[Fluff] Tugend oder Laster [Iulia]

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Iulia Cornelia
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[Fluff] Tugend oder Laster [Iulia]

Beitrag von Iulia Cornelia »

„Tugend ist, was man mit Leidenschaft tut; Laster ist, was man aus Leidenschaft nicht lassen kann.“, schrieb Jemand einst, doch was, wenn die gelebte Tugendhaftigkeit nicht mehr als ein nobler Vorwand war, um die schrecklichen Untiefen des eigenen Seins vor sich selbst und vor der Welt zu verbergen. Oder konnte selbst das Laster eine Tugend sein, welcher man mit Leidenschaft nur all zu gerne folgen wollte?!

Ich hasste es. Diese innere Anspannung, die sich von jetzt auf gleich in mir aufbauen konnte, so ich ihr zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Die sich in jedem noch so entferntesten kleinsten Winkel meines Seins ausbreitete wie ein unliebsamer Gast. Die Stück für Stück mehr und mehr Besitz von mir ergriff. Es war zutiefst unzufrieden, wie ich es behandelt hatte. Wie ich es zu wenig wertgeschätzt und letztlich seine Wünsche übergangen hatte.

Ich spürte seine Macht stärker denn je, während sich meine hellen Hände entschlossen an das Holz des hellen Tisches klammerten, daran Halt suchend in einem Sturm, der in mir zu toben begann. Meine hellen Haare hingen offen an meinem gesenkten Kopf herab, deren Spitzen die Tischkante gut und gerne ein Stück überragten. Ruhig hob und senkte sich meine Brust, während mein Körper zitterte und ich mich bemühte tief zu atmen. Widerwillig. Trotz allem half es die Grenze mit innerer Bestimmtheit zu ziehen, doch heute wollte es nicht Ruhe geben.

Meine Mundwinkel zuckten leicht, bevor ein Lächeln auf meinen Lippen erschien und immer breiter wurde. Schließlich ergab ich mich meinen Gelüsten. Warf mich hinein voller Freude und tiefster Wollust in den wilden Strudel einer geradezu urtümlichen Leidenschaft. Weiß traten die Knöchel unter meiner Haut hervor und leise begann das Holz bereits unter meinen Fingern zu knacken, bevor ich den Tisch mit einem lauten Brechen von mir warf. Instinktiv schnellte ich herum, die Tür mit meinem Blick fixierend, ein feuriges Funkeln in den Augen und ein inzwischen angriffslustiges Lächeln im Gesicht, innerlich darauf hoffend, nein betend, dass sie sich just in diesem Moment, diesem kleinen Augenblick, an dem ich innerlich an der Klippe war, öffnen würde und ein Narr dort stand, der es wagen würde, einen Schritt hineinzusetzen. Oder auch nur das Wort an mich zu richten.

Doch sie blieb verschlossen. Wie so oft. Und so packte ich voller Wut den Stuhl an meiner Seite, nur um ihn an der Wand hinter mir zu zerschmettern, der dort unter jammerndem Knarzten in seine Einzelteile zerfiel. Gefolgt von einem guten Dutzend Tongefäßen, welche sich in dem Raum befanden und welche mit einem ebenso lauten Knall dort zerbarsten in tausende und abertausende kleinste Splitter. Das feste Packen nach den Leinen, das geräuschvolle Reißen, brachte die gewünschte Entspannung auf die bisher erlangte Unbefriedigtheit. Doch nur bis an jenen kleinen Punkt, an dem mein Inneres realisierte, dass es sich leer anfühlte.

Ein wütendes Knurren verließ meine Kehle. Grollend. Tief. Alt. Derweil ich gleich einem Derwisch weiter durch den Raum wirbelte, der inzwischen einem regelrechten Schlachtfeld glich, nur, dass es diesem an den Toten fehlte, woran mich mein Innerstes schmerzlich erinnerte, als es noch immer nicht erhalten hatte, wonach es so sehnlichst begehrte. Zitternd leckte ich mir langsam über die trockenen Lippen. Spürte, den Druck meines Zahnfleischs, als meine Fänge dabei ausfuhren. Spitz wurden. Lang wurden. Todbringend. Die Wahrnehmung dessen, was es wollte und was ich wollte verschwamm zunehmend. Wurde mit jedem Augenblick mehr. Wurde unzertrennlich. Wurde eins.

Und weshalb sollte ich ihm eigentlich noch länger verwehren, was es begehrte? Was ich begehrte! Im blinden Rausch, der sich überschlagenden Eindrücke, fragte ich mich, ob dies wohl der wahre Grund war, weshalb es Kriege gab. Weil wir nicht dazu gemacht waren, in Frieden und Einklang zu leben. Die Kälte zerrte inzwischen an uns, nachdem wir das Haus verlassen hatten. An der hauchdünnen weißen Seide, die unseren hellen Körper betonte, einer verlockenden Verheißung in einer kalten Nacht gleich. Doch weder die Kälte noch die Schönheit des Leibes kümmerte es noch mich, während erschrocken die Tiere ihre müden Häupter aus ihrem Schlaf hoben, nur um in wilder Panik davon zu stoben, als sie uns in ihrer Nähe spürten.

Wie gerne hätten wir sie gejagt. Zu Tode gehetzt oder gar in die Enge getrieben, um letztlich dem Knacken ihrer Hälse mit einer tiefen inneren Befriedigung zu lauschen. Ihre panisch zuckenden Leiber aufzuschlitzen und auszuwringen gleich einem feuchten Lappen, bevor wir ihre Überreste achtlos bei Seite geworfen hätten. Doch es wäre nur ein vergleichsweise kurzer Rausch gewesen. Wir wussten es beide. Uns gedürstete es nach mehr. So viel mehr. Mehr? Wir hielten inne und ein Lächeln umspielte unsere Lippen, bevor wir kehrt machten auf unserem Weg.

Mit jedem Schritt, den wir einige Zeit später weiter gingen, wurden die Stimmen einer Stadt laut, die nie vollständig zu schlafen schien. Lumpen bedeckten inzwischen den hübschen Körper. Die langen Haare verborgen unter Stoff. Der strenge Geruch, der von uns ausging, ließ jene denen wir begegneten, angewidert die Nase rümpfen. Unter dem Umhang, der bereits bessere Tage gesehen hatte, ein tönernes Gefäß fest verschlossen und verborgen haltend. Schwankend, torkelnd, zu einer fernen Melodie durch die Straße tanzend, die nur wir zu hören schienen. Wir waren allein und doch fürchteten wir uns nicht, denn ich wusste es war bei mir und ich bei ihm. Wir waren eins und ich liebte, was es liebte. Die Zerstörung. Das Grauen. Die Macht des Fluches. Alt und tiefschwarz, in dem wir uns zu suhlen begannen.

Kaltgewordenes Blut klebte an unseren feingepflegten Händen, als wir das Ziel unserer Reise erreicht hatten und wir den Lumpen wieder und wieder in das Gefäß eintunkten, nachdem wir uns versichert hatten, dass wir in den späten Stunden der Nacht allein waren. In der Hocke sitzend, unser Kunstwerk betrachtend. Das Fragezeichen anstarrend, bevor wir es bestimmt mit einem Ausrufezeichen ummalten. Nein, es war keine Frage mehr, es war nun eine Zusage. Ein Versprechen, so man es denn so nennen wollte. Ein Angebot, auch nach anderen Regeln spielen zu wollen. Härteren. Tödlicheren.

Zufrieden blickten wir auf die Schrift, noch immer ein breites Lächeln auf unseren Lippen, während wir an unsere Seite griffen, einige Reste mit blutigen Fingern vor die Mauer fallen lassend, um die Bewohner des Ortes anzulocken, so dass diese sich um alles weitere kümmern konnten. Sauber und von mir selbst abgeschlagene Köpfe, die vermutlich am Morgen noch auf dem Markt zu sehen gewesen waren und die nun mit ihren toten Augen aus den Gassen heraus in den Himmel starrten, während über ihnen an der Hauswand nur ein einziges Wort in blutigen Lettern geschrieben stand:

M E H R !
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