada Salvaza Rossi]

Stefano bahnte sich breitschultrig seinen Weg durch das überfüllte Gasthaus nach draußen, in die kühlere Nachtluft. Der Gestank der Straße wurde hier gewürzt mit dem von Möwendreck und faulenden Algen, nach Fischresten, geleerten Nachttöpfen, dem Schlamm und Staub der Straßen, exotischen Gewürzen aus einem nahen Lagerhaus, dem süßlich herben Duft von frischem Rosmarin, das jemand über der Tür des Gasthauses und gegen üble Geister aufgehängt hatte.

Der große Mann, der nun wohl Vincente führte, streckte sich hier draußen einmal und dann ging er los, hinein in Straßen und Gassen von Platealonga.

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