Der lange, graue, wollene Umhang mit schneeweißem Lammfellbesatz an dessen Säumen und dem Überwurf, welchen die hochgewachsene Schönheit elegant über ihr Haupt drapiert hatte, hatte dafür gesorgt, dass ihr Antlitz von dem feinen Nieselregen weitestgehend verschont geblieben war. Ebenso wie ihr langes, seidenes Kleid, aus weißem Stoff, welches sie darunter trug und welches ihre wohlgeformten Rundungen verführerisch umspielte, gleich einem Fluss einen großen, glattgeschliffenen Stein. Dennoch war in der heutigen Nacht kein noch so kleiner Fetzen ihrer hellen Haut zu sehen, abseits ihres Gesichtes und ihrer Hände, der nicht geradezu sittsam und züchtig bedeckt war. Selbst ihre hellen Haare waren vollständig unter dem seidenen Schleier verborgen.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten war es selten geworden, dass man das Kind des Prinzen derart ausgelassen, unbeschwert, regelrecht
fröhlich gesehen oder vielmehr erlebt hatte, als denn in jener Nacht, in der ihr Gesicht, trotz des drohenden Gewitters, förmlich zu
glühen schien. Auch ihren blaugrauen Augen wohnte heute eine heißbrennende
Lust inne, die weitaus gefährlicher wirken mochte als jene Maske der kühlen, distanziert wirkenden Höflichkeit, welche sie über so viele Jahrzehnte derart offen zur Schau getragen hatte.
Aurores Kind war sichtlich
erwachsen geworden.
Gereift unter dem Druck, der auf ihren jungen Schultern vom Moment ihres Freispruchs an, gelastet hatte.
In Form geschliffen durch das Amt und die Würden als Harpyie, welches sie trotz all des
Hasses auf und gegen ihre Person, nicht nur zu schätzen, sondern auch zu
lieben gelernt hatte. Ob es in einer Nacht wie dieser, die schiere
Arroganz war, dass sie keinerlei Rüstung trug, ein bewusst gesetztes
Statement oder gar womöglich blanke Naivität war schwer zu sagen, auch wenn ihr die Wachen des
Grafens auf ihrem Weg, sicherlich nicht entgangen waren.
Und entgegen vieler anderer, sollte sie trotz des verhältnismäßig kurzfristig einberufenen Hoftags in dieser Nacht auch nicht allein unterwegs sein, was ihre gutgelaunte Stimmung, tatsächlich wohl am ehesten erklären mochte. Ihr außergewöhnlich schöner Körper war ihrer Begleitung zugewandt, mit welcher sie sich sichtlich angetan in
Latein unterhielt, das erneut aufbrandende furiose Gekläffe der Hunde ignorierend, welche lauthals kundtaten, dass sie das
Monster in ihr nur allzu deutlich spüren mochten.
Nachdem Iulia Lucio mit einer geradezu töchterlichen Zuneigung begrüßt hatte und ihm ihre Begleitung höflich vorgestellt hatte, hatte Iulia im überdachten Bereich ihren Überwurf auf ihre Schultern zurückgeschlagen und dort adrett drapiert, bevor sie mit einer sanften Geste ihrer Hand ihren Umhang einseitig weiter geöffnet hatte, um ihren Gast damit einzuladen, den Thronraum gemeinsam an ihrer Seite zu betreten.
An der Seite der Ventrue schritt ein Kainit, der wohl in Genua den allermeisten unbekannt war. Etwas kleiner als sie und von schlanker Gestalt war der Jüngling mit dem schulterlangen, dunklen Haar, angetan mit einer dunkelgrünen Tunika und einem etwas helleren Umhang, der von einer kupfernenen Spange gehalten wurde.
Aufmerksam und höflich achtete er auf jede Bewegung Iulias um sich dieser galant anzupassen. Eine Waffe trug der Mann nicht, aber einem Kenner würde der selbstbewusste Gang, die Sicherheit in den Bewegungen, eines geübten Kriegers auffallen.
Den Allesfresser begrüßte er sehr förmlich, wirkte dabei etwas steif und doch wohlwollend gegenüber dem Ghul der Prinzessin. Anstalten mit irgendwem anderen zu sprechen machte der Kainit nicht, sondern hielt sich weiterhin in der Nähe der Harpyie auf, während er aufmerksam deren unmittelbare Umgebung im Blick behielt.
Nachdem sie gemeinsam den Thronsaal betreten hatten, hatte sich die Stimme der Harpyie abgesenkt, jedoch hatte dies sie nichts von ihrer unbeschwerten Schönheit einbüßen lassen. Stattdessen flog ihr Blick aus blaugrauen Augen gekonnt kurz über die bereits Anwesenden, bevor sie diese nonverbal grüßte, in dem sie ihren Körper und ihr Haupt respektzollend vor den Ancillae verneigte, anschließend auch den Neugeborenen mit kerzengeradem Körper und Haupt ein entsprechendes Nicken zukommen lassend, sofern diese denn die Harpyie zuerst grüßten. Anderenfalls blickte sie letztere zwar einen kurzen Moment abschätzend an, bevor sie ihre blaugrauen Augen jedoch regelrecht
gleichgültig zum Nächsten weiter wandern ließ, so diese eine von ihr gebotene
Chance, derart nutzlos verstreichen lassen wollten.
Das Kind es Prinzen begann damit vor Benedetto ihren Respekt auszudrücken, indem sie ihren Blick auf seine Brust absenkte und ihren hochgewachsenen Körper in seine Richtung länger verneigte, einerlei ob dieser ihr dabei seine Aufmerksamkeit schenkte oder nicht. Dann drehte sie sich galant in Richtung Ilario, vor welchem sie sich etwas weniger tief und lange denn vor Benedetto zuvor, wenn auch nicht minder respektvoll verneigte. Ihre blaugrauen Augen glitten anschließend diskret fragend oder womöglich auch höflich ersuchend, von der Brust ihres Amtsvorgängers, kurz auf das
silberne Kreuz seiner Begleitung, scheinbar darüber nachsinnend, ob es sich bei dieser wohl um den Besuch aus seiner Heimat handeln mochte. Dennoch hatte Iulia zuerst den Hofgelehrten Aurores begrüßt, mit einer weiterhin absteigenden Dauer und Tiefe in der Verneigung ihres Körpers, auch wenn jede davon durchaus respektzollend vor den vier Ancillae wirkte.
Erst im Anschluss an die Begrüßung der ihr Höhergestellten verblieb ihr Körper in einer kerzengeraden, aufrechten Haltung, in welcher sie die bereits anwesenden Neugeborenen mit ihren Blicken oder auch einem höflichen Nicken bedachte, sofern diese sich denn angemessen vor ihr betrugen. Ihre blaugrauen Augen begannen bei Macario, wanderten anschließend hin zu Nicolo, bevor sie bei Giada gelandet waren, der sie ein sanftes Schmunzeln schenken mochte, fast so als hätte ihr Jemand einen wirklich guten
Witz erzählt. Ihr Gesicht wurde erneut glatter, als sie auf Liviu blickte und anschließend weiter auf Nubis. Die vermeintliche
Bedienstete, die manch anderem bisher nicht aufgefallen sein mochte, erhielt ein freundlich wirkendes Lächeln, bevor ihr Gesicht erneut glatter wurde und sie auf die neue Toreador in der Stadt sah. Auf Allegra blickte die Harpyie fragend, ihre Stirn in sanfte Fältchen legend, dabei wohl eher
ratend, um wen es sich hier wohl handeln könnte. Ebenso wie bei dem neuen Salubri. Offenbar war sie mit Beiden noch nicht persönlich bekannt, was sich am sanften Rümpfen ihres feinen Näschens widerspiegeln mochte, bevor sie Vincente schweigsam betrachtete.
Derweil schritt Iulia weiter durch den Raum, wohl, um für sich und ihre Begleitung eine angemessene Position einzunehmen in der sie den Großteil des Saals, sowie der Neuankömmlinge begutachten konnte. Fast wirkte es, als würde sie einen gewissen
Abstand setzen wollen, bevor ihr Blick auf Tankred ging, gefolgt auf Angelique, Arash und letztlich zu Paolo, ehe sie ihren den Blick zurück zu ihre Begleitung wandern ließ, Benjamin derweil am
Rande, so überhaupt denn, damit streifen lassend, als sie sich offenkundig lieber weitaus
interessanteren Themen mit ihrer Begleitung widmen wollte, zu welcher sie gedämpft in fließendem Latein sprach, dabei erneut unbeschwert lächelnd, was das Kind des Prinzen der Domäne noch weitaus schöner und bezaubernder wirken ließ, während sie dennoch dezent den Raum und die Entwicklungen dort im Auge behielt.