[1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

[Februar '23]
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Giada Salvaza Rossi
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[1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Monate oder Jahre? Die Hexe wusste es nicht. Wie lange hatte sie in der kalten Dunkelheit zugebracht? Lange genug, dass Meersalz in ihren Haaren verkrustet war. Lang genug, dass ihre von den endlosen Schlägen, von dem Kratzen und Graben geschundenen, vernarbten, gebrochen geheilten Hände sich anfühlten wie zwei Steine. Lange genug, dass ihr der aufrechte Stand und das Gehen fremd vorkam und das Treiben, das Kauern, das Schwimmen und Tauchen und Graben natürlicher schien.

Was sie sonst hervor zog, war das Blut. Wenn es dort nicht genug gab, musste sie es anderswo holen. Sie hatte Horte dafür, doch Jagd lag in ihrer Natur. Monate oder Jahre? Wie lange hatte sie ihre Zeit mit nichts anderem zugebracht als Blut und Finsternis?

Es war ihre eigene, verdammte Dienerin gewesen. Sie war noch frisch und jung in ihren Diensten. Die alte war gestorben, nach Folter und Befragung, neuerlicher Folter und neuerlicher Befragung. Wann immer sie die neue ansah, sah sie auch die alte in diesem Gesicht. Sah wie die einst so strenge, klare Miene angeschwollen und verformt verschwamm, so wie sie sie von der Folterbank heruntergehoben hatte. So wie sie danach verschwomm und verschwamm zu der blinden Arglosigkeit eines Kindes. Bis nichts mehr übrig war.

Diese Dienerin war es gewesen - wie war ihr Name? Lara? Laura? Lina? - die sie aus der Finsternis herausgerissen hatte. Mit einer Drohung, von allen Dingen. Sie hatte gedroht, dass sie ihrer Herrin folgen würde, wenn es so weiterging. Und Giada hatte es ihr geglaubt. Und wenn Lisa oder Litta oder wie sie auch immer hieß das tat, dann würde sie sterben. Und sie würde sich eine neue Dienerin suchen müssen, in deren sie die Gesichter der beiden Vorgängerinnen sehen würde.

Den Gedanken hatte Giada noch mehr gehasst als die Verzweiflung der kleinen, dummen Gans. Also hatte sie die Finsternis für etwas anderes verlassen als für Jagd und Blut. Nun, nicht ganz. Eine Jagd war auch das hier. Nur nicht nach Blut. Es war eine Fährte, die mittlerweile so tot war, dass sie nicht einmal mehr staubig war. Sie führte zu einem Haus, das es nicht mehr gab, und zu einer Hexe, die seit Jahrzehnten schon tot war.
Doch es war eine Fährte und sie brauchte tatsächlich Antworten oder wenigstens die Gewissheit, dass hier gar nichts war.

Also ging sie in dieser Nacht selbst. Sie trug ihr Lederzeug und schwere Handschuhe, einen schweren, eisenbeschlagenen Prügel an ihrer Seite, einen Umhang. Wenn man nicht genauer hinsah, dann konnte man sie gut und gern auch für einen Mann halten. Das und die späte Stunde waren wohl die Gründe dafür, dass sie weitestgehend unbehelligt geblieben war, als sie sich ihren Weg hierher gesucht hatte. Das und die Tatsache, dass die meisten Sterblichen sich beinahe instinktiv von ihr fernhielten. Hexenwerk.

Vielleicht konnte sie hier finden, was ihre Handlanger nicht sehen konnten.
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La Strega
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von La Strega »

Und so führten die Schritte der Lasombra sie in Richtung der Stelle wo dereinst ein wirkliches echtes Hexenhaus gestanden haben soll. Und worin eine echte wirkliche Hexe gehaust haben soll. Zumindest hatten sich das alte klatschfreudige Waschweiber erzählt, die so alt waren, dass sie dieses Haus vielleicht selbst mal gesehen hatten, oder selbst Geschichten rezitierten, ausschmückten, umerzählten und Dinge hinzudichteten.

Wie alles, war wahrscheinlich darin ein kleiner wahrer Kern zu finden.

Und tatsächlich querten vor Giada plötzlich ein zwei Katzen, eine schwarze und eine gescheckte. Beide machten, als sie das sich nahende Raubtier witterten, einen Katzenbuckel, fauchten ängstlich und nahmen reiß aus.

Es waren vielleicht noch zweihundert Schritt bis zu dem Ort, dem man Giada genannt hatte, als ihr eine leise zittrige Stimme ans Ohr drang....die leise ein Lied vor sich her sang.


"In einem Bergdorf wars einst geschehen, dass Frauen im tiefen Wald,
ein gar seltsames Wesen gesehen, nicht Tier und nicht Mensch von Gestalt,
nackt und wild bei des Tages erwachen, in der Ferne mit Wölfen es rannte,
und erst durch sein fröhliches Lachen, als ein Menschlein ein Kind man's erkannte..."


Als sich Giada umblickte, sah sie eine kleine gebeugte Gestalt, die am Wegrand auf einem alten vermoderten Baumstumpf saß. Irgendwas auf dem Schoß hatte sie und mit den Händen nestelte sie daran rum.

"Als sie Alten und Pfarrern berichtet, dass umgeben von Bestiengetier,
auf einer Lichtung ein Kind sie gesichtet, schickte los man der Männer vier
So sollte ihr Plan gelingen, das verlassene Wolfskind zu finden
Zu seines Gleichen zurück es zu bringen und aus den Klauen der Wildnis zu winden."


Bestimmt hatte sie einstmal eine schöne Singstimme. Aber sie war kratzig, zittrig und alt. Wenn sie Giada bemerkt hatte, so reagierte sie zunächst nicht auf sie, sondern war mit dem beschäftigt, was auch immer sie da tat.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Steif hielt Giada an, wie vom Donner gerührt. Musik - sie hatte beinahe vergessen, dass es so etwas gab. Wie konnte man so etwas vergessen?
Und die Worte. Sie kannte das Lied. Natürlich kannte sie das Lied so wie viele im Land es taten, wo man die Alten Mächte noch nicht vergessen hatte.

Giada sah sich um. Hier gab es niemanden, der sie kannte. Nur die Katzen hatten sie erkannt, aber auch das war schon immer so gewesen, selbst zu ihren Lebzeiten. Sie hob das Kinn und sang:

“Viele Tage waren vergangen eh' das Kleine endlich man fand.
Als nach langer Jagd man's gefangen, es sich wehrte, heulte, sich wand.”

Giadas Stimme war rauh von zu langer Zeit des Schweigens. Und selbst ohne das hätte sie wohl niemals lieblich oder schön geklungen. Tief für die Stimme einer Frau und dunkel, weil sie sich nicht mehr erinnern konnte, wann sie dieses Lied das letzte Mal gehört hatte. Bei Feuerschein? Beim Wandern auf einem Weg im Sonnenlicht?

“Doch die Männer, sie zögerten nicht und legten's in eiserne Ketten
nahmen's mit, wie es war ihre Pflicht, um's vor solch unwürd'gem Leben zu retten.”

Langsam wendete sie sich dorthin, von woher sie die Stimme der alten Frau gehört hatte. Sie erinnerte sich an das Lied noch immer so gut, weil die Geschichte so vertraut war. Doch dann wieder war es so gemacht worden, dieses Lied, dass es weiche Herzen berührte. Oder nicht?

“Im Dorf angekommen bei Nacht, wird's beäugt, des Misstrauens schwer.
Beim Schmied ward es untergebracht, litt nicht Hunger noch Kälte nunmehr.”

“Doch wo Wölfe niemals allein und frei durch die Wälder jagen,
muss für sich unter Fremden sein, der Andern Verachtung ertragen.”

Ein paar Schritte entfernt von der Alten blieb sie stehen und sah sich an, was diese dort tat.
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La Strega
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von La Strega »

Die alte hatte ein Bund Pflanzen auf dem Schoß und zupfte aus diesem Bund das ein oder andere heraus und flicht es zu einem Gebilde, dass sie in der Hand hielt. Eine Katze ruhte auf ihrem gebeugten Rücken und schmiegte sich an ihren Hals, während sie mit misstrauischen Augen in Giadas Richtung schaute. Die Alte hatte aufgesehen, als Giada anfing zu singen und wackelte vergnügt mit dem Kopf.

"Zeit vergeht und oftmals erschallt, wenn das Mondlicht silbern scheint,
klagender Wolfsruf im Wald, das Mädchen im Hause es weint,
lauscht traurig dem Ruf in der Ferne, sehnt sich nach der Kühle der Nacht,
nach dem tröstlichen Schimmern der Sterne, die einst seinen Schlaf bewacht."


Ein leichte Duft verschiedener Kräuter wehte mit einer leichten Briese aus der Richtung der Alten Frau. Kamille, Thymian, Zwiebel, Knoblauch, Rosmarin.

"Eines Nachts, es herrscht Krieg im Land, kommt plündernd auf Suche nach Beute,
von den Dorfwachen zu spät erkannt, aus dem Dunkeln gestürzt eine Meute.
Das Mädchen erschreckt vom Geschrei, versteckt sich im Stall bei den Hunden,
wünscht zitternd die Zeit sich herbei von damals bevor man's gefunden."


Sie tat weiter ihre Arbeit, ohne jedoch hinzusehen, während sie mit neugierigem Blick die dunkle Gestalt der Lasombra musterte und beobachtete.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

Dieses Lied war nicht harmlos. Es hatte seine Lehre und die war nicht viel feinsinniger oder subtiler als der Prügel an Giadas Seite. Früher hatte sie das einmal anders gesehen. Früher war sie einmal jünger gewesen als jetzt.

Mit einiger Nostalgie sang sie:
“Mit schwarzen Augen verfolgt's das Geschehen. Überall lodern Flammen empor.
Im Schein kann die Menschen es sehen, die’s umsorgten, man zerrt sie hervor.”

Damals, als sie das Lied zum ersten Mal gehört hatte, hatte ihr Herz für das Wolfskind geschlagen, für die Unschuld aus der Wildnis. Heute schlug ihr Herz nicht mehr und sie trug den eisernen Prügel an ihrer Seite. Doch die Dinge lagen nicht so einfach wie ein altes Lied sie zeichnen wollte.

“Vor dem Feind liegt der Schmied auf den Knien, die Kehle entblößt, keucht und bebt.
Doch wo der Wolf den Besiegten lässt ziehen, der Söldner sein Schwert erhebt.”

Es war schön und romantisch und zart, als die Welt noch einfach genug für ein Lied wie dieses gewesen war. Sie versteckte sich nicht vor dem Blick der Alten. Sollte sie ihre Schlüsse ziehen wie sie wollte. Vielleicht würden ein paar davon richtig sein.

“Das Wolfskind springt auf, wendet ab seinen Blick, und läuft ohne Zögern in die Wälder zurück.
Flieht vor unwürd'gem Leben und grausamer Gier, sich zu retten vor solch wildem Bestiengetier.”

Giada hob die Hand ein wenig an wie um die Alte einzuladen, das letzte Echo mit ihr gemeinsam zu singen:

“…flieht vor unwürd'gem Leben und grausamer Gier, sich zu retten vor solch unwürd'gem Menschengetier.”

Als die letzten Töne verklungen waren, sog sie tief die Nachtluft ein. Sie hatte tatsächlich vergessen, dass es Lieder gab und etwas anderes als Blut und Finsternis. Vielleicht hatte Lira oder Lana oder wie auch immer sie hieß recht gehabt. Giada sah auf die Alte herunter und war für einen Moment ein wenig verloren zwischen den alten Erinnerungen aus dem Leben und dem Jetzt.

“Es ist lange her”, meinte sie leise.
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von La Strega »

Die alte Frau gluckste und wackelte mit dem Kopf, während sie weiter ihre Flechtwerk bearbeitete.

"Oh tatsächlich? Diese alten Weisen enthalten oftmals Lektionen und Wissen aus dem einfachen Volk, ohne dass man es auf vergängliche Pergamente bannen muss."

Für einen kurzen Augenblick wirkte sie ein wenig unzufrieden mit ihrem Flechtwerk, zupfte mit spitzen Fingern einen Halm wieder hinaus und schnipste ihn vor sich auf den Boden. Dann wandte sie sich wieder an Giada.

"Und wir alten Frauen bringen diese Lieder den jüngeren bei, damit das Wissen erhalten bleibt. Wie heißt Du, mein Kind?"

Die alte kratzige Stimme klang neugierig und auf dem hässlichen faltigen Gesicht war ein verschmitztes Lächeln zu sehen.
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Giada Salvaza Rossi
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Giada”, sagte Giada mit einem ein wenig melancholischen, ein wenig nostalgischen Lächeln. Sie schob den eisernen Prügel, den sie an der Seite trug, ein wenig zurecht, so dass sie sich neben jenen Baumstumpf setzen konnte oder vielleicht an dessen Rand, wenn er breit oder lang genug war.

“Maid, Mutter oder Alte”, seufzte sie. “Ich war alles davon schon und werde es wieder sein.” Mit einem beringten Finger ihrer geschundenen, wohl gerade frisch heilenden Hand kratzte sie eine sehr einfache Triskel in den sandigen Grund. Dann wischte sie mit dem Fuß darüber - Zeichen wie diese in den Zeiten der Macht der Kirche blieben besser nicht einfach bestehen.

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639px-Triskele-Symbol-spiral.svg.png (19.47 KiB) 272 mal betrachtet
Sie sah die Alte von der Seite her wachsam an* und meinte: “Ich kam her, weil es hieß, dass dort auf dem Hügel einst eine Alte gelebt hat. Hexe, hieß es. Weise Frau. Engelmacherin. Doch selbst die Gerüchte darüber sind bereits blass vom Alter.”


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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von La Strega »

Als sich Giada näherte, fauchte die Katze auf der Schulter der Alten und nahm augenblicklich Reißaus. Nur für einen kurzen Augenblick sah sie der Katze hinterher.

Giada bemerkte, wie die Alte das Triksel mit neugierigem Blick betrachtete und ihr Blick auf sie fixierte, als diese es wieder wegwischte.

Auch als sie von der Hexe, der Engelsmacherin sprach blinzelte sie ein wenig verräterisch.


"Eine Hexe? Und warum suchst Du sie?"

Sie deutete auf den Prügel an der Seite der Lasombra.

"Machst Du Jagd auf Hexen?"

Ihre Stimme war nicht wirklich ängstlich sondern klang vorsichtig neugierig, auch wenn ihr Blick, so bemerkte Giada, etwas nervös wirkte.
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von Giada Salvaza Rossi »

“Hast du Angst vor mir?” Die Frage war nicht einen Deut weniger direkt als die von der Ewig-Alten selbst.

“Ich suche sie”, antwortete sie dann jedoch. “Für Fragen, vielleicht zum Tausch gegen Antworten.”
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Re: [1078] Hexenhaus [Giada, La Strega]

Beitrag von La Strega »

"Ja, die habe ich..."

Gab sie unumwunden zu und das leichte zittern in ihrer Stimme und der nervöse unstete Blick mochte das bestätigen. Konnte aber auch eine dem Alter geschuldete Tattrigkeit sein. Sie legte das geflochtene Gebilde auf den Schoß, und legte die Hände in einander darauf, um sich voll und ganz auf Giada zu konzentrieren.

"Deine Suche scheint zu einem ersten Ergebnis geführt zu haben. Denn ich hauste einst dort oben auf dem Hügel...ich war Kräuterweib, Engelsmacherin und man nannte mich die alte Strega."

Sie kicherte leise vergnügt und winkte dann ab.

"Aber wer glaubt schon an Hexen?"

sie lächelte Giada schief an.

"Was für Fragen hast Du denn an eine Hexe zu stellen, mein Kind?"
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