[1079] Und ein kleines Mägdelein wird sie geleiten [Allegra, Angelique]

[Allegra Aldighieri]

Über Mariams Nachrichtensystem geht eine Schriftrolle an Angelique zu.
Die Handschrift ist feminin, aber ungelenk und fehlergespickt, mit sehr kurzen Sätzen.
Ein paar Verbesserungen wurden mit einer anderen, weitaus besseren Handschrift in einer anderen Tinte eingefügt.

Wërrte Antschelliek,

mein Namme ist Allegra Aldighieri. Ich binn Mitklit des Haus↩es Kapadozjus. ̶D̶u̶h̶m̶e̶r̶ ̶W̶e̶i̶s̶e̶↩Leider binn ich zimmlich ̶d̶u̶h̶m̶↩ungebildet gewesn alz Schtärblichen̶e̶ . Ich bihn imma noch ̶f̶e̶r̶g̶l̶e̶i̶c̶h̶s̶ ̶W̶e̶i̶s̶e̶↩relativ ̶d̶u̶h̶m̶↩ungebildet unt hahbe noch fill auf zu hohlen.

Ich hahbe von Gabrijel Ducas erzelt bekomn ir kent oich mit Mehrtürern aus. Unt er haht Oich seher gelohbt da führ. Unt mit andern Kierchendiengen wie θ̶ε̶ο̶λ̶ο̶γ̶ί̶α̶ ↩ Theologie u̶n̶t̶ ̶s̶o̶ ̶K̶r̶a̶h̶m̶ ↩und dergleichen. Ich mus so wars wisn ̶b̶i̶t̶t̶e̶b̶i̶t̶t̶e̶b̶i̶t̶t̶e̶ ↩Über ein persönliches und erbauliches Gespräch mit so einer so weit gepriesenen Person zu dem Thema würde ich mich sehr freuen.

Mein Plutzdina Matteo ist viehl s̶c̶h̶l̶a̶u̶a̶↩belesener als ich Dän kahn ich gerne midbringn. Falz das hielft.

Mit Hoch VIII unksfoln Grüsn,

Allegra Aldighieri, Neugeborne des Klahns des Totes
Kint des Ivain du Amiens, Neugeborner des Klahns des Totes
Kint des Tamero dü Broseljande, Ahn des Klahns des Totes, Hüter der Gebiene des Reisen Ünswehj

Ach üprigens heist es Lilumi-Nation oder Ilium-Nation. Da Würde ich auch gerrn mer da zu wisn. Ah ich hahbe es isst eine Zall unt heist Drey-Umi-Nation.

Auch mit übersinnlich scharfen Augen mag Angelique einen zweiten Blick brauchen um es zu glauben: Das griechische Wort ist von der gleichen Hand geschrieben wie das wirre Gekrakel im Rest des Briefes.

[Angelique]

Um Gottes willen! Wenn die arme Frau so einen Brief an Iulia oder Benedetto schicken würde, könnte das den sozialen finalen Tod für eine Dame eines der geachtetsten der Hohen Häuser bedeuten!
Das Helfersyndrom in Angelique schrie danach, der Frau wenigstens die Grundzüge der Sieben Künste beizubringen.

Sie sandte sogleich eine Antwort über diese obskuren Kanäle zurück und bot ein Treffen für die nächste Mondphase in ihrem Turm an. Auch für den Blutdiener Matteo.

[Allegra Aldighieri]

In der besagten Nacht fanden sich zwei Gestalten am Hafen ein: Eine kleine zierliche Frau in einem sackleinenen Überwurf, und ein Mann in Schreiberlingskleidung, der bis auf seinen fehlenden rechten Zeigefinger unscheinbar durchschnittlich war. Der Turm war nach kurzer Suche gefunden, naturgemäß fällt ein solcher Bau alleine schon durch seine Höhe auf.

Standesgemäß überließ Allegra ihrem Diener die niedere Aufgabe des Anklopfens an der wuchtigen Tür, während sie sich mit der viel wichtigeren Aufgabe befasste eine widerspenstige Locke zu bändigen.

[Angelique]

Die schwere, beschlagene Tür am Ende der steilen Treppe schwang auf und ein Mann in Kettenrüstung, mit Nasalhelm und Geflechtvisier und tropfenförmigen Schild, der den Bären mit dem Taukreuz der D'Ors zeigte, erschien, um die Ankömmlinge hineinzubitten.

Ein kleines Mädchen mit lockigem Haar und hübschen weißen Kleidchen hüpfte barfuß die Turmtreppen hinab. Es hatte einen geflochtenen Blumenkranz im Haar - nur dass dieser nicht aus Gänseblümchen oder ähnlichem bestand, sondern aus Nachtschattenblüten geflochten war.

"Willkommen im Turm der Nacht! Im Turm des Mondes! Im Turm Rogers! Im Turm von Angelique!", sagte das Kind, während es sich an den gepanzerten Hünen lehnte und mit breitem Grinsen und einladender Geste ins Innere des schlanken und doch wuchtigen Wehrgemäuers wies.

[Allegra Aldighieri]

Allegra lächelte das kleine Mädchen an - es gab eine kurze Zeit, da hätte sie so etwas gerne in ihrem Leben gehabt, aber diese Gelegenheit war zusammen mit ihrer Wangenröte verstrichen. Ihr Begleiter musste unterdessen ein wenig den Kopf einziehen, um mit der Kappadozianerin Schritt zu halten, während sie forsch und ohne Nicken oder Verneigung an dem kleinen Mädchen vorbestürmte, um deren 'Meisterin', dieser 'Angelique' zu begegnen.

Sie hatte zwar keine Beschreibung von dieser 'Angelique', aber eine Dame von so hoher Bildung und so fränkischem Namen stellte sich Allegra (gespeist aus Erzählungen über solche hochgestellte Damen) hoch gewachsen vor wie eine Normannin, mit einer ehrfurchtgebietenden aquilinen Nase, aber dennoch von einer aristokratischen femininen Schönheit. Womöglich - nein, ganz bestimmt! - der zweiten oder dritten Tochter eines Grafen oder Barons, die in einem Nonnenkloster die feinen Künste erlernt hatte, und nun im romantischen Mondschein da saß, in einen dicken Folianten vertieft, oder diesen mit Blattgold verzierend, oder was feine Grafentöchter eben so tun im sich die Wartezeit zu vertreiben in Allegras Vorstellungswelt.

Vorauseilend verneigte sich Allegra bereits leicht um diese 'Angelique' zu begrüßen.

"Werte Angelique, darf ich mich vorstellen, ich bin Alleg-"

...und erstarrte mitten in der Bewegung und Rede, als da niemand war, der auf diese Beschreibung passte. Oder überhaupt irgend jemand. Bis auf das Mägdelein die ihr den Weg gewiesen hatte. Allegra ging auf ein Knie herunter, um das kleine Mädchen nicht von oben herab ansprechen zu müssen, und lächelte ihr ermutigend zu. Sicher würde die 'Blutsdienerin' ihr gleich weitere Weisungen geben, um ihre 'Herrin' zu finden.

[Angelique]

Kurz ging des Kriegers behandschuhte Hand an das Heft seines Langschwerts, als auf seine kleine Herrin zugestürmt wurde, aber das amüsierte Grinsen des Zentrums seines Lebens ließ ihn innehalten.

Das kleine Mädchen knickste. "Seid auch Ihr gegrüßt, Alleg! Abermals willkommen!"

Einladend wies es auf die steile Treppe im Inneren, die in die Höhe führte.
"Oben ist ein Gemach, wo wir uns in Ruhe unterhalten können. Dort habe ich auch Schriften, falls man etwas nachschlagen muss. Euer Brief war des Sujets wegen etwas unspezifisch. Deshalb bin ich etwas unvorbereitet. Denke aber, euch helfen zu können.
Für Euren Begleiter habe ich etwas Brot, Wurst und Käse bereitstellen lassen."

Die geschliffene Sprache passte so wenig zu der hellen Stimme des Kindes wie ihr unschuldiges, blasses Gesichtchen mit den großen Rehaugen zu einer adligen Domina, die die Gäste offenbar erwartet hatten.

[Allegra Aldighieri]

Allegra ist einen Moment ersichtlich perplex, als gleich zwei ihrer Erwartungen durchbrochen wurden - dass Angelique ganz anders aussah als sie es sich ausgemalt hatte, und dass es so etwas wie Kinderkainiten gab. Gab es noch mehr davon? Krabbelten irgendwo Säuglingskainiten durch die Nacht? Wenn es so etwas wie Kinderkainiten gab, gab es vielleicht auch Unmenschenkainiten, wie Ogerkainiten im Gabretenwald, oder Kyklopenkainiten in den Karpaten, oder sich von Ast zu Ast schwingende Riesenaffenkainiten in den Dschungeln Nubiens? Sie verbannte weitere aus dieser Entdeckung gespeiste Überlegungen in ihr Hinterstübchen für später.

Fragen der Etikette waren drängender. Ein Knie zu beugen erschien weit überzogen für eine Neugeborene, aber Allegra wollte sich auch nicht erheben und den Eindruck machen, bewusst von oben herab zu Angelique zu sprechen, besonders nicht nach dieser bereits verpatzten Vorstellung. Die Weisungen ihres Erzeugers hatten niemals den Sonderfall eines derartigen Größenunterschieds berücksichtigt, daher entschied sie sich ihrem Bauchgefühl zu folgen und auf einem Knie zu bleiben. Als kleines Mädchen hatte die Kappadozianierin es selbst geschätzt wenn sich Erwachsene diese Mühe machten, und schließlich war dies Angeliques Domäne wo es besser war im Zweifelsfall der Gastgeberin gegenüber etwas zu höflich und unterwürfig aufzutreten.

"Allegra. Allegra Aldighieri. Der Mann hinter mir ist mein Blutsdiener Matteo, von dem ich euch berichtet habe." Dienstfertig verneigte sich dieser.

"Ich will euch nicht zu viele Umstände machen, werte Angelique. Ich bitte nur um die Gunst, dass mein Blutsdiener frei mit uns sprechen kann, wenn er etwas von Wert hinzufügen kann. Er strebte einst die Priesterlaufbahn an, bis der Verlust seines Fingers dies verunmöglichte, und ist daher besser bewandert in Fragen der Theologia, als es mir vergönnt war."

Matteo zuckt leicht zusammen, als Allegra das Fremdwort für seine Ohren falsch ausspricht, nachdem er es schon mal für sie in ihrem Brief korrigiert hatte und sie auf ihren 'Fehler' hingewiesen hatte.

Allegra bleibt auf einem Knie, für den Fall dass Angelique weitere Anmerkungen machen wollte, so dass dies auf Augenhöhe geschehen konnte. Wenn nicht, dann erhebt sie sich und folgt der kleinen Scholarin in ihre Studierstube.

[Angelique]

"Schiavo Matteo!", grüßte die Kleine den Mann wie einen Gleichgestellten. Es wirkte nicht wie widerstrebendes Nachkommen der Bitte, sondern als hätte sie das eh so getan.

Sie überlegte. "Hm, Leviticus 24, nicht wahr? Da bist du aber einem entweder sehr strengen oder aber nur halbgebildeten Richter zum Opfer gefallen. Mum, Lahmheit und somit Unfähigkeit zum Dienst an GOtt am Altar liegt bei Verlust nur eines Fingers nicht vor. Und selbst wenn hättest du dich um bischöflichen oder gar päpstlichen Dispens bemühen dürfen. Da hat wohl einer weder Bibel noch kanonisches Recht richtig verstanden. Traurig, dass solche Leute die ihnen anvertraute Herde führen dürfen!"

Übermütig hüpfte Angelique die Treppenstufen mit kindlichem Elan hoch und präsentierte stolz ihr chaotisches Arbeitsgemach.
Für ihre Verhältnisse hatte sie aufgeräumt. Trotzdem lag alles wild durcheinander und wenn es System hatte, war es nicht ersichtlich.

Ein Pfuhl aus Kissen und Teppichen zwischen Regalen mit Schriftrollen und Büchern lud zum bequemen Verweilen ein. Auf einem Tischlein stand ein kostbares Schachspiel, die Figuren in einer komplizierten Stellung.
Ein Püppchen hockte neben einem Tablett auf dem Boden, wo besagte herzhafte Stärkung für Matteo drapiert war.
Kleine Tonritter schienen mitten im Spiel verlassen zu sein neben einem aufgeschlagenen Folianten.

Überhaupt waren hier mehr Bücher vorhanden, als zur Gründung eines Klosters nötig waren.
Kindliche Zeichnungen hingen neben akribischen Illuminationen und schienen doch von selber kleiner Hand gemalt.
Neben dem fahlen Mondlicht durch das schmale Fenster erhellten Kerzen den Raum in sanftem Licht.

[Allegra Aldighieri]

Matteo ist etwas überrascht, auf eine Vampirin zu stoßen die nicht so viel Aufhebens um Rangunterschiede und Verbeugungstiefen macht, aber es ist eine angenehme Überraschung, die auch rasch verfliegt, als er auf dem Weg die Treppe hinauf auf Angeliques Anmerkungen eingeht.

"Ich kenne das Buch Leviticus, ja. Ich habe den Einwand auch vorgebracht, aber Erzbischof Alfanus von Salerno kannte keine Gnade. Vielleicht auch mehr aus politischen als theologischen Gründen. Wobei ich mehr an Leviticus XXI XVIII denken würde. 'Nec accedetem ad ministerium ejus: si caecus fuerit, si claudibus...'""

"...i kolobathron i ototmaetis." beendete Allegra das Zitat in Griechisch. Beide Zitate waren leicht falsch, aber kamen dem Original nahe genug um den Sinn noch erfassen zu können. Das war ein reiner Glückstreffer*, hatten doch die Kappadozianerin und ihr Diener gelegentlich über das Thema gesprochen und die relevante Stelle nachgeschlagen, er in der lateinischen Vulgata und sie in der griechischen Septuaginta.

Matteo, obwohl nicht hungrig, nahm sich ein Anstandshäppchen vom Tablett, damit die Mühe der Gastgeberin nicht umsonst gewesen sei, während Allegra sich ihres Überwurfs entledigte und den Blick frei gab auf eine Farben- und Stoffexplosion, die Angelique möglicherweise bereits beim letzten Hoftag aus der Ferne aufgefallen war.

Vorsichtig stellte Allegra zwei Bücher auf dem Tisch ab, bemüht das Spielbrett nicht zu stören: Für Angeliques kundige Augen die Septuaginta und die Koine, die griechischen Ausgaben des Alten und Neuen Testaments. Die Kappadozianerin legte eine wattierte grünspanige Zange auf das oberste Buch und zog sich dünne Lederhandschuhe an, während sie leicht entschuldigend Erläuterungen gab.

"Ich bin des Lateinischen nicht mächtig und war mir unsicher ob Ihr... du mir entgegen kommen könntest, und habe darum Ausgaben des Guten Buchs mitgenommen die ich zu verstehen vermag.
Ich werde auch versuchen das was ich ablese sogleich so gut es geht in die gemeine Sprache zu übersetzen, damit es nicht alles Griechisch für dich ist. Matteo kennt das bereits, seine Kenntnisse sind umgekehrt, so behelfen wir uns gegenseitig."

*Beide jeweils 2 Erfolge auf Int+Theologie https://discord.com/channels/2237253770 ... 2762483782

[Angelique]

"Ich kann beides und auch das Hebräische. Ich kann also dabei helfen, zu übersetzen."

Neugierig betrachte sie die Ausgaben, wie eine Kennerin von Büchern und ihres Wertes.

"Um was genau geht es denn?"