[1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

[Januar '23]

Moderator: Toma Ianos Navodeanu

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I Tarocchi
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von I Tarocchi »

“Fehltritte!” Achilla machte eine so weite Geste als könnte sie gar nicht all die Dinge fassen, die an jenem Abend schiefgelaufen waren.
“Ai, die ersten Fehltritte zu nächten wie solchen sind eine Kunstform”, erklärte sie dann und untermalte diese recht gewagte Behauptung mit einer flatterhaften Geste, die sich im Tand um ihre Schultern und die Ärmel, die Federn, Schleifen und Bänder fortsetzte.

“Toma, Neugeborener vom Blut der Drachen und Herold von Genua, hat gleich einen ersten Kunstgriff versucht und sich selbst einen Frauenkörper gegeben…”, begann Achilla in der besten Manier im Austausch von Lästereien, doch unterbrach sich dann. “Ach, wenn ich so anfange, dann sitzen wir hier noch in einem Monat!” Sie schnippte mit den Fingern und scheuchte eine handvoll blassgrauer Motten um sich her auf.

“Nein, das wird Euch nicht gerecht. Aber mein kleiner Umweg jetzt gerade soll nicht ganz umsonst gewesen sein: ‘Herold’, das ist ein Amt in Genua. ‘s kennt kein Hof sonst, den ich kenne, vielleicht nur mal zu größeren Anlässen so wie sterbliche Mächtige sich auch ihre Herolde halten. In Genua ist’s ein Amt, mit dem hauptsächlich diejenigen empfangen werden, die neu ankommen. Nicht die Ventrue - die gehen gleich zum Prinzen - und wohl auch nicht eine wie Ihr, verehrte Herrin, aber eben all jene, die nicht genügend Wichtigkeit für die Herrschaft haben und auch nicht genügend Gewicht und Macht. Solche wie ich, am unteren Ende von Macht und Wichtigkeit, kommen auch manchmal durch, ohne je hingegangen zu sein, eh?” Achilla schien diese Tatsache durchaus zu vergnügen.

“Ich gestehe, ich selbst ging nur hin, um zu sehen, wie’s ist.” Sie zuckte einmal mit den Schultern und machte eine eher wegwerfende Geste.

“Die gehen dorthin und melden sich an. Wenn sie bleiben wollen, dann erklärt einer der Herolde ihnen die Gesetze in Genua, die Lehen und Domänen, die Besonderheiten, solcherlei. Und sie bekommen eine Aufgabe, mit der sie sich für die Domäne beweisen sollen. Ich schätze, die Weiße Prinzessin will keine zu groben Schmarotzer und Faulenzer, eh?”

“...aber ich sollte zu jener Nacht zurückkehren, denn sie hat Genua das Gesicht von jetzt gegeben, schätze ich. Die ersten, die kamen, waren die Neugeborenen von Genua. Ich erspar’ Euch die Liste. Die meisten werden ohnehin tot oder weiter gezogen sein, wie’s so ist mit den Jüngsten. Ich würd’ am Ende unserer Unterhaltung noch einmal zu denen kommen, die sich wohl länger halten oder von denen ich weiß, dass sie immer noch da sind, eh?”

“Das erste richtige Eklat, in Blut und Asche, gab es als Mattia Bragadin eintrat. Auf ihrem Sitz neigte Achilla sich ein wenig vor. Die Spannung in ihrer Stimme und ihrer Haltung nahm zu, als sie erklärte:
“Ein Ancilla vom Clan der Gelehrten. ‘s war dann Adalbert von Schwaben, Ancilla im Clan Ventrue, Prinz von Pavia, der das unterbrach. ‘Traditionsbrecher’! ‘Blutgejagt!’ ..und noch ein paar andere solcher Köstlichkeiten rief er über den Gelehrten in die Halle. Der geriet darüber in rasende Wut, Fänge und Fäuste und reine Gewalt. Hat sich direkt auf den Ventrue gestürzt, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, irgendeine Waffe zu greifen. Ai! Der Prinz von Pavia hatte drei oder fünf oder mehr Hiebe eingesteckt bevor irgendwer überhaupt etwas tun konnte. Aurore befahl ihren Liktoren, einzugreifen! Der Gestank von Vitae und von Blut hing in der Luft, die versammelte Ahnenschaft, die Ancillae und die Neugeborenen, wirklich jeder rang um irgendeine Fassung oder wenigstens Haltung! Ihr könnt Euch das Chaos vorstellen, eh?”
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Drita
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von Drita »

Die Vorfreude auf ihrem Gesicht bei den Fehltritten, die Achilla ihr in Aussicht, war nicht zu verbergen. Der Schatten lehnt sich zurück und machte es sich noch bequemer.

"Toma, sagt ihr?", als würde sie sich den Namen nur zu gerne merken. Sie konnte nicht verstehen, wie man sich ein anderes Geschlecht wünschen konnte. "So viel also? Das kann ja heiter werden, wenn ich da bin. Ich hoffe Genua hat die Zeit genutzt, um diesbezüglich an sich zu feilen."

Die Erklärung des Amtes, das bislang nur für einen fragenden Gesichtsausdruck gesorgt hatte, nahm die Ancilla wohlwollend auf. Dann folgte ein Nicken. Natürlich würde die Ältere nicht zu jemand Anderen als der weißen Prinzessin gehen... außer... diese wünschte es ausdrücklich. Vielleicht würde die Aufgabe ja ihr Primogen übernehmen. Aber bei einem Neugeborenen vorstellig zu werden? Und dann auch noch eines anderen Clans? Genua war seltsam.

"Ich denke die Gesetze und Domänen werde ich mir vor Ort erklären lassen. Hier wird ein grober Überblick über die Gesetze, abseits der Traditionen, reichen."

Eine Liste der Neugeborenen war ebenso wenig notwendig. Sie wusste um die Fluktuation eben jener, die nicht die Nacht überdauerten oder ihre Loyalitäten wechselten. Die Ankündigung der Älteren jedoch, war durchaus willkommen. Und dann hätte sie fast applaudiert. "Es regnete also Asche bevor alle Gäste da waren und das Fest eröffnet wurde? Wer zerfiel? König oder Gelehrter?" Sie wusste, auf wen sie wetten würde, wenn sie Glücksspiel betreiben würde. "Oder fiel nur jemand in Starre? Was machte der gastgebende Prinz?"
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I Tarocchi
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von I Tarocchi »

“Der Ventrue!”, rief Achilla aus. Sie hatte die Hände gehoben und ahmte die Fäuste und Klauen des Brujah nach. “Mattia Bragadin prügelte auf Adalbert von Schwaben ein, die Liktoren von Genua sollten dazwischen gehen, aber waren zu langsam und richteten nicht viel aus–”
Sie unterbrach sich abrupt mitten in der Erzählung und schob dann in einem raschen, eher sachlichen Erklärton ein:
“--oh, Liktoren! Das ist auch eine Sache, die Genua ganz zu eigen ist. Das ist auch ein Amt, doch es kann davon wohl so viele geben wie es die Weiße Prinzessin eben wünscht. Sie sind dafür da, dass die Menschen nichts von unsereins mitbekommen. Sie glätten die Wogen, sie lösen all die kleinen und großen Probleme, die die Menschen viel zu aufmerksam machen.”

“Leider sind sie damit nicht erfolgreich. Oder in Genua sind die Schwierigkeiten so groß, dass sie nur Tropfen auf dem heißen Stein des Genuesischen Straßenpflasters sind. Es gibt Jäger, in Genua. Es gab und gibt wohl immer noch immer einmal wieder Nachtwandler wie uns, die bei Tageslicht herausgezerrt und in einem großen Spektakel im Sonnenlicht auf der Straße brennen. Oder unter den Fackeln von Predigern und Häschern der Kirche. Oder das alles zusammen!”
Achilla schauderte. Sie hatte schon erwähnt, dass sie Opfer einer solchen Jagd geworden war. So war nicht verwunderlich, dass sie lieber eilig zurück zur ursprünglichen Erzählung wechselte:
“...die Liktoren jedenfalls sollen das eigentlich alles eindämmen. Sie schützen die Stille in der Nacht, sie schützen die Menschen, alle gewinnen daran. Doch in jenem Augenblick, in der Halle der Weißen Prinzessin, waren sie keinen Pfifferling wert. Der Vogt und die Geißel ebenso wenig - zu langsam gegen Mattia Bragadin vom Clan der Gelehrten.”

“Einer hat’s fast geschafft. Ajax hieß er, auch einer von Troilus’ Erben. Er hatte sich ein Stuhlbein losgeschlagen… .” Die Nosferatu ahmte das in einer wilden Geste mit einem ausgedachten Stuhlbein in der Faust nach und stach spektakulär in die leere Luft.
“...doch er griff damit nicht Mattia an sondern den Ventrue! Und das auch noch zu spät, denn der war dann Asche. Mattia floh - es ging alles so schnell, dass es kaum zu begreifen war. Ajax hinterdrein! Aber vielleicht zu schnell, denn Mattia erwischte ihn direkt zurück, Asche und Blut, Fänge in totem Fleisch!”
Achilla schlang ihre Arme in einer Ringer-ähnlichen Pose um ein eilig gegriffenes Kissen von einem blauen Diwan und ahmte Mattias und Ajax’ letztes Ringen nach. Mit Ajax’ Fall ließ sie die Arme sinken als würde tatsächlich ein Körper in ihren Händen zu Asche zerfallen. Stattdessen fiel nur das Kissen zu Boden.

“...und dann war er raus, Mattia Bragadin. Die Weiße Prinzessin befahl die Verfolgung. Brimir hinterdrein - das war der Vogt bevor er später blutgejagt wurde - Titus, noch ein paar andere. Zurück blieben Asche und die unangenehmste Stille, die Ihr Euch denken könnt. Die Art von Stille, die nur ein Raum voll von Untoten machen kann, die sich alle gegenseitig genug hassen, um einander auf die hässlichsten Weisen umzubringen, und es nur nicht wagen, weil sie sich gegenseitig im Schach halten.”
Achilla hatte die Arme noch immer ausgebreitet gehalten, aber jetzt legte sie eine Hand an ihr eines Ohr als würde sie ins Nichts lauschen.

“Die Art von Stille”, flüsterte sie und ließ für den Moment die Stille wirken. Doch nur für eine kurze Pause lang und vielleicht, um Drita eine Gelegenheit zum Nachfragen zu geben.
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Drita
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von Drita »

"Lik..." wollte die Lasombra fragen, die den Bewegungen der Jüngeren gerne und mit ein wenig Begeisterung folgte. "Ah!"

Sie lauschte auch den sachlichen Erklärungen und wurde bei diesen, wie Achilla selbst, ernster. So als würde sie ihre Handelspartnerin spiegeln - selbst eine Maske tragen, wie diese sie so offenkundig auch trug. Und trotz der augenscheinlichen Nähe, ließ sie in keiner Sekunde ihren tatsächlichen Stand herabsinken. Es war die Kunst der Ancilla, sie selbst zu sein und zugleich dem Gegenüber höflich verbunden.

Vampirjäger. Drita verzog das Gesicht. "Und es ist noch keinem Gelungen die aus dem Weg zu schaffen? Gut. Ich muss also noch vorsichtiger sein, als ohnehin schon."

"Oh... ja... ich habe einst einen jungen Brujah kämpfen sehen. Ich kann mir vorstellen, dass die... Liktoren... ihre Probleme hatten ihm nach zu eilen." Das einer von ihnen dann den Prinzen pflocken wollte überraschte Drita sichtlich, wenn auch nur kurz. Die Tatsache, dass der Ancilla den Liktor dann aber auch noch vernichtete, schien für sie hingegen vollkommen verständlich zu sein - ein fallengelassener Aktivposten, vielleicht hatte dieser Ajax versucht den Prinzen zu schützen, indem er ihn aus dem Fokus der beschriebenen Raserei nahm. Man wusste es am Ende halt nicht

Stille setzte ein und die Ancilla ließ sie auch ihrerseits wirken. Genoss sie vielleicht sogar. Zumindest diese Art der Stille hier. Sie konnte ahnen, dass dort im Saal eine andere Art herrschte und sie sah schon vor dem inneren Auge, wie alle versuchten auf's Knie zu fallen und sich zu ducken, um gar außerhalb des Sichtfeldes der Ahnen zu sein, wenn diese ihre Ziele neu steckten.

"Blutjagd. Genua hat wohl viele Probleme mit Loyalität und Eiden?" durchbrach Drita dann das Schweigen.
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I Tarocchi
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von I Tarocchi »

“Ah.. hm”, machte Achilla da delikat zur Antwort und hüstelte ein wenig. Nicht, dass man ihr ernsthaft abnehmen könnte, sie wäre über irgend etwas peinlich berührt, aber sie konnte es einigermaßen effektvoll schauspielern.

“Nun, dies, was ich Euch hier erzähle, ist zugleich auch die Geschichte, wie die Weiße Prinzessin Aurore von Genua zur Eidbrecherin wurde. In ihrem Eid gegenüber ihren Vasallen und in ihrem Eid gegenüber ihrem Lehnsherren in Mailand. Das ist die Geschichte, die jetzt gerade in diesen Jahren das Gesicht und die Abgründe der Domäne Genua bestimmt. ‘s mag luftig klingen… oder übermäßig moralisch, so eine Rede über Eide oder welche Gründe wahrhaftig genug sind, dass man dafür einen Eid bricht. Doch wer’s will, der kann es darauf herunter brechen und Genua als ein Lehrstück nehmen - eins, das noch lange nicht beendet ist.”

“Ich komme zu dem Teil der Geschichte über jene Nacht, die dazu führte, dass sie der ‘Klagende Hof’ genannt wurde. Zu dem Teil, der einen blutigen Bürgerkrieg in Genua begann, mit mehr Asche, Feuer und dem Schwert reinsten Glaubens. Zu dem Teil, der so voll von großen Torheiten, großem Stolz und großer Verzweiflung im letzten Überlebenskampf war, dass allein darin weitere ganze Geschichten und Lehrstücke liegen.”

Ominös und unheilschwanger klang das, wie die Nosferatu das sagt. Ja, Achilla war eine Meisterin des Erzählens. Hier spann sie eine Geschichte, die ursprünglich nur für Wissen und Informationen gedacht war, doch sie verwob beides mit der Spannung des Moments und mit dem Gewicht jener Ereignisse von einst. Sie hatte wohl auch eine der einfachsten Erkenntnisse über das Lernen und Kennen lernen verstanden, die man wohl auf den Bühnen dieser Welt lernt: Menschen - und Vampire wohl ebenso - machten sich Wissen, Namen und graue Fakten wahrhaftiger zueigen, wenn sie von den Geschichten darum her getragen wurden. Doch Achilla gab auch ganz unumwunden zu, dass ihr Handwerk und ihre Kunst ebenso ihren Platz hatten:

“Ha! Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich habe einst ein Theater geschrieben und veranstaltet, das genau davon handelte, von einem listigen Diebstahl, von der Liebe, von blutigem Verrat und dem Fall von einem weiteren Ventrue-Prinzensohn, der mitsamt seiner Soldaten die schönste, höchst verehrte Aurore hätte retten sollen.” Achilla seufzte, legte theatralisch eine Hand auf ihre Brust und winkte dann aber ab. “Ah, aber ich will nicht eitel sein mit meinem Theater. Stattdessen will ich bei der Geschichte für Euch bleiben, eh?”

Sie klatschte einmal in der Hände wie um ihre eigene Konzentration wieder auf den Punkt zu bringen. Der Laut war weicher als er sein sollte, pudrig leicht und trocken.

“Was zurückblieb, war Chaos. Es wurden noch ein paar mehr Häscher hinterdrein geschickt. Dann begann Totila damit, die Blutjagd auszurufen. Platynus, Königsblut, Ahn und Herr von Parma, rief auch die Blutsjagd aus und dann begann ein giftiges Überbieten, was die Hälfte der Anwesenden gar nicht verstand sondern einfach nur die Blutsjagd hörte und was der Kopf und die Haut von Mattia Bragadin wohl wert war.”

Achilla wiegte den Kopf. “In solchen Zeiten lernen die Schlauen, sehr still zu werden und sehr genau hin zu sehen und zu hören. Das Gift und das Überbieten zu erkennen. Die Gründe, warum wer wem ins Wort fällt, warum wer wen überbietet, warum wer auf was einen Anspruch erhebt.” Sie schnalzte mit der Zunge. “Solche Momente sind mehr wert als Blut oder Gold. Ich selbst habe damals viel weniger verstanden als heute und ich glaube, dass ich immer noch dazu lerne und etwas Neues verstehe.” Mit einer leichten Geste berührte die Nosferatu einmal ihre Schläfe und dann die Mitte ihrer Stirn, wo die eine oder andere alte Geschichte das Dritte Auge der Seele, der Erkenntnis und der Erleuchtung verortet. Es war eine abergläubische Geste, die Achilla da machte, aber sie traf wohl den Punkt ihrer Worte.

“So oder so, die Gastgeberin, die hundertjährige Herrin von Genua, wollte dann zurück zur geplanten Ordnung ihres Festes. Sie begann mit dem offiziellen Dank für all die Geschenke, die natürlich gebracht worden waren. Mit den formellen Vorstellungen zwischen denen, die sich noch nicht kannten. Feste wie dieses sind wertvoll allein dafür, eh?”

“Und so setzten sich Aurore und Totila Seite an Seite auf ein Paar Throne, den von Mailand als Lehnsherren und den von Genua. Beinahe wie im Märchen sah das aus, ein König und eine Königin sollten Hof halten. Und weil das der Wunsch der Gastherrin war und weil der alte Gotenkönig dem das Gewicht seiner ganzen Präsenz auf dem Thron gab, ging es dann eben auch so, mit Vorstellungen und Anliegen und langen, langen Reihen von Titeln und Namen und so fort. Heh - das ist ein Teil, den ich Euch hier auch erspare, denn für die Geschichte ist’s nicht so wichtig. Für die ist nur wichtig, dass es lang und höfisch zu werden versprach, so wie nur die Ventrue es verstehen, die Dinge lang und höfisch zu machen.”
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Drita
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von Drita »

Gespannt lauschte die Ancilla den Worten der Neugeborenen und verfolgte jede Theatralik, jede Veränderung von Tonlagen und jede Geste. Es war Alles Teil der Geschichte. Teil der Information, die die Nosferatu mit ihr teilte.

"Es wäre mir eine Freude euer Theater eines Tages zu sehen. Vielleicht ergibt es sich ja irgendwann." Es war nur ein kurzer Einwurf. Sie wollte den Rest der Geschichte hören. Und dann, als die Lasombra den klagenden Höhepunkt des Hofes erwartete, machte Achilla schon eine Pause. Die Ancilla zog die Luft ein, um den Atem gespielt anzuhalten - was nach all den Jahren des Untotseins gar nicht mehr wirklich menschlich wirkte und höchstens noch als blasse Erinnerung zu bezeichnen war.

"Ein typischer Ventrue-Hof. Die Könige können Vieles... aber am ehesten... langweilig sein." Sie grinste feixend, dann fordernd. "Spannt mit nicht auf die Folter, meine Liebe. Was geschah dann?"
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I Tarocchi
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von I Tarocchi »

Achilla lachte perlend zu diesem Kommentar über die Ventrue und nickte, während sie sich mit einer Hand Luft zufächelte, die sie nicht brauchte, um sich abzukühlen, obwohl sie schon längst kalt und tot war. Dennoch, die weißen Holzperlen an ihrem Kleid klimperten hübsch und die weißen Federn tanzten mit dem Luftzug.
Man musste der Nosferatu immerhin zugute halten, dass ihr Gelächter wahrscheinlich nicht allzu falsch war. Hier, in Venedig, hatte sie vermutlich nicht sonderlich viele Kunden und Kontakte aus dem Clan der Könige.

“Es ging so eine Weile vor sich hin und so weiter”, fuhr Achilla dann fort. “...ich fürchtete schon, es würde so bis zum Morgengrauen gehen, da zogen die Schatten auf.”

“Es begann mit einer Weissagung. Fragt mich nicht, was genau er gesagt hat, aber es war der Kometiolos, das Enigma, Ahn der Salubri, der sie sprach. Ich verstand nicht einmal die Sprache, aber nach allem, was ich über ihn weiß, versteht man ihn auch nicht, selbst wenn man die Sprache eigentlich verstehen müsste. Was mir hinterher jemand übersetzt hat, waren die letzten paar Worte: “...was keinen eigenen Schatten wirft und Weiß als Schwarz zu Rot werden lässt.”
Es klang hohl und unheimlich, so wie Achilla das Bruchstück der Prophezeiung echote - ein Trick mit der Holzmaske und wie man gegen sie oder unter ihr hervor sprach, vermutlich.

“Doch keiner hatte Zeit, sich zu wundern. Denn in dem Augenblick stolperte einer in das Licht der Weißen Halle von Genua, vor die Augen der Versammelten, den viele kannten: Das war Gaius Marcellus Palatino, Neugeborener vom Clan Saulots, Kind von Matthias von Bath, Ahn vom Clan Saulots. Dieser Gaius war ein Liktor Genuas und ein Vasall Aurores, aber er war in die Gefangenschaft Totilas geraten und seine Lehnsherrin hatte ihn nicht ausgelöst, nicht befreit, nicht beschützt. Aber jetzt stand er da, schmutzig und blass und mit einem Gesicht, das früher einmal hübsch gewesen war und jetzt so voller Narben und altem Schmerz, dass keiner sich ausdenken musste, was für eine Art Gefangenschaft und Folter das gewesen war. ‘Mailändische Gastfreundschaft’ wird das genannt und ich glaube fest, dass dieser Familienzweig der gotischen Lasombra das nicht einmal als eine Kränkung sehen würde. Eher als das Zeichen ihrer Macht und Hoheit.”
Jegliches Lachen war aus Achillas Stimme gewichen. Sie sprach mit einem Anklang von Furcht in ihrer Stimme.

"Aurore hat das auch gesehen, so wie alle. Und sie tat etwas, das sie sonst nicht macht: Sie stand auf von ihrem Thron und ging hin zu dem Neugeborenen. Einige dachten, aus Mitgefühl. Ich dachte, um Gaius möglichst schnell zum Schweigen zu bringen, denn er brachte seine Vorstellung tatsächlich vor allen vor. So wie all die anderen es zur Hofhaltung auch gemacht hatten.. nur ohne all die Folterzeichen im Gesicht und am Leib.”

“Und wahrscheinlich hätte Aurore ihren Vasallen auch zum Schweigen gebracht, aber sie wurde dann abgelenkt, von den langen Schatten hinter ihm. Da ging ein Mann, der aussah als wäre er nicht ganz da. Seine Gestalt… flackert im Licht als müsste sie auslöschen. Die Weiße Prinzessin und der Schwarze Fremde starrten einander an.

Achilla legte die Hände ineinander und richtete sich gerade auf, um dann Wort für Wort wiederzugeben, was Gaius damals gesagt hatte: “Ich vermache alle offenen Gefallen meiner Person dem höchst verehrten Lydiadas, Ahn des Clans der Schatten, Prinz von Genua. Im Austausch für mein Leben, welches ich ihm Schulde.... Außerdem klage ich Aurore, Ahn vom Clan Ventrue, des Eidbruchs des mir gegebenen Lehns- und Schutzeides an! Sie hat mich verraten und im Stich gelassen. Ich werde ihr nicht länger dienen und fordere jeden aufrechten Kainiten auf dem Weg der Könige auf diesen Eidbruch zu sühnen und zu vergelten.
Worte, die einschlagen konnten wie ein Blitz. Achilla sprach sie mit ihrer besten Bühnenstimme, laut und tragend. Ein Lasombra-Ahn. Prinz von Genua?! Eidbruch! Es ging Schlag auf Schlag.
Doch damit war es offenbar nicht vorbei. Achilla hob die Arme wie um Aurores Gestalt nachzuahmen, die auf Gaius zutrat. “Die Weiße Prinzessin ging auf Gaius zu. Sie packte ihn am Hals…” Gleichzeitig mit ihren Worten hob auch Achilla ihre schmale Hand wie um diesen Gaius aus ihren Worten zu packen.
“Doch Gaius wich nicht zurück. Stattdessen zückte er ein Messer.”

Ein Augenblick atemloser, todloser Stille. Achillas Augen weiteten sich als sei auch sie überrascht von der Klinge, die so plötzlich aufblitzte. Sie wich einen Schritt zurück vor dem Messer und vor dem bloßen Neugeborenen, der sie eigentlich niemals hätte erschrecken sollen.

“Und dann hob Gaius das Messer und stach es sich in sein eigenes Herz! Das war, wie er starb, der treueste und eifrigste Liktor von Genua, der leidenschaftlichste Vasall der Weißen Prinzessin, bis er keiner mehr war. Und wieder bedeckte Asche den Boden der Weißen Halle.”
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von Drita »

Was für ein Schauspiel die Neugeborene da von sich gab. Vor ihrem inneren Auge formten sich Bilder, wie es wohl tatsächlich alles gewesen war. Drita malte sich die Halle aus, diesen Hof... und das Chaos, das dann dort ausbrach - ausgelöst von so wenigen. Ein weiterer Höhepunkt an diesem Abend, wobei Mattia schon die Messlatte ziemlich hoch gehangen hatte.

Lydiadas. Die schwarze Hand. Den Namen hatte sie schon gehört. Ein Lächeln legte sich auf die alten Lippen.

Doch das änderte sich, als Achilla den Schlussakt von Gaius beschrieb. Eidbruch. Und dann... ... wenn das stimmte war Aurore wahrhaft mächtig. Letzteres verursachte ein Gefühl der Achtung und des Respektes gegenüber der Ventrue. Aber, wenn das Erste stimmte, dann musste Drita vorsichtig sein. Mehr als vorsichtig. Eidbrüchige Prinzen. Vasallentum war halt immer etwas, was Loyalität von beiden Seiten forderte - oder Dominanz und Unterwerfung des Schwachen, was jedoch eine deutlich schwächere Loyalität darstellte.

"Wie reagierte der Hof auf diese... Machtdemonstration?"
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von I Tarocchi »

Achilla machte einen kleinen Hüpfer von der Tischkante, auf der sie kurz wieder gesessen hatte, herunter und in den Raum hinein. Mit einem Fuß, der in einem hübschen, bestickten Pantoffel steckte, zog sie eine unsichtbare Linie auf den Boden. Mitten in der Bewegung jedoch hielt sie inne.

“Oh”, hauchte sie betroffen. “Oh, beinahe hätte ich vergessen, dass der Klagende Hof in jenem Augenblick seinen Namen erhielt. Als Gaius starb, schrie Seinfreda, la Vedova, die Witwe, auf. Einmal mehr Witwe geworden. Einmal zu viel. Etikette, Blut, Stand oder Rang - ihr wurde alles gleichgültig bis auf das Ende ihres Geliebten. Ihr Klagen ging durch Mark und Bein. Kennt Ihr die alten Sagen von den Klagenden Frauen? Oder die von den Weißen Frauen? Die von den bean-síghe? Aus einem Klagen wie diesem werden solche Geschichten geboren.”

Die Nosferatu legte ihren Kopf in den Nacken als wollte sie klagen wie einst Seinfreda es wohl tat. Doch kein Laut kam über die starren Lippen ihrer hölzernen Maske oder über ihre eigenen, die darunter verrotteten. “Ich kann nicht klagen wie sie”, flüsterte sie. “Meine Liebe ist noch in dieser Welt.”

Und damit ließ sie sich nach vorn sinken wie eine Handpuppe, die einmal herumgedreht und in eine neue Pose geworfen wird. Sie setzte wieder ihren einen Fuß vor und kehrte damit zu jener unsichtbaren Linie zurück, die sie auf den Boden gezogen hatte.

“Mitten vor der Kulisse dieses Horrors begannen nun alle, sich aufzuteilen. Schwarz oder Weiß. Genuese oder Fremder. Die Fremden würden gehen. Doch die Genuesen… .”

“Godeoc war der erste, der Stellung beziehen ließ. Er befahl die seinen auf die Seite des Schwarzen Prinzen. Doch nur die Hälfte von uns gehorchte. Ohh… der Zorn Godeocs!” Sie schauderte. “So jedenfalls geriet ich auf die Seite Lydiadas’, denn ich gehorchte damals meinem Ältesten. Adelchis und Acacia warteten dort bereits. Andere folgten. Und erneut folgten Wortbrüche: Mareno, ein Kapitän und Neugeborener der Rosen, bracht seinen Handel mit Lydiadas und stellte sich auf Aurores Seite. Der Ruf der Rosen ist seither nicht mehr dasselbe wie zuvor in Genua. Ebenso Angelique, die eine Lebensschuld bei Gaius hatte, die nun Lydiadas gehörte - und doch folgte sie nicht sondern stand auf der Seite der Weißen Prinzessin. Merkt Euch dies, wenn Ihr je mit ihr zu tun habt. Sie ist eine Erbin vom Blut Malkavs, eine tote Seele in einem Kinderkörper. Sie will tugendhaft und gut erscheinen, doch eine Lebensschuld war ihr nichts wert.”

“Sie trat zur Gegenrede gegen Acacias Worte an, die das Teilen, Schwarz und Weiß eingeleitet hatten. Sie tat so als wäre sie tatsächlich ein Kind, als könnte sie sich in hinter die weiten, schwarzen Rockzipfel von Ilario Contarini vom Blut der Schatten flüchten, der bislang noch unentschieden stand.”

Totila unterdes, höchst verehrt, als Herr der Lombardei, als Lehnsherr, sprach laut dies:

“Alle Vasallen Mailands die sich in der Domäne Genua aufhalten, werden ihrer Majestät Aurore vollumfänglich zu Diensten sein und die Verräter aus der Stadt jagen die sich erdreisten den Thronanspruch der weißen Prinzessin anzuzweifeln. Mailand wird außerdem weitere Unterstützung schicken. Soviel wir entbehren können.”

Achilla wiegte den Kopf und schnalzte mit der Zunge. “Er war nicht überrascht, dieser Totila. Und Gaius war ihm auch nicht einfach nur aus der Hand gefallen. Und doch diese Worte. Auch das ist wichtig, um Genua zu verstehen, so wie es jetzt ist. ‘Mailand, das große, prachtvolle, das gräfliche Mailand, ist kein Teil der See der Schatten.’”
Die Nosferatu hatte versucht, sich so imposant aufzustellen wie der Fürst es wohl in jenem Thronsaal getan hatte, doch sie besaß nicht seine Statur und nicht seine Stimme. Dennoch, das Gewicht der Worte konnte man auch in ihrem Tonfall hören. “Schon zu der Zeit war er lange im Kampf mit den Tedesci gewesen und davon waren einige auch anwesend. Doch die Vasallen Mailands in Genua, die hat er Aurore zur Unterstützung befohlen.”

Sie selbst begann nun, über jene unsichtbare Linie auf dem Boden zu balancieren. “Einer nach dem anderen musste wählen. Ein paar, die später noch wichtig werden: Ilario Schwarz - konnte den Eidbruch Aurores zum Schutz von Gaius nicht verwinden.” Sie machte einen kleinen Schritt zur einen Seite. “Galeno Schwarz.” Noch ein Schritt. “Iulia Weiß, Sousanna von den Wanderern Schwarz und ihr Erzeuger Caspar ebenso.” Ein Seitenschritt, ein Hüpfer zurück auf Schwarz, ein weiterer Schritt voran. “Arash Weiß - ich habe nie verstanden, weshalb” Die Nosferatu tanzte wieder auf die andere Seite. “Sofia Caruso von den Totensprechern aus Pisa Schwarz, Gasparo Weiß und so fort und so fort.” Sie tanzte auf der Linie, mal links und mal rechts.

“Während dies noch ging, fielen die ersten Drohungen. Wer sich in welchem Teil der Stadt aufgestellt hatte. Wessen Truppen bereits jetzt schon an diesem oder jenem Tor oder im Hafen standen. Wer sein Messer an wessen Kehle hatte!”

“Krieg, schlimmer noch: Bürgerkrieg, Putsch, Mordgier… oder einfach nur Gier - ihr hättet es aus der Luft jener Aschegeschwängerten Halle schmecken können, verehrtes Licht. Ich selbst? Ich war überwältigt. Bis zu jenem Augenblick hatte ich nicht viel in der Gesellschaft unseresgleichen mit zu mischen. Ich war jung und töricht und leichtsinnig. In jenem Augenblick, damals, habe ich gelernt und nie wieder danach war ich so jung und so dumm.”
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Re: [1077] susurro est negotium [Achilla (SL), Drita]

Beitrag von Drita »

Die klagende Witwe also. Das erklärt Namen. Und wie sie sich angehört haben musste, konnte die Ancilla sich lebhaft vorstellen - sogar noch besser als den Hof der Ventrue mit all der Buhlerei. Das Schauspiel der Verborgenen war etwas, dem man sich kaum entziehen konnte und doch:

Jetzt kamen Sie zu dem Akt, der die ganze Bezahlung wert war. Drita verlor das Lächeln von den Lippen. Auch, wenn ihr Gesicht der Nosferatu weiter aufmerksam folgte. Stück für Stück prägte sie sich die Namen ein. Eidbrecher, um Eidbrecher... und ihre Gründe - sofern sie genannt wurden. Erlaubte der Eidbruch eines Höheren dein Eigenen? Gebrochene Lebensschulden? Was verstand man nicht unter Lebensschuld? Ein hin und her... ein Wechsel der Seite... jeder stellte sich auf die Seite, auf der er oder sie die meisten Chancen zum Überdauern sah.

Drohungen, Wetteifererei. Krieg. Gier. Ja. So waren Sie... jeder von Ihnen... Raubtiere. Bestien. Neutralität war nie eine Option, so sehr man sie sich auch erhoffte.

Drite nickte. Dankbar. Sie lächelte wieder.

"Und euer Bruder? Vergonzo? Was geschah mit ihm? Brach er auch seine Eide?"

Eine kurze Pause.

"Wollt ihr ihn wieder sehen?"

In dieser Frage schwang eine Weitere mit: Und was wäre es euch wert?
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