[1079] Und ein kleines Mägdelein wird sie geleiten [Allegra, Angelique]

[Allegra Aldighieri]

Allegra ist ehrlich erstaunt und beeindruckt.
Die Kappadozianerin kam sich nun noch kleiner und dümmer vor, als sie es tat als sie den Brief an Angelique schrieb. Allegra wußte dass sie nicht gerade eine Vorzeigegelehrte für ihren Clan war, aber sie war sich nicht bewusst gewesen wie weit sie tatsächlich hinter den Erwartungen hinterher hinkte.

"Du... sprichst alle diese Sprachen? Und kannst sie auch lesen und schreiben?
Ich selbst tue mich ja schon schwer genug, in der gemeinen Sprache zu schreiben ohne Matteos Hilfe. Mit dem Hellenischen tue ich mich leichter, auch weil ich darin mehr Übung habe durch mein Gewerbe, aber damit könnten die allermeisten Empfänger nichts anfangen."

Die beiden Bücher sind recht alt, der Machart nach wahrscheinlich aus dem süditalienischen Magna Graecia zwischen 200 und 250, irgendwann vor dem pyrrhischen Krieg. Einige Schäden durch unsachgemäße Lagerung sind auch von außen augenscheinlich, etliche Passagen dürften schwer oder komplett unleserlich sein.
Während die Septuaginta gewöhnlich und nicht weiter bemerkenswert ist (so weit man eine Kostbarkeit wie ein handgeschriebenes Buch als 'gewöhnlich' bezeichnen kann), ist Allegras Koine ein wenig dicker, als sie es sein sollte. Entweder ist die Schrift außergewöhnlich groß, oder, sehr viel wahrscheinlicher, sie beinhaltet Apokrypha. Aber dazu müsste man einen Blick in das Buch selbst hinein werfen.

"Mein Hauptanliegen sind Märtyrer. Vor allem örtliche Märtyrer, hier aus Genua und dem Umland. Besonders solche mit identifizierbaren Merkmalen: Beruf, Sterbeort, Begräbnisort, besondere körperliche Merkmale...

Du musst wissen, ich bin eine Händlerin von Curios, und mein Talent ist es, Dinge aufzuspüren von denen man glaubt sie seien schon lange in Hades' Hort verschlossen.
Es ist mir ein persönliches Anliegen, ein solches Stück dem Chthonischen zu entreißen und in die Hände der Christenheit zurückzuführen."

[Angelique]

"Diese Bücher wären einzigartig und somit unbezahlbar, würde das stimmen, was der Verkäufer Euch erzählt hat, sie würden aus der Zeit der Magna Graecia stammen, noch dazu aus der Zeit der Republik. NICHTS ist aus dieser direkt erhalten. Nur Abschriften."

Sie wirkte sehr streng plötzlich und wie eine kleine Lehrerin.

"Warum ist das so? Wie kann ich da sicher sein? Nun, der Gründe gibt es vielerlei, aber die zwei wichtigsten und das Wissen darum sollten Euch in Zukunft vor derlei Betrügern bewahren.

Erstens: Bücher der Hellenen, libri, sind immer Schriftrollen, nie Kodizes, gebundene Bücher mit Seiten. Letztere wurden erst unter den römischen Kaisern nach unserem HErrn überhaupt erfunden und fanden erst in den Tagen, als die Frohe Botschaft die Herzen der Römer erobert hatte, weite Verbreitung.

Zweitens: Warum gibt es also nur Abschriften, warum können diese nicht echte Originale sein, gäbe es damals schon Kodizes? Nun, das liegt an dem Material. Es war kein Pergament in der Zeit, auf dem geschrieben wurde. Das wurde im Reich Pergamons nur aus der Not heraus verwendet, als es Krieg zwischen den Diadochen Alexanders gab. Das Material, auf dem geschrieben wurde, war Papyrus. Das hält aber sich nur in den trockensten Wüsteneien der Sarazenen lange, ansonsten muss es alle paar Jahrzehnte abgeschrieben werden. Als die christlichen Kaiser die heidnischen Bibliotheken mit ihren wundersamen Heizungen und Tausenden von Schreibern und Gelehrten schlossen, war niemand mehr da, der die Werke erhalten konnte. Und sie zerfielen zu Staub oder verbrannten zu Asche, als die Sarazenen zum Beispiel die Bibliothek Alexandrias anzündeten. Nur Abschriften von Abschriften von Abschriften überdauerten in unsere Tage."

Die kleine Vampirin wirkte sehr betrübt bei den letzten Worten.

Angelique runzelte die Stirn, als sie das Thema wechselte: "Es gibt keine großen Heiligen in diesen Landen, die hier gewirkt haben. Nur lokale Heilige, die außerhalb einer Ortschaft nicht bekannt sind und wohl auch nicht dem Bischof von Rom selbst."

[Allegra Aldighieri]

"Ich habe diese Bücher nicht... gekauft. Nicht Gold und Silber würden dafür eingesetzt, sondern Spürsinn und Schaufeln. Ich habe sie... überführt, aus den habgierigen kalten toten Klauen der Chthonischen in die von den Diesseitigen, denen sie noch von Nutzen sind."

Der Themenwechsel kam ihr recht, wollten doch nur wenige Kainiten so genau wissen, wie sie an die Sächelchen gekommen war die sie ihnen anbot.

"Oh nein, nein, ich denke nicht an Heilige - diejenigen die schon bekannt sind, wie etwa St. Romulus, haben bereits eine würdevolle Ruhestätte, und da dürfen und sollen sie auch verbleiben.
Ich denke an Selige, vor allem an Märtyrer. Viele von ihnen wurden von den Heiden niedergemacht und ihre Überreste lachend verstreut. Die meisten Gebeine und Artefakte dürften in der Schatzkammer Hades' verloren gegangen sein, aber wenn man nur einen von ihnen bergen könnte, darf und muss es uns das wert sein.

Idealerweise würde dieser Fund in Clavicula gemacht - es steht mir als Laiin nicht zu das zu beurteilen, aber man könnte darin ein Zeichen sehen dass es dem Herrn wohlgefällig ist, wenn gerade dort sein prächtigstes Gebetshaus errichtet wird. Nun stelle man sich vor, kurz nach dieser Entdeckung käme es auch noch zu Wundern im Namen des seligen Märtyrers, just nachdem er wie ein verlorener Sohn zurück in den Schoß der Gläubigenschar geführt wurde..."

Allegra ließ die Andeutungen im Raum hängen, mit einem zunehmend versonnenen Gesichtsausdruck. Die geplante Kathedrale in Clavicula war inzwischen eines der am schlechtesten gehüteten Geheimnisse in Genua, über das selbst die Waschweiber auf dem Marktplatz tratschten. Die Kappadozianerin musste das Risiko eingehen, dass Angelique eine Feindin des Plans sein und danach trachten könnte, ihn zu vereiteln, aber das schien ihr als unwahrscheinlich nach allem was sie über sie gelernt hatte.

[Angelique]

Erst schwieg Angelique eine Weile.
Dann kam ein fiebriger Glanz in ihre großen Augen.
"Überführt, aus den habgierigen kalten toten Klauen der Chthonischen in die von den Diesseitigen, denen sie noch von Nutzen sind", echote sie.
"Meint Ihr damit Grabraub oder ... oder echte Geister der Unterwelt, denen Ihr es mit Blutskraft entrissen habt? Seid Ihr Weissagerin der Toten wie die Hexe von Endor? Könnt Ihr Geheimnisse der Toten mit Mantie ergründen? Da hätte ich einige Fragen! Und einige Tote für diese Fragen!"

Sie schüttelte wild den Kopf, so als wolle sie die Gedanken herausschütteln.

"Ein ehrenvolles Anliegen nach Gebeinen zu suchen, aber ich fürchte, das wäre übermäßig kompliziert und nicht das, was die Bauherrn wünschen. Ein Seliger würde auch bei weitem nicht reichen, einen solchen Dom zu weihen. Es müssten schon Reliquien eines berühmten Heiligen sein. Zudem würde ein zufälliges Finden solche Gebeine, nachdem bereits die Waschweiber von einem Dom tratschen, jede Kommission des Heiligen Stuhls misstrauisch machen. Ferner würde ein solcher Prozess, wenn er denn überzeugende Wunder nachweisen kann, Jahrzehnte bis zur Anerkennung dauern.

Außerdem, ohne Euren Enthusiasmus schmälern zu wollen, ist es am wahrscheinlichsten, dass man vorerst die Gebeine des Heiligen Syrus, der die Vorgängerkirche geweiht hat, weiter zur Einsegnung nutzen wird. Oder auch die des Heiligen Romulus.

Hm, wenn Ihr besondere Fähigkeiten zum Entreißen von Schätzen aus den Klauen von Chthonischen besitzt, solltet Ihr vielleicht eher nach Gegenständen suchen, die im Besitz des Heiligen Syrus waren, anstatt neue Gebeine zu ... finden."

[Allegra Aldighieri]

Allegra lächelt ein wenig amüsiert über die Erregung des Mondenkindes.

"Es sind viele wilde Geschichten über unsere Blutmagie im Umlauf. Einige sind geradezu fantastisch, einige davon sind sogar fantastisch und wahr, aber ich kann Euch versichern: Die Gerüchte darüber, wir könnten wie einst Odysseus einfach unser Blut im Boden versickern lassen und damit die Geister der Unterwelt binnen drei Herzschlägen ins Diesseits zwingen, sind schlichtweg falsch.

Der Umgang mit Geistern der Toten ist sehr, sehr umständlich, zeitraubend, kostspielig und unzuverlässig, während die Gefahren selbst für eine erfahrene und belesene Scholarin des Todes groß sind. Und ich bin keine belesene Scholarin, mein Brief an Euch sei Zeuge. Ich würde nicht einmal zur Erfüllung meiner eigenen Herzenswünsche auch nur versuchen, mich der ruhelosen Toten zu bedienen. Ich weiß von zu vielen Clansgechwistern, die in ihrer Hybris dachten, sie könnten sich zum Meister der Geister aufschwingen, nur um von eben jenen Geistern die sie riefen in den Tartaros gezerrt zu werden, um ein Schicksal zu erleiden das schlimmer ist als der endgültige Tod. Überlegt Euch gut, mit welchen finsteren Mächten ihr so leichtfertig spielen wollt."

Sie blickt Angelique bei den letzten beiden Sätzen intensiv an und lässt die Wörter einen Moment sacken. Dass ihr das elegant erlaubt, nicht auf die Grabraubvorwürfe eingehen zu müssen, spricht Allegra natürlich nicht aus.

"Oh, mir ist klar, dass es mindestens Jahre, eher Jahrzehnte dauern würde, bis ein Seliger heilig gesprochen wird. Aber genau so lange würde es dauern, bis auch nur die Grundmauern der Kathedrale sichtbar sind. Zeit ist auf der Seite unserer unvergänglichen Art, während die Kirchenfürsten, oft schon alt wenn sie ins Amt kommen, nicht lange zu warten haben bis sie ihrem Schöpfer begegnen. Kommende Generationen von Kirchenfürsten stehen der Sache Genuas womöglich freundlicher gegenüber. Ich kann einfach warten, bis die Fortuna ihr Antlitz zeigt und mir freundlich zulächelt, um sie bei den Haaren zu packen und daran zu ziehen, bis sie mir gibt was ich will. Niemand weiß um die Tugend der Geduld besser als wir Thanatologen."

Die Kappadozianerin lächelt milde.

"Ich bin eine Kauffrau, keine Gelehrte. Ich suche nicht das eine wahre Gut, ich versuche Gewinn zu machen, und dazu gehört es meine Senfkörner weit zu streuen und einzurechnen, das viele von ihnen keine Früchte bringen werden, die wenigen Sträucher und der eine mächtige Baum aber die Streuverluste mehr als wett machen.

Mir gefällt daher auch Euer Vorschlag, nach unentdeckten Relikten des St. Syrus* Ausschau zu halten. Das ist ja kein entweder-oder, ich kann meine Senfkörner nach Westen und nach Osten streuen, und bin zufrieden wenn sie in einer Himmelsrichtung Früchte bringen.
Hm, hatte St. Syrus nicht einst einen Vogel mit seinem Speichel wiederbelebt...?"

Das scheint die Kappadozianerin auf eine vage Idee zu bringen, zumindest stellt sie ihren Redeschwall ein und spielt etwas geistesabwesend mit einer Locke.

Matteo nutzt diese Pause um sich einzubringen.

"Meine Gebieterin, der Geburtsort des Heiligen Syrus war das Bisagno-Tal, ganz hier in der Nähe, wo er auch seine Kindheit und Jugend verbrachte. Vielleicht können wir da noch Relikte finden?"

*Int+Theologie: Matteo 3 Erfolge, Allegra 2 Erfolge https://discord.com/channels/2237253770 ... 8920535090

[Angelique]

"Senf gedeiht hier nicht", flüsterte die abwesend wirkende kleine Vampirin leise.

"Es gibt sie also wirklich und du warst eine von ihnen, meine arme Seinfreda. Ach, ich wünschte, ihr wäret mir alle nie begegnet! Mein Leben wäre einsamer gewesen, aber ihr wäret wohl dafür noch am selbigen. Liebe tut so weh!"

Dann riss sie sich wieder zusammen, wie es schien.
"Kauffrau?", sagte Angelique wieder fröhlich und unbeschwert wie ein Kind. "Das trifft sich gut, ich bin auch eine solche.
Habt Ihr schon mal an die Heiligung von Objekten durch den Glauben der Leute gedacht? So könnten nach dem Dogma auch profane Dinge mit Heiligen in Verbindung gebracht werden und wundermächtig werden, wenn nur genug daran glauben. Eine Phiole mit irgendwelchem Rotz könnte so zu ebenjenen werden, der den Vogel erweckte."

Sie runzelte wieder die Stirn. "Aber erst einmal solltet Ihr bei Euch anfangen und Euer Auftreten vervollkommnen.

Ihr sagt, Ihr seid nicht gelehrt? Das ziemt sich nicht. Jeder erwartet bei Eurem Hohen Haus, Ihr wäret gelehrt. Gebt Ihnen, was sie wollen.

Ihr schreibt Briefe, die nicht ausreichend gebildet wirken? Schreibt sie in Griechisch, nur in Griechisch! Setzt unausgesprochen voraus, dass der Leser es gefälligst auch kann, denn es ist die Sprache der gebildeten Kappadokier und des zivilisierten Ostroms. Es ist unter Eurer Würde, profane Barbarenlaute zu Pergament zu bringen! Zwingt die Leute, teure Übersetzer dafür zu heuern.

Gebt nicht so offen zu, keine Nekromantie zu beherrschen, sondern lasst Euer Gegenüber im Unklaren.
Und zieht Eure heitere Kluft so an, dass alle es für Täuschung halten. Bei Anlässen erscheint in düsterer Robe, würdevoll und unheimlich.
Denkt einfach, Ihr wollt Ihnen was verkaufen, in dem Fall ein Idealbild von Euch!

Und lernt gefälligst im Geheimen richtig Lesen und Schreiben, Latein und die anderen Künste!
Ich hatte einst eine gute, eine sehr gute Freundin in einer Kappadokierin. Ich will nicht um Ihretwillen, dass die Stadt Euch auch frisst."

[Allegra Aldighieri]

Die Tatsache, dass Angelique den offensichtlich weiblichen Namen 'Seinfreda' mit 'Liebe' in Verbindung brachte, ließ Allegra bemerkenswert ruhig und bewirkte nicht einmal eine gehobene Augenbraue.

Die Kappadozianerin hörte sich ruhig und gelassen die Ratschläge des Mondenkindes an.

"Diese Ratschläge sind weise, und hätten mir helfen können, als ich noch frisch in die Domäne gezogen war. Aber inzwischen haben mich zu viele andere Kainiten gesehen und gesprochen, alleine schon beim Hoftag letztes Jahr. Ich kann mir nicht einfach eine schwarze Robe überwerfen, mich Iphigenia nennen und so tun, als würde ich nur Hellenisch sprechen, die Leute würden mich für übergeschnappt halten. Eher würden die Liktoren versuchen, den Schalk aus mir herauszuprügeln der scheinbar in mich gefahren ist.
Nein, ich denke mir bleibt nur der harte Weg meine fehlenden Fertigkeiten zu vervollkommnen und mich in der Zwischenzeit auf die Talente zu verlassen, die ich tatsächlich besitze und die man bei einer Thanatologin nicht vermuten würde. Es zahlt sich nicht aus, Kunden Schlangenöl anzupreisen und Qualitäten zu versprechen, die man nicht liefern kann, nicht wenn man längerfristig Wurzeln schlagen will, anstatt den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und dann über alle Berge zu ziehen, wenn die Scharade auffliegt."

Sie pausiert einen Moment, ehe sie fortfährt.

"Nehmen wir beispielsweise die Idee, vorzugeben man könne mit den Geistern der Toten sprechen. Wisst Ihr wie unglaublich b a n a l dieses Verlangen ist? Jedes Küken, das es die 25 Jahre lang bis zum Freispruch schafft dann und wann ein Schaf zu stehlen, um nicht zu verdursten, und sich tief genug vor den Alten zu verbeugen um nicht wegen mangelnder Unterwürfigkeit gepflockt zu werden, verliert unweigerlich Großeltern, Vater, Mutter, womöglich auch eine oder einen sterblichen Geliebten. Wisst ihr wie viele von denen auf die glorreiche Idee kommen 'Heda, die Thanatologen haben doch Todesmagie, lasst sie uns aufsuchen um ein tränenreiches Wiedersehen einzurichten?' Viele. Wirklich sehr viele. Egal wie sehr unsere Erzeuger uns einbläuen mögen, loszulassen von der sterblichen Welt - und das völlig zurecht - außerhalb der Reihen des Hauses Kappadozius verbleiben immer noch überreichlich romantische Narren.
Ich könnte wie eine aegyptische Handleserin vorgeben, diese Gabe zu besitzen, und den Leuten das erzählen was sie von ihren verstorbenen Geliebten hören wollen, und ich könnte sicher eine ganze Weile damit davon kommen. Es soll tatsächlich eher gaunerisch veranlagte Clansgeschwister von mir geben, die eben dies versucht haben. Aber früher oder später würde ich damit auffliegen und würde meines Unlebenms nicht mehr froh.

Oh, und nur weil ich - oder irgendein Kainit sonst - nicht wie Odysseus die stofflosen Toten mit einem Messerschnitt über dem Handteller heraufbeschwören kann, glaubt nicht ich sei unbewandert in den schwarzen Künsten. Manche Gerüchte über uns - auch manche sehr wilden Gerüchte über uns - sind wahr. Nur eines der wildesten Gerüchte über uns, von dem viele Kainiten sich wünschen es wäre wahr, dass wir die Fähigkeit hätten jenseitige Geliebte für zumindest einen Moment mit den diesseitigen Liebhabern wiederzuvereinen, ist eben nur dies, ein fieberhafter Wunschtraum."

Allegra faltet ihre Hände und blickt Angelique direkt an.

"Doch genug von mir und den Fähigkeiten, die ich und meine Clansgeschwister haben mögen oder auch nicht. Ich bin immer noch hauptsächlich hier wegen Märtyrerverzeichnissen. Besitzt Ihr so etwas? Mein Blutsdiener Matteo kann die für mich relevanten Einträge ohne weiteren Aufwand für Euch abschreiben, und es soll euer Schaden nicht sein. Ich bin bereit die erforderlichen Scipiae zu bezahlen um die Werke auszuleihen und abzuschreiben, in Silberpfennigen, oder in anderer Währung, falls Ihr dies bevorzugt."

[Angelique]

"Tatsächlich besitze ich kein Matyrologium. Nur eine lose Sammlung auf ausführlicheren Vitae mancher Heiliger. Ich kenne zwar alle Kirchen und Kapellen im Umkreis und habe einen guten Überblick über die Reliquien der einzelnen Gotteshäuser. Ich kenne somit alle Heiligen, die hier verehrt werden. Aber eine Liste zur Abschrift habe ich keine.
Die ließe sich allerdings leicht erhandeln über meine Kontakte in der Provence. Jetzt bin ich auch interessiert oder vielmehr wieder interessiert.
Ihr müsstet Euch allerdings einige Wochen oder gar Monate gedulden. Buchhandel ist ein kompliziertes Geschäft."

Zu den Ausführungen, die sie indirekt als romantische Närrin und banal beschimpft hatten, sagte sie nichts, schien aber auf irgendeine Weise eher zufrieden und bestätigt, als beleidigt.

Sie ging auf und ab und redete dabei.
"Ihr wollt Eure Defizite abschaffen? Habt Ihr denn schon Lehrer dafür? Ich würde mich natürlich anbieten.

Aber kommen wir zu Eurem Kerngeschäft, dem Grabraub.
Ich setze voraus, dass Ihr weder christliche Gräber schändet, um Paraphernalien für nekromantische Rituale, für Euch sowieso nicht, aber für andere Kappadokier vielleicht, zu erbeuten, noch aus purer Gier geweihte Erde entweiht.
Korrigiert mich, wenn ich da falsch liegen sollte.
Ferner gehe ich davon aus, dass Ihr, wenn Ihr Gräber beraubt, die aus heidnischer Zeit stammen oder aus der Zeit, bevor Karl der Große die Grabbeigabe für Christen verboten hat, Ihr dies in der Pietas tut, den armen Seelen zu ermöglichen, wie GOtt sie schuf, vor dem HErrn zu sein.
Ich setze dies alles wohlwollend voraus, denn das Gegenteil wäre ja Todsünde.

So Ihr denn so eine hehre Person seid, würde ich Euch gerne antike Schätze abkaufen wollen, so sie mein Interesse finden."

Sie wirkte nun tatsächlich wie eine adlige Domina, die knallhart verhandeln konnte.
Zudem war just, nachdem Angelique das Wort "Todsünde" genannt hatte, der gepanzerte Krieger am Treppenabsatz erschienen. Offenbar machte er seine Runde durch den Turm, der ja trotz aller Gelehrtenstube, ein militärischer war, denn er trug seinen Speer.

[Allegra Aldighieri]

Allegras kleiner Ausbruch über Geisterbeschwörung war nicht an Angelique gerichtet, sie sprach mehr in den Raum hinein. Dieses Ansinnen musste sehr, sehr üblich sein, und ausgesprochen ermüdend wenn man das CXIXte mal gefragt wurde ob man etwas unmögliches vollbringen könne.

"Wie schon gesagt ist die Zeit auf meiner Seite. Ich nehme daher gerne Euer Angebot an, mir für die hiesige Gegend ein Mehrtürologjijuhmm zu beschaffen." Irgendwie schaffte es Allegra, das so eben aufgeschnappte Fremdwort auf eine so schmerzhaft falsche Art und Weise auszusprechen, als ob es sie es niedergeschrieben hätte.

"Nennt mir Euren Preis dafür, und ich denke wir werden uns handelseinig werden. Geld? Relikte aus meiner Kollektion? Gefallen?

Das gleiche gilt natürlich für das Angebot, mich zu unterweisen.
Die Bedingungen sind akzeptabel für mich - mit einer kleinen Einschränkung. Ich würde mir das Recht vorbehalten, mich verurteilter Schwerverbrecher zu bedienen bei denen kein ordentliches Grab zugestanden wird das gestört werden könnte, seien es abgeschlagene Gliedmaßen von Dieben und Räubern, seien es aufgeknüpfte Meuchler und ähnliche Schurken."

Ein feiner Schweißfilm bildet sich auf Matteos Stirn, als seine Gebieterin auf die Bedingungen zu sprechen kommt.

"Ich denke am drängendsten wäre es, meine Schrift zu verbessern und wie ich meine Sätze schreiben tue.
Ich sollte mich auch in der Theologia besser schulen, aber ohne Latein sind mir die allermeisten Schriften dazu unzugänglich, und ich werde es in der Zunge der altvorderen Römer nicht weit bringen ehe ich mich besser in ihrer Schrift ausdrücken kann."

[Angelique]

"Lieber Geld. Allein für das Pergament geht ja schon eine Schafherde drauf. Von der teuren Tinte ganz zu schweigen. Und hergeschafft werden muss es auch.

Ich halte nichts von Gefallen. Bekäme ich für jeden, den man mir schuldet, einen Stein, könnte ich selber eine Kathedrale bauen. Ich bekomme noch von einem Neonaten der Kriegerphilosophen ein Katapult. Das war ein Gefallen aus dem letzten Jahrhundert und er ist inzwischen Asche.
Silberhohlpfennige sind da zuverlässiger."

Sie verzog das Gesicht. "Martyrologium. Das ist gar nicht so schwer. Es kommt doch sogar aus dem Griechischen von μαρτύριον."

"Oh, wenn Ihr die verbotene Kunst der Anatomie, der ἀνά τομή, betreiben wollt, so würde ich da gerne helfen. Meine letzten Lehrstunden beim wohlwerten Benedetto sind nun auch schon hundert Jahre her."